Die sogenannte Aktion Erntefest
Die »Aktion Erntefest« gilt als Ende der »Aktion Reinhardt«. Mit dem Begriff beschrieben die NationalsozialistInnen die größte Erschießungsaktion im Rahmen der »Endlösung«. Am 3. November 1943 wurden über 18.000 Juden_Jüdinnen im KZ Majdanek ermordet, 8.000 jüdische Gefangene aus dem Lager selbst sowie weitere aus anderen umliegenden Arbeitslagern. Am selben Tag wurden weitere 7.000 Juden_Jüdinnen in dem Lager Trawniki, am 4. November 15.000 in Poniatowa ermordet. Im gesamten Distrikt Lublin, einem der fünf Verwaltungseinheiten des besetzten Generalgouvernements, wurden innerhalb dieser beiden Tage etwa 40.000 Juden_Jüdinnen ermordet, der Distrikt wurde anschließend für »judenrein« und die »Aktion Reinhardt« für abgeschlossen erklärt. In Majdanek wurde diese Aktion von den nichtjüdischen Gefangenen beobachtet und als »Blutmittwoch« bezeichnet.
Die genauen Gründe der Entscheidung für die Erschießungsaktion sind nicht vollständig zu klären. Heinrich Himmler gab am 19. Oktober 1943 die Anweisung zur Liquidierung aller Juden_Jüdinnen im Distrikt Lublin. Mögliche Gründe waren innerparteiische Machtkämpfe zwischen der SS und dem Wirtschaftsverwaltungshauptamt, aber möglicherweise auch die Aufstände in Treblinka, Sobibor wie auch im Warschauer Ghetto. Der Befehl Himmlers wurde durch den SS- und Polizeiführer des Distrikts Lublins Jakob Sporrenberg, Nachfolger Odilo Globocniks, durchgeführt, der Ende Oktober in Krakau über die Entscheidung der Liquidierung informiert wurde. In den drei Lagern wurden in den folgenden Tagen von Gefangenen Gräben ausgehoben, die offiziell als vermeintliche Schutzgräben vor der sich nähernden Roten Armee getarnt wurden. In Majdanek mussten etwa 300 Gefangene in Tag- und Nachtschichten drei oder vier Gräben von 100 Metern Länge und 2 Metern Tiefe in einer Zickzacklinie graben. Am Tag vor der Massenexekution trafen weitere SS- und Polizeieinheiten in Lublin ein. Die Aktion begann frühmorgens am 3. November und alle jüdischen Gefangenen wurden nach dem Morgenappell in Majdanek zum sogenannten Feld 5 gebracht. Weitere Gruppen von jüdischen Gefangenen aus den nahegelegenen Arbeitslagern »Alter Flugplatz« und »Lipowa«, als auch den Außenkommandos wurden nach Majdanek geführt. Alle jüdischen Gefangenen mussten sich entkleiden und wurden in Reihen in die Gruben gedrängt. Sie mussten sich in die Gräben oder auf die anderen bereits ermordeten Juden_Jüdinnen legen und wurden erschossen. Um die Schüsse zu übertönen, wurde während der Exekutionen über Lautsprecher klassische Musik gespielt. Trotzdem wurden alle nichtjüdischen Gefangenen in Majdanek Zeug_innen der Erschießungsaktion. Die Exekution dauerte den ganzen Tag an. Die Männer der Polizeieinheiten wechselten sich ab und fuhren anschließend gemeinsam zum Abendessen in die Stadt. Trotz der absoluten Kontrollmaßnahmen der SS- und Polizeieinheiten gab es auch während der Exekution Widerstands- und Fluchtversuche von Juden_Jüdinnen. In Trawniki gelang es einer Gruppe jüdischer Gefangener, sich im Lagerbereich zu verstecken und zu flüchten. In Poniatowa ist eine Widerstandsaktion von jüdischen Gefangenen bekannt. Der Untergrundgruppe gelang es vor der Exekution zu fliehen, mehrere Baracken anzuzünden und aus einer Baracke heraus auf die Wachmänner zurückzuschießen. Die Baracke wurde daraufhin durch die NationalsozialistInnen angezündet und die Gruppe Aufständischer ermordet.
In Majdanek wurde eine Gruppe von etwa 300 Frauen und 300 Männern als sogenannte Arbeitsfähige ausgewählt und während der Exekution nicht ermordet. Sie mussten in den darauffolgenden Tagen die Kleidung der Ermordeten sortieren und die Leichen in den Gruben verbrennen. Das Verbrennen der Leichen dauerte etwa zwei bis drei Monate, die Männer wurden anschließend direkt ermordet. Die Frauen wurden nach Auschwitz deportiert und dort ebenfalls ermordet. Einigen Frauen gelang während der Deportation die Flucht aus den Zügen. Eine der Frauen, die die Flucht aus dem Zug überlebt hat, ist Henrika Mitron.
Sie berichtet:
»Es war noch früh am Morgen, als wir den Flugplatz verließen. Wir wurden auf Feld V gebracht. Im Gegensatz zu früher stand nunmehr in der Mitte von Feld V eine riesige Baracke, in der sich schon furchtbar viele Leute befanden. Es kam dann ein SS-Mann herein, stellte sich auf einen Tisch oder Ähnliches und zeigte auf die Leute. Was er sagte, verstand ich nicht. Ich ahnte vorher, dass wir alle erledigt werden sollten, und meinte nun, dass er einige für eine Arbeit selektierte. Ich schob mich daher langsam zu der Gruppe der Ausgesuchten und verließ mit ihnen die Baracke. Man führte uns zu einer anderen Baracke in der Nähe. Wir waren 300 Frauen und wurden dort eingesperrt. In der Baracke blieben wir für Stunden oder einen Tag. Am nächsten Tag fand ich heraus, dass auch 300 Männer ausgesondert worden waren. Als wir wieder herauskamen, existierte die Riesenbaracke nicht mehr. Während meines Aufenthalts in der Baracke hörte ich dröhnende Musik; Schüsse habe ich nicht gehört. In der Zeit danach musste ich die Kleider der Erschossenen sortieren. Untergebracht war ich auf dem Feld V in dem Block, in den wir von der Riesenbaracke aus gekommen waren. Dort blieb ich bis zum 14. April 1944. Ich sollte dann nach Auschwitz gebracht werden, sprang aber unterwegs vom Zug. Wie ich später hörte, ist der Transport in Auschwitz umgebracht worden. 13 Frauen sind unterwegs insgesamt geflüchtet; von ihnen haben jedoch nur zwei überlebt, ich und ein junges Mädchen.«1