Student und Politik
Die Geheimhaltung der Ausschußberatungen über die Pläne zur Änderung der Verfassung und zur Verordnung von Notstandsbestimmungen als Folge einer bewußten Entpolitisierung und Entmündigung der Bürger nach autoritärem Schema hat den DISKUS veranlaßt, eine Umfrage unter den Frankfurter politischen Studentengruppen einschließlich des AStA zu machen. Die von der CDU/CSU praktizierte Methode der Disqualifizierung außerparlamentarischer Kräfte läßt die Berechtigung solcher Gesetze in einem Staat, der sich als Demokratie versteht, fragwürdig erscheinen. Um sich einer gründlichen Diskussion zu entziehen, sollten diese Gesetze noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Gegenargumente wurden als unsachlich abgetan. Als Ersatzunterhaltung pflegen dieselben Veranstalter mit Eifer Daten anzubieten, die für Ablenkungsmanöver besonders geeignet erscheinen.
Gedenktage, geschweige denn nationale Gedenktage mit hohlen akademischen Feiern scheinen politisch verständigen Studenten meistens nur Mißvergnügen zu bereiten. Es zeigt sich jedoch auch die Tendenz , durch nebulöse und wenig inhaltliche Aussagen solchen Gesetzesmanipulationen letztlich zu verfallen . Die Gelegenheit für einen weiteren Tag zum ›Gedenken‹ und zu ›würdigen Feiern‹ scheint recht günstig: ein Tag zum Nekrolog des Grundgesetzes.
Wir danken den Vertretern der Gruppen für die rasche. Beantwortung der Fragen. Diese Schnelligkeit ist sicher auch ein gutes Zeichen für politische Aktivität. Keine Antwort auf unsere Fragen erhielten wir von Arbeitskreis gegen Atomrüstung und Deutsch-Polnischer Arbeitskreis.
Als aktivster und zunächst verantwortlicher Teil der Gruppen sollte der jeweilige Gruppenvorsitzende antworten.
Folgende Fragen waren zur Diskussion gestellt:
- Halten Sie politische bzw. unpolitische Veranstaltungen oder Demonstrationen aus Anlaß des 8. Mai, 17. Juni, 20. Juli für zweckmäßig; in welcher Art und aus welchen Gründen?
- Welche Grenzen sehen Sie für eine politische Betätigung der Studenten?
- Welche Bedeutung hat der 17. Juni 1965 nach Ihrer Meinung?
- Sollte man sich zu den Notstandsgesetzen äußern ; wenn ja, in welcher Form?
s-w
Studentenschaft der Johann Wolfgang-Goethe-Universität
- Ich halte Veranstaltungen für zweckmäßig und erforderlich, die in irgendeiner Weise zur Demokratisierung unseres Staatswesens und seiner Bürger beitragen. Die Art, wie dieses Ziel erreicht wird, ist demgegenüber nicht von Bedeutung. Die Skala kann von einer Flugblatt-Aktion über Vorträge und Podiumsdiskussionen bis zu Kundgebungen und Demonstrationen reichen.
- Studenten können sich, wie jeder andere Staatsbürger auch, politisch betätigen, die Grenzen sind für sie die gleichen, wie für diesen. Allerdings sollte die politische Betätigung nicht das Studium beeinträchtigen.
- Die Bedeutung des 17. Juni läßt sich nicht auf 40 Zeilen abhandeln. Für die evangelischen Bundesrepublikaner dürfte der 17. Juni 1965 ein willkommener zusätzlicher Sonntag sein, die Katholiken haben an diesem Datum ihren höchsten Feiertag. Ob sich das Gros der Bevölkerung mit dem politischen Aspekt des 17. Juni noch beschäftigt, wage ich zu bezweifeln.
- Es ist die Pflicht und das Recht jedes verantwortlichen Staatsbürgers, darauf zu achten, daß die Grundsätze des demokratischen Rechtstaates und die Verfassung auch von der Volksvertretung und der Regierung eingehalten werden. Das gilt auch, und besonders, für die Notstandsgesetze und die Ereignisse, die sich bei ihrer Beratung zugetan haben. Falls tatsächlich der Geist der Demokratie und wesentliche Grundrechte mißachtet werden, ist es erforderlich, gegen solche Vorgänge in schärfster Form zu protestieren, dazu kann jede legale Möglichkeit genutzt werden. Man kann, wie ich bei der Frage drei schon andeutete, die in dieser zeitlichen und räumlichen Kürze gestellten Fragen leider nicht erschöpfend beantworten. Es werden mehr Phrasen und Schlagwort-Antworten entstehen, zumal sich einige von ihnen sehr unterschiedlich interpretieren lassen.
G.-W. Schellenberg, 1.Vorsitzender
Deutsch-lsraelische Studiengruppe
- Politische Veranstaltungen an diesen Tagen sollten keine Gedenkfeiern sein, die nur zur Reaktivierung nationalistischen Gedankenguts beitragen, sondern mit Hilfe von Informationen ein kritisches Bewußtsein bilden.
- Alle Studenten sind aufgefordert, sich mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen; abgesehen von rechtlichen Grenzen schränkt die politische Apathie der überwiegenden Mehrzahl der Studenten die Wirkung größerer politischer Aktionen erheblich ein.
- Die herrschende politische Gesellschaftsschicht benutzt den 17. Juni zur Forcierung eines militanten Antikommunismus, der Kritik an der eigenen Regierung ablenken soll: wir würden es vorziehen, wenn man sich auf Veranstaltungen zum 17. Juni kritisch mit den objektiven Verhältnissen in der DDR auseinandersetzen würde.
- Die von der Regierung vorgelegten Notstandsgesetze erlauben einen so weitgehenden Eingriff in die Freiheit der Studenten, daß durch alle nur denkbaren Aktionen versucht werden sollte, die Verabschiedung dieses ›Ermächtigungsgesetzes‹ zu verhindern.
Bernhard Ott
Gewerkschaftliche Arbeitsgemeinschaft
- Proklamationen und Bekenntnisse dienen nur der Selbstbestätigung der schon Überzeugten. Politisierend ist vor allem die öffentliche Kontroverse (in Podiumsdiskussionen, Aufklärungsschriften und den Massenmedien), die die verschiedenen Interpretationen der drei Ereignisse zu Wort kommen läßt, um die Aktualität für unsere labile Demokratie auch den Skeptischen und Gleichgültigen plausibel zu machen: es fehlt an Aktivbürgern mit Zivilcourage.
- Die Grenzen der Verfassung sind weit genug.
- Der Juniaufstand war keine nationale Erhebung für den Westen, sondern eine soziale Erhebung der Arbeitnehmer für eine innere Demokratisierung, die – wie in Ungarn und Polen – auf Wirtschaftsdemokratie und Arbeiterräte gegründet war. Der Aufstand zeigte zweierlei: wie schon in der Weimarer Republik, wagen die Arbeitnehmer als erste den Einsatz für die Demokratie; Veränderungen im Ostblock bedürfen nicht der westlichen Einflußnahme. Ein Abbau des kalten Kriegs würde den demokratischen Kräften drüben mehr nützen als die Hallsteindoktrin und auch die Öffnung der Grenzen.
- Die Notstandsgesetze untergraben die die Substanz des Grundgesetzes, vor allem die Freiheit der Forschung und der Lehre, die Prinzipien der Freizügigkeit, der freien Arbeitsplatzwahl, der Meinungsfreiheiten und der Koalitionsfreiheit. Die Universität sollte die Position der Verfassungsgeber mit detaillierten und historisch informierten Argumenten verteidigen. Hierzu sind öffentliche Diskussionen, nach Möglichkeit mit den Befürwortern der sehr umfangreichen Verfassungsänderungen, das beste Mittel. Jeder Abgeordnete sollte sich seinen Wählern wie auch den Gruppen stellen, deren Rechte die Gesetze einzuschränken erlauben: der Universität, den Massenmedien, den Gewerkschaften, den Unternehmen. Angesichts der andauernden Prosperität und der Normalisierung der Beziehungen mit den östlichen Industrieländern erscheint die Bedrohung unserer Verfassungsordnung geringer als in den Fünfzigerjahren, in denen man auch ohne Notstandsgesetze auskam.
Gerlinde Peukert, Gerhard Vinnai
Humanistische Studenten-Union
- Wir befürworten solche Veranstaltungen, wenn durch sie die geschichtliche Entwicklung, die in diesen Tagen kulminierte, und vor allem die Verbindungen zu den bestehenden zuständen aufgezeigt werden, und wenn sie der kritischen Auseinandersetzung mit diesen Zuständen dienen. Wir bedauern den Mangel an historischem Bewußtsein, der versuche notwendig macht, es wenigstens an besonderen Gedenktagen zu wecken. Wir lehnen Veranstaltungen entschieden ab, wenn nur pathetisches bedauern ausgesprochen wird, verbunden mit der üblichen Bestätigung, wie angenehm in der BRD doch das Leben ist.
- Die objektiven Grenzen bestehen im Mangel an Zeit und/oder Geld . Von der Thematik her sehen wir keine Begrenzung, von der Methode her die, an der sich jegliche politische Betätigung halten sollte: den Verzicht auf emotionale Aktionen und Reaktionen.
- Der 17. Juni 1953 ist zunächst ein Indiz für den politischen Zustand der DDR. Die weitgehende Passivität des westlichen Deutschland hat deutlich gemacht, daß die Spaltung nach dem Kriege nicht nur formal, sondern auch bewußtseinsmäßig vollzogen wurde. Veranstaltungen zum 17. Juni dürften sich nicht auf Deklamationen beschränken, sondern sollten vor allem Möglichkeiten der Überwindung der Trennung aufzeigen.
- Die Auswirkungen der Notstandsgesetze sind entscheidente (sic!) Begrenzung der Grundrechte; die Pläne machen deshalb eine möglichst breite öffentliche Diskussion notwendig. Solange die ins Detail gehende Diskussion durch unvollständige Information nicht möglich ist, bleiben Demonstrationen und allgemeine Erklärungen die einzig möglich Form der Stellungnahme: die HSU war an der Demonstration am 24. Mai beteiligt.
Burkhard Blüm
lsraela – Jüdischer Studentenverein
- Am 8. Mal sollte an sich von Staats wegen oder durch die Regierung in würdiger Form der Kapitulation und der Befreiung von der Nazi-Herrschaft gedacht werden. Zumindest wäre es angebracht, den Völkern, die mit Mißtrauen der Bundesrepublik gegenüberstehen, zu beweisen, daß die Deutschen aus ihrer jüngsten Vergangenheit etwas gelernt haben. Stattdessen bemüht sich die Bundesregierung krampfhaft, eine Deutschland-Erklärung bei den Westmächten zu erreichen. Die Deutschen scheinen aus den Erfahrungen der Nazi-Zeit und des Krieges doch nichts gelernt zu haben (siehe auch Entwurf zum Notstandsgesetz!). Deshalb wäre es eine Aufgabe der Studenten, auch am 8. Mai, unter anderen Tagen, Veranstaltungen durchzuführen, in denen die tragische Rolle Deutschlands im 2. Weltkrieg und die Konsequenzen, die daraus gezogen werden müßten, diskutiert werden. In dem Sinne wäre es auch angebracht, des 20. Juli zu gedenken. Hier aber sollte vor allem der Wert der Zivilcourage betont werden, das Recht und die Pflicht, sich gegen das Unrecht aufzulehnen, auch dann, wenn es von der Regierung befohlen wird. Eine ganze Generation sollte in diesem Sinne erzogen werden, was allerdings etwas schwer sein mag, wenn man sich gleichzeitig gegen aufrichtige Demokraten polizeistaatlicher Methoden bedient (siehe Heckenschützenmethoden in der letzten Ostermarsch-Demonstration und das Verhalten der Polizei bei der Demonstration gegen den Vietnamkrieg).
- Es steht jeder Studentengruppe zu, ihre Tätigkeit und die Grenzen ihrer Tätigkeit selbst zu bestimmen. Sollte die Tätigkeit einer Studentengruppe, politisch oder unpolitisch, nicht durch sie selbst begrenzt werden, so wird ihr dadurch ihre demokratische Freiheit auf Selbstbestimmung und Selbstentfaltung entzogen. Damit ist ihr, meines Erachtens, auch die Voraussetzung für ihre Existenz entzogen.
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- Es ist doch verwunderlich, wenn der einfache Bürger, wenn das Volk sich den Notstandsgesetzen gegenüber desinteressiert verhält. Der Umfang der Sache und auch nicht zuletzt die Geheimnistuerei der Politiker haben schon dafür gesorgt , daß ein einfacher Mensch sich in der Materie nicht auskennen kann. Es wäre eine große Aufgabe der Studenten, bei der Aufklärung der Bevölkerung mitzuwirken, ihr die Gefahren der Notstandsgesetze bewußt zu machen und auf ihre Möglichkeiten, diese abzuwenden, aufmerksam zu machen.
Gabriel Milter , 1. Vorsitzender
ISSF
- a) Da der Aspekt der Befreiung vom nationalsozialistischen Terrorregime erheblich den des Unterganges der nationalen Substanz überwiegt, halten wir Mahn und Gedenkstunden für zulässig. - - b) 17. Juni: Es hat sich in der Politik der fortgesetzten CDU/CSU-Regierung und Anhängseln gezeigt, daß bei Zentrierung auf den Westen unter Vernachlässigung der Deutschlandpolitik eine Feier des 17. Juni jedem denkenden Menschen verlogen vorkommen muß. Deshalb treten wir für eine vorherige Diskussion der Möglichkeiten und Formen ein. - - c) 20. Juli: Hervorzuheben scheinen uns die Gräuel, die sogar Menschen, die der altpreußischen Adelsclique angehörten, zum Widerstand veranlaßten.
- Im Wesentlichen werden die Grenzen der politischen Betätigung der Studenten durch die mangelnde Information des Einzelnen (Geheimhaltungsvorschriften und dergleichen) gezogen.
- In Folge 1b sollte man auf Fackelzüge, Fürbittgottesdienste und dergleichen Geschmacklosigkeiten verzichten.
- Solange die Demokratie in Westdeutschland nicht selbstverständlich geworden ist, stellt jede Art der Notstandsgesetzgebung eine Unterminierung des zarten Pflänzchens Demokratie dar. Man äußere sich auf jede Art und Weise negativ dazu.
M. Forschner Jr., 2. Vorsitzender
Liberaler Studentenbund Deutschlands
- 8. 5.: Ja. Öffentliche Kundgebungen, Demonstrationen. Der 8. 5. War nicht nur der Tag der Kapitulation, sondern auch als Tag der endgültigen Zerschlagung des NS-Regimes eine Grundvoraussetzung für einen demokratischen Neubeginn in Deutschland. Dieser letzte Aspekt wird in der öffentlichen Diskussion zu wenig beachtet, seine Betonung ist deshalb für eine demokratische Vereinigung eine Notwendigkeit. - - 17. 6: Mit Einschränkungen Ja. Aktionen wie oben. Als Feiertag sollte der 17. 6. wieder aufgehoben werden. Die Bundesrepublik hat an den Verhältnissen nichts geändert, das ist eine traurige Tatsache, gibt aber keinen Anlaß zu Nationalhymnenpathos. Dennoch sind Demonstrationen sachlicher Art am Platz, um immer wieder auf die Notwendigkeit einer beweglichen Deutschlandpolitik von seiten der BRD hinzuweisen. - - 20. 7.: Ja. Aktionen wie oben. Demonstrationen sollten weiterhin als Bekenntnis zur Freiheit des Einzelnen und gegen Faschismus und Totalitarismus stattfinden. Zu Reinwaschungs- und Entschuldigungsaktionen für Mitläufer und Nischensteher im 3. Reich dürfen sie nicht benutzt werden. Die Motive der Widerstandskämpfer sollten einer kritischen differenzierenden Betrachtung unterzogen werden.
- Keine, solange wir einer fortschreitenden Entpolitisierung des öffentlichen Lebens zusehen müssen.
- Im Augenblick nur diejenige, daß die Volksmeinung auf »geheiligte Rechtsansprüche« getrimmt wird, über deren Verwirklichungsmöglichkeiten man Rechenschaft abzulegen tunlichst vermeidet.
- Ja, man sollte. In allen Formen, die mit dem Rechtszustand vor Inkrafttreten dieser Gesetze noch möglich sind.
Bernd Koch, 2. Vorsitzender
Ring Christlich Demokratischer Studenten
- Der 8. Mai sollte ein Tag der persönlichen Besinnung sein; er eignet sich nicht für lautstarke Demonstrationen. Gleich, ob jemand feiert oder trauert, er gerät damit leicht in die Versuchung, einem einseitigen Aspekt zu huldigen oder eine Geschmacklosigkeit zu begehen. Der 17. Juni und der 20. Juli sollten als Feiertage der deutschen Demokratie mit großer Anteilnahme begangen werden.
- Wer sein Studium ernst nimmt, hat nur noch wenig Zeit für Politik. Hier liegt die Grenze seiner Beteiligungsmöglichkeit. Bevorzugt sind deshalb die unterhaltsamen ›Spektakel‹; sie fordern nur ein geringes zeitliches Opfer.
- Der 17. Juni war seit Kriegsende das wichtigste Ereignis in Deutschland. Es hätte ohne die Intervention der sowjetischen Besatzungsmacht zur Wiedervereinigung geführt. An diesem Tage sollte gearbeitet werden. Der Tageslohn oder der 365. Teil des Gehalts bzw. Jahresgewinns sollte an das Kuratorium Unteilbares Deutschland abgeführt werden.
- Die von den Parteien des Bundestages angestrebte Änderung des jetzt geltenden Notstandsrechts (Interventionsrecht der Alliierten) ist keine Angelegenheit, die ein spezielles studentisches Interesse berührt. Die Aktivität an den Universitäten kommt daher, daß eine Reihe linksgerichteter Verbände die Notstandsgesetzentwürfe als geeignetes Material für ihre Agitation betrachtet. Jeder Staatsbürger sollte zwar sehr hellhörig sein, wenn eine Grundgesetzänderung bevorsteht, aber er sollte andererseits auch seinem Parlament vertrauen, wenn sich zwei Drittel der Abgeordneten für eine Änderung aussprechen. Am besten wäre es, wenn einige Abgeordnete an die Universität kämen, um Rede und Antwort zu stehen. Die propagandistische Art, in der gewisse Studentengruppen für eine »Demokratie des Straßenkampfes« eintreten, muß als demokratisch bedenklich und dem akademischen Leben unangemessen abgelehnt werden.
Gutermuth, 1. Vorsitzender
Sozialistischer Deutscher Studentenbund
- Wir halten grundsätzlich nur politische Veranstaltungen für zweckmäßig. Veranstaltungen aus Anlaß historischer Ereignisse sind nur sinnvoll, wenn sie mehr als nur bloße Gedenktage werden. Das heißt, die historischen Ereignisse müssen in Beziehung zur gegenwärtigen konkreten gesellschaftlichen Situation in der BRD gebracht werden. Zu allen drei Anlässen halten wir Vorträge oder Podiumsdiskussionen für am besten geeignet. Zum 8. Mai und 20. Juli bietet sich ein Vergleich der Forderungen der Widerstandskämpfer (nicht nur der Offiziere) mit den Plänen aller Parteien nach 45 und der heutigen bundesrepublikanischen Wirklichkeit an. Pure Deklamationen gegen die DDR und die Feststellung, daß dort keine Demokratie besteht, haben keine politische Wirkung. Veranstaltungen zum 17. Juni sind nur zweckmäßig, wenn man die Entwicklungstendenzen in der DDR und ihre Abhängigkeit von der Entwicklung in der BRD aufzeigt.
- Keine. Studenten haben noch mehr als andere Menschen die Pflicht, sich um ihre Gesellschaft zu kümmern, weil sie relativ gute lnformationsmöglichkeiten haben.
- Der 17. Juni 1965 hat dieselbe Bedeutung wie der 17. Juni 1964. Am 17. Juni ging es dagegen nicht um die nationale, sondern um die soziale Reorganisation der DDR, in der die Diktatur der SED die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ausschloß.
- Zu den oder gegen die Notstandsgesetze sollte man sich in jeder nur möglichen Form äußern, weil sie einen so einschneidenden Eingriff in die Grundrechte jedes Einzelnen bedeuten, daß Veranstaltungen nur im Universitätsrahmen nicht mehr genügen. Wir haben bisher ziemlich alle Möglichkeiten, von Vorträgen und Diskussionen in der Universität, über Veröffentlichungen und Flugblätter bis zu Veranstaltungen in einer breiteren Öffentlichkeit auf lokaler und auf Bundesebene genutzt. Wir sind auch bereit, auf die Straße zu gehen (z. B. am Montag, den 24. 5.).
Helmut Richter
Sozialdemokratischer Hochschulbund
- Die von Ihnen genannten geschichtlichen Daten sind m. E. ein Anlaß zur Durchführung von Informationsveranstaltungen. Ich möchte aber dabei den informatorischen Charakter dieser Veranstaltungen, seien es Diskussionen, seien es Kundgebungen oder Vorträge, betonen und sie stark von Demonstrationen abgrenzen. Am 8. Mai, 17. Juni und 20. Juli sollten wir uns bemühen, ernsthaft mit den damit zusammenhängenden Problemen uns auseinanderzusetzen.
- Keine
- Am 17. Juni 1953 haben Menschen für die Freiheit gekämpft. Die Bedeutung der der Freiheit in der Enge von ein paar Zeilen abzuhandeln, wäre sinnlos.
- Jeder Student hat das Recht, sich zu politischen Komplexen zu äußern. Die verschiedenen Studentenverbände haben sogar die Pflicht. Eine solche Meinungsäußerung sollte in der Form einer Stellungnahme oder in Form von Diskussionen, wie z. B. auf dem am 30. Mai in Bonn stattfindenden Kongreß, zum Ausdruck kommen.
Nicos A. Athanassiadis, 1. Vorsitzender
Unabhängiges Collegium Politicum
- Politische Veranstaltungen zum Gründungstag der Bundesrepublik sollten dem 8. Mal vorzuziehen sein. Politische Veranstaltungen zum 17. Juni sollten unserer Meinung nach im Rahmen einer neuen Deutschland-Politik überdacht und geändert werden, sollten im Grunde aber selbstverständlich sein. Der 20. Juli sollte der Tag sein, an dem den Deutschen immer wieder vor Augen geführt wird, welche politische Verantwortung der Einzelne aufbringen muß, um eine Gewaltherrschaft zu verhindern.
- Politische Betätigung von Studenten sollte im Rahmen des Grundgesetzes in jeder Art stattfinden; sie ist Gleichgültigkeit in jedem Fall vorzuziehen.
- Der 17. Juni sollte keinen Anlaß geben, den Kalten Krieg zu verlängern, und wie unter erstens bereits angedeutet, einen anderen Charakter bekommen.
- Das Problem der Notstandsgesetze ist so zentral für unsere junge Demokratie, daß an den deutschen Universitäten eine Klärung darüber in sog. ›teach-ln‹ nach dem Vorbild der USA stattfinden sollte.
Silke Jahn
Wehrpolitische Hochschulgruppe
- Nur politische Veranstaltungen sind der adäquate Rahmen für eine fundierte Würdigung dieser außergewöhnlichen Jahrestage, da die ihnen zugrundeliegende Problematik primär politisch-philosophischer Natur ist. Sogenannte wertfreie erkenntnistheoretische Implikationen dieser Ereignisse ohne ein im Sinne der Verantwortungsethik statthabendes politisches Engagement mit dezidierter Zielsetzung unterliegen opportunistischen und autoritären Tendenzen. Intention dieser Veranstaltungen ist, keine bloß historischen Reminiszenzen, sondern der Stimulus zur staatsbürgerlichen Katharsis und die Forderung an die politischen Führungen zur Überwindung der Gewalt zu humanem und vernünftigem Handeln. Trotz ihres teils positiven Gehaltes sollten die Ereignisse des 8. Mal und 20. Juli nicht in freudiger Stimmung begangen werden, da sie nicht nur zur Jahrmarktsgaudi ausarteten, sondern auch zur Verdrängung von kollektiven Schuldgefühlen verleiteten. Personalisierende Glorifizierungen sind zu vermeiden. An diesen Tagen sollten trotz gewisser sozialpsvchologischer Bedenken Dokumentarfilme über von totalitären Regimen inszenierten Gräueltaten gezeigt werden.
- Disproportionalität der ökonomisch-geistigen Zweck-Mittelration; bestehende Machtverhältnisse.
- Der 17. Juni wird als Konsumentenfestival im Grünen mißbraucht. Die institutionalisierte Deklamation einer pseudopolitischen Phraseologie sollte einer friedfertigen, aktiven Ostpolitik Platz machen.
- Die Fragestellung erinnert an den Slogan »Man geht nicht mehr ohne Hut«. Als Politikum ersten Ranges müssen wir uns zur Notstandsgesetzgebung nicht nur äußern, sondern auch nüchtern-sachlich uns in diesen verworrenen Komplex hineinarbeiten. In öffentlichen kontradiktorisch zu veranstaltenden Diskussionen sollten die maßgeblichen Politiker aller Parteien mit der sachlichen Einstellung der Studentenschaft konfrontiert werden. Jedoch gelten die unter zweitens gemachten Bemerkungen auch hier.
Wido Mosen