»Der Kampf wird um unsere und eure Freiheit geführt – um eure und unsere – menschliche, gesellschaftliche, nationale – Ehre und Würde. Rächen wir die Verbrechen von Auschwitz, Treblinka, Bełżec, Majdanek […]!« (Appell der ŻOB an die Polen, 23.4.1943, Warschau, Ghetto1)

Nach mehreren Tagen des massiven Widerstands gegen die »Aktion« der Deutschen zur Vernichtung des Warschauer Ghettos veröffentlichte die Jüdische Kampforganisation (ŻOB) einen Appell an die (christlichen) Pol_innen, in dem sie die Gemeinsamkeiten des Widerstands und die Bedeutung von Rache für die Massenmorde in den (Vernichtungs-) Lagern betonte. Nach Auschwitz nannten sie direkt Treblinka, was die enorme Bedeutung dieses Vernichtungslagers für die Warschauer Juden_Jüdinnen unterstreicht.

Das Wissen um die vielfältigen individuellen, spontanen wie kollektiv organisierten Widerstandsaktionen von Juden_Jüdinnen im Kontext der Shoah ist leider nach wie vor begrenzt. Fortwährend wird der Aufstand im Warschauer Ghetto im April-Mai 1943 vielfach mit dem Warschauer Aufstand im Sommer / Herbst 1944 verwechselt. Auch über die Aufstände in den Vernichtungslagern Treblinka und Sobibór ist außer der Tatsache der Revolten wenig bekannt. 

In diesem Artikel gehe ich folgenden Fragen nach: Welche Relevanz hatte das Vernichtungslager Treblinka für den Aufstand im Warschauer Ghetto im April / Mai 1943? Lässt sich wiederum eine Verbindungslinie zwischen dem Warschauer Ghettoaufstand und dem etwa drei Monate später ausgebrochenen Aufstand im Vernichtungslager Treblinka am 2. August 1943 erkennen? Welche Signifikanz kommt dabei dem Fluchtwiderstand in seinen verschiedenen Ausprägungen im Kontext beider Aufstände zu? Flucht wird hierbei angesichts der Vernichtungspolitik der Deutschen als zentraler Aspekt von Widerstand von Juden_Jüdinnen angesehen, sowohl in spontaner als auch organisierter Form. Im Zentrum der Betrachtung dieses Artikels stehen das Vorgehen des organisierten jüdischen Widerstands sowie Motivationen und Handlungsoptionen von Gruppen und Einzelnen.

Quellengrundlage sind Zeugnisse von überlebenden Akteur_innen, darunter Berichte, die sie nach dem Krieg vor den Jüdischen Historischen Kommissionen abgegeben haben oder in den 1960er Jahren in Yad Vashem wie auch Aussagen im Rahmen von NS- Prozessen und autobiografische Texte.

Im Juli 1942 lebten etwa 380.000 Juden_Jüdinnen im Warschauer Ghetto.2 Die Widerstandsorganisationen hatten über ihre Netzwerke und gezielte eigene Recherchen von den Massenmorden in Ponary, Chełmno und auch Bełżec und Sobibór erfahren. Viele gingen jedoch davon aus, dass derartige Aktionen nicht die Juden_Jüdinnen der Hauptstadt betreffen könnten.3 Die Deportationen in das ­Vernichtungslager Treblinka zur Ermordung der jüdischen Bevölkerung Warschaus begannen am 22. Juli 1942. Bis zum 24. September 1942 wurden im Rahmen der sogenannten »Großen Aktion« etwa 300.000 Menschen aus dem Warschauer Ghetto in Treblinka ermordet. Danach befanden sich legal noch etwa 30.000 Juden_Jüdinnen mit einer Arbeitserlaubnis im Ghetto und geschätzte 30.000 »Illegale«, also Menschen, die sich versteckt hielten.4 Tausende flüchteten auf die »arische Seite« Warschaus, wofür jedoch Ressourcen wie Kontakte und Geld notwendig waren.

Vorgehen des Widerstands

Über eigene Kundschafter_innen verschafften sich die Jugendorganisationen und der Bund5 zeitnah Kenntnis über die Funktion von Treblinka. Zunächst organisierten sie den Schutz der eigenen Mitglieder, viele Aktivist_innen des Hashomer Hatzair6 kamen in bestimmten »Shops« – deutschen Betrieben im Warschauer Ghetto, in denen Juden_Jüdinnen Zwangsarbeit leisten mussten – unter, zu denen gute Kontakte bestanden. Arbeitende in diesen »Shops« waren zunächst von den Deportationen ausgenommen. Die Organisation Dror7 schmuggelte Mitglieder aus dem Ghetto, um sie perspektivisch über ihre Kontakte zur PPR (Polnische Arbeiterpartei, Polska Partia Robotnicza) in Partisan_inneneinheiten einschleusen zu können.8 Mitglieder des organisierten Widerstands, die zum Umschlagplatz verschleppt wurden, versuchten auf dem Weg zu flüchten oder konnten bisweilen über Kontakte ihrer Organisationen in letzter Minute gerettet werden. Wurden sie jedoch deportiert, versuchten sie, sofern möglich, den gefährlichen Sprung während der Fahrt zu wagen, um zur eigenen Organisation ins Ghetto zurückzukehren.9 Dennoch waren auch die Verluste der Organisationen durch die massenhaften Deportationen gewaltig: »In dieser Zeit haben wir fast alle unserer Genossen verloren. Von über 500 unserer Mitglieder blieben lediglich ein paar Dutzend übrig«10, bilanziert Marek Edelman für den Bund kurz nach dem Krieg.

Die am 28. Juli 1942 von den Jugendorganisationen Hashomer Hatzair, Dror und Akiba11 gegründete Jüdische Kampforganisation (Żydowska Organizacja Bojowa, ŻOB) informierte die Ghettobevölkerung mit Plakaten über das Geschehen in Treblinka und forderte sie auf, sich zu verstecken und sich nicht zum Umschlagplatz führen zu lassen. Die Mehrheit der Menschen schenkte zu diesem Zeitpunkt den Informationen jedoch kein Vertrauen – die Plakate wurden als Provokation interpretiert und vielfach abgerissen. Dies war einer der zentralen Gründe, warum zu diesem Zeitpunkt Fluchten aus den Deportationszügen noch nicht massenhaft praktiziert wurden.

Bereits in den ersten Wochen der Transporte, bis Dezember 1942 etwa, kamen Geflüchtete aus ­Treblinka ins Ghetto zurück. Durch ihre Berichte verbreiteten sich die Informationen aus erster Hand über das Morden, sodass sich im Herbst ein Stimmungswechsel im Warschauer Ghetto abzeichnete.12 Die überwiegende Mehrheit der Ghettobevölkerung hatte nun realisiert, dass die ständig drohende Deportation mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ermordung in Treblinka bedeutete.

Der ŻOB gelang nach den schweren Verlusten die Reorganisierung und eine Verbreiterung ihrer Basis. Im Oktober gehörten ihr alle wichtigen Organisationen im Ghetto, außer den Revisionist_innen, an und sie bereitete sich auf den bewaffneten Widerstand gegen die erwartete Liquidierung des Ghettos vor. Ende 1942 waren geschätzt 600 Juden_Jüdinnen in der ŻOB organisiert und etwa 150 im revanchistischen Jüdischen Militärverbund (Żydowski Związek Wojskowy, ŻZW).13 Das Ziel lautete, sich nicht kampflos zu ergeben und nicht nach Treblinka deportieren zu lassen.

Die ŻOB organisierte Metallfeilen, die ihre Mitglieder ständig bei sich trugen, um im Falle einer Deportation aus den Zügen springen zu können. So durchtrennte der Aktivist des Bund Wełweł Rozowski im November 1942 die Drähte an der Luke des Viehwaggons, half seinen Kamerad_innen hinauf und sprang als letzter selber vom Zug ab.14

Von der »Januaraktion« 194315 wurde der Widerstand überrumpelt. Die Mitglieder des Widerstands kämpften so weit wie möglich gegen ihre Deportation: Boruch Pelc vom Bund hielt vor den Waggons eine Rede. »Er machte nicht viele Worte. Aber diese Worte waren mächtig, sie bewirkten, dass von den 60 Menschen niemand die Waggons bestieg.«16 Eine Gruppe des Hashomer Hatzair um Mordechaj Anielewicz griff aus der Kolonne auf dem Marsch Richtung Umschlagplatz mit versteckt mitgeführten Waffen die Deutschen an. Alle Aktivist_innen außer Anielewicz fielen bei der Auseinandersetzung. Auch eine Gruppe von Dror wurde gefasst und deportiert, unter ihnen der circa 22-jährige Berl Braude (Brojde) und der 26-jährige Marek Folman.17 Beide sprangen aus dem Zug und kehrten ins Ghetto zurück. Die Zahl der Fluchten aus den Zügen stieg in dieser Phase im Verhältnis zur »Großen Aktion« stark an.

Die ŻOB tötete bei den Kämpfen im Januar 1943 etwa zwölf Deutsche. Die Wirkung war nach innen wie nach außen bahnbrechend: Juden_Jüdinnen hatten sich gegen die Deportation bewaffnet zur Wehr gesetzt, zurückgeschlagen und Deutsche, bislang Alleinherrscher über Leben und Tod, eigenhändig getötet. Die Deutschen brachen die »Aktion« vorzeitig ab. Ab diesem Zeitpunkt war die ŻOB die anerkannte Autorität im Ghetto und bereitete sich fieberhaft auf die erwartete finale »Aktion« zur Vernichtung des Ghettos vor.

Als die SS-Einheiten am Morgen des 19. April 1943 in das Ghetto eindrangen, stießen sie im zentralen Teil des Ghettos an zwei Stellen auf geballten Widerstand der ŻOB-Kampfeinheiten, die einen Panzer in Brand steckten und mehrere Deutsche töteten. Die deutschen Truppen mussten sich zurückziehen. Der Widerstand der ŻOB war – für die Deutschen völlig unerwartet – derart massiv, dass der Bundist Israel Falk von »Ghettograd« sprach.18 Weitere Widerstandsaktionen konnten trotz der großen Unterlegenheit bis Mitte Mai 1943 fortgeführt werden. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Häuser des Ghettos niedergebrannt und zerstört und die überwiegende Mehrheit der Juden_Jüdinnen im Warschauer Ghetto direkt vor Ort ermordet oder nach Treblinka und Majdanek deportiert worden. In dieser Phase sprangen Juden_Jüdinnen trotz geringer Überlebenschancen massenhaft aus den Deportationszügen. Waren Aktivist_innen in den Waggons, organisierten diese systematisch die Flucht, indem sie Bretter aus den Wänden und dem Boden hebelten, die Gitter von den Luken lösten, die Schiebetüren öffneten und zum Teil eine geordnete Schlange der Sprungbereiten koordinierten.19

Widerstandsorganisation und der Aufstand in Treblinka

Im Vernichtungslager Treblinka hatte mit dem ersten Transport, der aus dem Warschauer Ghetto am 23. Juli 1942 eingetroffen war, der Mordbetrieb begonnen; in Bełżec und Sobibór hatte der Massenmord bereits im März beziehungsweise Mai 1942 eingesetzt. Im Lager Treblinka mussten etwa 600 bis 1.000 Juden_Jüdinnen Zwangsarbeit leisten. Unter anderem im »Lager 1« bei der Sortierung der Habseligkeiten der Ermordeten und in verschiedenen Werkstätten zum Erhalt des Lagers, aber auch im »Lager 2«, dem unmittelbaren Mordbereich, bei der Entfernung der Leichen aus den Gaskammern oder deren Verbrennen in den Gruben. Die beiden Lagerteile waren strikt voneinander getrennt, eine Kommunikation war nur punktuell möglich, beispielsweise durch Handwerker, die in beiden Bereichen eingesetzt wurden.

Die überwiegende Mehrheit der Zwangsarbeitenden waren Männer, etwa 25 Jüdinnen hatten in den jeweiligen Küchen der Lagerteile zu arbeiten, bei der Ausbesserung von Kleidung oder in der Wäscherei.

Im Sommer / Herbst 1942 kamen täglich bis zu drei Transporte in Treblinka an, mit etwa 18.000 bis 20.000 Menschen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden die Deportierten direkt ermordet. Da das Bewachungssystem noch nicht strikt durchorganisiert war, gelangen vielfach individuelle Fluchten: Versteckt unter Kleidern der Ermordeten, die in Güterwaggons aus dem Lager transportiert wurden, sprangen Juden_Jüdinnen während der Fahrt von diesen Zügen ab oder flüchteten während der Nacht aus dem Lager. In der Regel kehrten die Geflüchteten in die Ghettos zurück, aus denen sie deportiert worden waren, Viele in das Ghetto Warschau.20 Mehrfach gaben Überlebende an, die Flucht sei kollektiv geplant worden, damit Informationen über Treblinka verbreitet werden konnten.21 Auch mehrere Fluchten und Fluchtversuche größerer Gruppen sind bekannt.22 Dawid Nowodworski, Mitglied von Hashomer Hatzair, der am 17. August 1942 nach Treblinka deportiert worden war, konnte zeitnah fliehen und kehrte ins Ghetto Warschau zurück.23

Mit dem Kommandantenwechsel in der Mordstätte Treblinka24 und neuen, verschärften Bewachungsmaßnahmen, waren ab Ende des Herbstes 1942 Fluchten nur noch in Ausnahmen (erfolgreich) möglich. In den ersten Monaten hatte die Lager-SS mehrheitlich die zur Zwangsarbeit selektierten Juden_Jüdinnen nach kurzer Zeit ermordet und durch neue Zwangsarbeitskräfte aus den täglichen Transporten ersetzt. Neben den weiterhin täglichen Morden an Zwangsarbeitern wurden die Arbeitskommandos nun beständiger. Der tschechische Überlebende Richard Glazar interpretierte die Maßnahme wie folgt: »Man hat wahrscheinlich festgestellt, dass eine richtige [Mord-, FB] Fabrik eine eingearbeitete Belegschaft benötigt.«25 Die personell größere Kontinuität und Stabilität war eine entscheidende Voraussetzung für die Bildung einer breiteren Widerstandsstruktur im Lager.

Die Gefangenen in Treblinka bildeten keine homogene Gruppe: Neben kleineren Gruppen tschechischer, slowakischer und deutscher Juden_Jüdinnen stellten die polnischen Juden_Jüdinnen die große Mehrheit. Die Pol_innen stammten überwiegend aus dem Warschauer Ghetto. Eine größere Gruppe wurde aus den Transporten aus Częstochowa selektiert, von denen etliche ursprünglich aus Łódź stammten. In den Handwerkskommandos arbeiteten viele, die aus kleineren Ghettos der näheren Umgebung deportiert worden waren. Überlebende gaben an, dass Bekannte, die an der Rampe arbeiten mussten, sie gezielt angesprochen und ihnen Hinweise gegeben hatten, wie sie ins Lager selektiert werden könnten. Auf diese Weise verstärkten sich regionale Strukturen und erste Ansätze des Widerstandsnetzwerks bildeten sich heraus. Der sogenannte Lagerälteste Marceli Galewski setzte sich beispielsweise dafür ein, dass vertrauensvolle Männer aus dem Warschauer Ghetto mit militärischer Erfahrung zur Zwangsarbeit selektiert wurden.26 Der Überlebende Samuel Willenberg berichtete, wie er im Oktober 1942 von einem Bekannten aus der Schulzeit aus der Menge gezogen wurde. Laut Willenbergs Aussage begann die konspirative Organisierung in »Lager 1« frühzeitig. Es sei zunächst nur eine kleine Gruppe gewesen, die vor allem Informationen aus Zeitungen und abgehörten Radionachrichten beschafft habe. Auch der Überlebende Jerzy Rajgrodzki erinnerte sich daran, dass das heimliche Lesen von Zeitungen, die sie von den Trawniki-Wachmännern erhalten hatten, im »Lager 2« der Beginn ihrer konspirativen Tätigkeit war.27 Darüber hinaus dokumentierten Mitglieder einer ersten Widerstandsstruktur die Zahlen der Transporte und der ermordeten Juden_Jüdinnen.28

In Treblinka kam es auch zu weitreichenden individuellen wie kollektiven Widerstandsaktionen von Juden_Jüdinnen. Beispielsweise weigerten Frauen sich zu entkleiden, die Deutschen wurden verflucht und in einzelnen Fällen angegriffen. Eine Jüdin sprang, bereits nackt, über einen Zaun, entriss dem ihr folgenden Trawniki-Mann das Gewehr und tötete ihn. Der Bundist und Überlebende Jankiel Wiernik bezeichnete sie als »namenlose Heldin«.29 Eine Gruppe von etwa 30 Personen, wohl aus Grodno oder Białystok, brach von der Rampe in das Lager aus und versuchte zu flüchten. Die meisten fielen im Kampf. Am 11. September 1942 griff Meir Berliner, aus dem Warschauer Ghetto deportiert, zur Zwangsarbeit selektiert und nach einigen Tagen zur Ermordung in der Gaskammer ausgesondert, den SS-Mann Max Biala mit einem Messer an und tötete ihn. Abram Krzepicki, der während der Tat neben ihm stand, berichtete: »Sein Tod war der Tod eines Helden.« Er selbst konnte kurz darauf aus Treblinka fliehen, schloss sich im Warschauer Ghetto der ŻOB an und fiel wohl zu Beginn des Aufstands im April 1943 im Kampf.30

Die größere Gruppe an Zwangsarbeiter_innen, etwa 700, arbeitete im »Lager 1«. Unter ihnen hatten die Kommandos der Handwerker und derjenigen, die die Wertgegenstände zu sortieren hatten – die sogenannten Hofjuden – mehr Möglichkeiten zur illegalen Organisierung, da sie sich freier im Lager bewegen konnten. Zu dieser Gruppe gehörte der Klempner Oskar Strawczyński aus Częstochowa, ursprünglich aus Łódź. Er erinnerte sich daran, dass sie ab den Wintermonaten 1942 kontinuierlich verschiedene Pläne durchgesprochen hatten und schließlich Ende März 1942 ein Komitee gründeten, das einen bewaffneten Aufstand organisieren sollte.31

Der aus Warschau stammende Jankiel Wiernik, der im »Lager 2« Zwangsarbeit leisten musste, wurde als erfahrener Handwerker auch temporär in »Lager 1« eingesetzt und nahm Kontakt zu den dortigen Gefangenen auf. Für die Brücke zwischen den beiden Lagerteilen spielte auch der slowakische Jude Zelomir Bloch eine entscheidende Rolle. Er war frühzeitig eine treibende Kraft in der Organisierung von »Lager 1« und wurde im Frühjahr 1943 zwangsweise in das »Lager 2« versetzt, wo er seine Aktivität fortsetzen und nach einiger Zeit eine Verbindung zum »Lager 1« herstellen konnte.

Der Termin für einen Aufstand musste mehrmals verschoben werden. In diesem Zeitraum zwischen April und Mai 1943 kamen Transporte im Zuge des Aufstands im Warschauer Ghetto im Lager an. Strawczyński berichtete von den demolierten Zügen, denen anzusehen war, dass Menschen massenhaft aus den Waggons geflüchtet waren. Die Ankommenden seien besonders brutal behandelt worden und hätten sich direkt ausziehen ­müssen. Dennoch sei eine Handgranate in das Lager geschmuggelt worden und zur Explosion gekommen.32

Die aus dem Warschauer Ghetto Eintreffenden vermittelten verschiedene Botschaften, die unterschiedlich aufgenommen wurden: Strawczyński nahm die Menschen als verzweifelt wahr, es gebe keinen Ort, an den man fliehen oder sich verstecken könne, hätten sie berichtet: »Mit einem Wort, sie entmutigten uns total.«33 Samuel Willenberg gab seine Wahrnehmung so wieder, dass die Information über den Aufstand entscheidend für den eigenen Beschluss zum Aufstand in Treblinka gewesen sei: »Wir waren wie elektrisiert von den Nachrichten über den Aufstand. […] Abends summte es in den Baracken wie in einem Bienenhaus. Auf jeder Pritsche diskutierten die Menschen fanatisch. Nach einigen Tagen wurde auf der Versammlung der Hauptorganisatoren beschlossen, zur Zerschlagung von Treblinka Waffen einzukaufen. Ich selbst war auch auf der Versammlung. Sie fand in der Tischlerei statt. Es versammelten sich 150 Vertreter der verschiedensten Kommandos, vorwiegend die Hofjuden, Sattler, Schuhmacher, Schreiner, bei den Pferden beschäftigte Personen und das bei den Deutschen arbeitende Hauspersonal.«34 Ähnlich sind auch die Erinnerungen von Chil Rajchman: Die Nachricht von bewaffnet kämpfenden Juden_Jüdinnen habe in ihnen den »Willen, sich aus Treblinka zu befreien« erweckt.35 Und auch der Überlebende Samuel Rajzman gab an, dass »Die Informationen, die uns in sehr bescheidenem Umfang vom Aufstand im Warschauer Ghetto erreichten, uns großen Mut verliehen, selbst zur Tat zu schreiten. Wenn die Aufständischen im Warschauer Ghetto den hoffnungslosen Kampf allein deswegen gewagt hatten, um zumindest zu einem sehr kleinen Teil das ungeheure Leid, das Martyrium des jüdischen Volkes zu rächen, so beschlossen auch wir in Treblinka, dass dieses Lager ein für alle Mal aufhören müsse zu existieren.«36 Die Überlebende Sonia Lewkowicz hingegen sagte aus, im »Lager 2« hätten sie keinerlei Informationen über den Aufstand im Warschauer Ghetto erhalten.37 Dies zeigt, wie disparat einerseits die Rezeption und andererseits die Informationslage von verschiedenen Gefangenen war, jedoch auch, wie bedeutsam der Aufstand im Ghetto Warschau für Beteiligte des Aufstands in Treblinka war.

Ziele des Aufstands, Organisierung und Plan

Als zentrale Ziele nennen die Überlebenden das Zerstören der Mordfabrik, Rache und Flucht und damit die Chance auf ein Überleben sowie die Möglichkeit, sich den Partisan_innen, anzuschließen.38

Die Organisierung des Aufstands fand in beiden Lagerteilen statt, das strategische Zentrum lag jedoch im »Lager 1«, vor allem bei den Mitgliedern der »Hofjuden«. Die von den Überlebenden genannten führenden Köpfe hatten größtenteils wichtige Funktionen inne und waren »Kapo«, »Vorarbeiter«, »Lagerarzt« und sogar »Lagerältester«. Es waren vor allem polnische Juden, aber auch die Gruppe der tschechischen und slowakischen Juden war beispielsweise mit Zelo Bloch vertreten.39 Viele der maßgeblichen Organisatoren waren über 40 Jahre alt und hatten militärische Erfahrungen oder waren, wie Zelo Bloch, Offiziere. Die Gefangenen organisierten sich in Gruppen von jeweils fünf bis zehn zuverlässigen Personen, die für den Aufstand bestimmte Aufgaben erhielten. In den Kommandos der »Hofjuden«, so die Angabe Willenbergs, seien zum Ende hin alle in die Vorbereitungen involviert gewesen.40

Aus den Berichten der Überlebenden ergeben sich zentrale Elemente der Aufstandskonzeption: Waffen sollten aus der Waffenkammer entwendet und dafür der Schlüssel nachgemacht werden. Dieser Plan konnte trotz diverser Probleme umgesetzt werden. Alles, was sich als Hieb- und Stichwaffe eignete, wurde massenhaft produziert. Über einen längeren Zeitraum entwendeten Gefangene Benzin, das am Aufstandstag mit einem Desinfektor auf die Holzbaracken gesprüht wurde und den Brand beschleunigen sollte. Die Wachleute sollten von den Türmen gelockt, die Unterkunftsbaracken gestürmt und alle angetroffenen Deutschen wie Trawniki-Männer getötet werden.41 Die Gruppen sollten am Nachmittag um 16.00 Uhr nach einem vereinbarten Signal zeitgleich losschlagen. Wohl aufgrund einer unklaren Situation, die aus Sicht der Organisatoren zu einer Verhinderung des Vorhabens hätte führen können, wurde das Signal zum Aufstand früher gegeben. Daher konnte der ursprüngliche Plan, so die Einschätzung verschiedener Überlebender, leider nicht vollständig erfolgreich durchgeführt werden. Im Ergebnis konnte jedoch das Lager bis auf die Gaskammern abgebrannt, Dutzende Deutsche und Trawnikis getötet werden und mehrere Hundert Gefangene in die umliegenden Wälder fliehen. Etwa 90 Aufständische sind namentlich bekannt, die das Kriegsende erlebten.

Resümee

Treblinka als zentraler Vernichtungsort (nicht nur) der Warschauer Juden_Jüdinnen war für den organisierten Widerstand im Warschauer Ghetto von immenser Bedeutung. Die Parole lautete, sich möglichst nicht dorthin transportieren zu lassen und Widerstand gegen die Deportation zu leisten, sich zu verstecken oder aus den Waggons zu flüchten. Umgekehrt wurden Juden_Jüdinnen von ihren Kamerad_innen bei ihrer Flucht aus dem Todeslager unterstützt, um die Information über Treblinka in den Ghettos, unter anderem in Warschau, zu verbreiten. Je mehr über das Massenmorden in Treblinka bekannt wurde, desto mehr Menschen schlossen sich dem Widerstand im Warschauer Ghetto an und flüchteten aus den Deportationszügen.

Die ŻOB hatte mit ihrer Strategie für den Aufstand im Warschauer Ghetto die gesamte Ghettobevölkerung im Blick. Die Widerstandsstruktur in Treblinka war auf beide Lagerteile ausgerichtet.42 In beiden Fällen übernahmen die Widerstandsstrukturen Verantwortung für die gesamte Situation. In Warschau war das Ziel, so weit wie möglich den Deutschen Widerstand entgegenzusetzen, nicht die Waggons zu besteigen und sich nicht nach Treblinka deportieren zu lassen. Mit einem Überleben rechnete kaum jemand. In Treblinka stand im Vordergrund, das Vernichtungslager zu zerstören, sich an den deutschen Tätern zu rächen, die Flucht und damit auch neben der Möglichkeit des Überlebens den Kampf außerhalb des Lagers gegen die Deutschen zu führen.

Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Aufstand im Warschauer Ghetto und der Revolte in Treblinka ist aus den Quellen nicht ersichtlich. Inwieweit Mitglieder des organisierten Widerstands im Warschauer Ghetto an der Vorbereitung und Durchführung des Aufstands in Treblinka beteiligt waren, ist nicht bekannt. Mehrere Aktivist_innen des Widerstands in Treblinka gaben jedoch an, dass für sie die Informationen zum Aufstand im Warschauer Ghetto den entscheidenden Impuls darstellten, den Aufstand zu wagen. Verbindende Momente waren der unbedingte Wille, sich den Mördern bewaffnet entgegenzustellen, die Vernichtungspolitik zumindest zu blockieren, möglichst viele der Täter zu töten und Rache zu üben, aber auch: zu überleben. Individuelle wie kollektive Fluchten spielten dabei eine essenzielle Rolle: aus dem Ghetto, aus dem Todeslager und aus den Deportationszügen. Die massenhaften Sprünge trotz Todesgefahr aus den Deportationszügen während des Aufstands im Warschauer Ghetto zeigen die hohe Bereitschaft, bis zur letzten Minute Widerstand zu leisten. Der organisierte Widerstand schuf hierfür im Vorfeld wie auch oft in den Waggons selbst systematisch die Grundlagen.