Die wachsende Bedeutung wettbewerbsgebundener Geldquellen gegenüber der Grundfinanzierung der Universität steigert die Attraktivität privat geförderter Forschung in den Sozialund Geisteswissenschaften. Dabei kann man sich auf eine ehrwürdige Tradition des Mäzenatentums berufen – von der Gründung des Frankfurter Instituts für Sozialforschung bis hin zu dessen Hamburger Namenszwilling. Ein neues, schillerndes Beispiel bildet das New Institute des Reeders Erck Rickmers: luxuriös, umstritten und jetzt schon wieder geschlossen. Dieser Fall zeigt: Die private Wissenschaftsfinanzierung hat ein strukturelles Freiheitsproblem.

Rickmers ist 61 Jahre alt. Ein Artikel in der ZEIT beschreibt ihn als einen »Mann mit einnehmender Art, offenem Hemdkragen und der gepflegten Lässigkeit eines amerikanischen Start-up-Investors«.1 Sein Geld hat er wie alle hoch Vermögenden gemacht, die etwas auf sich halten: Durch Geburt in eine Familienunternehmer-Dynastie, deren Grundstock an Kapital er durch eigene Investitionen weiter vermehrte. Und wie alle Vermögenden, die etwas auf sich halten, ereilte ihm nach dem Ausstieg aus dem unternehmerischen Tagesgeschäft eine Midlife-Crisis. So erfährt man, dass Rickmers nach dem kurzen Versuch einer sozialdemokratischen Politikerlaufbahn auf Sinnsuche in die USA aufbrach und dort drei Jahre Religionswissenschaft studierte. In diesem Zuge fiel ihm auf, dass den Geistes- und Sozialwissenschaften in unserer heutigen Welt zu wenig Aufmerksamkeit zuteilwerde. Dieser Geistesblitz war zugleich der Impuls hinter dem New Institute.

Long story short: Rickmers kaufte neun Hamburger Stadtvillen in bester Lage und ließ sie für mehrere Millionen Euro herrichten, um sie zur Heimstätte einer Denkfabrik zu machen, die nichts Geringeres beanspruchte, als die menschliche mit der nicht-menschlichen Natur und ökonomische mit moralischen Werten zu vereinen.2 Das sollten bis vor kurzem noch Aktivistinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen, Unternehmerinnen und Wissenschaftlerinnen als Fellows leisten, die in verschiedenen research areas mit so konzisen Titeln wie The Human Condition in the 21st Century angesiedelt waren.3 Doch in den Stadtvillen wurde nicht nur am Jahrhundertmenschen gewerkelt, man wohnte auch luxushotelähnlich und wurde durch hauseigene Köchinnen verköstigt. Doch damit soll nun endgültig Schluss sein.

Private Offensive: Zur Lage der Universität

Nun kann man sich über die Tatsache amüsieren, dass in teuren Villen, an teuren Schreibtischen im Herzen des teuersten Viertels in Hamburg über »Konzeptionen menschlichen Gedeihens« nachgedacht wurde4, nur um am Ende zähneknirschend einzugestehen, dass das Ganze sein Geld nicht wert ist. Doch bevor man in Häme abdriftet, sollte man Rickmers Vorhaben im Kontext der Entwicklungen der Universitätslandschaft der letzten Jahrzehnte sehen. Diese legt Peter-André Alt, ehemaliger Präsident der FU Berlin sowie der Hochschulrektorinnenkonferenz, in seinem zwar wenig radikalen, aber informativen Buch Exzellent!? Zur Lage der Deutschen Universität ausführlich da.5 Auf die durch die Warnungen vor einem drohenden Bildungsnotstand hervorgerufene Phase der Bildungsreform und expansion sowie die Umstellung zur Massenuniversität ab Mitte der 1960er Jahre, folgte eine Phase der Stagnation. Die Integration der ostdeutschen Universitäten nach der Wende brachte eigene Herausforderungen mit sich, was eine Verzögerung dringend notwendiger Veränderungen der buchstäblich verfallenden westdeutschen Universitäten zur Folge hatte. In den 90er Jahren kam allmählich wieder Schwung in den Betrieb – allerdings deutlich neoliberaler Prägung. Die dominanten und schließlich erfolgreichen Reformvorschläge beschränkten sich auf ein funktionalistisches Bildungsverständnis. Die Universität sollte in erster Linie schlanker sowie leistungs- und wettbewerbsorientierter werden. Um das zu gewährleisten, wurde der Fokus auf eine primär an Resultaten und Zwecken bemessene Finanzierung gelegt. Das hat zur Folge, dass die staatliche Grundfinanzierung zugunsten der Einwerbung von zusätzlichen (öffentlichen oder privaten, aber in jedem Fall erfolgsorientierten) Drittmitteln in den Hintergrund rückt, was unsichere Arbeitsverhältnisse im Mittelbau und eine Papierflut an Projektanträgen schafft. Zusätzlich sorgt die Notwendigkeit zur allgemeinen Überprüfbarkeit von Forschungserfolgen für einen Wust an Evaluations-Bürokratie – von der mit dem Konkurrenzdruck einhergehenden Normierung der wissenschaftlichen Methoden und Inhalte ganz zu schweigen.

Das Tragische dabei: Unter dieser Entwicklung leiden die Geistes- und Sozialwissenschaften tendenziell stärker, da ihr ökonomisches Anwendungspotenzial geringer ausfällt. Das zeigt etwa ein Blick auf die wohl aktuell wichtigste zusätzliche Finanzierungslinie, die sogenannte Exzellenzstrategie. Die dadurch bereitgestellten öffentlichen Mittel von mehreren hundert Millionen Euro sind an einen Wettbewerbsmechanismus gebunden, bei dem per Beschluss eines Expertinnengremiums mit intransparenten Kriterien schließlich einige wenige wissenschaftliche Projekte – und im Nachgang die daran beteiligten Universitäten6 – im Geld schwimmen, während die übrigen Forschungsfelder und Institutionen weiterhin auf Sparflamme brennen. Aus den für die nächste Periode eingereichten 143 Antragsskizzen haben es vergangenes Jahr nur 41 Forschungsinitiativen in die zweite Runde geschafft.7 Von dieser ohnehin nur sehr geringen Zahl weisen die allerwenigsten eine genuin sozial- oder geisteswissenschaftliche Orientierung auf.8 Das ist nicht zuletzt für den Frankfurter Kontext interessant: Das mit viel bürokratischen und wissenschaftlichen Mühen aufgebaute sozialtheoretische Projekt ConTrust (an dem so schillernde Namen wie Martin Saar, Rainer Forst, Nicole Deitelhoff und Thomas Biebricher beteiligt sind)9 scheiterte am Gremium – genau wie seinerzeit der Verlängerungsantrag des Ex-Exzellenzclusters The Formation of Normative Orders.

Nun sind es aber genau solche Forschungsbereiche, deren Bedeutung angesichts der derzeitigen Krisen kaum genug betont werden kann – und deren Aufmerksamkeitsverlust Erck Rickmers mit der Gründung des New Institute explizit entgegenwirken wollte. Vor dem Hintergrund dieser (bildungs-)politischen Entwicklungen erscheint die private Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften in einem neuen Licht. Akut bietet sie einen Ausweg aus Geldnot, prekärer Arbeit, Normierungsdruck und Antragsstapeln. Außerdem kann sich dieses Finanzierungsmodell auf eine ganze Tradition des sozialtheoretischen Mäzenatentums in Deutschland stützen.

Only Nixon could go to China: Privat finanzierte Sozialtheorie in Deutschland

Zu dieser Tradition zählte zuvorderst das berühmte Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS), das 1923 aus den privaten Mitteln von Lucio Felix José Weil gegründet wurde – Sohn des deutsch-argentinischen Unternehmers Hermann Weil, der Millionen mit dem Handeln von Getreide verdient hat. Diese privaten Eigenmittel wurden zu einem schlagenden Verkaufsargument in den schwierigen Gründungsverhandlungen des Instituts mit der Frankfurter Universität und den zuständigen Ministerien.10 Sie sicherten der Forschungseinrichtung trotz seiner klar marxistischen Ausrichtung während der turbulenten Jahre bis zur Naziherrschaft und später im Exil eine wissenschaftlich-politische Unabhängigkeit11, die in der öffentlichen Forschungslandschaft ansonsten niemals zu haben gewesen wäre.12

Auch dessen Namenszwilling an der Elbe, das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS), wurde von einem Mäzen ins Leben gerufen: Dem aus einer wohlhabenden Tabakwarendynastie stammenden promovierten Literatur- und Sozialwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma. Der Millionär verkaufte in den Achtzigern seine Geschäftsanteile am Zigarrenimperium und gründete 1984 das HIS, das er auch selbst fünfundzwanzig Jahre leitete. Und das mehr als erfolgreich.13 Besonders in Bezug auf seinen Themenschwerpunkt der Gewaltforschung ist es eines der wichtigsten sozialwissenschaftlichen Institute überhaupt – mit hochkarätigen Veranstaltungen, hauseigenem Verlag, Zeitschrift, Podcast und Blog. Dieser wissenschaftliche Erfolg lässt sich nicht ohne die Unabhängigkeit von den langwierigen, öffentlich finanzierten Forschungszyklen denken, die aus dem Finanzierungsmodell folgt: Seit Jahrzehnten wird das Institut von Reemtsma fast gänzlich aus privaten Mitteln finanziert.14

Daneben findet sich gegenwärtig noch ein Beispiel privatfinanzierter Sozialforschung, das nicht nur strukturell, sondern auch inhaltlich in der Frankfurter Tradition steht: Das Centre for Social Critique geleitet von den kritischen Theoretikerinnen Rahel Jaeggi und Robin Celikates. Angegliedert an die Humboldt-Universität zu Berlin, aber 2018 aus privatem Vermögen gegründet und am Laufen gehalten, beschäftigt sich das Institut mit den Krisen von Kapitalismus und Demokratie.15 Von außen ergibt sich der Eindruck, dass das gut zu klappen scheint, denn der öffentliche Auftritt des »Centres« schindet Eindruck. Unter dem Namen Critical Theory in Berlin organisiert und bewirbt es zahlreiche Veranstaltungen mit großen Titeln und Namen: von Workshops über Summer Schools bis hin zu den alljährlichen Walter Benjamin Lectures mit hochkarätigen Vortragenden.16 Die dafür notwendigen Millionen stammen ausgerechnet aus der New Institute Foundation – und damit aus der Brieftasche des uns bereits bekannten Reeders Erck Rickmers.

Billiger Hohn

Die Ähnlichkeit, die diese Auflistung prominenter Fälle nahelegt, soll nicht über etwaige eklatante Differenzen hinwegtäuschen. Gewiss ist oder war die genaue organisatorische Struktur in jedem Fall unterschiedlich, von den inhaltlichen Ausrichtungen der Forschung, der Motivation der Gründer und dem Gesamtkontext ganz zu schweigen.

Der ausladende Stil der klassizistischen Hamburger Stadtvillen samt Privatkoch sind etwas anderes als die klösterlich-asketische Aura des ersten IfS-Gebäudes. Anders als Rickmers waren bzw. sind solche Figuren wie Weil und Reemtsma ausgebildete Wissenschaftler. Und trotz allen Geredes von »Transformation« sollten die Vorstellungen der jeweiligen Finanziers davon, worin dieser Gesellschaftswandel genau bestehen soll, von Fall zu Fall variieren. Daneben gibt es jedoch diese eine Gemeinsamkeit: Das Prinzip der privaten Finanzierung einer Sozialtheorie mit kritischem Anspruch.

Warum erntete also gerade Rickmers New Institute so viel Kritik? Bisherige Kommentierungen konzentrieren sich auf den Corporate-Jargon der Öffentlichkeitsarbeit, das Luxusdesign der Immobilien, die Personalie des Mäzen und den Mangel an seriösem wissenschaftlichem Output.17 Das mag richtig sein, doch dadurch wird eine tiefere Ebene verpasst, die nicht allein das New Institute, sondern die private Finanzierung insgesamt betrifft: Die Gleichzeitigkeit von Abhängigkeit und Unabhängigkeit, die diesem Forschungsformat innewohnt.

Wissenschaftsfreiheit der Nicht-Beherrschung

Auch wenn sich die Wissenschaft durch private Mittel eine gewisse Unabhängigkeit erkauft, macht sie sich in anderer Form abhängig. Denn wirklich unabhängig ist sie eben nur, solange der Geldgeber sein Geld gibt. Dass das nicht nur theoretisch gilt, zeigt neben dem New Institute auch das HIS. Ausgerecht in seinem vierzigjährigen Jubiläumsjahr verkündete Reemtsma die Abwicklung des Projektes. Der Betrieb läuft noch bis 2028 weiter, danach werden hauseigener Verlag und Zeitschrift eingestampft – genau wie die Verträge der aktuellen Mitarbeiterinnen. Angesichts der wissenschaftlichen Bedeutung des Instituts sind die Gründe für die Entscheidung nicht ganz ersichtlich. Reemtsma fühlt sich wohl zu alt und will das HIS bislang an keine andere Einrichtung angliedern.18

Das New Institute folgte diesem Trend kurz darauf. In einem Interview mit der ZEIT begründet Erck Rickmers den Entschluss mit der Kluft zwischen Idealität und Realität: Eigentlich habe das Institut einen Beitrag nicht nur zu Theorie, sondern auch zur Praxis leisten wollen, was so schnell nicht möglich war. Die derzeitigen Krisen erlauben jedoch kein »jahrzehntelanges Rumprobieren«, wie es in den Geistes- und Sozialwissenschaften üblich sei. Insofern das Projekt ebenso effektive wie tiefgründige Interventionen in den Diskurs in Aussicht gestellt habe, sei es an den eigens geschürten Erwartungen gescheitert – overpromise and underdeliver.19 Im Juni diesen Jahres soll Resümee gezogen und eine Abschlusskonferenz gehalten werden, danach endet die interdisziplinären Krisenverständigung in der Altbauvilla.

Beide Fälle verdeutlichen die Abhängigkeit der Forscherinnen von dem Spendergeist des Mäzens. Diese Abhängigkeit lässt sich mit dem Politischen Theoretiker Philipp Pettit als eine spezielle Form der Unfreiheit deuten. Pettit hat ein Freiheitskonzept entwickelt, das er als die »Freiheit der Nicht-Beherrschung« bezeichnet. Dieses Konzept ist zugleich strenger und weniger streng als herkömmliche Vorstellungen. Es ist weniger streng, da nicht jede äußere Intervention als Eingriff in die eigene Freiheit zu gelten hat, sondern allein willkürliche. Das sind Eingriffe, »die nicht die relevanten Interessen des Betroffenen widerspiegeln«.20 Eine Alkoholikerin vom Konsum abzubringen ist in diesem Sinne kein Eingriff in die Freiheit – jemandem ein Bier aufzudrängen, in der Regel jedoch schon. Andererseits ist Pettits Begriff strenger: Nicht bloß tatsächlich stattfindende willkürliche Interventionen schränken die Freiheit ein, sondern auch solche, die potenziell stattfinden könnten. Bereits wenn jemand über die bloße Möglichkeit verfügt, mich willkürlich einzuschränken, bin ich seiner Herrschaft hilflos ausgeliefert (»to live at the mercy of another«21) und damit unfrei.

Man kann sich zum Beispiel einen aufgeklärten Despoten aus dem 18. Jahrhundert vorstellen, der zwar im Moment ein geringes Maß an freier Presse zulässt, aber jederzeit wieder die Zensur in Gang bringen könnte, wenn er seine Meinung ändert. Auch ein Publizist, der in einem solchen Regime scheinbar alles veröffentlichen kann, was er will, wäre nicht wirklich frei. Dafür müsste es dauerhaft niemandem möglich sein, willkürlich in die Pressearbeit einzugreifen. Pettit zufolge sollen liberaldemokratische Institutionen wie etwa Parlamente und unabhängige Gerichte dem Zweck dienen, die Freiheit als Nicht-Beherrschung so gut es geht für alle Bürgerinnen zu garantieren.

Der Preis der Bildung

Die Ausführungen zu Pettits Theorie verdeutlichen, inwiefern privatfinanzierte Wissenschaftsinstitutionen bei aller Freiheit der Forschung ein Freiheitsproblem aufweisen. Alle Beteiligten sind dem Gründer in finanzieller Hinsicht hilflos ausgeliefert: They are at his mercy. Entscheidet er von heute auf morgen, dass ihm die Transformation der Gesellschaft sein Geld nicht wert ist, ist auch die Erforschung der Gesellschaft beendet. Die Brieftasche des Gründers kennt keine vermittelnden Instanzen, keine öffentliche Debatte oder Einklagbarkeiten. In Sachen Geld ist er ein aufgeklärter Despot: Der Laden läuft, solange er so freundlich ist, ihn am Laufen zu halten. Alle an dem Laden beteiligten sind somit unfrei, Privatköchin hin oder her. Das HIS und das New Institute bringen diese Problematik auf den Punkt. Das Center for Social Critique erhält seine Finanzspritzen noch bis 2028 – wer weiß, was danach kommt.

Das zeigt im Umkehrschluss, worauf der politische Fokus gelenkt werden sollte: Anstatt die Auslagerung der sozialwissenschaftlichen Forschung auf private Geldgeber hinzunehmen, sollte die öffentliche Forschungslandschaft selbst umstrukturiert werden. Maßnahmen wie die Exzellenstrategie zeigen, wie willkürliche Entscheidungen zu der Stilllegung wichtiger Forschungsprojekte und zu Missverhältnissen zwischen den Fachbereichen führen. Anders als im privaten Bereich gibt es hier zwar einige freiheitsfördernde Kontrollmechanismen – mehr an der Mittelbewilligung beteiligte Personen, mehr Möglichkeiten der Debatte und eine mindestens indirekte demokratische Rückbindung –, doch was freier als etwas Unfreies klingt, ist noch lange nicht wirklich frei. Bis diese Mechanismen nicht ausgebaut werden, die Wissenschaftslandschaft nicht weitgreifender sozialisiert und demokratisiert wird und eine solide Grundfinanzierung gegenüber wettbewerbsgebundenen Finanzspritzen in den Vordergrund tritt – solange wird der Preis der Bildung mit ihrer drohenden Preisgabe bezahlt.