Franco A. hat seine Gedanken und Haltungen ausführlich dokumentiert, hat viel geschrieben und viel aufgenommen: Eine umfangreiche Menge an handschriftlichen Notizen und Audiodateien des Angeklagten wurde im Verfahren bereits als Beweismaterial eingeführt. Über das rechtsextreme Weltbild und antisemitische Verschwörungsdenken Franco A.s haben diese Materialien und seine Aussagen vor Gericht bereits genug Aufschluss gegeben. Die Frage, die sich die Richter_innen für das Urteil stellen, ist, ob A. aufgrund seiner rechtsextremen Gesinnung fest dazu entschlossen war, einen Mordanschlag zu begehen. Nun sind weitere, bei seiner Verhaftung im Februar sichergestellte Notizen ausgewertet. Darin ist die Rede von einem Militärputsch. Hat Franco A. einen Umsturzversuch erwogen?

Noch mehr Notizen

Bei einer Personenkontrolle im Februar wurden in der Tasche des Angeklagten neben NS-Orden weitere Notizbücher, handbeschriebene lose Blätter, Post-Its und Postkarten gefunden. Diese sind bereits älter, aber bisher noch nicht aktenkundig. Der Angeklagte wurde daraufhin verhaftet und sitzt seitdem wegen Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft. Die beschlagnahmten Notizen wurden von Mitarbeiter_innen des Bundeskriminalamtes ausgewertet. Untersucht wurde, ob die Aufzeichnungen in einem Zusammenhang mit dem Tatvorwurf und dem Zeitpunkt des Tatvorwurfs stehen. Wie an den beiden vorangegangenen Terminen geht es an diesem Prozesstag, am 25.04.22, um die Ergebnisse dieser Untersuchung.

Der Senat will damit schnell durchkommen. Für einen großen Teil der Ergebnisse wurde deswegen ein sogenanntes Selbstleseverfahren angeordnet: Alle Verfahrensbeteiligten sollten in der Zeit seit dem letzten Verfahrenstermin die Auswertungen selbstständig zur Kenntnis nehmen. Auch der Vorsitzende Richter Koller habe sich also über die Ostertage hingesetzt, erzählt er, sich „den Kram“ angeschaut und sich seine Gedanken dazu gemacht. Zu einzelnen Stellen aus den Notizbüchern habe er nun noch Rückfragen an den Angeklagten.

Der empört sich über die Formulierung „Kram“. Ohnehin ist Franco A. empört: Es gehe schließlich um sein „Innerstes“, in den Notizbüchern seien persönliche Gedanken festgehalten und er wolle nicht, dass die „öffentlichkeitswirksam“ vorgelesen werden. Geduldig erklärt Richter Koller noch einmal, was in dem Prozess bereits mehrmals erklärt, diskutiert und beschlossen wurde: Tagebücher seien nicht generell geschützt , es komme darauf an, um was für Inhalte es gehe. Das von Franco A. Notierte sei nicht derart persönlich und intim, sondern politisch.

Umsturzpläne im alten Tagebuch

Dann wird vorgelesen, um was genau es geht: „Wie ich mir vorstellen kann, das Ruder in Deutschland noch herumzureißen“, hat Franco A. aufgeschrieben: „Soldat zu werden, an die Spitze der Streitkräfte zu kommen“. Er traue sich zu, diesen Weg zu gehen, steht da. Und: „Darauf würde ein Militärputsch folgen“. Der Eintrag ist aus dem Jahr 2007, Franco A. damals erst 18 Jahre alt und noch Schüler. Relevant ist der Eintrag, weil es zu ihm einen brisanten Vermerk gibt, den Franco A. Jahre später als Soldat beim Blättern in seinen alten Notizbüchern gemacht hat. „Ich wusste gar nicht, dass ich darüber schon so lange nachdenke“, ist angemerkt. Der Vermerk fällt wohl in das Jahr 2014, Franco A. ist bereits Oberleutnant, Student an der französischen Militärakademie in Saint-Cyr und wird wegen seiner antisemitischen und völkischen Masterarbeit auffällig. In dem Vermerk schreibt Franco A., der „Militärputschgedanke“ in seinem alten Tagebuch bewege ihn sehr, „gerade jetzt, wo ich fast die Streitkräfte hätte verlassen müssen“. Von Richter Koller zu diesen Notizen befragt, spricht der Angeklagte darüber, dass er den öffentlichen Diskussionsraum nun einmal als sehr eng empfinde – die Notizbücher seien für ihn der Versuch, damit umzugehen, seien ein Ort, an dem er Gedanken aufschreiben und dadurch verarbeiten könne.

Auch eine andere Stelle im Notizbuch ist auffällig: „Man darf den Leuten nicht so schnell die Endlösung zumuten. Sie würde Ihnen zu radikal vorkommen“, steht da notiert. „Mir bricht jedes Schreibgerät ab, wenn ich dieses Wort nur schreiben soll“, so das Kommentar Kollers. Franco A. will die Formulierung als eine „spirituelle Angelegenheit“ verstanden wissen.

Ein Prozess ist kein juristisches Seminar

„Ich will sie ja nicht unfair abwürgen, will Ihnen die Möglichkeit geben, dass Sie sich verteidigen und sagen, was sie wollen“, beteuert der Vorsitzende Richter. Trotzdem habe er keine Lust darauf, Franco A. immer wieder juristische Nachhilfe geben und prozessuale Abläufe erklären zu müssen. Gemeint ist damit nicht nur die bereits erwähnte Diskussion zur geschützten Intimsphäre. Ein Beweisantrag, den Albrecht stellt, wird zurückgewiesen, weil er für den Prozess schlicht unnötig sei. Und ein anderer Beweisantrag, den der Angeklagte dabei hat und vorliest, lässt Richter Koller den Kopf schütteln, während Verteidiger Hock beteuert, er habe diesen Antrag nicht vorbereitet. Der Angeklagte möchte das Polizeiprotokoll der Hausdurchsuchung im Februar als Beweis einführen. In dem Protokoll sei nämlich ein Kommentar seiner Mutter dokumentiert, darüber, dass die in der Wohnung gefundenen NS-Devotionalien Erbstücke ihres verstorbenen Vaters seien. Der Angeklagte argumentiert, dass dadurch klar werde, dass auch die NS-Orden, die er bei der Personenkontrolle bei sich hatte, Erbstücke seines Großvaters seien.

Richter Koller muss genervt erklären, dass das nicht das übliche Vorgehen sei: Vor Gericht gilt das Unmittelbarkeitsprinzip, um die Aussage einer Person als Beweis heranzuziehen, muss diese als Zeug_in geladen werden. Franco A. hätte aber auch einfach selbst dazu aussagen können, woher die NS-Orden seien und wieso er sie mit sich herumgetragen habe – vielleicht auch schon an einem der letzten Verhandlungstage, an denen er nämlich mehrmals danach gefragt wurde. Und ob A.s Argumentation und Schlussfolgerung so schlüssig seien, bezweifle er, so Koller.

Franco A. wolle auf keinen Fall, dass seine Mutter vor Gericht geladen wird, sagt er. Auch Richter Koller wolle „ihr das eigentlich nicht antun“. Ob die Mutter des Angeklagten aufgrund des Beweisantrags nun dennoch als Zeugin geladen wird, steht noch nicht fest. Geladen zum nächsten Verhandlungstermin ist hingegen Sophia T., die Verlobte des Angeklagten, Tochter des bekannten „Reichsbürgers“ Thomas T. und Schwester von Maximilian T., jenem Freund Franco A.s, der im Vorstand der Jungen Alternative Sachsen-Anhalts ist und zeitweise als Mitverdächtiger im Verfahren geführt wurde.