Diskus Wie würdest Du sagen, hat sich die Situation jüdischer Studierender an den Universitäten seit dem 7. Oktober entwickelt?

Margarita Blum Ich glaube, es war die Entwicklung einer Entzauberung. Direkt nach dem 7. Oktober gab es einen kurzen Moment der Solidarität, der erleichternd war und in etwa so lange anhielt, wie der Ginnheimer Spargel blau-weiß geleuchtet hat. Doch dann schlug es ziemlich schnell um. Dieser Backlash hat eigentlich niemanden von uns überrascht, aber doch manche sehr schockiert. Ganz besonders diejenigen, die in linken, feministischen und LGBT-Zusammenhängen unterwegs sind. Da gab es auch vor dem 7. Oktober schon Momente politischer Heimatlosigkeit, aber danach wurde der Bruch noch viel fundamentaler erlebt, auch in universitären Gruppen. Teilweise wurden dort die Verbrechen der Hamas, insbesondere die Vergewaltigungen, geleugnet: MeToo, unless you're a jew. Das ist nicht universitätsspezifisch, aber seit dem 7. Oktober ist die Lage auf social media so, dass man sich als jüdische Person gar nicht offen zeigen kann. Tut man es doch, gibt es ständig Kommentare wie »Free Palestine« oder »Wie stehst du eigentlich zum Genozid? Warum sagst du nichts zum Genozid?«. Niemand ist von Diskussionen in WhatsApp Gruppen verschont geblieben. Und diese Krisenlage hält an. Wenn jüdische junge Menschen zusammenkommen, dann wird früher oder später immer wieder über den 7. Oktober und den Gaza-Krieg gesprochen. Das ist nach wie vor ein ständiges Thema, das wahrscheinlich nicht abreißen wird, solange Kriegshandlungen stattfinden und man dafür als jüdische Person belangt wird. Zudem ist man auch unmittelbar involviert: Alle haben Verwandte und Freunde, die betroffen sind. Manche haben Familienmitglieder verloren, manche waren selbst in Israel oder sind nach Israel gegangen, nachdem der Krieg angefangen hat. Obendrauf, zur ohnehin schon beschissenen Situation, kommt noch der Antisemitismus.

Diskus Und wie war die Situation vor dem 7. Oktober?

Margarita Blum Wenn in der Vergangenheit israelbezogene Konflikte aufgeflammt sind, bekamen jüdische Menschen das in Deutschland auch früher schon ab, sozusagen als Stellvertreter Israels. Für uns als Verband war und ist klar, dass wir Israel als jüdischen Staat unterstützen und wir haben uns dementsprechend oft positioniert. Ich würde allerdings sagen, dass unsere Arbeit während der vergangenen Konflikte noch offener möglich war. In den letzten Jahren war die Stimmung unter jüdischen Menschen in Deutschland, dass man nicht mehr bloß auf gepackten Koffern sitzt, sondern auch ein bisschen angekommen ist. Auch die Gründung der JSUD (Jüdische Studierendenunion Deutschland) 2016 war ein Ausdruck davon. Viele jüdische Menschen sind in Deutschland geboren und es gibt natürlich den Wunsch, sich hier offen mit dem eigenen Jüdischsein zeigen zu können und auch zu zeigen, dass Jüdischsein mehr ist, als Opfer von Antisemitismus zu sein. Daraufhin wurde zum Beispiel die Jüdische Campuswoche ins Leben gerufen, die jedes Jahr an verschiedenen deutschen Universitäten stattfand. Die Idee war, sich offen am Campus zu zeigen und auch andere Leute dazu einzuladen. Da gab es Partys, Vorträge, Kulturprogramm und Musik. Das gibt es in diesem Jahr nicht und die Stimmung ist auch nicht so, dass man unter den aktuellen Vorzeichen so etwas wie eine jüdische Campuswoche durchführen will oder kann.

Diskus Es ist besonders schockierend, dass Antisemitismus wegen des 7. Oktobers zunimmt, wenn man eigentlich davon ausgehen möchte, dass sich gerade nach einem so offensichtlich brutalen antisemitischen Terrorangriff ein Bewusstsein für Antisemitismus oder zumindest eine klare Haltung gegen Antisemitismus entwickeln müsste. Hätte der 7. Oktober in dieser Hinsicht ein Bruch sein müssen, sodass auch linke oder sich als progressiv verstehende Gruppen sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen?

Margarita Blum Wir kennen das, dass sobald in Israel die Lage hochkocht – zum Beispiel 2021, als es auch einen Konflikt mit Gaza gab – auch der Antisemitismus global zunimmt. Damals gab es auch große propalästinensische Proteste mit antisemitischen Ausschreitungen. Genauso während des Gaza-Kriegs 2014. Aber es stimmt, der Antisemitismus hat jetzt auf jeden Fall noch einmal eine ganz neue Qualität, ebenso wie der Vertrauensverlust, der daraus resultiert. Es ist einfach absurd für uns, besonders, weil aus unserer Sicht klar ist, dass diese Reaktionen der Menschen im Westen ein fester Bestandteil der Kriegspläne der Hamas und ihrer Verbündeten sind. Wenn man sich Interviews mit Oberhäuptern der Hamas, Hisbollah oder sogar die Briefe Khameneis an die Jugend und die Studierenden im Westen anschaut (»You are standing on the right side of history«), wird das deutlich. Dass so viele Menschen das nicht erkennen wollen oder das Ganze sogar unterstützen, ist besonders absurd. Wir erleben das nicht zum ersten Mal – aber die Qualität ist neu.

Diskus Um noch einmal auf den Hochschulkontext zurückzukommen: Was hat euer Verband seither gemacht? Vielleicht möchtest Du auch noch ein paar Sätze zum Verband an sich sagen. Was macht ihr? Wie sieht eure Arbeit aus? 

Margarita Blum Der Verband vertritt jüdische Menschen zwischen 18 und 35 Jahren. Es geht darum, ihnen politisch eine Stimme zu geben und einen Ort zu schaffen, an dem sie sich organisieren können. Seit dem 7. Oktober haben wir sehr viel Zeit damit verbracht, Missstände aufzuzeigen. Wir haben auf die Situation jüdischer Studierender aufmerksam gemacht und uns vernetzt. Wir haben viel überregional gearbeitet, um gemeinsam mit anderen Jugendorganisationen Forderungen zu formulieren. Wir haben auf Kundgebungen gesprochen und versucht, nicht nur mit Betroffenen, sondern auch mit Entscheidungsträgern zu sprechen – zum Beispiel mit dem Unipräsidium oder der Antidiskriminierungsbeauftragten. Wir haben ziemlich unermüdlich zu Ereignissen an hessischen Hochschulen Stellung in der Presse bezogen. Es ging zumeist darum, darüber aufzuklären, weshalb bestimmte Proteste und Slogans, die skandiert wurden, oder die Einladungen bestimmter Referenten an Hochschulen inakzeptabel sind. Gleichzeitig ist es dabei immer wichtig, unsere Mitglieder zu unterstützen, Austauschräume zu ermöglichen und sie in bestimmten Fällen an Stellen wie OFEK zu vermitteln, die für die psychologische Beratung bei antisemitischen Vorfällen zuständig sind. Oder an RIAS, die antisemitische Vorfälle dokumentieren und jetzt auch einen Bericht über das Jahr 2023 herausgebracht haben. Darin sind auch antisemitische Vorfälle in Hessen dokumentiert und es gibt ein eigenes Kapitel zu Vorfällen an Hochschulen. Daraus geht hervor, dass seit Oktober die Anzahl der antisemitischen Vorfälle stark zugenommen hat. Genauso hat sich bei OFEK die Anzahl der Beratungsanfragen in den ersten vier Wochen nach dem 7. Oktober im Vergleich zu den Vorjahren verzwölffacht.

Diskus Gibt es Unterstützung von anderen Gruppen in der Frankfurter Universität außerhalb des Präsidiums? Und vielleicht auch jenseits des Unibetriebs? 

Margarita Blum Im universitären Kontext gibt es zum Beispiel das Junge Forum, das Veranstaltungen organisiert, die über Israel aufklären und mit denen wir regelmäßig kooperieren. Auch vom AStA und dem Studierendenparlament erfahren wir häufig Solidarität, für die wir dankbar sind. Ein Beispiel: Im April 2024 haben wir in einem offenen Brief gefordert, dass Judith Butler der Theodor-W.-Adorno-Preis aberkannt werden soll, weil Butler das größte Pogrom an Juden und Jüdinnen seit der Shoah zu einem Akt des Widerstandes verklärte. Die Linke Liste hat den Antrag eingebracht, diesen Brief zu unterstützen, und er wurde von allen Gruppen im StuPa angenommen, außer dem SDS. Das ist nicht selbstverständlich – von ASten an anderen Unis kennen wir auch Anderes. 

Außerhalb der Hochschule hat sich in Frankfurt unter einigen Linken Unmut darüber formiert, dass ausgerechnet sich als links und progressiv verstehende Gruppen nicht sehen wollen, was im Diskurs um den 7. Oktober und den Gaza-Krieg falsch läuft. Aus diesem Unmut heraus hat sich die Initiative 7. Oktober formiert, in der sich verschiedene, nicht per se im Hochschulkontext angesiedelte Gruppen zusammengeschlossen haben. Das gibt auch Hoffnung. 

Diskus Können sich jüdische Studierende angesichts der Situation an den Universitäten derzeit überhaupt noch sicher fühlen? 

Margarita Blum Das ist eine große und schwierige Frage. Ich glaube, es wird lange dauern, bis sich jüdische Studierende wieder wirklich sicher fühlen. Einige meiden bestimmte Orte am Campus ganz bewusst, zum Beispiel das PEG (Gebäude der Gesellschaftswissenschaften in Frankfurt), weil dort sehr viele Leute Kufiya tragen. Dabei geht es weniger darum, dass man ständig Angst hätte, dass diese Leute einem direkte körperliche Gewalt antun. Aber es gibt doch das grundlegende Unsicherheitsgefühl, dass du dich nicht so wie du bist und mit deinen politischen Positionen offen zeigen kannst. Umso mehr, weil man von manchen, die einem dort über den Weg laufen, weiß, dass sie am 7. Oktober in Berlin Baklava verteilt haben, weil sie sich so gefreut haben über den angeblichen »Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis« und den Terror, den sie »praktische Dekolonialisierung« nennen. Man weiß also, dass bestimmte Personen sich über den Tod von unseren Angehörigen wirklich gefreut haben und sie nicht als Zivilisten, sondern als »Siedler« und »Kolonialisten« ansehen. Das reicht wirklich, um sich unsicher zu fühlen. Manche der »propalästinensischen« Aktivisten sind zum Beispiel auch beim Quds-Tag in Frankfurt, der sozusagen vom iranischen Regime veranstaltet wird, mitgelaufen. Und da sind wir schon wieder viel mehr beim Thema: Wovon sind wir eigentlich tatsächlich konkret bedroht? 

Diskus Auch am Campus der Goethe-Universität haben sich als links verstehende Gruppen im Juni ein »propalästinensisches« Protestcamp veranstaltet. Wie habt ihr dieses Camp erlebt?

Margarita Blum Ich denke, dass sich beim Protestcamp und den Antikolonialen Tagen, die kurz darauf stattfanden, vieles verdichtet und offen gezeigt hat. Zum Beispiel wurde zum Protestcamp Mohammed Naved Johari als Redner eingeladen, der den islamistischen Muslimbrüdern nahesteht, um über antimuslimischen und antipalästinensischen Rassismus zu sprechen.1 Das wurde dort ganz unproblematisch aufgenommen. Auf dem Camp entstand eine Videoaufnahme, die zeigt, wie dort das Interview mit Aitak Barani, in dem sie den Terror der Hamas leugnet, auf einer Leinwand abgespielt wird, woraufhin das Publikum laut applaudierte. In einem Input wurde in Bezug auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die Zweiten Intifada wortwörtlich vom »Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung« gesprochen. Einen Tag nach dem Camp fand eine Podiumsdiskussion unter dem Titel »Building Bridges - Universität zwischen Diskurs und Protest« statt. Die Moderatorin schloss die Diskussion, an der auch vier Professorinnen der Goethe-Universität beteiligt waren, damit, dass man zu der wesentlichen Frage nach der Gewalt der politisch Unterdrückten leider gar nicht gekommen sei und dass das noch auszudiskutieren wäre. Eine verbreitete Antwort auf diese Frage ist ja, dass Gewalt gegen »Siedler« völkerrechtlich gerechtfertigt sei. Umso schockierender ist es für uns, dass diese Veranstaltung von Professorinnen mitgetragen worden ist. Mir ist dabei sehr wichtig zu sagen, dass es einen Raum geben muss, um über die Tatsache zu trauern, dass so viele Menschen in Gaza umgekommen sind und der Krieg ganze Familien zerstört hat. Doch es muss einen Weg geben, dieser Trauer Ausdruck zu verleihen, ohne zugleich die israelischen Opfer verächtlich zu machen. Alle Opfer des Konflikts anzuerkennen müsste das Mindeste sein, um einen Dialog zu ermöglichen. Terroristische Gewalt und Vergewaltigungen zu unterstützen oder zu bagatellisieren ist damit nicht vereinbar. Übrigens ist es irrelevant, ob der Anmelder des Protestcamps in Frankfurt selbst jüdische Wurzeln hat oder es dort jüdische Beteiligte gab – das ist aus unserer Sicht Tokenism. Die Position, dass der Mord an Israelis gerechtfertigt ist, wird nicht richtiger, wenn sie von jüdischen Personen vertreten wird.

Diskus Aus den USA gab es besonders erschreckende Bilder von den Protestcamps. Jüdische Menschen wurden offen angefeindet oder ihnen wurde sogar der Zutritt zu öffentlichen Gebäuden verwehrt. Zudem solidarisierten sich Studierende öffentlich mit islamistischen Regimen und Terroristen. Wie blickt ihr in die USA? 

Margarita Blum Wir blicken natürlich mit Erschrecken auf die Situation dort. Uns hat sehr schockiert, wie die Camps dort ausgesehen haben, wie Menschen dort etwa hippiemäßig mit Gitarre und Hisbollah-Flagge aufgetreten sind. Ich denke, dass in den USA das, was hier vielleicht noch teilweise unter der Oberfläche schwelt, schon ganz offen zutage tritt. Es ist nachvollziehbar, dass aufgrund der Geschichte der USA, die ja selbst ein Resultat von Siedlerkolonialismus ist, postkoloniales Denken dort einen besonderen Anklang findet und auch, dass Antirassismus eine ganz zentrale Rolle spielt. Man spricht ja oft von Schuldabwehr-Antisemitismus in Bezug auf Deutschland, der die Funktion hat, die empfundene Schuld an der eigenen Geschichte zu lindern, indem sie auf Israel projiziert wird (»Jetzt machen sie mit den Palästinensern das, was die Nazis damals mit ihnen gemacht haben«). Ich persönlich glaube, dass beim Antizionismus in Nordamerika auch eine Art Schuldabwehr mitschwingt und dass Probleme, die in der US-amerikanischen Gesellschaft bestehen, auf Israel projiziert werden. Davon zeugt ja das Überstülpen des Begriffs des »Siedlerkolonialismus« auf Israelis. Die Geschichte Israels und die Art und Weise, in der Menschen nach Israel gekommen sind, um dort einen Staat aufzubauen, in dem sie sicher leben können, lässt sich aber überhaupt nicht mit der Kolonialgeschichte Amerikas gleichsetzen. Über diese Projektionen gilt es nachzudenken, und über solche verzerrten Interpretationen der Geschichte aufzuklären. 

Diskus Was müsste passieren, dass Universitäten zu Orten werden, an denen Juden und Jüdinnen ohne Angst studieren können? 

Margarita Blum Schritt eins wäre, auch israelbezogenen Antisemitismus ernst zu nehmen. Der wird stattdessen häufig als politischer Disput abgetan, wie etwa im Fall von Lahav Shapira (dem Bruder von Shahak Shapira), der in Berlin im Krankenhaus behandelt werden musste, nachdem er von einem »propalästinensischen« Angreifer niedergeschlagen und am Boden liegend mehrfach getreten wurde. 

Ein anderes Beispiel: Es gab öfters schon Fälle, in denen Menschen eine Israelfahne vom Balkon oder aus dem Fenster hängen hatten, was propalästinensische Demonstranten zu antisemitischen Parolen und Steinewerfen verleitete. Aber anstatt etwas gegen die »Juden raus«-Rufe der Demonstranten zu machen, wurden die Flaggen von der Polizei entfernt. Auch darin entgeht vielen die antisemitische Dimension und sie sehen nur einen politischen Konflikt. In Berlin gab es jetzt diese Diskussion um die roten umgekehrten Dreiecke, die von Hamas benutzt werden, um in Propagandavideos Feinde zu markieren. An der HU Berlin wurden sie während der »propalästinensischen« Besetzung an die Büros von Hochschulangehörigen gesprüht. Damit wurde der Ernst der Lage dann doch einigen klarer und es gab einen Gesetzesentwurf, um das Zeigen des Symbols in diesem antiisraelischen Kontext zu verbieten.

Das hält aber Gruppen wie die Kommunistische Organisation, deren Mitglieder sich auch am Protestcamp beteiligten, nicht davon ab, Broschüren wie »15 gängige Mythen über die Hamas« herauszubringen, auf deren Cover dann die roten Dreiecke prangen. Diese Allianz zwischen der radikalen Linken und Islamisten ist ebenfalls nicht neu, aber sehr besorgniserregend. Denn klar ist: Von islamistischen antiisraelischen Gruppierungen geht auch in Deutschland eine konkrete Gefahr aus. Im Dezember 2023 wurden zum ersten Mal mutmaßliche Hamas-Mitglieder in Deutschland verhaftet, weil sie Waffen für Anschläge auf jüdische Einrichtungen aus Erddepots nach Berlin holen wollten. Und es ist auch nichts Neues, dass iranische Nachrichtendienste ganz aktiv jüdische und proisraelische Personen und Institutionen ausspähen. Das kann man jährlich im Verfassungsschutzbericht nachlesen. Und das wissen wir schon lange. Wir wünschen uns eine Sensibilisierung von Personen an der Hochschule, die mit jüdischen Organisationen und Personen zusammenarbeiten, für diese Gefahren. Und schließlich gehört es zu unseren wichtigsten Themen, aktiv für die Sicherheit unserer Mitglieder und für unsere eigene Sicherheit zu sorgen. Das können wir nicht jemand anderem überlassen. 

Diskus Du hast schon gesagt, dass es auch Aufklärungs- und Bildungsarbeit gegen Antisemitismus braucht. Wie kann das in Hochschulen und Unis gegenwärtig aussehen? 

Margarita Blum Das ist auch eine schwierige Frage, weil klar ist, dass Aufklärungs- und Bildungsarbeit nur Bausteine und kein Allheilmittel sind. Ich glaube, ganz wichtig ist, Bildungsarbeit in Zusammenarbeit mit den Betroffenen zu gestalten und nicht über sie hinweg. Es gibt zum Beispiel, um noch einmal auf die Frage des Dialogs zu kommen, Bildungsinitiativen, die stark auf interreligiösen Austausch und auf Begegnungen setzen, zum Beispiel das Projekt »Meet a Jew«. Das sind gute Projekte und ich denke, bei solchen Begegnungen können tolle Dinge entstehen. Mit Begegnungen allein wird man Antisemitismus zwar nicht bekämpfen können und es ist klar, dass man Menschen, deren Meinung wirklich gefestigt ist, mit Bildungsarbeit nicht überzeugen kann. Aber man kann immerhin Menschen erreichen, die keine so feste Meinung haben und die noch offen sind. Es ist wichtig, dass das Ganze verstetigt wird. Auch damit gibt es an der Goethe-Universität Probleme. Wir haben zum Beispiel lange darauf hingearbeitet, dass die von Benjamin Ortmeyer geleitete Forschungsstelle NS-Pädagogik weiterhin an der Uni angesiedelt sein kann. Das ist nicht gelungen, im März 2021 sind alle damit assoziierten Stellen ausgelaufen. Jetzt hat die Jüdische Akademie den Bücherbestand der Forschungsstelle übernommen. Da hat die Universität versagt, die wir in der Pflicht sehen, solche Ressourcen bereitzustellen.

Diskus Diese dauerhafte Arbeit müsste gemeinsam passieren. Was wünscht ihr euch von anderen Studierenden, Dozierenden und Mitarbeiter_innen an der Universität? Wie kann man den Kampf gegen Antisemitismus gemeinsam führen? 

Margarita Blum Ich glaube ehrlich gesagt, einfach manchmal den Mund aufmachen und Position beziehen. Das macht wirklich für Betroffene einen Unterschied, die im Alltag oft gar nicht zeigen können, dass sie jüdisch sind. Die also auf der Arbeit oder in der Uni überhaupt nicht darüber sprechen. Da macht es doch einen großen Unterschied, zu wissen, dass Personen um einen herum bereit sind, zu widersprechen, wenn in Seminaren oder im Arbeitskontext antisemitische Positionen verbreitet werden. So lässt sich Solidarität ausdrücken und das wäre schon eine sehr wichtige Basis. Darüber hinaus muss es darum gehen, die Möglichkeit zu schaffen, sich zusammenzuschließen und Gegenentwürfe zur aktuellen Lage zu formulieren. Entwürfe darüber, wie der Kampf gegen Antisemitismus geführt werden kann und wie ein gutes Zusammenleben und ein wirklicher Dialog aussehen könnten. Ich glaube, einen Anfang haben die Gruppen und Initiativen gemacht, die sich seit dem 7. Oktober gegen Antisemitismus engagieren. Das muss weitergeführt werden. Auch wenn es ein langwieriger, zäher Kampf ist und man manchmal das Gefühl hat, einen Schritt vor und zwei Schritte zurückzugehen.