»Die Frage des Kommunismus bleibt, so sehr sie verdrängt wird, das Herz der Zeit.« (102)

Selten hat man Anarchist_innen so oft von Kommunismus, Struktur und Organisation reden hören können und zugleich einen ambitionierten Versuche bestaunen dürfen, dem Elend der Gegenwart eine poetische Hoffnung abtrotzen zu wollen. Tragisch bleibt nur, dass Diagnose und Ausweg meilenweit entfernt liegen, indem zum x-ten Mal der Versuch unternommen wird, die Paradoxien von bürgerlicher Gesellschaft, Kapitalismus und deren Gegenbewegungen einfach aufzulösen. Dabei sind bestimmte Analysen durchaus durchdacht und eindrucksvoll: Erstens die Kritik der Polizei als Symptom eines zerfallenden Nationalstaats, welche selbst aufgerieben ist zwischen dem absoluten Gehorsam und dem eigenen Bedürfnis »das Gesindel auszumisten« (95). Zweitens das Absterben der Bedeutung klassischer (Lohn-)Arbeit beispielhaft bei Deliveroo, Uber, et cetera bei gleichzeitiger Ausweitung des Kapitalverhältnisses, wobei aufgezeigt wird, dass alternative Verdienstmöglichkeiten notwendig sind, weil die Lohnarbeit immer prekärer wird. Drittens die Kritik gängiger – letztlich sozialdemokratischer – Alternativen, die sich auf das Kollektiv berufen, welches die Menschen aus der Einsamkeit des Kapitalismus herauszuführen verspricht.

Der Weg aus der Einsamkeit ist das Ziel der Autor_innen der Flugschrift. Diese ist alles andere als eine nüchterne Analyse, sondern eine Intervention und ein Versuch die eigene Praxis zu begründen. Die Kritik an den sozialdemokratischen Organisationen basiert auf der Feststellung, dass der Kapitalismus ganz gegen seine Kritiker_innen nicht auf der Individualität, sondern auf der Kollektivität beruht, weshalb auf dem Kollektiv kein »ganz Anderes« aufgebaut werden kann. Mit Heiner Müller (118) und Arthur Schopenhauer (110) wird die Dichotomie von Gesellschaft und Individuum in einem problematischen Spannungsfeld beschrieben, in dem es gerade die, durch die gesellschaftliche Totalität des Kapitalismus heraufbeschworenen, Bedürfnisse des entweder oder und der allgemeinen Konkurrenz sind, die Menschen grundlegend inkompatibel und zugleich aufeinander angewiesen zurücklassen. Heraus kommen Kollektive in denen sich stets nur Interessen bündeln und im Namen des jeweiligen Interesses aus »Ich! Ich! Ich!« ein »Wir! Wir! Wir!« wird. Daher ist es gerade das Kollektiv – ob nun Stadtteil, Sportverein, Arbeiter_innenklasse, oder Nation – in dem »das atomisierte Individuum unter der Widersinnigkeit und dem Elend seiner Existenz leidet« (117). Ironischerweise stellt sich auch das Unsichtbare Komitee als »anonymes Kollektiv« vor.

Zugleich ist diese Kollektivität eine der Postmoderne, also eine der Fragmentierung. Die »objektiven« Kollektive der Moderne, allen voran die Klasse, haben sich aufgelöst und lassen die subjektive Identität als einziges Bindeglied gemeinsamer Handlung erscheinen. Deren politische Organisierung tritt jedoch längst nicht mehr mit dem Anspruch des Universalismus auf. Es ist also durchaus zu begrüßen, dass diejenigen die sich auf Kollektive beziehen, von Trump über Mélenchon bis zu Nuit debout, von den Autor_innen mit Spott beziehungsweise Verachtung überzogen werden. Die Fragmentierung, das Ende aller kollektiven Aktion wird dagegen zum Ausgangspunkt der vorgestellten Praxis. Insgesamt wird deutlich, ohne dass es in der Flugschrift explizit ausgesprochen wird, dass genau diese Situation das Subjekt und ganz besonders das (potentiell) dissidente Subjekt in eine umfängliche Ohnmacht versetzt. Es gibt keine gemeinsamen Erfahrungen und daher auch keine gemeinsame Vorstellung eines Besseren, oder auch nur eines Aufbegehrens. Dem Fehlen eines größeren, wenn nicht gar universellen Programms hält das Komitee die Unmittelbarkeit der Körper entgegen. Damit versuchen die Autor_innen sich an einer Antwort des praktischen Problems der Ohnmacht – eine Antwort, die jedoch gerade wegen ihres Existentialismus durchaus vorbelastet ist.

Linke Theorie ist stets damit beauftragt eine zeitgemäße Antwort auf die Frage nach dem Subjekt der Geschichte zu geben; eine Frage die sich durch die Offenkundigkeit der fragmentierten Ohnmacht grundlegend verändert hat und zugleich, wenn überhaupt, nur noch selbstreferentiell und eindeutig beantwortet wird. Im Gegensatz zu den meisten gegenwärtigen linken Positionen ist der Umgang mit Ohnmacht hier weder Resignation noch jetzt-erst-recht, sondern eine Suche nach Momenten der Wahrheit, in dem Sinne dass die Brüche, das Aufbegehren zugleich etwas über die objektiven Bedingungen und mögliche Formen des Widerstandes erzählen können.

Leider scheitert der Vorschlag des Unsichtbaren Komitees gerade daran, dass er entgegen des eigenen Anspruchs nicht das Scheitern, Scheitern sein lässt. Auf die Feststellung der grundlegenden Falschheit von Individuum und Gesellschaft muss beides »abgesetzt« werden, muss aus der Dichotomie »desertiert« werden. Doch die Frage ist: Wohin desertieren? Die Antwort der Autor_innen: In die Gemeinschaft der unmittelbaren Körper und ihrer Liebe zueinander, um sich der Fragmentierung der Welt zu entziehen. Der Anspruch der emanzipatorischen Entwicklung aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus wird hier bekannt wörtlich genommen und so zum Exodus. Zugespitzt wird die ganze Absurdität in der Verklärung der »Demospitze« (meist junge Autonome, die die klassischen Demonstrationen der Gewerkschaften gegen das loi travaille im Frühjahr 2016 kaperten und anführten) zu »einer Vision, einer Vorhersehung« (118f) des Kommunismus und der radikal neuen und kommunistischen Erfahrung. Das erinnert dann doch erschreckend an all die euphorischen Demoberichte, wenn im Nachhinein voller Selbstüberschätzung verkündet wird, dass man ›seine Ziele erreicht hat‹, ›kreativ und widerständig war‹, ›den Ablauf um x Minuten verzögert hat‹ und so weiter. Im Unterschied dazu findet sich allerdings beim Unsichtbaren Komitee zumindest eine theoretische Fundierung von Riot und Zerstörung. »Die destituierende Geste […] neutralisiert sie [die Institution], entleert sie ihrer Substanz, macht einen Schritt zur Seite und schaut zu, wie sie ihr Leben aushaucht.« (64) Die Demolierung von Straßenzügen während der Demonstrationen gegen das loi travaille werden hier als spontanes außer Kraft setzen der Institution des Privateigentums gesehen: »Die Zerstörung ist demnach Bejahung, ist Aneignung« (69).

Das Komitee nimmt Marx’ und Engels’ Diktum wörtlich, laut dem der »Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt« (MEW 3: 35). sei, wobei hier einfach die physische Bewegung auf einer Demonstration gemeint wird. Im Duktus des Unsichtbaren Komitees ist das die mythische Figur der »kommunistischen Geste«. In anarchistischer Tradition ist also die Versöhnung notwendig und vor allem in der direkten Aktion konkret möglich – so wir nur wollen – und zwar Jetzt! Fast möchte man so wieder für ein Bilderverbot des Kommunismus das Wort ergreifen, um dem um sich greifenden Trend, die eigene, oder auch nur irgendeine Praxis als besonders emanzipatorisch zu theoretisieren, Einhalt zu gebieten.

Bei der Flugschrift handelt es sich zugleich um eine wortgewandte und scharfsinnige Analyse bestimmter Momente der gegenwärtigen, kapitalistischen Gesellschaft der Postmoderne, wie auch um eine Begründung der eigenen (Gegen-)Praxis. Die Abwesenheit jedweder Technik und Produktionsmittel in der Analyse und der Optimismus mit dem eigenen Umfeld hier und jetzt Kommunismus machen zu können, begründet lediglich den Exodus einer selbstgenügsamen Kommune: »Für den Kommunisten streckt sich die Welt wichtiger Fakten, so weit das Auge reicht.« (114) Nichtsdestotrotz schafft es das Unsichtbare Komitee doch mit viel Liebe zur Sprache und zum eigenen Projekt, der Tristesse zwischen akademischer Linken und (partei-)politischem Elend etwas entgegenzusetzen.

 

Christoph Sommer

 

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Das Unsichtbare Komitee (2017): Jetzt, Nautilus: Hamburg.

Karl Marx und Friedrich Engels (1969): Deutsche Ideologie. In: MEW 3, Berlin.