diskus: In Deinen Arbeiten bedienst Du Dich vornehmlich sarkastischer, spöttischer, polemischer Elemente, mit denen Du ­ ich greife da auf eigene Erfahrung zurück ­ gezielt das Lachen über den kritisierten Gegenstand provozierst. Würdest Du Dich als Satiriker bezeichnen? Was macht Satire aus und welches Potential siehst Du in einer satirischen anstatt politisch-theoretischen Form der Kritik?

Ebermann: Bedenkend, dass ich in Zeiten lebe, wo nahezu alle Worte verschlissen sind ­ also würdest Du mich fragen, ob ich mich als Kommunist bezeichne, müsste ich schon ein »Ja, aber versteht mich nicht falsch« einbauen, und das gilt für nahezu alles, was uns so begegnet ­ empfinde ich es jedenfalls nicht als Kränkung, wenn man sagt, dass ich satirische Fähigkeiten habe.

Lass uns ganz kurz bei dem »Aber«, bei der Abgrenzung verharren. Ich glaube, dass das, was heute unter Satire läuft, in der überwältigenden Quantität affirmativ ist. Eine Fernsehsendung hat den Titel Satire-Gipfel. Das hängt damit zusammen, dass das heutige Ideal des_der Staatsbürger_in eins des_der kritischen ist ­ gemessen an anderen historischen Zeiten, wo man sich ja stolz dünken konnte, Untertan_in zu sein. Und der_die kritische Staatsbürger_in, diese furchtbare Figur, beschäftigt sich nun wirklich mit dem, was gängigerweise als Kritik gilt ­ und im Spiegel steht, oder eben auch im Satire Gipfel aufgeführt wird. Also meistens irgendetwas aus der Welt der Politik, das man als skandalös bezeichnet. »Ist Herr Wulff noch haltbar als Bundespräsident?« Oder: »Pferdefleisch in der Lasagne«. Eine der armseligsten Figuren, der ich übrigens in eines meiner nächsten Theaterstücke widmen werde, ist der_die kritische Konsument_in, der_die glaubt, er_sie wird in dieser Welt dadurch betrogen, dass er_sie falsch konsumiert. Es gibt ein Bedürfnis, insbesondere in den etwas gebildeteren Schichten, sich kritisch zu zerstreuen. Das ist das, was die normalen Satiresendungen anbieten.

 

diskus: Wäre somit Satire, wie Du sie verstehst, im engeren Sinne negativ, also Kritik dessen, was gängigerweise als deutsche Satire verstanden wird?

Ebermann: Ich will mich jetzt überhaupt nicht als der große Ausschimpfer gerieren. Ich bin gar nicht jemand, der sagt: Hier bin ich, und der Rest, das sind Idiot_innen. Nichts liegt mir ferner, als zu sagen, Satire sei dasMittel, um Gesellschaftskritik zu schärfen. Alles, was ich sage ist: Es ist einMittel. Wenn man sagt, dass Satire, Spott und auch Sarkasmus Mittel der Machtlosen sind, ein Mittel, sich jedenfalls nicht völlig zu unterwerfen, nicht den Fremdzwang auch noch in Selbstzwang zu transformieren, nicht für intellektuelle Kapitulation oder Preisgabe sich herzugeben ­ wenn man das als eine Stärke des satirischen Mittels betrachtet, dann muss in diese Form zugleich so etwas eingehen wie das Elend der Machtlosigkeit, und nicht die Freude an der Machtlosigkeit. Es muss ein Moment der Unfreiwilligkeit durchschaubar bleiben, der Position, in der man steckt, das muss spürbar bleiben.

Wenn man es ein bisschen anders ausdrückt: Ganz gern wäre ich auch kein Satiriker, sondern Bestandteil eines wirkmächtigen, kollektiven, gesellschaftskritischen Prozesses. Dann kann die Satire, wie jede gelingende Kunst, dem, was man dem theoretischen oder analytischen Aufsatz oder auch dem agitatorischen Flugblatt abgewinnen kann, in ganz anderer Art und Weise Geltung verschaffen. Die Frage, ob ich Satiriker bin, würde ich wahnsinnig ungern beantworten mit einem »Ja, klar«. Das kommt mir vor wie das Diktat der guten Laune. Ich hoffe, man sieht mir manchmal, periodisch jedenfalls, meine Depressionen an ­ und dass man mich nicht als den sieht, der irgendetwas mit Augenzwinkern, mit diesem furchtbaren, widerwärtigen Augenzwinkern, behandelt.

 

diskus: In dem Buch Sachzwang und Gemüt von Rainer Trampert und Dirsteht im Vorwort, es gehe Euch darum, »mit verschiedenen Stilmitteln dem Zeitgeist die Arglosigkeit zu nehmen«. Mir scheint das eine durchaus treffende Formulierung dessen zu sein, was Satire erzielen kann: eine ideologie- oder fetischkritische Wirkung. Würdest Du sagen, dass Satire diese Wirkung entfalten kann?

Ebermann: Ja, wenn sie gelingt. Über uns allen hängt das Schwert, dass Engagement auch in der Gefahr steht, Geblöke zu werden. Es gibt satirische Arbeiten, wo du auf der Strecke befreit auflachen musst und trotzdem das Gefühl, dass dir etwas Grauenhaftes mitgeteilt wird, dich nicht verlässt. Ein älterer Roman wie der Büroroman von Walter E. Richartz, der die Tristesse des Lebens von Angestellten in den 60er oder 70er Jahren reflektiert ­ die damals noch gegebene Unterforderung im Sinne von: Die haben noch nicht so viel Stress, dass sie kaum noch ihre Arbeit bewältigen können, sondern: Die gehen kaputt daran, dass jeden Tag dasselbe passiert, bis hin zum Mittagsgruß ­ ist ein sehr satirischer Stoff. Und die ganze Zeit hat das Publikum die Möglichkeit zu denken: »Ja, das bin ich. Vielleicht sage ich nicht dermaßen blöde: ›Mahlzeit!‹ Oder vielleicht schicke ich nicht so blöde Postkarten aus dem Urlaub. Aber es hat viel mit meinem Leben zu tun.«

Oder so ein satirischer Roman jüngeren Datums, Joachim Zelters Schule der Arbeitslosen: Bei dessen Aufführung wird viel gelacht, es handelt von der leicht utopisch verzerrten Phantasie, dass all die Nichtbenötigten jetzt in eine Kaserne geschickt werden, um Fortbildung, Selbstoptimierung, Bewerbungswesen und so etwas zu bestehen. Man muss schon sehr lachen unterwegs, und trotzdem ist es ein nur sehr wenig überzeichnetes Grauen der Wirklichkeit von Arbeitsdienst, Bewerbungstraining, Vernetzung, Networking, und wie diese schrecklichen Worte alle heißen.

Wenn ich nicht zu ausführlich bin, will ich ein zweites Stilmittel erklären. Es gibt diese Momente, wo du denkst, du wohnst eher einem strukturell witzigen Abend bei ­ und es kippt durch eine Einzelheit. Ich habe zusammen mit Harry Rowohlt und den Musikern Frank Spilker, Knarf Rellöm und Manuel Schwiers einen Erich-Mühsam-Abend gemacht. Und natürlich lachen wir den ganzen Abend sehr viel über seine überbordende Lebenslust, in welcher Tinte er gerade wieder steckt, wie es am Monte Verità genau war und was für amouröse Ambitionen er hatte, die leider nicht immer aufgehen. Und ganz zum Schluss kommt er im KZ um. Und es gibt wirklich, wenn etwas gelingt, diesen Moment, wo ein Teil des Publikums denkt: »Den haben die Nazis so gehasst, weil er so lebenslustig war, und gar nicht für seine politische Gefährlichkeit ­ sondern der musste ausradiert werden.«

Vielleicht funktioniert das manchmal auch, wenn Rainer und ich das Stück Der Abschiebeflug gelesen haben. Wir lachen zusammen über nationalistische Idiotien bei Fußballweltturnieren ­ hoffentlich sind unsere Texte klug und die Montagetechnik wirksam ­, und dann möchte man aber ausdrücken: Wir sind hier nicht die Lachsäcke, ganz und gar nicht, uns fällt zu bestimmten Themen nichts Satirisches ein. Das steht natürlich wiederum in der Gefahr eines: Achso, jetzt sind die nachdenklichen zwölf Minuten. Jede_r auch nicht-begabte Kabarettist_in hat meistens, wenn er_sie jetzt nicht der_die absolute Schenkelklopf-Idiot_in ist, diese zwölf nachdenklichen Minuten. Es muss sich eben aus der Qualität der Form schöpfen und nicht aus dem Rezept ­ wie bei aller Kunst würde das scheitern.

 

diskus: Wenn man versucht, dieses Potential herauszuarbeiten, das mit Satire entfaltet werden kann ­ kritisch, subversiv, negativ, oder wie man das nennen möchte ­, aber gleichzeitig sagen möchte, dass Satire nicht auf ein Rezept gebracht werden kann, dann stellt sich die Frage, ob Satire nur eine Art Stilmittel ist, um Kritik lustiger oder ansprechender zu verpacken oder ob der Grund für Satire tiefer liegt, in den gesellschaftlichen Verhältnissen selbst. Muss sich in diesem Sinne dem kritischen Denken eine satirische Haltung aufdrängen?

Ebermann: Muss, weiß ich nicht. Ich versuche erst einmal zu polemisieren gegen das »Muss«, ganz isoliert. Ich mache jetzt seit zehn Jahren die Vers- und Kaderschmiede im Polittbüro in Hamburg. Da werden meistens literarische Stoffe zur szenischen Lesung bearbeitet, und ich glaube, aus dem Kopf sagen zu können: Die Mehrzahl der Aufführungen hatte gar keine oder sehr untergeordnete satirische Aspekte. Ich möchte damit ausdrücken: Mach' nicht zu viel aus einem guten Ansatz. Also wenn man zunächst sagt: Jede_r, der_die im weitesten Sinne begabt oder mittelbegabt Kunst macht, hat einen Feind, und das ist die Zerstreuung. Die Zerstreuung ist der Feind. Die Zerstreuung ist aber gleichzeitig eine Sehnsucht der, wie man so sagt, Massen. Die Zerstreuung wird nicht nur produziert von den manipulativen Instrumenten der Kulturindustrie, sondern auch von der Art, wie man arbeiten muss, wie produziert wird, von der Konkurrenzhaftigkeit. Dieses Wort: »Ich habs schwer genug im Leben, da will ich abends nicht auch noch...« ­ Das ist der Feind.

Zu sagen, da hat die satirische Form zur Bekämpfung dieses Feindes Priorität, würde mir nie in den Sinn kommen. Es ist eher so, dass ich nicht genug Zutrauen in meine Schreibe hätte, so etwas hinzukriegen. Es ist nicht so, dass ich denke: Satire, das ist es. Und deswegen kann man das auch nicht sagen, dieses »Muss«.

Und dann kann man es doch wieder sagen. Jede_r Leser_in Eurer Zeitung kann ja einmal reflektieren, ob er_sie lieber zu einem Abend geht, wo Ihr im Ankündigungsflyer schreibt, dass der satirisch, spöttisch ist. Mit einer Ankündigung: Wir werden gemeinsam lachen, wenn es funktioniert. Im Vergleich zu: Heute wird's nicht lustig, oder: Das könnte euch bedrücken. Oder wenn es überragend klappt: Vielleicht könnt ihr nicht einschlafen. Von anderen Faktoren abgesehen ­ Prominenz der Schauspieler oder so ­ sind die nicht-satirischen Abende durchschnittlich schlechter besucht.

Und trotzdem stimmt das, in der Satire spiegelt sich auch etwas wie: »Ich will mich nicht unterkriegen lassen.« Das finde ich einen sehr ehrenwerten Moment, denn wir sind so umzingelt von dem, was wir alles normal finden, und wie viel Selbstzweifel wir haben sollen, dass dieses »wir lachen sie aus« etwas sehr Legitimes und, wenn es gelingt, Großartiges ist. Jetzt arbeite ich doch noch mit einem Zitat aus Marcuses Der Eindimensionale Mensch:

»Die Herren der Welt verlieren ihre metaphysischen Züge. Ihr Auftreten im Fernsehen, auf Pressekonferenzen, im Parlament und bei öffentlichen Kundgebungen ist kaum für ein Drama geeignet, das über das der Reklame hinausgeht, während die Konsequenzen ihres Handelns den Rahmen des Dramas überschreiten.«

Das ist der Ansatz für gute Realsatire. Bleibe ich hängen im bloßen Lächerlichmachen, kriege ich nicht hinein, was für Auswirkungen diese lächerlichen Figuren auf die Geschicke von Millionen von Menschen haben, dann ist etwas missglückt. Es ist etwas total Legitimes, sie auszulachen.

Wir haben eben viele Hilfsmittel und Ausdrucksformen, um durch Zeiten, die keine guten sind, zu kommen. Eins davon ist dieses realsatirische Moment, die Verfremdung. Montagetechniken, wie man sie bei Benjamin lernen kann, haben ja auch immer etwas davon, dass man plötzlich auflachen muss.

 

diskus: Vielleicht können wir am Beispiel von Charlie Chaplins Der große Diktator auf die Frage nach den Grenzen von Satire zurückkommen. Chaplin hat versucht, am satirischen Medium festzuhalten und eine Parodie auf Hitler, seine Führungsriege und, etwas allgemeiner, die NS-Herrschaft zu schreiben. Andererseits wird in diesem Film auch die entsetzliche Misshandlung und Deportation der Jüdinnen und Juden dargestellt. Und diese Szenen scheinen sich der satirischen Bearbeitung, die teilweise dort auch vorkommt, nicht zu fügen. Am Ende des Films findet ein Bruch mit der satirischen Form statt: Chaplin hält dort eine leidenschaftliche, ernst gemeinte Rede für menschliche Freiheit und Versöhnung. Und soweit ich mich erinnere, hat Chaplin in seiner Autobiographie geschrieben, dass er bei vollem Bewusstsein dessen, was das volle Grauen des Nationalsozialismus ausgemacht hat, diesen Film nicht noch einmal gedreht hätte.

Ebermann: Meine Erinnerung ist so, dass Chaplin ­ ich weiß nicht, ob er ihn kennt oder nicht kennt ­ Adorno Recht gegeben hat, der ja, wenn ich mich richtig entsinne, diese Szene mit dem Kind, das mit der Bratpfanne SA-Männer umhaut, kritisch durchleuchtet hat. Ja, eine sehr sehenswerte, sehr geeignete Arbeit um zu sagen, wo Satire glückt und wo sie missglückt. Wie auch bei vielen anderen dieser Sachen ­ beispielsweise auch bei Brechts Versuchen, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen ­ mit ihren Qualitäten und Unzulänglichkeiten, die ja manchmal von Szene zu Szene komisch oder bemerkenswert korrespondieren.

Es ist eine Frage des Könnens, auch eine Frage der Selbsteinschätzung. Es gibt bei diesem allerschwierigsten Punkt ­ kann man den Nationalsozialismus satirisch behandeln? ­ Werke, die würde ich verteidigen: Heinrichs Manns Lidice, Klaus Manns Mephisto, Walter Mehrings Müller. Chronik einer deutschen Sippe und Edgar Hilsenraths Der Nazi und der Friseur. Dann gibt's wieder Stellen, da ist man unglücklich, oder denkt: Du bist an der Aufgabe gescheitert, mein hochverehrter Freund. Und es gibt eine überwältigende Zahl antifaschistisch gut gemeinter Romane, die missglückt sind. Meistens zeigen sie unbeirrte, volkstümliche Figuren, die von der ganzen Propaganda nicht tangiert sind und noch einen Schalk im Nacken haben. Nein, das ist nicht adäquat. Es ist keine Diffamierung des_der Künstler_in, der_die das versucht hat, sondern es ist einfach nicht angemessen. Satire darf nicht alles, ist meine These. Und jede_r muss gut darüber nachdenken, welche Eisen ihm_ihr zu heiß sind. Und dann die Finger davon lassen. Das ist eine sehr hilflose Antwort, die ich gegeben habe, das ist mir schon klar.

 

diskus: Das Problem einer satirischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus stellt sich in Deutschland heutzutage eigentlich auch nochmal ganz anders. Man denke an die zahlreichen Hitler-Parodien, die in den letzten Jahrzehnten produziert wurden, die eventuell im Zusammenhang zu sehen wären mit dem Versuch, sich als deutsches Kollektiv entspannt auf die NS-Vergangenheit beziehen zu können.

Ebermann: In den meisten oder nahezu allen dieser Arbeiten wird das Wort von Gerhard Schröder »unverkrampft und unbefangen« eingelöst. Diesem die Arglosigkeit zu nehmen, das ist schon die Aufgabe. Jetzt, neben der offensiven Thematisierung von Phrasen wie »Keiner litt so sehr wie wir«, rund um Flucht und Vertreibung und Gustloff und Unsere Väter, unsere Mütter und so weiter, ist auch die zweite Signifikanz widerlich, dass sich Nichtskönner_innen anmaßen, mal 'ne witzige Parodie über den NS zu machen. Und meistens ging es dann darum, dass Goebbels einen Hinkefuß hatte und wir dann darüber lachen sollen. Nein, das ist alles vollkommen unangemessen und ist eigentlich die Übersetzung dessen, dass man beim Besuch des Mahnmals Freude empfinden soll.

 

diskus: Über Euer Stück Der Abschiebeflug, ein Stück, das sich mit dem blutigen Ernst der deutsch-europäischen Abschiebepolitik befasst, hast Du bereits gesprochen. Hier gibt es den Moment, in dem sich dir, wenn du dort sitzt und dieses Stück hörst, angesichts dieser menschenverachtenden Praxis ein lautes Lachen über diese überspitzte Darstellung eigentlich verbietet. Habt Ihr demgegenüber Erfahrungen damit gemacht, dass im Publikum laut gelacht wird und eine entsprechende Form gefunden, damit umzugehen?

Ebermann: Vielleicht darf ich ein krasseres Beispiel dafür nehmen, das bebildert, dass man als Autor wirklich nur die Qualität dessen, was man zu Papier gebracht oder inszeniert hat, besprechen darf, und trotzdem manchmal im Boden versinken möchte.

In unserem Stück Der Firmenhymnenhandel gibt es eine Verkörperung der reaktionären Kapitalismuskritik. Das ist der Trigema-Chef, den wir aus der Reklame kennen ­ »Ich produziere nur in Deutschland« ­, der in Talkshows immer so viel Beifall bekommt und von Lafontaine gelobt wurde. Der hat eine Biografie über sich schreiben lassen, und sehr viel von dem, was diese Figur sagt, ist von ihm wirklich gesagt worden. Es gibt eine Passage, da regt er sich wahnsinnig auf. Ich versuche die mal ungefähr wiederzugeben:

»Ich hafte noch persönlich, ich produziere noch in Deutschland. Ich kann das hier nicht an die Wand fahren und dann noch eine Abfindung kassieren. Diese Boni, diese Manager, diese Heuschrecken, diese Verantwortungslosen, da grassiert Größenwahn, bei Wasser und Brot sollen sie im Steinbruch arbeiten, um die Schäden, die sie angerichtet haben, wieder auszubügeln.«

Und es ist bei einigen Vorstellungen passiert, dass an der Stelle applaudiert wurde. Und dann denkt man manchmal, vieles ist doch vergebene Liebesmüh'. Das gibt es eben. Es wäre schlimm, wenn man mit den Schauspieler_innen zusammen sagen würde: Wir müssen das jetzt noch fetter machen, damit das nicht passiert. Das ist ja schon nicht sehr subtil, wirklich nicht. Aber dem noch den letzten Rest an Subtilität zu rauben, das wäre so eine Verletzung der Form, dass man das ertragen muss. Wir müssen einfach unterstellen, dass man die Qualität sowohl der theoretischen Schrift als auch des Kunstwerks nicht an den_die Rezipienten_in legen kann.

 

diskus: Kann gute Satire ­ jedenfalls von ihrem Effekt aus betrachtet ­ dann eigentlich doch nur so gut oder schlecht sein kann wie ihr Publikum?

Ebermann: Ja, wenn wir sagen, dass jede_r, der_die im weitesten Sinne Kunst macht, einer Illusion anhängen muss. Diese Illusion lautet: Ich versuche etwas zu machen, das den Menschen verunmöglicht, morgens zur Arbeit zu gehen. Ich will nicht Bestandteil der Kräftigung des Funktionierens in dieser Gesellschaft sein. Ich will einen Moment des Einhaltens, des Eingedenkens, der Erzeugung einer krisenhaften Situation, des Hass auf das eigene Funktionieren anbieten. Ich bin nicht Bestandteil von Standortlogik, nicht Bestandteil dessen, dass es zum ausgewogenen Lebensstil gehört, auch zweimal im Monat Kultur zu machen, so wie man auch ins Fitness-Studio geht oder Sex hat. Die große Verweigerung muss sozusagen eine Ambition sein ­ und wir wissen, es tritt nicht ein. Menschen sind tatsächlich situativ oft erschüttert, wenn etwas gelingt, aber die Verhältnisse sind doch übermächtiger. Und die Menschen sind schon froh, wenn sie auf dem Weg vom Theater nach Hause, sagen wir spätestens an der S-Bahn-Station, sich gelöst haben von der möglicherweise entstandenen Erschütterung. Und trotzdem muss man sich so doll anstrengen, muss man so lächerlich akribisch sein, muss man einen Satz fünfmal umschreiben. Das meine ich mit der illusionären Ambition. Wenn man diese aufgibt, dann denkt man: »Ach, die Leute merken das ja sowieso nicht.« Was ja oft stimmt.

Es gibt diese semi-berühmte Passage bei Adorno, dass es schwer vorstellbar sei, dass die Leute nach einem Beckett-Abend weiter funktionieren können. So hat er das empfunden, aber er hat auch gewusst, dass die Leute nicht wegen Beckett zuhause bleiben und grübeln. Und jede_r, der so etwas macht wie ich, der_die guckt manchmal ins Publikum und denkt: Hat das alles überhaupt Sinn?

Und trotzdem macht man es und wird dabei nicht schluderig. Man packt wirklich das aus, was man kann. Und wenn es geht, sollte man dabei einen Begriff von der eigenen Unzulänglichkeit haben, damit man sich nicht sakralisiert. Meine größte Scheu nach solchen Interviews ist, dass ich danach so kenntnisreich wirke, wie ich nicht bin. Ich hau' hier so mit den Sachen in der Weltgeschichte 'rum. Es gibt diese Maxime: Wir müssen uns unsere Unzulänglichkeiten verzeihen und bei diesen Unzulänglichkeiten bewusst bleiben. Wenn ich jetzt auch so täte, als hätte ich eine ästhetische Theorie, ich bin weit darunter. Und versuch' trotzdem ein kluger Zeitgenosse zu sein. Das muss genügen.