Im September wurde in Frankfurt ein Kuratorium Notstand der Demokratie gegründet. Am 30. Oktober veranstaltete das Kuratorium  einen Kongreß, der die bisher größte Manifestation der Opposition gegen die erlassenen und geplanten Notstandsgesetze war.

Aber es handelt sich um eine außerparlamentarische Opposition, die einmal mehr laut und gut sagte, daß der Verfassungsschutz seine regsten Anhänger in den Reihen derer hat, vor denen er die Verfassung zu schützen wähnt; in den Reihen derer, wie Prof. Ridder meinte, die das Grundgesetz nicht nur unter dem Arm tragen sondern auch gelesen haben . Der Notstand der Demokratie, die Misere des Versagens allzu vieler Parlamentarier, die autoritären Tendenzen der Regierungspolitik machte dieser Kongreß deutlich. Er löste das Adenauer-Wort vom Ernst der Lage ein, die das Ergebnis einer verfehlten Politik ist; eines Bankrotts, der nicht dadurch verschleiert werden kann, daß Gesetze zur ausbrechenden Panik in Schubladen versteckt worden sind. Alles Gerede, die Opposition sei »weit links« werde zu dem von Gewerkschaften finanziert (als ob die Vertretung legitimer Interessen sträflich wäre) – das fälscht nicht nur tatsächliches Bestreben und die Zusammensetzung des Kuratoriums, es enthüllt auch, wie wenig Argumente außer Verleumdung und infamem Kommunismusverdacht vorgebracht werden können von »Bunkerleichen« (Enzensberger).

Mit Teilnehmern aus der ganzen Bundesrepublik und dem Ausland begannen in sechs Foren am Sonntagmorgen Referate und Diskussionen über Aspekte, Auswirkungen, Zusammenhänge der Notstandsgesetzgebung. Prof. Aretin sprach über Historische und politische Belastungen der Ausnahmegesetzgebung; er verglich verschiedene Notstandsverfassungen anderer Länder und kritisierte die Ministerialbürokratie in der Bundesrepublik als dem Geiste des totalitären Staates noch verhaftet. Aretin befürchtet, die Verabschiedung der Notstandsgesetze »würde eine Militarisierung Westdeutschlands« und verstärktes Mißtrauen gegen die Republik bedeuten. Jeder Abbau unserer Demokratie verändere so auch unsere außenpolitische Situation.

Rechtsanwalt H. Hannover ging scharf mit den schon geltenden Notstandsgesetzen (die Selbst- und Zivilschutz betreffen) ins Gericht. Den Abgeordneten haben die Entwürfe nur wenige Tage vor der Abstimmung vorgelegen. Für Abgeordnete – von Staatsbürgern, den Betroffenen, gar nicht zu reden – sei alles überstürzt geschehen. Bedrohlich genug, wenn die Konsequenzen der weithin unbekannten Bestimmungen auch noch überraschend für den Bürger sich einstellen.

Die Folgen für Beruf und Privatleben umfassen den Abbau der Rechte auf freie Wahl des Arbeitsplatzes, auf Streik, Informationsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Das Alltagsleben, so H. Hannover, spiele sich unter Führung von Regierung, Arbeitgebern und Befehlshabern paramilitärischer Verbände ab. Es ergebe deutlich eine Tendenz zu einer »hierarchischen Gesellschaftsstruktur«. Das Ergebnis Prof. Hofmanns Analyse, nämlich Zusammenhänge von Notstandsplanung – Wirtschaft – Arbeitnehmerschaft, wies in dieselbe Richtung. Man würde an Gruselgeschichten erinnert, wenn nicht die belegten Erklärungen solche fast überträfen. So etwa die Darstellung der Interessen der führenden Teile der Privatwirtschaft, die sich schon weitgehend mit denen des Staates decken, weil diese Wirtschaft fast den Staat selbst verkörpert und die Notstandsgesetze vorantreibt. Ein deutlicher innenpolitischer Zweck stehe dahinter, die Gefahr eines Angriffs von außen sei ein bloßer Vorwand angesichts der augenblicklichen internationalen Lage. Damit werde die Notstandsgesetzgebung ein Instrument zur Überwindung sozialer Konflikte. Die drohende Gefahr einer Zentralisierung öffentlichen Lebens, einer »Durchschnittsmilitarisierung« schon in Friedenszeiten sieht auch Hofmann. Bundesgrenzschutz und Bereitschaftspolizei haben bereits Übungen von »bürgerkriegsähnlichem Charakter« abgehalten.

Olaf Radke (vom Vorstand der IG Metall) griff scharf die Behauptungen der Regierung an, eine »legale Basis« für die Schubladenverordnungen finden zu wollen durch Übertragung alliierter Rechte. Den Alliierten ist nichts davon bekannt gewesen. Es gehe, so sagte Radke, um das Grundgesetz und nicht um fremdes, alliiertes Recht. Eine Bundesregierung , die so operiere, handle verfassungswidrig. Die Vorbereitung der Schubladengesetze beruhe jedenfalls nicht auf alliierter Ermächtigung. Das sage genug über die Pläne der Bundesregierung, einschneidende Änderungen der Verfassungs- und Gesellschaftsordnung anzustreben. Einen Überblick über Notstandsgesetzgebung und Gewissensfreiheit gab Prof. Stein. Er charakterisierte die Gewissensfreiheit als grundsätzliches Freiheitsrecht und lehnte scharf die Meinung ab, ihr komme keinerlei Außenwirkung zu. Prof. Stein: »Auch ein Mißbrauch der Notstandsbefugnisse läßt sich nicht durch einen weiteren Ausbau der Gewissensfreiheit bekämpfen, sondern nur durch die Bereitschaft Einzelner, notfalls für ihre Überzeugung ins Gefängnis zu gehen.«

In allen Referaten wurde sachkundig demonstriert, was von Notstandsgesetzgebung zu halten sei. Und immer wieder kamen Hinweise auf die verheerenden innen- und außenpolitischen Auswirkungen der Notstandspläne als Konsequenz einer Regierungspolitik, die nur noch mit Gewaltdrohungen und Panik den eigenen Notstand zum Ende der Demokratie zu machen geneigt scheint. Prof. A. Mitscherlich fragte im Forum Folgen der Notstandsgesetzgebung für den Alltag welches Menschenbild wir offenbaren, daß wir uns solche Gesetze vorsetzen lassen. Wir müßten an unser Bewußtsein die Frage stellen, ob wir zu den Konsequenzen unserer Ablehnung bis hin zum gewaltlosen Widerstand bereit seien. Gösta von Uexküll fügte hinzu, es verstärke die Einübung des Hasses, ein Klima der Aggressivität nach innen und außen, wenn erst einmal alle mit der Ausführung der Notstandsanweisungen und Vorbereitungen nach den Gesetzen beschäftigt seien. Das Argument der Regierung, »das haben uns die Kommunisten eingebrockt«, habe eine doppelte Wirkung, alle die bei den einfachen Notstandsgesetzen nicht mitmachen, zu Helfershelfern des Kommunismus zu stempeln und nach außen den Kreuzzugsgeist gegen die angebliche sowjetische Bedrohung zu verstärken. Wenn der Kongreß als linkes Gewerkschaftsunternehmen abgetan wurde, dann unterschlägt diese Behauptung, daß zu einem großen Teil der Kongreß nicht nur von Arbeitern und Angestellten (die immer noch die größte Bevölkerungsgruppe bilden), d. h. auch Gewerkschaftlern, getragen wurde, sondern in Erkenntnis der Gefahr auch von einer für dieses Land überraschend hohen Zahl Professoren unterstützt wurde. Grußbotschaften mit Erfolgswünschen kamen in nicht aufzählbarer Menge von verschiedenen Personen, Gruppen, Institutionen.

Die Entschlossenheit zu weitergehendem Widerstand über Appelle hinaus wurde oft genug und deutlich betont. Zahlreich waren die Mahnungen an die SPD, Verfassungsklage beim Bundesverfassungsgericht wegen der Schubladenverordnungen zu erheben. Noch war die Zahl der Abgeordneten des hessischen Landtags gering , ebenso wie der teilnehmenden , beobachtenden Bundestagsabgeordneten. Umso erfreulicher, wenn sie gerade in einer solchen Situation sich nicht den Mut zur Information und zur unabhängigen Diskussion nehmen ließen. In der FDP und in der SPD gibt es auch Leute , die das Gerede eines Pressesprechers der Bundesregierung als Stärkung der Demokratie nicht ansehen, wenn er den Protest als kommunistisch inspiriert hinstellen möchte. »Die Sicherung des Rechtsstaates« mit den Gesetzen eines Unrechtsstaates planen, hieße die Demontage der Demokratie endgültig realisieren zu wollen. Daß der Deutsche Gewerkschaftsbund abseits stand und keine Empfehlung zur Teilnahme am Kongreß aussprach, entfernt ihn von einer guten demokratischen Tradition. Die Schlußkundgebung mit ungefähr 21.000 Demonstranten verlief »ruhig«. Prof. Ernst Bloch, Prof. Ridder, Georg Benz und H. M. Enzensberger attackierten die Notstandspläne unter großem Beifall. An Deutlichkeit und Schärfe ließ kein Redner zu wünschen übrig. Es wurde in einer Schlußerklärung der »Notstand der Demokratie« proklamiert.

D. H. W.