Die Streikbewegung ist unaufhaltsam
Die Große Koalition sichert den Kapitalisten nicht nur die Profite. Sie will sie auch vor massenhafter politischer Unzufriedenheit schützen, die dem ökonomischen Prozeß entspringen könnte. Die Strukturkrisen der westdeutschen Ökonomie im Bergbau, der Stahlindustrie und der Landwirtschaft haben ebenso wie die Krise des Ausbildungssystems schon zu Protestbewegungen geführt und zur politischen Radikalisierung beigetragen.
Die Opposition der Studenten entzündete sich an der Entwicklung der Universität zur Ausbildungskaserne, zur Produktionsstätte von Fachidioten. Die Opposition der arbeitenden Bevölkerung kann vielfältige Gründe haben. Hohe Mieten, hohe Preise einerseits, zum anderen Unsicherheit des Arbeitsplatzes, Lohnabbau und Senkung der Sozialleistungen. Der Kapitalismus löst seine Absatzschwierigkeiten meist dadurch, daß er die Produktion einschränkt und Lohnkosten durch Rationalisierungen einzusparen sucht. Auf menschliche Probleme pflegt sich der Produktionsapparat, der auf Steigerung des Profits aus ist, dabei nur am Rande einzulassen. Bislang konnte der Kapitalismus in der Bundesrepublik noch mit Konsumgratifikationen, mit den Mitteln der Massenmanipulation, der erzwungenen Entpolitisierung durch Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsgesetz in den Betrieben und der freiwilligen Gleichschaltung und Kooperation der Massenorganisationen über die Runden kommen Für den Fall, daß dieses Gleichgewicht von Manipulation und Kooperation zusammenbricht, sollen die Notstandsgesetze mit Gewalt das System zusammenhalten.
Die Notstandsgesetzgebung nun bereitet den Staat auf massenhafte politische Opposition gegen die Mißachtung elementarer menschlicher Bedürfnisse vor. Sie soll den Individuen vor allem die Verweigerung ihrer Arbeitsleistung im Streik unmöglich machen, sie soll den Arbeitszwang mit Gewalt über diejenigen wieder aufrichten können, die sich gegen seine Inhumanität wehren.
Alle Mittel, die die Notstandsgesetzgebung bereitstellt, dienen letzten Endes diesem Zweck. Dienstverpflichtungen, Verschärfung der persönlichen Überwachung und quasimilitärische Niederschlagung massenhafter Opposition mit den Mitteln von Polizei, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr sollen politische Spontaneität unterdrücken.
Die Notstandsgesetze sind das Grundgesetz des autoritären Staats!
In einer solchen Situation hat keiner ein Recht auf politisches Desinteresse. Es waren schon einmal die Massen politisch desinteressierter Menschen, die die sicherste Stütze für den Faschismus bildeten. In ihrem falschen Bewußtsein, daß es eine Sphäre der Privatheit gebe, die von den politischen Verhältnissen unbeeinflußt sei, stabilisieren sie die gesellschaftliche Unterdrückung. Aber Toleranz gegen den autoritären Staat kann es nicht geben.
Wenn jetzt die Herrschenden uns noch im Verein mit ihren liberalen Kritikern an Spielregeln binden wollen, so sind ihre Absichten eindeutig: In einer antagonistischen Gesellschaft dienen Regeln zunächst einmal den Herrschenden, von denen sie auch gemacht werden. Soweit noch in einem liberalen Modell den Beherrschten die Mittel der Diskussion zugestanden werden, so stehen diese Rechte – wie der Faschismus gezeigt hat – , doch unter dem Vorbehalt, daß sie die Herrschaft nicht antasten. Daß heute den Herrschenden keine Gefahr durch Proteste drohen, die sich an die von ihnen verordneten Spielregeln halten, haben jahrelange vergebliche Diskussionen, Resolutionen über Notstandsgesetze und Hochschule deutlich gezeigt. Die uns jetzt noch auf Regeln verpflichten wollen, wollen die Unwirksamkeit unserer Opposition. Objektiv vertreten sie die Interessen der Herrschenden.
Wenn wir nicht resignieren wollen, müssen wir den Widerstand organisieren.
An dieser Stelle wird eingewandt, daß eine Minderheit nicht der Mehrheit ihren Willen aufzwingen könne. Aus diesem Grunde wird eine Urabstimmung gefordert, die den Willen der Mehrheit ans Tageslicht bringen soll.
- Der Prozeß der Verabschiedung der Notstandsgesetze hätte eigentlich jedem klar machen sollen, daß hier eine kleine Minderheit von Konzernbossen, Ministerialbürokraten, die das Dritte Reich schadlos überlebten, und Parteibonzen der Mehrheit des Volkes ihren Willen aufzwängen wollen. Millionen haben durch die Gewerkschaften, die Studenten- und Jugendbewegung, durch Repräsentanten des kirchlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens gegen diese Gesetze protestiert. Nur 10 % der Bevölkerung sind überzeugt für die Notstandsgesetze. Die radikale Minderheit von 500 Parlamentariern hat das nicht gestört. Auf diejenigen, die das noch immer nicht gemerkt haben, können wir nicht länger warten.
- Es ist ferner unmöglich, gewerkschaftliche Formen der Streikvorbereitung auf die Universität zu übertragen. Die Urabstimmung findet wie bekannt, doch nur unter den gewerkschaftlichen Mitgliedern statt, also auch nicht unter allen Arbeitern. Die Universität jedoch hat keine einheitliche Organisationsstruktur. Am ehesten vergleichbar ist der Urabstimmung noch die Abstimmung auf einem teach-in, wo die Mehrheit der politisch bewußten Studenten über den Streik abstimmen kann.
- Man kann das Verhältnis von Minderheit und Mehrheit nicht verabsolutieren. Wer ständig mit der Mehrheit politisch ahnungsloser Studenten argumentiert, übersieht, daß aus dem politischen Protest einer Minderheit in der Tat schon radikale Opposition der Mehrheit der Frankfurter Studenten geworden zu sein scheint.
- Trotzdem fuhren rechte Schläger gegen uns noch ein Widerstandsrecht an, das wir gerade zur Legitimierung unseres Kampfes gegen den autoritären Staat benutzen. Die Konfusion unter den liberalen Formalisten ist groß, dennoch aber leicht aufzulösen. Genauso wenig wie Bachmann gegen Dutschke das Widerstandsrecht für Lynchjustiz in Anspruch nehmen kann, genauso wenig können es andere vereinzelte Faschisten. Denn in Wirklichkeit leisten sie keinen Widerstand, sondern gehorchen den Bedürfnissen der herrschenden Ordnung. Sie sind objektiv Schlägertruppen der Herrschenden, auch wenn sie von ihnen nicht offen angeführt werden, wie in Bonn von MdB Rollmann (CDU) oder in Berlin vom CDU Wohlrabe. Politischer Widerstand ist immer Widerstand gegen die Organisation der Herrschaft, nicht deren gemeingefährliche Ausübung.
Könnte der Widerstand allerdings keine politisch bewußten Massen mobilisieren, dann könnte er als Widerstand einer Minderheit unter Umständen, wenn er nicht zerfällt, in Terrorismus umschlagen, der tendenziell seine eigene Liquidation hervorruft. Der Streik zur zweiten Lesung fand aber seine Massenbasis, wie die Abstimmungen auf den teach-ins zeigten.
Einige Zeit bestanden noch idealistische Vorstellungen über einen Streik unter den Studenten. Und von diesem Idealismus war auch der Parlamentsbeschluß zwei Tage vor dem Streik zur zweiten Lesung getragen.
Er billigte nur sit-ins vor den Universitätseingängen, keine Blockade. Durch Diskussionen und Überzeugen sollten die Streikbrecher am Betreten der Universität gehindert werden. Sie sollten unter keinen Umständen durch passive Gewalt am Betreten der Uni gehindert werden. Wenn die gewerkschaftlichen Streiks mit solchen Methoden je geführt worden wären, dann wären sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Den politisch bewußten Arbeitern ist das Aufstellen von Streikposten selbstverständlich, wie die Einsicht. daß politische Auseinandersetzungen nicht nur mit dem Mittel der Diskussion geführt werden können. Daß das im Bewußtsein der meisten Studenten nicht mitgedacht wurde, liegt daran, daß sie mit diesem Kampfmittel der Arbeiter nie in Berührung gekommen sind; gleichzeitig aber der Streik immer als gemeinschaftsschädigend denunziert und Streikbrecher zu Arbeitswilligen stilisiert wurden.
Der LSD Ist denn auch von seiner liberalen Haltung abgekommen und befürwortet nun Streikposten.
Dieser Lernprozeß aber ist nicht zuletzt dadurch angestoßen worden, daß der SDS den Streik zur zweiten Lesung als Minderheit mit Streikposten geführt hat. Das teach-in, das die Fortsetzung des Streiks für den Donnerstag beschloß, billigte denn auch ausdrücklich die Aufstellung von Streikposten. Nur diejenigen können noch gegen Streikposten sein, die den Widerstand der Studenten gegen den autoritären Staat wirkungslos machen wollen.
Der Übergang vom Protest zum Widerstand vollzieht sich nicht bruchlos. Da die Herrschenden jede politische Selbsttätigkeit, wenn sie nicht beim verbalen Protest bleibt, mit Sanktionen belegen, ist die Sphäre aktiver Opposition mit Angst besetzt. Viele, die zwischen Studium, Karriere und aktiver Opposition schwanken, lösen diesen Konflikt, indem sie Opposition auf gefahrlose Diskussion beschränken. Beim ersten Streik war denn auch selbst der Rektor für Vorlesungsdiskussionen – welche Beruhigung – , während denen, die Streikposten standen mit Strafanzeigen wegen Freiheitsberaubung und Nötigung und mit Disziplinarstrafen gedroht wurde.
Diese Angstschwelle muß massenhaft überschritten werden, wie schon bei der Springer-Blockade.
Denn Vorlesungsdiskussionen sind gegenüber den Vorbereitungen des autoritären Staates als einziges Mittel nicht angemessen. Sie sind außerdem durchaus nicht notwendig gewaltlos, wie sich an den Aktionen in Berlin gezeigt hat, wo sich die Auseinandersetzungen mit rechten Studenten in den Hörsälen vervielfältigten.
In der angstvollen Befürchtung der liberalen Studenten. der Streik würde die Studentenschaft polarisieren, zeigt sich noch einmal deutlich ihre Schwierigkeit, sich mit dem Widerstand zu identifizieren. Die notwendigen politischen Konsequenzen aus ihrer eigenen Opposition werden nicht gezogen. Konflikte und Risiken gefürchtet. Die Angst vor der Polarisierung, der die Angst vor dem Rechtsradikalismus entspricht. lähmt den Widerstand gegen den Radikalismus der Mitte von Springer bis SPD. Sie kann politisch objektive Antagonismen allenfalls subjektiv verdrängen, nicht aber objektiv abschaffen.
Aber uns bleibt, was oppositionelle Radikalität angeht, keine Wahl. Wir können uns nicht widerstandslos in den autoritären Staat integrieren. Die Angst vor den Folgen müssen wir in aktiver Opposition bewältigen, passives Zuschauen bewältigt nie.
Zweierlei ist anläßlich des Streiks deutlich geworden:
- Dieser Streik hat auch an der Universität zu der Polarisierung geführt. die euch die Gesellschaft durchzieht: Rechte. faschistische Gruppen, die von apolitischen Studenten unterstützt wurden. und zudem noch bei Rektor Rüegg und Prof. Kluke Hilfe fanden, einerseits, und andererseits eine breite Masse antiautoritärer Studenten, die bereit sind. den Widerstand gegen den autoritären Staat aufzunehmen.
- Die Kommunikation zwischen Studenten, Schülern und Arbeitern ist nicht gelungen durch Aufklärungszirkel, Straßenagitation und Zeitungsverkauf, sondern durch einen symbolischen Akt gemein samen Widerstandes.
Die Streikbewegung gegen die Notstandgesetze kann nicht das Ziel haben, die Appelle an die völlig korrumpierte Sozialdemokratie und an welche ›Abgeordneten‹ auch immer nur zu unterstützen. Sie in die Parole »Keine Stimme den Notstandsbefürwortern«·parlamentarisch zu kanalisieren, ist völlig unsinnig. Denn man hätte gerade lernen müssen, daß die klassische liberale Notstandsopposition mit ihren Wiederbelebungsversuchen am Parlamentarismus und ihren Gewissensappellen vollkommen gescheitert Ist. Gerade 10 bis 15 Abgeordnete stimmten während der zweiten Lesung gegen einige Vorschläge.
Jetzt kommt es mehr und mehr darauf an, die Selbstorganisation der Massen voranzutreiben. Die Streikbewegung zu verbreitern und die Notwendigkeit selbständiger Interessenvertretung aufzuweisen, muß – global – unser Hauptziel sein.
Die Fortsetzung des Streiks am Freitag, dem 24. Mal war schon nicht mehr unmittelbar auf die Parlamentsdebatte bezogen wie der Streik zuvor. Die Streikbewegung gewinnt deshalb eine Eigendynamik, weil sie Ja nicht nur darauf zielt, die Verabschiedung der Notstandsgesetze zu verhindern, sondern die gesellschaftlichen Strukturen anzugreifen, die sie stützen.
Denn die Notstandsgesetze sind nur zusätzlicher Zwang, der die bestehenden Zwangsverhältnisse gegen jeden organisierten Widerstand absichern soll. Widerstand gegen die Notstandsgesetze heißt auch und vor allem Widerstand gegen die autoritären Strukturen in Betrieben, Schulen und Hochschulen, Kampf für die Selbstbestimmung der entmündigten Massen.
Die Redaktion