Wenn man an Humor denkt, hat man zuerst einmal das Gefühl, dass er etwas Gutes ist. Die Kausalkette »Humor führt zu Lachen; Lachen ist gesund, führt zu Spaß, drückt Lebensfreude aus« ist da sehr verankert.

Aber schon nach einem kurzen Innehalten und Nachdenken fällt zumindest mir auf, dass meine Alltagserfahrungen mit Humor, wahrscheinlich eher mit Witzen im Speziellen, primär negative sind.

Über die Erfahrung hinaus, dass mir die Fähigkeit fehlt, als Witze konstruierte Scherze – selbst wenn diese ausnahmsweise inhaltlich unverfänglich sind – lustig zu finden, fällt mir einiges aus verschiedenen Erfahrungshorizonten ein, warum zu viel Lustigkeit einfach nur nervig ist:Die folgende Liste ist mehr als unvollständig.

a) Menschen, die sich witzig deiner schlechten Laune, Grummeligkeit oder was auch immer annehmen, um dich aufzuheitern.

b) Die lustig-dummen Mitschüler_innen, die es in einer beeindruckenden Kreativität schaffen, fast jedwede Herkunft, Eigenschaft, jedes Aussehen etc. zu stereotypisieren und in individuell angepasste »witzige« Sprüche einzuweben. Plus die Sportlehrer, die denken, es wäre geistreich, humorvoll auf Körperfülle, Unsportlichkeit oder Süßigkeitenkonsum der Schüler_innen hinzuweisen. Oder – immer wieder ein Highlight – sich humoristisch der Regelblutung der Schülerinnen annehmen.

c) Auch aus meiner Perspektive als Bahnfahrerin kann ich sagen: Wer einmal in einem Abteil mit einer lustigen Mit-Dreißiger-Clique gesessen hat, die sich »witzige« Stories erzählt haben, kann jegliche utopische Hoffnung, die ihn_sie noch am Leben hält, für diesen Abend vergessen und sich glücklich schätzen, wenn er gute noise cancelling Kopfhörer dabei hat. Noch schlimmer ist nur, wenn jüngere Cliquen, inklusive Klassenclown, in der Nähe sitzen, und es für nötig halten, »witzige« Videos auf ihrem Handy anzuschauen, »witzige« Fotos mit ihren Handys zu machen, oder, wiederum schlimmer, Einzelpersonen versuchen, sich durch ihre Witzigkeit in den Vordergrund zu spielen. Als die einzig angenehmen Mitreisenden empfinde ich konsequent und kunstvoll meckernde Menschen, die die Abstrusitäten des Alltags in ihrer Aberwitzigkeit enttarnen.

d) Aber schlimmer im persönlichen Alltag als solche ärgerlichen Fußnoten des Lebens sind die »witzigen« Sexisten, die der halbwegs auf ihre Selbstbestimmung pochenden Frau konsequent vorwerfen, »keinen Spaß zu verstehen«. Diese Kämpfer für mehr Spaß in der Welt schaffen es immer wieder durch ihre spaßigen und kreativ witzigen Interventionen ein Machtverhältnis aufzubauen, aus dem man sich aufgrund der Unangreifbarkeit ihres Unernstes nur schwer befreien kann. Nicht umsonst wählt man meistens die Methode zu schweigen und zu gehen – was trotz der doch halbwegs souveränen Lösung immer ein schales Gefühl hinterlässt. Denn aus so einer Situation kann man sich eigentlich nur durch eine Reaktion befreien, die als »hysterisch« wahrgenommen wird – und es wahrscheinlich auch ist, weil es so viel Kraft kostet, die tabuisierende Wand des Humors zu durchbrechen.

e) Am ärgerlichsten sind aber nun Situationen, in denen dieser »humoristische Schutzwall« nochmal verstärkt wird. Wenn sich lustige Freund_innen aus dem Spektrum der antirassistischen, antisexistischen und was auch immer emanzipatorischen Linken dazu hinreißen lassen, aus der Sicherheit ihrer Sprecher_innenposition eine Zusammenstellung all der Komponenten von Witzigkeit aufzustellen, die eigentlich gerade als problematisch empfunden werden sollten. Ist sonst eine Problematisierung von rassistischen, sexistischen, homophoben usw. Witzen noch eine politische Pflicht, ist dies plötzlich vorbei. Schließlich könne ja keine_r denken, dass ein_e aufgeklärte_r Linke_r so was ernsthaft lustig findet, so was sei immer ironisch gemeint. Nein – wenn man so was kritisiere, habe man ganz viele wichtige Dinge nicht verstanden; u.a. wie progressiv der_die Gegenüber eigentlich ist. Dass trotzdem auf diese Weise Stereotypen und/oder Klischees stabilisiert, problematische Denkmuster re-/produziert und zudem auch die Objekte des Witzes angegriffen, verletzt oder an einen bestimmten Platz »gerückt« werden, sei eine reine Idee des übermäßigen Kontrollwahns postmoderner Fanatiker_innen.

Was man in der bürgerlichen Gesellschaft konsequent kritisiert, gilt bei einem_r selbst nicht, ist man doch über die bestehenden Verhältnisse als Individuum schon lange hinausgetreten. Zudem gibt es die Freude des doppelten Tabubruchs eines bspw. sexistischen Witzes – man positioniert sich nicht nur gegen die bürgerliche Gesellschaft, nein: man bricht auch noch Konventionen des linken Spektrums.

Man könnte dieses Unterfangen auch die Produktion des »doppelt-vermittelten Witzes« nennen, um eine neu erfundene, aber pseudo-wissenschaftlich klingende Kategorie einzuführen. Man redet sich erfolgreich ein, über die Leute zu lachen, die solche Witze aus einer »nicht-gebrochenen« Position erzählen und auch ungebrochen lustig finden – aber in Wahrheit lacht man doch bloß über den rassistischen Witz selbst.

Unser Fazit: Wir finden Meckern als Verarbeitungsstrategie deutlich besser als »witzigen« Humor!

 

Tabula Rasa