»Zu wenig Wohnungen, zu wenig Ersatzwohnungen, alles zu wenig. Und eben gerade dieser günstige Wohnraum.« (Sozialarbeiter im Bereich Obdachlosigkeit)

Im Jahr 2010 wurden in Frankfurt am Main täglich drei bis vier Wohnungen zwangsweise geräumt. Diese Räumungen fanden zumeist statt, da Mieter_innen die vertraglich festgelegte Wohnungsmiete nicht mehr zahlen konnten. Seit 1999 hat sich die Zahl der Zwangsräumungen in Frankfurt mehr als verdreifacht und lag 2010 mit der bisher höchsten Anzahl bei 986. Hinzu kommt, dass sowohl der Bestand als auch der Neubau von sogenannten Sozialwohnungen drastisch abnimmt. In Frankfurt hat sich ersterer seit Anfang der 1990er Jahre bis 2010 mehr als halbiert und beträgt nur noch ca. 30.000 Wohnungen. Dieser »soziale Wohnungsbau« ist selbstverständlich kein Allheilmittel. Doch in den bestehenden Verhältnissen ist er für viele Menschen mit geringem Einkommen die einzige Möglichkeit, überhaupt Zugang zu einer Wohnung zu erhalten.

In Großstädten wie Berlin und Hamburg haben sich in den letzten Jahren Aktivist_innen zusammengefunden, um sich mit Zwangsräumungen auseinanderzusetzen und Widerstand zu organisieren. In Frankfurt am Main, wo es angesichts der offensichtlich angespannten Wohnungsmarktlage ebenfalls dringenden Handlungsbedarf gibt, ist das Thema jedoch bislang kaum behandelt worden.

 

Wohnen als Ware

Wohnraum ist wie jede Ware dadurch geprägt, dass am Markt unterschiedliche Interessen artikuliert und vermittelt werden. Im Falle des Wohnungsmarktes hat sich der daraus entstehende Konflikt in den letzten Jahren noch verschärft: Wachsende Teile der Bevölkerung können sich nicht angemessen oder überhaupt nicht mit Wohnraum versorgen (oder mit diesem versorgt werden). Das Verwertungsinteresse auf dem Wohnungsmarkt übersetzt sich in ein komplexes Zusammenspiel von zahllosen privaten und öffentlichen Akteur_innen (oder einer Mischung aus beiden) und führte in den letzten Jahren verstärkt zur prozentualen Abnahme des Anteils an Sozialwohnungen am Wohnungsmarkt. Das bringt Preissteigerungen mit sich, die immer weniger durch soziale Sicherungssysteme (etwa Subventionen) abgefedert werden. Dementsprechend steigt die Zahl der Menschen, die sich nicht mehr angemessen oder überhaupt nicht mit Wohnraum versorgen können.

Da der Anteil an günstigem Wohnraum im Verhältnis zu den gesamten Wohnungsbeständen gesunken ist, während die soziale Ungleichheit im etwa gleichen Zeitraum zugenommen hat, ist die Lage für ökonomisch benachteiligte Haushalte besonders problematisch. Doch nicht nur gesamtgesellschaftliche Entwicklungen – etwa Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt – können Notlagen am Wohnungsmarkt hervorrufen; auch der Wohnungsmarkt selbst trägt zu solchen Notlagen bei. Und wenn schließlich Menschen ihre Miete nicht länger bezahlen können, dann kann der_die Eigentümer_in der Wohnung eine Zwangsräumung einklagen – dies gilt im Übrigen auch für Sozialwohnungen.

 

Zur aktuellen Situation in Frankfurt

In Frankfurt ist auf Magistratsebene das Dezernat V (Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule) für Zwangsräumungen zuständig, genauer: das Jugend- und Sozialamt. Weitere Akteur_innen sind das Amtsgericht, die Polizei sowie die Gerichtsvollzieher_innen, die die Räumungen vollziehen. Seit August 2012 gibt es einen neu organisierten, im Sozialrathaus Gallus zentralisiert ansässigen Arbeitsbereich, der sich »Hilfe zur Wohnungssicherung« nennt. Das Team umfasst 24,5 Stellen, betreut von Zwangsräumungen Betroffene und steht Hilfesuchenden an zwei Sprechtagen pro Woche zur Verfügung. Wöchentlich gab es im Jahr 2012 ca. 200 Vorsprachen – daraus ergeben sich auf ein Jahr hochgerechnet ca. 10.400 Haushalte, die bei der Stelle Hilfe suchen und somit in irgendeiner Form von Zwangsräumungen bedroht sind. Städtische Akteur_innen, insbesondere die Leitung des Arbeitsbereiches »Hilfe zur Wohnungssicherung«, betonen, dass es ihr politisches Ziel und ihr gesetzlicher Auftrag sei, Zwangsräumungen zu verhindern. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Stadt gesetzlich in der Verantwortung steht, Notunterkünfte für Wohnungslose bereitzustellen, deren Unterhaltung mit hohen Kosten verbunden ist. Folglich bemüht sich die Stadt Frankfurt, die Zahl der Zwangsräumungen zu reduzieren, indem sie angehäufte Mietschulden per Darlehen übernimmt. Die Absurdität des Wohnungsmarktes wird hier offensichtlich.

Eine Stadtangestellte merkte in einem Interview an, dass sich ihre Arbeit in den letzten Jahren qualitativ verschlechtert habe, denn sie beschränke sich nunmehr darauf, »die Wartezimmer zu leeren und die an jedem Werktag angesetzten (…) Räumungen zu begleiten. Eine intensive Einzelarbeit findet nicht mehr statt.« Sie betonte, dass durch die Zentralisierung des Arbeitsbereichs der Umgang mit den Betroffenen oberflächlicher geworden sei. Zuvor waren in den einzelnen Sozialrathäusern jeweils ein bis zwei Personen für Zwangsräumungen zuständig. Die Tendenz hin zur bloßen Abfertigung zeigt sich beispielsweise daran, dass Ursachen für die Probleme am Wohnungsmarkt nicht mehr ausreichend analysiert werden – und damit auch nicht die Möglichkeiten, diese Ursachen zu bearbeiten. Das liegt unter anderem an der prioritären Zielsetzung, die Zahl der Zwangsräumungen zu minimieren. Diese quantitative Reduzierung wird schnell und effektiv durch die Übernahme von Mietschulden erreicht. Die qualitative Komponente allerdings, so die Stadtangestellte, komme aufgrund knapper zeitlicher und personeller Ressourcen zu kurz. Die Problematik »Zwangsräumungen« wird dadurch entkontextualisiert: Anstatt den gesellschaftlichen und politischen Kontext mitzudenken, neigen die städtischen Behörden dazu, die Zwangsräumungen als reinen Verwaltungsakt zu behandeln. Grundlegende Umstände wie systematische Ausschlussprozesse auf dem Wohnungsmarkt oder etwa die Hartz-Reformen werden offiziell nicht als Ursachen anerkannt; die gesamte Problematik wird entpolitisiert.

Betrachtet man, wer überhaupt von Zwangsräumungen betroffen ist, so fällt Folgendes auf: Zum einen leben die meisten Betroffenen in Einpersonenhaushalten, zum anderen sind 50 Prozent aller Betroffenen Hartz-IV-Empfänger_innen. Besonders viele Zwangsräumungen finden im Gallusviertel, in Höchst, in der Innenstadt, in Teilen von Sachsenhausen sowie in Randgebieten wie Sindlingen und Zeilsheim statt. Ein wichtiger und zugleich absurder Aspekt ist hierbei, dass ausgerechnet Sanktionen es vielen Hartz-IV-Empfänger_innen verunmöglichen, ihre Miete zu zahlen. Denn wenn an Lebensmitteln oder sonstigen Ausgaben kaum mehr gekürzt werden kann, wird folgerichtig an der Miete gespart. Jobcenter und der städtische Arbeitsbereich »Hilfe zur Wohnungssicherung« arbeiten getrennt voneinander, und die Mitarbeiter_innen des Jobcenters haben qua Funktion kein Interesse daran, Zwangsräumungen zu verhindern. Ihre Entscheidungen über Sanktionsmaßnahmen treffen sie nur im Hinblick auf ihren Hauptzuständigkeitsbereich, es fehlt der Blick für den sozialen Kontext oder auch nur die Zusammenarbeit mit anderen Behörden. Konkret heißt das, dass die Sanktionen der Jobcenter zu Mietschulden und Zwangsräumungen führen, deren Kosten letztendlich wiederum (durch Darlehen oder Notunterkünfte) von der Stadt übernommen werden.

Seit den 1960er Jahren ist die Zahl der Einpersonenhaushalte in der BRD kontinuierlich gestiegen und lag 2011 bei fast 40 Prozent. Durch diese Zunahme steigt die Zahl der sogenannten »verwundbaren Haushalte« (Siebel 2012: 466) und somit auch die Zahl der Zwangsräumungen. Beispielsweise hat für Einpersonenhaushalte ein Arbeitsplatzverlust noch gravierendere Folgen als für Mehrpersonenhaushalte, da der monetäre Ausfall nicht durch andere Haushaltsmitglieder kompensiert werden kann.

 

»Everything is borrowed«

Welche Folgen bringt diese Entwicklung des Frankfurter Wohnungsmarktes mit sich? Klar ist, dass bei einer zunehmenden Kommodifizierung von Wohnraum die Zukunft nicht gut aussieht, insbesondere für bereits benachteiligte Bevölkerungsgruppen. Wer sich seine Wohnung nicht (mehr) leisten kann, muss ausziehen – »freiwillig« oder zwangsweise per richterlichen Beschluss und mit Räumung. Durch die aktuelle neoliberale Wohnungspolitik verschärfen sich bereits bestehende soziale Ungleichheiten.

Legt man den Fokus auf den Gebrauchswert von Wohnen – als Regenerations- und Schutzraum, als elementares Bedürfnis –, so wird deutlich, dass ein radikales Umdenken erforderlich ist, um angemessene Wohnverhältnisse für alle zu schaffen. Eine Möglichkeit wäre ein Umdenken im Sinne des Rechts auf die Stadt, welches vom französischen Philosophen Henri Lefebvre eingefordert worden ist. Mit der Forderung nach dem Recht auf die Stadt ist hier mehr gemeint als der bloße Rechtsanspruch auf Wohnraum. Nach Andrej Holm (2013) orientiert sich »das Recht auf die Stadt […] ökonomisch an einer Umverteilung zu Gunsten der benachteiligten, ausgegrenzten und diskriminierten Gruppen in der Stadt, kulturell an der Anerkennung und Berücksichtigung von Differenz und unterschiedlichen Zugangsweisen zum Städtischen sowie politisch an der Ermöglichung zur Mitgestaltung städtischer Entwicklungen für alle Gruppen der Stadt.« Es geht also in erster Linie um die kollektive Aneignung des städtischen Raumes durch seine Bewohner_innen, insbesondere auch durch Bevölkerungsgruppen, die an den Rand der Stadt(-Gesellschaft) gedrängt worden sind und weiterhin gedrängt werden. Ein grundlegender Wandel gesellschaftlicher Verhältnisse funktioniert nach Lefebvre nicht ohne die Veränderung von sozialräumlichen Verhältnissen wie beispielsweise der gesellschaftlichen Organisation von Wohnen. Somit geht das Recht auf Stadt, hier in Bezug auf Wohnen, weit über einen vermeintlich partikularen Gesellschaftsbereich hinaus und ermöglicht eine gesamtgesellschaftliche Kontextualisierung.

Das Frankfurter Netzwerk »Wem gehört die Stadt?« beschäftigt sich mit Lefebvres Ideen auf vielfältige Art und Weise. Der Slogan des Netzwerks »Wem gehört die Stadt?« stellt in erster Linie Eigentumsverhältnisse in Frage und ist die Provokation, mit der in den städtischen Raum interveniert werden soll.

Teil des Netzwerks können alle sein, die sich im weitesten Sinne mit Gentrifizierung, Verdrängung und Überwachung etc. beschäftigen oder direkt von ihr betroffen sind und mit emanzipatorischen Vorstellungen dagegen ankämpfen wollen. Das Netzwerk soll die Möglichkeit bieten, sich auszutauschen, über Aktionen zu informieren oder Bündnisse zu konkreten Anlässen zu schließen. Mehr Infos unter: http://wemgehoertdiestadtffm.net/.

 

Svenja Keitzel, Janine Pößneck, Ole Werner

 

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Holm, Andrej (2013): Recht auf die Stadt – Soziale Bewegungen in umkämpften Räumen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #02, http://www.p-art-icipate.net/cms/recht-auf-die-stadt-soziale-bewegungen-in-umkampften-raumen/5/

Siebel, Walter (2012): Stadt und soziale Ungleichheit. In: Leviathan 40(3), S. 462-475.