Notstand der Presse
Im Festsaal des Studentenhauses sprach Prof. Walter Fabian in dem von Prof. Jürgen Habermas geleiteten Forum II über die Presse- und Meinungsfreiheit in der Notstandsgesetzgebung. Am Beispiel der Verhandlungen zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Deutschen Presserat über ein Pressekommissionsgesetz versuchte Fabian Taktik und Pläne der Bundesregierung bei der Vollendung des Notstandskomplexes darzulegen. Bereits im Oktober 1960 hatte der Deutsche Presserat in einer Resolution seine Position festgelegt:
»Der Deutsche Presserat hält die Aufhebung oder Beschränkung der in Artikel 5 des Grundgesetzes verbürgten Pressefreiheit bei einem Notstand weder für zulässig noch für zweckmäßig. Er ist der Auffassung, daß das Grundrecht der Pressefreiheit in seinem Wesensgehalt nicht angetastet werden darf«. Nach Ansicht von Fabian, der selber als Presseratsmitglied an den Verhandlungen teilgenommen hat, zielten die Pläne von Bundesinnenminister Höcherl für das Pressekommissionsgesetz darauf ab, die Presse »auf die sanfte Tour gleichzuschalten«. Der Bundesregierung kam es auf die Zustimmung des Presserates zur Errichtung einer staatlichen Pressekommission an, die – wie Prof. Ridder in der Diskussion bemerkte – als ein Instrument im Rahmen totaler Notstandsplanung gedacht war.
Die Kritik des Presserates an den Plänen der Bundesregierung richtete sich vor allem gegen folgende Punkte:
Die vorgesehene Pressekommission sollte als ein von Regierungsvertretern mehrheitlich besetztes staatliches Organ geschaffen werden mit der Befugnis, bei der Veröffentlichung »militärischer Nachrichten« eine Vorzensur auszuüben, sowie bei Verstoß dagegen, ein Berufsverbot für Journalisten oder das dauernde Verbot einer Zeitung auszusprechen.
Der Begriff der militärischen Nachrichten wurde in den Gesetzentwürfen derart ausgedehnt, daß man weite Bereiche des zivilen Lebens damit hätte erfassen können.
Die Informations- und Meinungsfreiheit sollte nicht erst im Kriegsfall, sondern bereits im Spannungsfall, wie zum Beispiel in der Vergangenheit während der Kubakrise, eingeschränkt werden können. Dieser Gummitatbestand ist auch in den bereits verabschiedeten Notstandsgesetzen enthalten..
Die Pressekommissionen sollten unmittelbar nach Verkündigung des Pressekommissionsgesetzes ihre Tätigkeit aufnehmen, um – nach Begründung der Bundesregierung – sich bereits in Normalzeiten »einüben zu können«.
Fabian hielt es für bedenklich, daß der von Bundesinnenminister Lücke neuformulierte Entwurf eines Bundespressekommissionsgesetzes von der gleichen Konzeption ausgeht wie die insgesamt acht Entwürfe, die Höcherl in den Beratungen mit dem Presserat in der Zeit von 1963 bis Mai 1965 vorgelegt hatte. Der Presserat hat aus diesem Grund im September 1966 einstimmig und entschieden gegen die geplante Einschränkung der Pressefreiheit genommen.
Fabian wies darauf hin, daß darüberhinaus heute schon die Pressefreiheit durch die einschlägigen Bestimmungen des politischen Strafrechts eingeschränkt werden könne. Weiterhin ermögliche das bereits in Kraft gesetzte Wirtschaftssicherstellungsgesetz zum Beispiel eine Beschränkung der Lieferung von Papier für Zeitungsbetriebe. Die Schubladen-›Verordnung über Sicherheitsmaßnahmen‹ erlaube die Festnahme von Personen, die ihrem früheren Verhalten nach verdächtig erscheinen. Nach der Verordnung über das Informationswesen könnten die Rundfunkanstalten zur Ausstrahlung von regierungsgelenkten Gemeinschaftsprogrammen verpflichtet werden.
In seinem Diskussionsbeitrag nannte Harry Press die gesamte Notstandsgesetzgebung ein innenpolitisches Manöver, das dazu diene, geschwächte Herrschaftspositionen zu festigen. Auch ohne Notstandsgesetze stelle die zunehmende Konzentration der Presse einen Angriff auf die Pressefreiheit dar. Prof. Scheuch bemerkte, daß die Presse einseitig über Stellungnahmen der Befürworter einer Notstandsgesetzgebung berichte, kritische Stimmen dagegen kaum zu Wort kämen. Aufschlußreich war seine Behauptung, daß die Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten über das Frischeigesetz besser unterrichtet ist als über das Notstandsverfassungsgesetz.Karl Hermann Flach von der Frankfurter Rundschau wandte sich gegen die von dem früheren FDP-Bundestagsabgeordneten Oswald Kohut angesichts der Regierungskrise in Bonn geforderten Neuwahlen. Diese würden – jedenfalls in Bezug auf die Pläne für die Notstandsgesetzgebung – kaum eine Änderung der politischen Situation bringen.
D. St