In den Vernichtungslagern der »Aktion Reinhardt«, Belzec, Sobibor und Treblinka, ermordete eine relativ kleine Gruppe von etwa 120 deutschen und österreichischen Männern mit Hilfe von Trawniki-Wachmännern etwa 1,6 Millionen Juden_Jüdinnen sowie einige Tausend Sinti_zze und Rom_nja. Wo kamen die Täter her und warum beteiligten sie sich an diesem Massenmord?

Alles SS-Männer?

»Am 14. Oktober gegen 17 Uhr, Aufstand der Juden im SS-Lager Sobibor, 40 km nördlich von Cholm. Sie haben die Wachmannschaft überwältigt, sich der Waffenkammer bemächtigt und sind nach Feuerkampf mit der übrigen Besatzung in unbekannt Richtung entkommen. 9 SS-Männer ermordet, 1 SS-Mann vermisst, 1 SS-Mann verwundet, 2 fremdvölkische Wachmänner erschossen.«1

So berichtete der Kommandeur der Ordnungspolizei im Distrikt Lublin am 15. Oktober 1943 über den Aufstand im Vernichtungslager Sobibor an seinen Vorgesetzten in Krakau. Der Hinweis auf die getöteten »SS-Männer« und die Bezeichnung »SS-Lager« lenken den Blick der Leser_innen auf die SS und evozieren Gedanken an die üblichen Verdächtigen, die aktiven SS-Leute aus den berüchtigten Totenkopfstandarten, die in den Konzentrationslagern und somit auch im Vernichtungslager Auschwitz für den Tod und das Leid unzähliger Menschen verantwortlich waren. Tatsächlich finden sich unter den Toten des Aufstands von Sobibor mit Johann Niemann und Siegfried Graetschus auch zwei Männer, die ihre berufliche Laufbahn in den Konzentrationslagern begonnen hatten: Beide waren vor dem Krieg im KZ Sachsenhausen eingesetzt. 

Ein Blick auf den beruflichen Werdegang der anderen, während des Aufstands getöteten, Männer entwirft dagegen ein anderes Bild: Unter den Getöteten waren die Fotografen Josef Wolf und Thomas Steffel, der Landwirt Rudolf Beckmann, der Konditor Hermann Stengelin, die Pfleger Max Bree und Fritz Konrad sowie der Hilfsarbeiter Josef Vallaster. Von diesen sieben Männern waren lediglich Beckmann und möglicherweise Hermann Stengelin Mitglied der zivilen SS gewesen; die anderen traten dieser auch während des Krieges nicht bei und waren dieser auch nicht unterstellt. Doch wie kamen diese Männer in die Vernichtungslager und welcher Organisation unterstanden sie stattdessen?

Von der »Euthanasie« zur »Aktion Reinhardt«

Dass es sich bei der Mehrzahl der in den Vernichtungslagern der »Aktion Reinhardt« eingesetzten Männer überhaupt nicht um SS-Angehörige handelte, liegt an der speziellen Tätergruppe, die dort tätig war. Für die drei Lager war nicht – wie im Falle von Auschwitz und Majdanek – die Inspektion der Konzentrationslager bzw. das Amt IV des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes zuständig, sondern eine bis zu Beginn des Krieges eher unbedeutende Institution, die Kanzlei des Führers, Hitlers Privatkanzlei, und zwar präziser das von Oberdienstleiter Viktor Brack geleitete Hauptamt II. Dieses war zuvor für den Mord an Patient_innen aus Heil- und Pflegeanstalten (»Aktion T4«) zuständig gewesen: Die etwa 500 Mitarbeit_innen hatten zwischen 1940 und dem vorläufigen Stopp des Krankenmordes im August 1941 etwa 70.000 Patient_innen in Gaskammern mit CO-Flaschengas in den Tötungsanstalten Brandenburg und Bernburg, Grafeneck und Hadamar, Sonnenstein und Hartheim ermordet und waren auf diese Weise zu »Experten der Vernichtung« geworden.2

Unter den Mitarbeitern war ein kleiner Teil wie die bereits genannten aktiven SS-Angehörigen Niemann und Graetschus für die »Aktion T4« in den Totenkopfverbänden rekrutiert worden. Die restlichen Mitarbeiter_innen waren hingegen beruflich nicht an die SS angebunden, sondern gingen bis zu ihrer Rekrutierung zivilen Berufen nach. Viele waren über die sogenannte Notdienstverpflichtung zur »Euthanasie« gekommen. 

Von den 500 Mitarbeiter_innen der »Aktion T4« wurde zwischen Ende 1941 und 1943 etwa ein Viertel zum »Osteinsatz« ins besetzte Polen geschickt, und zwar ausschließlich Männer. Diese blieben personell weiterhin der Kanzlei des Führers unterstellt, mit der sie in ständigem Kontakt blieben. In dienstlicher Hinsicht waren sie nun dem SS- und Polizeiführer von Lublin, Odilo Globocnik zugeordnet, der die Vernichtungslager der »Aktion Reinhardt« initiiert hatte.

Die 120 Männer in den drei Vernichtungslagern

Es handelte sich bei den nach und nach aus den »Euthanasie«-Anstalten ins Generalgouvernement versetzten Männern um Polizisten, Leichenverbrenner, Pfleger, Handwerker, Verwaltungspersonal, Wachmänner, Landwirte und einen der T4-Ärzte. In den drei Lagern waren jeweils nur zwanzig bis vierzig Personen gleichzeitig vor Ort. 

Die Leitung der drei Lager übernahmen in der Regel Kriminalpolizisten, die zuvor als »Büroleiter« die Tötungsinstitute geleitet hatten: Christian Wirth (Belzec), Gottlieb Hering (Belzec), Franz Stangl (Sobibor, Treblinka) und Franz Reichleitner (Sobibor). Nur in Treblinka war in den ersten Monaten der T4-Arzt Irmfried Eberl als Kommandant eingesetzt. Ab Sommer 1942 koordinierte der Kriminalpolizist Christian Wirth von Lublin aus als sogenannter Inspekteur die drei Vernichtungslager. 

Vertreter der Lagerleiter wurden Männer aus den SS-Wachverbänden, die mit Wirth bereits das erste Vernichtungslager Belzec aufgebaut hatten.3 Da die drei Lager offiziell als SS-Sonderkommandos firmierten, erhielten alle Männer fiktive Dienstgrade eines SS-Unter- oder SS-Oberscharführers zugewiesen – auch diejenigen, die nicht Mitglied der SS waren und zuweilen abschätzig »Zivilisten in Uniform« genannt wurden.

Von den aktiven SS-Angehörigen und den Polizisten abgesehen, spielte der vor dem Krieg ausgeübte Beruf oder die Tätigkeiten während der »Euthanasie« keine wesentliche Rolle bei der Verteilung der Aufgaben und Positionen in den Lagern. Alle Männer waren in den Massenmord involviert und bei der sogenannten »Transportabfertigung«, wie die Ermordung der Juden_Jüdinnen in den Lagern bezeichnet wurde, beteiligt.

Trawniki-Männer als Gehilfen

Für die Wachdienste griff das deutsche Lagerpersonal zudem auf die sogenannten Trawniki-Männer zurück. Es handelte sich dabei um ehemalige sowjetische Kriegsgefangene wie etwa Volksdeutsche und Ukrainer, die in den Gefangenenlagern rekrutiert und im Ausbildungslager Trawniki im Distrikt Lublin ausgebildet worden waren. Bis zu 120 Wachmänner waren in den Lagern jeweils vor Ort. Die Mitverantwortung, die diese für die Ermordung von über anderthalb Millionen Juden_Jüdinnen trugen, ist schwer zu verorten: Zum einen kann ihr Beitrag klar als Kollaboration definiert werden, zum anderen waren sie – so die Historikerin Angelika Benz – nur »bedingt freiwillig«4 vor Ort, es kam auch sehr häufig zu Desertionen und sogar zu Widerstandsakten. Die deutschen Lagermannschaften sahen die »Fremdvölkischen« als unzuverlässig an und wendeten ihnen gegenüber daher eine Mischung aus Anreizen und Strafen an.

Handlungsspielräume und ihre Nutzung

Die Unterstellung unter eine andere Organisation als die Totenkopfverbände hatte auch zur Folge, dass in den Lagern – und zwar sowohl beim Personal als auch im Umgang mit Wachmännern und den jüdischen Gefangenen und Deportierten – eigene Regeln herrschten: Die Arbeitsnormen und Formen des Zusammenlebens gestalteten die Männer selbst. Es herrschte eine eher zivile Führungsweise mit großen Handlungsspielräumen; die Männer verstanden sich als »Arbeitskollegen«. 

Diese Freiräume wurden unterschiedlich genutzt: Etwas mehr als ein Viertel der Männer arbeitete mit besonderer Energie an der Optimierung des Vernichtungssystems. Exemplarisch hierfür ist der erste Leiter des Vernichtungslagers Treblinka, Irmfried Eberl, der seiner Ehefrau rückblickend auf die seit einigen Tagen begonnenen Tötungen von täglich mehreren tausend Warschauer Juden_Jüdinnen schrieb: 

»Es ist mir, allerdings unter rücksichtslosem Einsatz meiner Person, gelungen, in den letzten Tagen mit nur dem halben Personal meine Aufgabe zu meistern. Allerdings habe ich auch meine Leute rücksichtslos überall eingesetzt, wo es nötig war, und meine Leute haben wacker mitgezogen. Und auf diese Leistung bin ich froh und stolz.«5

Ein Großteil der Männer stärkte das Vernichtungssystem mit »Dienst nach Vorschrift«, etwa durch die Leitung einzelner Arbeitskommandos. Eine kleinere Gruppe von Männern störte das System, nicht aber aus einer gegnerischen Einstellung heraus, sondern aus Unzuverlässigkeit, durch rohe Gewalt und hohen Alkoholkonsum. 

Nicht wenige Männer nutzten die Handlungsspielräume, um gewaltreich ihre Macht über das Leben wehrloser Menschen zu demonstrieren. Der Überlebende Richard Glazar beschrieb dieses besondere Gewaltmilieu der Lager: »Dann darf man nicht ihre uneingeschränkte Gewalt über uns vergessen, ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit in dem kleinen, aber was uns betraf, unbegrenzten Aktionsfeld.«6 Über ein Drittel der Männer beschränkte sich nicht nur auf das alltägliche Schlagen, Erschießen oder Misshandeln von Deportierten und Häftlingen, sondern ging weit darüber hinaus: Überlebende berichteten etwa, dass in Sobibor Gefangene lebend ins Feuer geworfen oder jugendlichen Arbeitern Finger und Ohren abgeschnitten wurden. 

Eine kollektive Biografie

Die überschaubare Anzahl von etwa 120 deutschen und österreichischen Tätern ermöglicht einen Blick auf ihre kollektive Biografie: Abgesehen von einigen älteren Lagerleitern waren die meisten Männer nach der Jahrhundertwende geboren und zum Zeitpunkt der Tat 30 bis 40 Jahre alt. Ihr wichtiger Bezugspunkt als Kindheits- und Jugenderinnerung war der Erste Weltkrieg, sozialisiert wurden sie in der instabilen, von Krisen geprägten Weimarer Republik. Sie waren somit Teil der sogenannten »Kriegsjugendgeneration« (Geburtenjahrgänge 1900 bis 1910), deren Verstrickung in die NS-Verbrechen häufig zur Sprache kommt.

Die Männer kamen aus verschiedenen deutschen und österreichischen Regionen: Mindestens elf waren in Österreich und weitere elf im Sudetenland geboren, das bei ihrer Geburt noch zur K. u.K-Monarchie Österreich-Ungarn gehörteIn Deutschland sticht besonders der Großraum von Berlin und Sachsen hervor. Der geographische Ursprung der Männer lässt sich auf die Rekrutierung zurückführen: Personal der ersten Tötungsanstalten Grafeneck und Brandenburg (und somit auch der Folge-Institutionen Hadamar und Bernburg) wurde verstärkt zentral in Berlin zusammengestellt, während das Personal von Sonnenstein und Hartheim in der näheren Umgebung der Anstalten zusammengestellt wurde. Mindestens 84 Männer waren verheiratet, ein Teil davon mit Verwaltungspersonal und Pflegerinnen der »Aktion T4«. Viele hatten Kinder. 

Ihre Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen zeigt, dass die Männer verglichen mit der Mehrheitsbevölkerung überdurchschnittlich indoktriniert waren: Über die Hälfte von ihnen gehörte der SS oder der SA an, die anderen zumindest der NSDAP oder anderer Parteiorganisationen. Von den etwa ein Drittel SS-Angehörigen war wiederum die Hälfte zu Kriegsbeginn militärisch von der SS verpflichtet worden; die andere Hälfte war den zivilen Kräften gleichgestellt. 

Auf ihre ausgeprägte nationalsozialistische Indoktrination deutet auch der sehr hohe Anteil von Männern hin, die sich als »gottgläubig« bekannten: mindestens ein Drittel trat aus der Kirche aus. Die »Gottgläubigkeit« war seit 1936 eine offizielle Konfessionsbezeichnung und symbolisierte die Distanz von der Kirche als Institution, ohne sich als Atheisten definieren zu müssen. 

Motive für eine Beteiligung am Massenmord

Der Blick auf den vom Nationalsozialismus geprägten kollektiven Lebenslauf der Täter tangiert die Frage, warum sich diese Männer am Massenmord beteiligten und sich nicht verweigerten. Eine monokausale Erklärung lässt sich hier nicht finden, jedoch lassen sich individuell jeweils unterschiedlich gewichtete Ursachen und Motive aufzeigen. 

Nicht schwer nachzuvollziehen ist die besondere Rolle, die die vorherige Beteiligung an der »Euthanasie« als eine »Vorschule« bei der Akzeptanz und Durchführung des neuen Mordauftrags spielte, nicht zuletzt, weil hier wesentliche moralische Schranken bereits übertreten wurden. Erich Bauer, der »Gasmeister« von Sobibor, beschrieb seine Kameraden folgendermaßen: »Die waren es ja gewöhnt von der Euthanasie. […] Das war doch das Gleiche gewesen, nur in kleinerem Maßstab. […] Man könnte sagen, das Umbringen war schon ihr Beruf.«7

Befehl und Gehorsam

Voraussetzung für die Tatbeteiligung war der Befehl beziehungsweise der sehr allgemein gefasste Auftrag8 zur Ermordung der Juden_Jüdinnen durch die Kanzlei des Führers, eine – zum Zeitpunkt der Tat – legitime Institution. Daraus lässt sich jedoch keinesfalls ein in den NS-Prozessen immer wieder beschworener »Befehlsnotstand« ableiten. Die Männer hatten durchaus reale Möglichkeiten, sich zurück in die »Heilanstalten« beziehungsweise zum Fronteinsatz versetzen zu lassen, was etwa 14 Männer auch taten. Allerdings wurden diese deswegen als »Drückeberger« und »Weichlinge« beschimpft und insbesondere von Wirth bedroht, so dass es gut möglich ist, dass einzelne Männer den Eindruck einer Alternativlosigkeit hatten. Darauf weisen etwa die beiden Freitode des SS-Angehörigen und Tischlers Ernst Bauch in Berlin und des Pflegers Erwin Kaina in Treblinka hin. Die meisten jedoch wollten die Lager nicht verlassen, wie es Erich Bauer auf die Frage, ob die Männer Auswege suchten, ausdrückte: »Nein. Das waren ja ganz alte Füchse.«9

Bei der Frage nach der Bedeutung der Befehls- bzw. Auftragserteilung ist jedoch noch ein weiterer Aspekt relevant. So verdeutlichen die Versuche von Stanley Milgram zu den psychologischen Mechanismen von Gehorsam, dass durch Befehle individuelle Verantwortung abgegeben wird. Die Befehlsausführenden fühlen sich dann nicht (gänzlich) verantwortlich oder moralisch haftbar für das eigene Handeln. 

Der Befehl erklärt die kollektive Beteiligung der Männer am Völkermord jedoch nicht allein. Schließlich lassen sich Menschen nur unter extremer und permanenter Gewaltandrohung dazu zwingen, andere Menschen zu töten, wenn sie die Tötung dieser Menschen nicht befürworten oder rechtfertigen können. Es müssen weitere Faktoren – wie der situative und gesellschaftliche Kontext – einbezogen werden. So muss etwa berücksichtigt werden, dass Krieg herrschte und den Männern signalisiert wurde, es könne sich auch kein Soldat aussuchen, an welcher Front er kämpfe.

Antisemitische Weltanschauung

Notwendige Voraussetzung war vor allem, dass sich der Befehl in die Weltanschauung der Täter einordnete, wie es der Sozialpsychologe Harald Welzer überzeugend darstellt.10 Ohne eine antisemitische Einstellung der Täter wäre der Massenmord nicht in die Tat umgesetzt worden. 

Der Treblinka-Überlebende Willenberg schrieb hierzu:

»Man muss dazu sagen, dass die Deutschen sich als Elite empfanden, die eine schwere und verantwortungsvolle Mission für den Führer erfüllte. Sie liebten es, mit dem Lagerältesten Diskussionen darüber zu führen und er wiederum berichtete uns danach. Sie redeten von der Überlegenheit der deutschen Rasse und des deutschen Volkes. […] Das, was sie ausführten, war ihrer Meinung nach konsequent und notwendig.«11

Viele Täter der Lager teilten als Partei-, SA- und SS-Mitglieder die Rassen- und Verschwörungstheorien, die propagierten, dass die »Juden« vermeintlich die Weltherrschaft anstrebten. Der Glaube an diese Propaganda bewirkte eine Art »Pseudowirklichkeit«, in der es sinnvoll und konsequent schien, das jüdische »Problem« zu lösen, zur Not – als Ultima Ratio – auch mit Massenmord. Aus einer solchen Perspektive diente der grausame Völkermord einem höheren Ziel. Das allgemeine Tötungsverbot wandelte sich in ein spezifisches Tötungsgebot und das Töten erschien somit als »moralisch« im Sinne einer nicht universell gültigen, sondern partikularen NS-Moral. 

Arbeitsteilung

Der alltägliche Massenmord in den Vernichtungslagern war für die Männer auch eine »normale« und geregelte Arbeit, die durch Arbeitsteilung gekennzeichnet war. Diese trug dazu bei, dass einige Täter sich selbst nur als unbedeutende Glieder einer Kette ansahen und als den »eigentlichen« Mord lediglich den Moment werten konnten, in dem die Motorenabgase in die Gaskammern eingelassen wurden. So führte Heinrich Barbl, der als Aufseher in Belzec und Sobibor wie alle anderen am gemeinschaftlichen Mordprozess beteiligt war, zu seiner Rechtfertigung an, dass er gedacht habe: »Nun gut, ich habe ja schließlich niemanden umgebracht.«12

Gruppendruck

Zu den weiteren Faktoren, die zu einer Beteiligung an den NS-Verbrechen beitrugen, gehört auch der hohe Konformitäts- und Gruppendruck, auf den Christopher Browning in seiner Studie zu den »ganz normalen Männern«13 hingewiesen hat. Die Männer kannten sich seit vielen Jahren und verstanden sich als Kameraden, als Teile eines »verschworenen Haufens«.14 Gemeinsame Trinkgelage und »Orgien« stärkten den Zusammenhalt weiterhin. Josef Hirtreiter erklärte seine Brutalität später damit, er habe in Treblinka »nicht gegen den Strom schwimmen«15 wollen. Menschlichkeit gegenüber den Gefangenen wurde im Lager verachtet; Männlichkeitswerte, wie die Durchsetzung des Rechts des Stärkeren und die Ausschaltung von Mitleid, wurden dagegen gefördert. Das zeigt sich etwa auch in der »Härteprobe an der Grube«, das heißt der Erschießung von Juden_Jüdinnen. 

Eigeninteressen

Die Entscheidung, in den Vernichtungslagern zu bleiben, war nicht zuletzt auch interessengeleitet. Durch die Tätigkeit in den Lagern konnten die Männer einem gefährlichen Fronteinsatz entgehen. Zur Steigerung der Motivation gab es in den Lagern zusätzliche Anreize wie Privilegien, Beförderungen und gute Gehälter. Die Handlungsfreiräume boten den Tätern weitere Vorteile: Sie konnten hier sadistische Neigungen ausleben und der Diebstahl ehemals jüdischen Eigentums wurde weitestgehend geduldet. Kleidung, Geld, Gold und Diamanten, in den Lagern hergestellte Gegenstände oder Gemälde wurden massenhaft in die Heimat überführt.

Ihre Habgier war es jedoch, die einigen Männern in Sobibor zum Verhängnis wurde. Der Überlebende Thomas Blatt beschrieb den Plan der Aufständischen:

»Innerhalb einer Stunde mussten so viele SS-Männer und Ukrainer wie möglich beseitigt und anschließend musste das Haupttor erstürmt werden. Der Plan hing vor allem davon ab, dass die Nazis blind darauf vertrauten, die totale Kontrolle über die anscheinend unterworfenen Häftlinge zu haben. Zugleich beruhte er auf der Vorhersagbarkeit der täglichen Routine. Am meisten verließen wir uns auf die Habgier der Deutschen sowie ihre wohl bekannte Pünktlichkeit. Sie sollten zu ihren Hinrichtungen unter den Vorwänden gelockt werden, dass wertvoller Schmuck oder feine Kleidung gefunden worden sei, die sie vielleicht selbst gerne haben wollten.«16

Die Pläne der mutigen Gefangenen gingen auf und führten am 14. Oktober 1943 zu einem bedeutsamen Aufstand. Dabei wurden nicht nur die eingangs genannten Täter getötet. Gerade der Vergleich zum Vernichtungslager Belzec, in dem anders als in Sobibor und Treblinka keine Revolte stattfand und aus dem nur vereinzelt Menschen flüchten konnten, zeigt deutlich die Relevanz des kollektiven Widerstands: Der Ausbruch aus dem Lager schuf auch die Voraussetzung, dass die Überlebenden berichten und die Verbrechen vor Gericht geahndet werden konnten.