Wir kommen zusammen, um den Anfängen zu wehren. Diese kennen wir bereits aus den ersten Sätzen der Notverordnung; die weiteren sollen uns erst später bleich machen. Absicht und Tenor der Sache sind so klar wie unheimlich, auch wenn, ja gerade wenn die Ausführungsbestimmungen, die ergänzenden, noch geheime Reichssache sind. Hier kann auch Wehner nicht beruhigen, nicht abwarten und den bisher üblichen Tee trinken lassen. Die Zeit ist nicht danach, daß sie uns so viel Zeit läßt.

Dagegen scheint und droht es, als würde schon vieles dem Wurm und seinem Loch in der Weimarer Republik ähnlich. Der Art. 48, den der Demokrat Hugo Preuss damals, halb naiv, halb taktisch, in die Verfassung einfügte: wird er Post festum Notstand feiern? Er wollte doch gleichfalls die bürgerliche Demokratie den Worten nach im Notfall schützen, und sie wurde am Paragraphen, der sie im Notstand gerade aufhob, juristisch aufgehängt, bis die Nazis sie wirklich aufgehängt haben. Um der Notzeit willen, die ja von der wirklich dirigierenden Macht im Staat so rasch ausgerufen werden kann, wie es ihrem Interesse entspricht, und so bunkergemäß , daß selbst unserem Bonner Parlament Hören und Sehen vergeht. Die subjektiven öffentlichen Rechte, Meinungsfreiheit, Koalitionsrecht, Streikrecht und so fort, können dann, das geht leicht in Deutschland, eliminiert werden; ein Notstand ist immer bei der Hand, sobald ihm nichts fehlt als ausgerufen zu werden. Wobei die richtige Macht auch über keine noch so scheinklug gesponnenen juristischen Zwirnsfäden stolpert, wie man damals mit bestürzender Aktualität sagte, über oppositionelle Sicherungen also. Die sind auch heute pure Selbstberuhigung, bevor Notverordnung erst einmal ein Tor zum rechtsleeren Ausnahmezustand legal geöffnet hat. Es war ahnungslose, zum Teil ahnungslose Kurzsichtigkeit beim Art. 48 damals; nicht so viel verändert wird sie sich wiederholen, wenn wir das dulden, doch wir wollen es nicht dulden.

Eine andere warnende Ähnlichkeit mit der gehabten Weimarer Demokratie und ihrem diktatorischen Ende drängt sich gleichfalls auf. Nämlich die Geringfügigkeit der Achtung, worin (mit Recht) die vorhandene Regierung, doch auch das Parlament, ja die Einrichtung des Parlaments selber jetzt steht. Das kann gewiß günstiger Boden für eine endlich linke, zeitgemäße Auswechslung von Regierung und ebensolcher Parlamentsmehrheit sein; wir alle hier hoffen das. Doch sollte über ein bisheriges, überwiegend unorientiert gehaltenes Konsumvolk wirkliche Wirtschaftskrise kommen, ein immanenterer Notstand als der durch die diversen kalten Kriege und ihre Zündung erzeugte: dann steht vermutlich nicht nur die bisherige Opposition (die so lange keine war) ante portas. Sondern daneben lebt immer noch oder immer wieder oder auch neufrisiert ein schärfer Erinnerndes im Kleinbürgertum. Sucht sich Memoiren auch ohne, gar mit dem symptomatischen, dem skandalösen Spandau-Verdienstorden mit Stern. Und wie wohltuend unterscheidet sich für jede NPD das sichere Milliongeschäft einer anderen Illustrierten, mittels der Lebensgeschichte Emma Sonnemann-Görings, vom überhaupt nicht vorhandenen Interesse an der Todesgeschichte der Rosa Luxemburg. Die wirkliche Macht könnte schließlich merken, daß mit Neu-Faschistischem im Bund noch solidere Geschäfte zu machen wären; der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch, sang Brecht. Und da nicht einmal sicher ist, daß selbst das große C bisheriger Ordnungsparteien vor so etwas behüten kann, so mag auch eine noch so vorsorgliche Aufhebung bürgerlicher Grundrechte uns nicht beruhigen, uns vielmehr entsetzen, mit Erinnerung und Ahnung zugleich. Mit Erinnerung daran, daß hierzulande noch kein Ausnahmegesetz gegen radikales Rechts gerichtet war, immer nur gegen Links, gegen die Seite, wo in Deutschland ohnehin das Herz nicht oft geschlagen hat. Und je diskreditierter parlamentarische Demokratie in bürgerlicher Gesellschaft, desto leichter kann deren Selbstausschaltung in das Land führen, es wenigstens berühren lassen, woraus noch kein Demokrat zurückkam, lebend, unbeschädigt. Worin von einem Ermächtigungsgesetz wirklich ein ausgedehnter Gebrauch gemacht worden ist und nicht nur die Schornsteine der Industrie geraucht haben. Auch eine weniger mörderische Perspektive reicht schon für gebrannte Kinder aus und für die Welt, die den Brand austrat.

 

Die Spuren also schrecken, wir wollen uns von ihnen endlich aufschrecken lassen. Hegel sagte einmal: das einzige, was aus der Geschichte gelernt werden könne, sei, daß man nie etwas aus ihr gelernt hat; soll das auch jetzt so bleiben? Darum Schluß mit dem bereits mehr als durchsichtigen Notstandsplan: er ist selber der sichtbarste Notstand geworden, sein Anlaß ist an den Haaren herbeigezogen, seine Begründung lauter Nebel machende Ideologie. Wir Wissenschaftler, die den Aufruf gegen den Skandal unterschrieben haben, rufen mit dem einsichtigen überwiegenden Teil der Gewerkschaften zum Protest auf, ehe es zu spät ist. Die alten Herren mit ihrem Artikel 48 haben bereits die Vergangenheit verspielt, die neuen Herren mit ihrem Notstandsunrecht sollen nicht unsere Zukunft verspielen.

 

Ernst Bloch