Als der Architekt Ferdinand Kramer Anfang der 1950er Jahre mit dem Wiederaufbau der Frankfurter Goethe-Universität beauftragt wurde, war er als Funktionalist verschrien. Dieser Vorwurf haftet ihm bis heute an – und das nicht zu Unrecht, denn tatsächlich bildete nicht Repräsentation, sondern Zweck und Gebrauch den zentralen Ausgangspunkt seiner Architektur. Für seine Bauten hieß das in der Konsequenz, auf zweckfreie architektonische Details – Schmuck und Ornamente – zu verzichten. Schönheit sollte allein der Materialästhetik und Proportionierung entspringen, nicht etwa einer Fassade voller historischer Anspielungen (vgl. Hansen 2001: 139ff.). Das mag nach einer ziemlich humorlosen Architektur klingen, Kramer war aber alles andere als ein Spaßverderber. Besonderes Vergnügen bereitete es ihm, den zahlreichen Gegner_innen seiner Architektur mit kleinen Scherzen das Leben zu vermiesen.

 

Barbarei

Bemerkenswert ist beispielsweise die Geschichte vom neobarocken Hauptportal der Universität, das Kramer zu Beginn seiner Tätigkeit als Universitätsbauleiter 1953 einreißen ließ. Ersetzt wurde es durch eine transparente, stahlgerahmte Glaskonstruktion, die mit Modifikationen bis heute den Eingang des Jügelhauses bildet. In einem Leserbrief wurde er damals von einem Frankfurter Professor des »Barbarentums« bezichtigt (FAZ vom 11.3.1953). Diesem schickte Kramer postwendend das Fragment einer Ornamentfigur, die mitsamt des Portals entfernt worden war.

 Als Kommentar fügte er hinzu: »Dem Empörten zum Trost! Vom Barbar. Dieser Stein fiel mir vom Herzen am 17.5.53 17 Uhr nachmittags« (siehe Abbildung 1).

Tatsächlich war es mehr als Stein, was da abgeschlagen wurde und sich ehemals als Bauskulptur an das Portal heftete: Es war eine Repräsentation des Deutschen Kaiserreichs, deren Kultur von der Einweihung des Jügelhauses 1906 bis zur Gründung der Universität 1914 direkt in die Stahlgewitter des Ersten Weltkrieges führte, und die über den Umweg der Weimarer Republik im Nationalsozialismus münden sollte. Der Kritiker, der dem Aufklärer Kramer vorwarf, »barbarisch« gehandelt zu haben, weil er deutsche Reichskunst zerstörte, und im gleichen Atemzug von architektonischer »Gleichschaltung« sprach, hatte sich also offenbar in der Geschichte geirrt. Ihm war nur mit Humor beizukommen. Indem Kramer die Ornamentfiguren in seinem Kommentar auf »Stein« reduzierte, drückte er gleichzeitig seine Verachtung für eine Architektur aus, die sich als »Baukunst« von der Profanarchitektur abzusetzen versuchte. Begründet wurde die Maßnahme allerdings mit rein baulichen Argumenten, also funktional: Das alte Portal war schlichtweg zu schmal, um den steigenden Zahlen an Studierenden Einlass zu gewähren.

 

Vordächer

Nicht alle von Kramers Scherzen waren symbolisch so aufgeladen wie dieser, einige waren von geradezu heiterer Leichtigkeit. Aus unerfindlichen Gründen hatte Kramer bspw. eine Abneigung gegen Vordächer. Vielleicht ganz einfach, weil sie ihm nicht, oder jedenfalls nicht immer, funktional notwendig erschienen. Zu Beginn der 1950er Jahre galten sie aber als obligatorisch. So findet sich kaum ein Bau aus jener Zeit, dessen Eingang nicht von einem Gute-Laune-Vordach geziert würde. Ein schönes Beispiel von Kramers Umgang mit diesem Wirtschaftswunderhype böte die Geschichte vom Institut für Lebensmittelchemie, für das der Institutsleiter aus funktionalen Gründen ein Vordach forderte, das Kramer aus funktionalen , finanziellen und ästhetischen Gründen ablehnte, nach sechsjährigem Rechtsstreit aber schließlich doch genehmigen ließ – dann allerdings gleich in neun Metern Länge, statt der geforderten vier (siehe Abbildung 2; vgl. Hansen 2001: 147ff.).

Erzählen will ich stattdessen die Geschichte, wie Kramer einmal ein Vordach aus freien Stücken baute, wenn nicht in vorauseilendem Gehorsam: Das war der Fall beim 1954 erbauten Institut für Anglistik und Amerikanistik, das seine späte Blütezeit als Institut für vergleichende Irrelevanz feiern sollte. Dieses Vordach ist wie die Eingangstür des Gebäudes aus stahlgerahmtem Glas und von den Abmessungen her geringfügig größer als diese (siehe Abbildung 3). Direkt über der Tür ist es an der Außenmauer befestigt, der Länge nach wird es von dünnen Rundstahlstreben schräg nach oben gezogen, so dass es, nahezu freischwebend, mit den rechten Winkeln der Fassade bricht. Die Streben selbst wirken wie Seile und erwecken den Eindruck, das Vordach lasse sich nach dem Prinzip einer Zugbrücke herauf- und herablassen, um etwa vor einem unwissenschaftlichen Angriff Schutz zu bieten.

Abgesehen davon, dass es sich um eine starre Konstruktion handelt, die als Zugbrücke eben nicht funktioniert, weist auch das Material, zerbrechliches Glas, auf ein bloßes Spiel mit mittelalterlicher Festungsästhetik hin. Der Witz besteht aber vor allem darin, dass es bezüglich seines eigentlichen Zwecks, nämlich als Vordach, vollkommen nutzlos ist: An der niedrigsten Stelle ist es ca. drei Meter hoch, aber gerade mal zwei Meter breit. Somit genügt schon ein leichter Wind, um alles darunter Befindliche schutzlos dem Regen auszuliefern.

Typisch für die Hintersinnigkeit dieses Scherzes ist, dass Kramer mit seinem Zugeständnis an den Mainstream – Hauptsache Vordach – zugleich einen zentralen Vorwurf an seine Architektur – Funktionalismus – bloßstellt, indem er ein ästhetisch verspieltes, aber praktisch funktionsloses Vordach konstruiert.

 

Feuertreppen

Im Unterschied zu seiner Abneigung gegen Vordächer hatte Kramer eine Vorliebe für außenliegende Feuertreppen. Diese finden sich an zahlreichen seiner Frankfurter Universitätsbauten. Eine der prominentesten ist die Feuertreppe an der südlichen Stirnseite des Philosophicums in der Gräfstraße, eine weitere findet sich an der nördlichen Stirnseite desselben Gebäudes. Letztere beginnt im obersten Stockwerk, wird allerdings nicht bis zum Erdgeschoss nach unten geführt, sondern endet bereits nach zwei Stockwerken im Nichts (siehe Abbildung 4). Als Feuertreppe hat sie offensichtlich keine Funktion, denn für die potenziell Flüchtenden stellt sie eher einen Umweg dar. Der Grund dafür, dass sie nicht komplett bis ins Erdgeschoss durchgeführt wurde, mag darin bestehen, dass der Außenbereich im Erdgeschoss als Lieferzufahrt frei gehalten werden sollte. Allerdings hätte sich der Fluchtweg dann auch komplett ins Innere verlegen lassen, in jedem Fall wäre eine konstruktive Lösung ohne Feuertreppe möglich gewesen. Kramer kann daher unterstellt werden, dass er ganz bewusst zu einer Lösung gegriffen hat, die, wenn nicht komplett dysfunktional, so doch mit deutlich geringerem Aufwand zu realisieren gewesen wäre.

Auch in diesem Fall ist der Gegenstand interessant, an dem Kramer spielerisch wird, denn gerade in Bezug auf Rettungswege und Brandschutzverordnungen sind selbst der verspieltesten Ornamentkunst Schranken gesetzt. Allein ein »Funktionalist« kann hier punkten, indem er in einem Bereich, wo nicht nur staatliche Verordnung, sondern auch der gemeine Alltagsverstand Funktion fordert, eine setzt, die keine hat: Die nördliche Feuertreppe am Philosophicum ist reiner Schmuck, aber eben Schmuck im Dekor der Zweckmäßigkeit.

 

Humor

Der gegenwärtige Umgang mit Kramers Bauten – die meisten davon stehen zum Abriss frei oder sind bereits abgerissen – zeigt die Humorlosigkeit derer, die mit moderner Architektur noch nie etwas anzufangen wussten. Gekehrt wird mit stahlhartem Besen und deutscher Gründlichkeit – die brutale Hinrichtung des AfE-Turms wird nicht der letzte Akt gewesen sein. Wer auf dem neuen Campus etwas Humorvolles sucht, braucht schon ein gewisses Maß an Selbstironie: Durchaus Witz hat beispielsweise die Bemühung der Architekt_innen, dem Ausdruck „Think Tank“ eine neue Bedeutung abzugewinnen, indem sie die Gebäude im Geist von Wehrmachtspanzern gestalteten. Oder auch nicht.

 

Charly Außerhalb

 

*.lit

Hansen, Astrid (2001): Die Frankfurter Universitätsbauten Ferdinand Kramers. Hochschulbau der 50er Jahre, Weimar.