»Von einer furchtbaren Wahrheit zu berichten, ist die Pflicht des Schriftstellers, und die Bürgerpflicht des Lesers ist es, sie zu erfahren. Jeder, der sich abwendet, die Augen schliesst und vorbeigeht, schändet das Andenken der Gemordeten.«1 (Wassilij Grossman)

Uns sind heute nur wenige jüdische Stimmen zur Shoah aus der ehemaligen Sowjetunion überliefert. Umso bedeutender sind das umfangreiche Werk und Wirken des sowjetisch-jüdischen Kriegskorrespondenten Wassilij Grossmans. Seine Texte Ukraine ohne Juden (1943) und Die Hölle von Treblinka (1944) sind zwei frühe Auseinandersetzungen mit dem Antisemitismus in der Ukraine und der Shoah. Die Rezeptionsgeschichte beider Texte spiegelt die Ambivalenzen und Konfliktlinien sowjetischer Holocausterinnerung wider. Die Essays und Berichte Grossmans über Antisemitismus und Shoah haben bis heute sowohl in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion als auch international wenig Aufmerksamkeit erfahren. Dabei sind es gerade derlei Texte, die heute essenziell für die Beschäftigung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus und spezifisch auch der »Aktion Reinhardt« im Osten Polens sind. Denn die wenigen Überlebenden dieser Verbrechen leben mittlerweile nicht mehr. 

Wassilij Grossman wurde 1905 in Berditschew, einer Stadt in der Ukraine, als Kind einer jüdischen, bildungsbürgerlichen Familie geboren. Nach seinem Schulabschluss ging er für ein Chemiestudium nach Moskau, das er 1929 abschloss. Bereits 1934 veröffentlichte er seine ersten Erzählungen, die auf positive Resonanz stießen. Dieser Erfolg bestärkte ihn in seinem Vorhaben, Schriftsteller zu werden. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion meldete er sich freiwillig zum Dienst in der Roten Armee und war als Kriegsreporter für die Zeitung Krasnaja Swesda (Roter Stern), einem der wichtigsten sowjetischen Presseorgane während des Kriegs, tätig. Grossman war einer der ersten Korrespondenten, die 1944 die gerade befreiten NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek und Treblinka betraten. 

Noch bevor er Ende 1944 seinen Bericht über Treblinka veröffentlichte, verfasste er einen Nachruf – ein Kaddisch2 – für die ermordeten Juden_Jüdinnen der Ukraine: Ukraina on Yidn3. In dieser Reportage, die auf Deutsch Ukraine ohne Juden heißt, verarbeitet Grossman seine Beobachtungen im Spätsommer und Herbst 1943 in der Region um Kiew, das kurz darauf am 7. November 1943 von den Deutschen eingenommen wurde. Die ukrainische Bevölkerung litt seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion massiv unter der Besatzung. Das massenhafte Sterben von Kriegsgefangenen, die Deportation von Zivilist_innen zur Zwangsarbeit, die Ermordung politischer Gegner_innen, Juden_Jüdinnen und Romn_ja waren Teil des nationalsozialistischen Terrors. Grossman fängt in seinem Bericht die um sich greifende Verzweiflung und traumatisierte Stimmung ein und bricht mit dem Schweigen über das Schicksal der Juden_Jüdinnen. 

Die Hölle von Treblinka, einer der frühesten Berichte über das NS-Vernichtungslager Treblinka, wurde von Grossman 1944 in der russischen Literaturzeitschrift Snamja (Banner) veröffentlicht, 1945 folgte die Publikation des Berichts als Broschüre mit Übersetzungen in mehrere Sprachen. Lange Jahre war dieser Bericht eine der wenigen Publikationen, die über das Ausmaß der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik sowie deren Auswirkungen auf die sowjetisch-jüdische Bevölkerung berichtete.4 Das Unrecht und die Gräuel der Shoah prangerte er zeitlebens an und reflektierte sie unter den Eindrücken und Erfahrungen als Jude unter Stalin zu publizieren. Er starb am 14. September 1964 in Moskau. 

Antisemitismus und Antizionismus in der Sowjetunion

Schon während des Kriegs musste Grossman erleben, wie die sowjetische Regierung den eigenen Antisemitismus und die antisemitische Vernichtungspolitik der NationalsozialistInnen auf sowjetischem Boden nicht thematisierte. Der Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion und der Beginn des Massenmords an der jüdischen Bevölkerung löste in den besetzten Gebieten starke antisemitische Stimmungen aus. Die sowjetische Regierung fokussierte sich ab dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Juni 1941 auf den Angriffskrieg und den Antisowjetismus der NationaloszialistInnen, die Shoah und der Antisemitismus blieben in der öffentlichen Berichterstattung größtenteils unerwähnt. Alle, die von den NationalsozialistInnen verfolgt und während der deutschen Besatzung und der Shoah ermordet wurden, wurden von der offiziellen sowjetischen Propaganda zu »friedlichen Sowjetbürgern« stilisiert, ungeachtet ihrer Nationalität und Religion. Dem zugrunde lag die Vorstellung einer ethnisch homogenen Bevölkerung, die keine kulturellen und religiösen Unterschiede kennt. Auch als innerhalb der sowjetischen Presse über die Befreiung von Auschwitz berichtet wurde, blieb unerwähnt, dass es sich um ein Lager handelte, in dem Jüdinnen_Juden systematisch ermordet wurden.5 Die sowjetische Presse stritt die Ermordung der Juden_Jüdinnen nicht ab, durch das Stalin-Regime wurde sie jedoch in erster Linie in ein Narrativ eingehegt, demzufolge sich die deutsche Besatzungspolitik gegen die gesamte sowjetische Bevölkerung in gleichem Maße richtete. Damit machte sie die Spezifik des Antisemitismus und der Shoah unsichtbar. 

Der sowjetische Nationalismus nahm nach Beginn der Sommeroffensive gegen die NationalsozialistInnen im Jahr 1943 zu. Dies zeigte sich auch im Rahmen eines Kriegsverbrecherschauprozesses, der vom 15. bis 18. Dezember 1943 in Charkow stattfand. Vor Gericht standen drei deutsche Militärangehörige und ein ukrainischer Kollaborateur. Der Charkow-Prozess war der erste öffentliche Prozess des Zweiten Weltkriegs, der sich gegen deutsche Kriegsverbrecher richtete. Den Angeklagten wurde die Erschießung von 12 bis 15.000 jüdischer Charkower_innen zur Last gelegt. Im Urteil des Prozesses wurden die Opfer dieses Verbrechens lediglich als »Zivilisten« aufgeführt. Dass es sich um Juden_Jüdinnen handelte, blieb unerwähnt.

Die wenigen Bestrebungen, die Shoah auf sowjetischem Boden zu thematisieren, unternahmen in erster Linie die Opfer selbst: So bemühten sich Ilya Ehrenburg und Wassilij Grossman gemeinsam mit dem Jüdischen Antifaschistischen Komitee (JAK), dem offiziellen Repräsentationsorgan der Juden_Jüdinnen in der Sowjetunion, um die Zusammenstellung des Schwarzbuchs6, in dem zahlreiche Zeugnisse und Dokumente über den Mord an den sowjetischen Juden_Jüdinnen versammelt wurden. Das Schwarzbuch entsprach jedoch nicht der Parteilinie, und die Regierung erhob den Vorwurf, dass die Thematisierung von Kollaboration der einheimischen Bevölkerung mit den Deutschen die Verantwortung letzterer schmälern würde. 1948 wurde die Publikation des Schwarzbuchs endgültig verboten, das JAK aufgelöst und zahlreiche seiner Mitglieder verhaftet. 13 von 14 Führungsmitgliedern des Komitees wurden im Zuge der antisemitischen Kampagnen der Sowjetunion zum Tode verurteilt. Die Druckplatten des Schwarzbuchs wurden von der Polizei vernichtet. Eine erneute Publikation wurde für Jahrzehnte verunmöglicht. 

Im Rahmen der »Kosmopolitenkampagne« – einer der antisemitischen Kampagnen Stalins zwischen 1948 und 1953 – wurden zahlreiche jüdische Funktionär_innen verhaftet und verurteilt. Gegen sie wurde der Vorwurf westlicher Spionage und der »zionistischen Verschwörung« erhoben, der nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 gegen Juden_Jüdinnen vorgebracht wurde. Insbesondere Juden_Jüdinnen, die Verbindungen in westliche Staaten hatten, vor allem in die USA und nach Israel, imaginierte das sowjetische Regime als Gefahr für den Sozialismus. Viele jiddische Schriftsteller_innen wurden inhaftiert und ermordet. Ihre Werke wurden verboten und aus den Bibliotheken entfernt – ebenso die Bücher Grossmans. Den Höhepunkt erreichten die antisemitischen Kampagnen in der sogenannten Ärzteverschwörung von 1952, ein durch Stalin und dessen Gefolgschaft erfundenes Komplott jüdischer Mediziner_innen, das zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen zur Folge hatte. Nach Stalins Tod im Jahr 1953 wurde diese »Verschwörung« als Desinformationskampagne aufgedeckt. Nicht zuletzt war seit der Staatsgründung Israels 1948 der sowjetische Antizionismus Teil des konfliktreichen Verhältnisses zwischen dem sowjetischen Regime und den jüdischen Sowjetbürger_innen. Die Sowjetunion positionierte sich im Nahostkonflikt auf der Seite der palästinensischen Befreiungsgruppen und der arabischen Staaten, die sie finanziell unterstützte. 

Ein Kaddisch: Ukraine ohne Juden (1943)

Nachdem Ukraine ohne Juden 1943 von der Militärzeitung Krasnaia Zvezda abgelehnt wurde, wurde der Essay ins Jiddische übersetzt und in der Wochenzeitschrift Eynigkeit des JAK abgedruckt. Die jiddische Übersetzung blieb lange Jahre die einzige erhaltene Fassung. 1985 wurde sie ins Russische zurückübersetzt. Im Jahr 1990 ist das russische Originalmanuskript Grossmans aufgetaucht, das nach dem Zweiten Weltkrieg als verschollen galt. Diese Fassung ist dreimal so lang wie die russische Rückübersetzung von 1985. 1990 wurde die originale Version in der Zeitschrift Vek veröffentlicht. Die englische Übersetzung dieser dreimal so langen Fassung erschien 2011 von Polly Zavadivker in Jewish Quartely. Ukraine ohne Juden ist eine der frühesten Auseinandersetzungen mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik während der deutschen Besatzung der Ukraine 1941/1942. Grossman analysierte darin auch die ideologischen Motive für den Massenmord an den Juden_Jüdinnen, den er als »das größte Verbrechen der Geschichte«7 bezeichnet. Die Veröffent-
lichungsgeschichte von Grossmans Essay spiegelt die Schwierigkeiten zeitgenössischen Schreibens über die systematische Verfolgung von Juden_Jüdinnen wider. 

Grossman leitet seinen Essay mit einer Reflexion darüber ein, wie die Kriegs- und Vernichtungspolitik der NationalsozialistInnen die Ukraine getroffen hat: 

»Es gibt kein Haus in einer einzigen ukrainischen Stadt oder einem einzigen ukrainischen Dorf, in dem man nicht bittere und böse Worte über die Deutschen hört, kein Haus, in dem in den letzten zwei Jahren nicht Tränen geflossen sind; kein Haus, in dem die Menschen den deutschen Faschismus nicht verfluchen; kein Haus, in dem es keine Waisenkinder oder Witwen gibt.«8

Er verleiht außerdem der Trauer um seine Mutter, seine Bekannten und alle Juden_Jüdinnen, die von den NationalsozialistInnen ermordet wurden, sprachlich Ausdruck. Grossmans emphatische bildliche Sprache verleiht seinem Essay an vielen Stellen besondere Intensität. Es sei leise geworden und die ermordeten Menschen hätten eine sicht- und spürbare Lücke hinterlassen. Der Historiker Jürgen Zarusky, der Grossmans Essay aus dem Russischen ins Deutsche übersetzte und ihm eine Einleitung voranstellte, merkt an: »Was Grossman 1943 als erschütternde Abwesenheit begegnete, hat die zeithistorische Forschung eingehender erst in den letzten Jahren analysiert: Von den 1,4 Millionen Juden, die in der Ukraine 1941 unter deutsche Herrschaft gerieten, haben nur verschwindend wenige überlebt. Die ermordeten Juden der Ukraine machen nahezu ein Viertel der Gesamtzahl der Opfer des Holocaust aus […].«9 Jenes Leid, das schwerlich zu begreifen ist, bringt Grossman in seinem Essay zu Papier. Der Tatsache, dass beinah alle ukrainischen Juden_Jüdinnen ermordet worden waren, versucht er zum einen in der Form des Gedenkens an die Opfer und zum anderen in der Form der Anklage gegen die TäterInnen beizukommen. Er betont die historische Präzedenzlosigkeit der Shoah und analysiert die ideologischen Wurzeln von Nationalsozialismus und Antisemitismus.

Grossmans Faschismus- und Antisemitismusanalyse

Bislang wurde Grossmans Essay in der Holocaustforschung nur unzureichend wahrgenommen. Die Tatsache, dass sein Text erstmals 2011 in englischer Übersetzung erschien, zeigt, dass das internationale Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Shoah in der Ukraine aus der Perspektive eines Betroffenen gering war. In seinem Essay setzt sich Grossman auf beeindruckend sensible und bewegende Weise mit der verlorenen jüdischen Kultur in der Ukraine auseinander. Er verbindet seine literarischen Ausführungen mit der Analyse von Antisemitismus, Faschismus und Shoah. Für Grossman ist der Antisemitismus die Triebfeder des Faschismus. Zentral sei die Bedeutung, die der deutschen Vernichtungspolitik gegen Juden_Jüdinnen in einem größeren Kontext zukommt: als Krieg gegen die gesamte Welt. Da Juden_Jüdinnen 1943 noch keinen eigenen Staat hatten und über die ganze Welt verstreut lebten, bedeutete eine Kriegserklärung an Juden_Jüdinnen eine Kriegserklärung an alle Länder der Welt: »Indem der Nationalsozialismus die Juden als Opfer seiner Demagogie auswählte, machte er seine Hand frei gegen jede Nation und jede soziale Klasse.«10 Antisemitismus wiederum begreift er als ein überregionales und überzeitliches Phänomen, das sich durch die Menschheitsgeschichte zieht: »Sein Auftreten [des Antisemitismus] hängt von reaktionären Kräften ab, wie beispielsweise von betrügerischen Versuchen der Herrschenden, soziale und ideologische Unzufriedenheit zu erklären und zu mildern.«11 Grossman deutet die Konflikte innerhalb moderner Gesellschaften an, in denen politische Repräsentant_innen Missstände mithilfe antisemitischer Narrative zu erklären versuchen. Seine Überlegungen zu Antisemitismus und Faschismus greift Grossman 1944 in dem Bericht Die Hölle von Treblinka auf.

Von den Verbrechen berichten: Die Hölle von Treblinka (1944)

Am 18./19. August 1944 erreichte die Rote Armee das Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Treblinka. Anfang September 1944 fuhr eine kleine Gruppe sowjetischer Offiziere aus Lublin nach Treblinka, um den Ort des Verbrechens zu sichten und ­darüber zu berichten. Unter ihnen war Wassilij Grossman. Sein Bericht Die Hölle von Treblinka (Treblinksi ad) erschien im November 1944 in der russischen Literaturzeitschrift Snamja (Banner) und wurde 1945 als Broschüre publiziert. Kurz nach Ende des Kriegs wurde der Bericht ins Jiddische, Polnische, Ungarische, Rumänische, Französische, Englische und Deutsche übersetzt.12 Die deutschsprachige Ausgabe wurde vor allem in der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland und in Österreich verbreitet. In seinem Bericht berief sich Grossman auf die Aussagen von Überlebenden sowie auf die Vernehmung zweier Wachmänner. Der Historiker Dieter Pohl resümiert: »Die Bedeutung von Grossmans Text für die Wahrnehmung dieses zentralen Vernichtungsortes ist erheblich. Zwar hatte er nur einen von vier maßgeblichen Texten der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit verfasst, doch übertraf er an Wirkung alle anderen […].«13

»Heute haben die Zeugen zu reden begonnen. Erde und Steine schreien auf. Und heute können wir vor dem Weltgewissen, vor den Augen der Menschheit folgerichtig, Schritt für Schritt, durch alle Kreise der Hölle von Treblinka wandern, mit der verglichen die Hölle Dantes ein harmloses und nichtiges Spiel des Satans war.«14

Grossman schreibt, dass es dem deutschen Faschismus nicht gelungen sei, sein größtes Verbrechen, den Mord an den Juden_Jüdinnen, geheimzuhalten. Denn zu viele Zeug_innen hätten zu sprechen begonnen und zu viele Spuren seien hinterlassen worden. Die Rote Armee habe aufgedeckt, was die NationalsozialistInnen für immer unter der Erde verbergen wollten. Grossman stellt in seinem Bericht abermals die Frage nach der jüdischen Identität der Opfer und begibt sich dabei in ein umkämpftes Feld verschiedener Erinnerungsnarrative. Er fokussiert in seinen Schilderungen auch ein widerständiges Bild der jüdischen Häftlinge Treblinkas, statt in passivierenden Schilderungen zu verharren. Dabei widmet er sich auch in emphatischer Weise dem Aufstand der Häftlinge 1943: »Am 2. August trank die Erde der Hölle von Treblinka das schwarze Blut der SS, und der lichtstrahlende blaue Himmel triumphierte und feierte die Stunde der Vergeltung.«15 Der Tag des Aufstands sei ein »Festtag der Freiheit und Ehre«16 gewesen: In der Folge gelang es etwa 200–250 Aufständischen zu fliehen und einige der Gebäude des Lagers konnten erfolgreich in Brand gesetzt werden. Die steinernen Gaskammern blieben jedoch bestehen, weshalb die SS sie nach dem Aufstand nutzen konnte, um die verbliebenen 8000 Häftlinge zu ermorden. 

Im letzten Teil seines Berichts schildert Grossman, wie er an den Ort des Verbrechens kam, welche Eindrücke er hatte und was ihn bei der Reise bewegte. In besonderer Weise begleitete ihn die Erkenntnis über die Unmöglichkeit, die grausamen Verbrechen angesichts der unverkennbaren Spuren und der Zeug_innen, die vom Vernichtungssystem der NationalsozialistInnen berichteten, geheim zu halten. Grossman schließt seinen Bericht mit einer Aufforderung: 

»Wir müssen eingedenk sein, daß der Rassenwahn, der Faschismus aus dem Krieg nicht nur den bitteren Geschmack der Niederlage davonträgt, sondern auch die süße Erinnerung, wie leicht der Massenmord gelingt. Tag für Tag muß jeder daran denken, dem Ehre und Freiheit, das Leben aller Völker, der ganzen Menschheit teuer ist.«17

Schlussbemerkung

Zwischen den englischen Übersetzungen der beiden Texte von Wassilij Grossman (Ukraine ohne Juden [2011] und Die Hölle von Treblinka [1946]) liegen 65 Jahre. Diese Divergenz in der öffentlichen Aufmerksamkeit ist bezeichnend für die marginalisierte Rolle jüdischer Schriftsteller_innen aus der ehemaligen Sowjetunion, die über den Antisemitismus schrieben. Während sein Bericht über Treblinka schon früh Verbreitung fand, da er der Form nach an seinen Kriegsreportagen orientiert war, blieb Ukraine ohne Juden lange Zeit unbekannt. Ausgegrenzt und ungehört teilte Grossman sein Schicksal mit anderen zeitgenössischen jüdischen Schriftsteller_innen. Ebenso wie Wassilij Grossman war auch Ilya Ehrenburg mit einer gewissen Desillusionierung konfrontiert: Ihr Kampf um Erinnerung war immer auch ein Kampf um die Sichtbarkeit der Juden_Jüdinnen in der Sowjetunion und ihrer spezifischen Unterdrückung und Verfolgung. Die Stigmatisierung endete nicht nach dem Zweiten Weltkrieg. Dies machte die Ambivalenz aus, mit der sich Grossman konfrontiert sah: seine Vergangenheit als Kriegsreporter der Roten Armee auf der einen und die Gegenwart als jüdischer Schriftsteller auf der anderen Seite. Viele seiner Nachkriegswerke wurden wegen der staatlichen Zensur erst lange nach seinem Tod im Jahr 1964 veröffentlicht.