Humor als Meta-Medium der Kritik
Angenommen, dass durch Kritik etwas Gegebenes in Frage gestellt, neu perspektiviert oder auch negiert wird so ist Humor eine genuin kritische Funktion beizumessen. Humor ist schließlich eine komplexe Form der Verkehrung der Werte, eine Strategie der paradoxen Affirmation, eine Einstellung der ironischen Distanzierung oder der augenzwinkernden Anerkennung. Ihm ist die Kraft des ›Trotzdem‹, damit auch des Makaberen eigen, die situativ zur Um- und Aufwertung belastender Situationen verhilft. Ob Humor mit Lachen assoziiert wird oder eher von seiner aggressiven, widerständigen Seite erscheint in jedem Fall ist er ein performatives Reflexionsphänomen, das im Unterschied zu kognitiven Formen der Kritik stets körpergebunden und affektiv grundiert ist. Dies mag ein Grund dafür sein, dass Humor im Rahmen philosophischer Rationalitätstheorien entweder kaum beachtet oder ablehnend verhandelt wird: er scheint einen affirmativen Sensus für Widersinniges bis Unsinniges zu beinhalten, hat es mit Inkongruenzen im weitesten Sinne zu tun, mit semantischen und performativen Spannungen, mit den Grenzen des Erwartbaren, Normalen und Vernünftigen. Dennoch: Humor operiert im Medium wechselnder Perspektivierungen, welche in der Philosophie allerdings eine entscheidende Rolle spielen. Von ihnen hängt nicht nur Einfühlung und Orientierung, sondern eben auch Kritik ab.
In der praktischen Philosophie ist spätestens mit Kants Kategorischem Imperativ ein kritisches Verfahren des Perspektivwechsels benannt, mit dem Fragen der Gerechtigkeit sowie solche der ethischen und politischen Handlungsrationalität angegangen werden können. Vermittelt über einen Rollen- und Perspektiventausch soll die Partikularität des eigenen Standpunktes zugunsten größerer Objektivität überschritten werden. Damit verschiebt sich zugleich der Bezugs- und Sichtrahmen, so dass anderes in neuem Licht erscheinen und zur Geltung gebracht werden kann. Trotz postmoderner Abgrenzungen von der Kantischen Kritiktradition ist die Vermeidung von Starrheit, enger Partikularität und Willkür in der Willens- und Meinungsbildung bis heute ein wichtiges Ziel. Bei einer postkritischen oder neukritischen Vernunft kommt es dann darauf an, gerade nicht ein finales Urteil zu erlangen, sondern letzte Urteile grundsätzlich zu suspendieren und sich stattdessen auf einen unabschließbaren Prozess des Weiterverhandelns und Erfindens hin zu öffnen. In dieser Unabschließbarkeit kann der spezifische kritische Gehalt des Humors liegen.
Warum Bullshitting gefährlich ist: Harry Frankfurt
Harry Frankfurt gehört zu den wenigen Philosophen, die sich mit der Frage beschäftigen, was es mit dem Humor und genauer noch mit dem Unsinn auf sich hat. In seinem kurzen Essay Bullshit hebt er eingangs hervor, dass Humbug und Nonsens aufgrund ihrer Ubiquität und Polymorphie theoretisch undurchdringliche Phänomene seien. Daher wählt Frankfurt ein tentatives Verfahren der Annäherung an den Gegenstand, indem er das Bullshitting zu dem verwandten Phänomen des Lügens ins Verhältnis setzt.
Bullshit und Lüge würden miteinander einen performativen Zug teilen, nämlich die Vortäuschung der Kommunikation von Wahrheit. Um Bullshit oder eine Lüge zu produzieren, müsse man zudem auf ähnliche Techniken der Sinnverstellung und -verdrehung zurückgreifen: Techniken der Über- und Untertreibung, der Verdichtung, Verneinung, Kontrastbildung und Widersprüchlichkeit, die exzessive Ausmalung oder Unterbestimmung von Sachverhalten, die Verkehrung von zentralen und irrelevanten Eigenschaften sind allesamt zweckdienliche Mittel. Ein Unterschied zwischen einem Bullshitter und einer Lügnerin sieht Frankfurt nun darin, dass Ersterer auch unfreiwillig Unsinn produzieren könne, während das für eine Lügnerin ausgeschlossen sei. Zwar kann jemand auch eine Lüge von sich geben, ohne davon zu wissen, doch dann ist diese Person gerade keine Lügnerin und die vermeintliche Lüge ist nur ein Irrtum.
Entscheidend ist beim Vergleich von Unsinn und Lüge, wie sie sich zu Wahrheit und Falschheit verhalten. Während Frankfurt zufolge die Lüge noch im Leugnen der Wahrheit die Wahrheitswertigkeit anerkenne, zu der sie sich ja nur strategisch verhält, gelte Letzteres für Bullshitters nicht mehr. Um eine Täuschung effektiv zu bewirken, muss die lügende Person um den Unterschied zwischen Wahrheit und Falschheit der Sache, die sie in der Lüge vorgibt oder verschweigt, wissen. Während also Lügen immer noch durch die Ausrichtung an der Wahrheit beschränkt wird, verfügt Bullshitting über eine größere Unverbindlichkeit und Freiheit im Produzieren von Unsinn. Es verfälscht nicht nur einzelne Punkte oder Aussagen, sondern kann ganze Bezugs-Kontexte mitfälschen. Bullshitting stellt letztlich sogar die erkenntnistheoretische Rahmung überhaupt in Frage, indem es sich nur scheinbar auf sie bezieht: Bullshitter sind weder daran interessiert, Wahres mitzuteilen, noch daran, das Gegenteil zu tun. Mit diesem Verlassen der binären Unterscheidung zwischen Falschem und Wahrem wird ein fiktionaler Überschuss und entlastender Unernst ins Spiel gebracht. Sie wechseln vom Register des Analytischen (der Lüge) in das des Ästhetischen: Hin zu Improvisation, Ausmalung und Phantasie zu einem bildlich indirekten, verschobenen Sinn, der insofern weder Nicht-Sinn noch nach logischer Maßgabe kohärenter Sinn ist. Der emergierende Unsinn wird also in gewisser Weise als dritte Sinnform kategorial eigenständig: Er wird zum Eigen-Sinn. Daraus resultiere eine ästhetisierende Indifferenz gegenüber der Realität und gegenüber einem um Objektivität und Wahrheit bemühten Denken. In der Ablösung des Bullshittings von den Maßstäben einer distinkten Wahrheitswertigkeit sieht Frankfurt in einer kulturpessimistischen Wendung seines Aufsatzes zugleich den Grund, weshalb es so verbreitet sei. Bullshit sei überall dort unvermeidbar, wo die Umstämde von Sprecher_innen (man könnte ergänzen: von Texten und sonstigen medialen Formaten der Informationsübertragung) verlangen, etwas zu behandeln, wovon sie gar kein profundes Wissen haben. In einer mediendemokratischen Gesellschaft, in der potenziell jede und jeder zur öffentlichen Stimme oder Expertin für alles Mögliche werden könne, ohne Ahnung vom Feld haben zu müssen, würden sich solche Umstände potenzieren. Seine zweite Kritikrichtung zielt direkt auf die Postmoderne und Dekonstruktion. Der mit der Postmoderne erneuerte Skeptizismus ist ihm zufolge der Grund dafür, dass Unsinn geradewegs zu einem neuen Meta-Ideal geworden sei. Da niemand mehr an die Möglichkeit eines zuverlässigen Zugangs zur Wahrheit noch überhaupt an ihre objektiv gegebene Natur glaube, würde die Suche nach Wahrheit und die Abgrenzung zur Falschheit ganz aufgegeben und damit auch gleich jede methodische Bemühung um eine möglichst neutrale Annäherung an ein Thema. Die anti-realistische Doktrin setze an die Stelle neutraler Methoden der Wahrheitsüberprüfung durch Logik und Wissenschaft die subjektive Wahrhaftigkeit und die persönliche Meinung als letzten Anker der Orientierung von Sinn und Bedeutung. Dies aber sei die eigentliche Form des narzisstischen Selbstmissverständnisses: Wir könnten nichts von uns selbst wissen, das nicht aus einer Interaktion mit der Welt resultiert. So können wir also nichts Richtiges über uns selbst aussagen, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, etwas Richtiges über die Welt auszusagen. Dass nach konsequent skeptischer Bemessung subjektive Wahrhaftigkeit ebenso eine Chimäre sein müsste, wie es die objektive Natur der Wirklichkeit sein soll, werde nicht mitbedacht. Die Skepsis, die dem Bullshit frönt, macht plötzlich eine Ausnahme, ohne Gründe dafür zu haben. Das, so schließt Frankfurt, ist die Absage ans Denken überhaupt und insofern ist Bullshit eine Form von Schwachsinn, der mit dem Ernst der Philosophie nicht kompatibel ist.
Dieses drastisch-negative Fazit schließt sich umstandslos an die Kritik am Humor an, die von Platon an über die monastischen Lachregeln des Mittelalters bis zu heutigen Skeptikern des Humors tradiert ist. Weil humoristische Interventionen mit ihrem Hang zur Affirmation von Widersinn und Verdrehung von Sinn, aber auch aufgrund ihres Sinns für das Deftige, Physische, für Genuss und Heiterkeit auf Kosten der ernsten Vernunft gehen, hält man sie für erkenntnistheoretisch unzuverlässig, moralisch bedenkenswert und politisch gefährlich.
Zur postkritischen Vernunft des Humors: Sigmund Freud
Diesem Befund steht eine positive Variante des Diktums vom triumphierend-trotzigen Humor entgegen, wie sie sich u.a. bei Sigmund Freud findet. Freud hat Humor zunächst explizit vom Witz unterschieden. Der Witz benötigt ihm zufolge eine aktuelle soziale Konstellation von Witzemacher_in und Publikum, in der zudem ein Grundverstädnis von Gut und Böse, Erlaubt und Nicht-Erlaubt geteilt wird. Nur unter der Voraussetzung eines geteilten Wertekanons kann sich die soziale Bindungsfunktion des Witzemachens und Lachens einstellen. Diese besteht darin, sich unsanktioniert in einer Witzrunde gegen bestehende Normen lachend zu verschwören, um damit zugleich die Autorität bestehender Normen unangetastet zu lassen. Der Männerwitz, die Zote, die stets eine sexuelle Aggression gegen eine Frau enthält, funktioniert z.B. nur verschwörerisch in einer exklusiven Männerrunde. Und auch die Zote lässt das Tabu eines echten sexuellen Übergriffs intakt, indem sie diesen Übergriff sublimiert. In der verkleinernden Witzform werde die Aggression akzeptabel. Dass Witze von Verbotenem handeln dürfen, ohne der Zensur zum Opfer zu fallen, verdankt sich nach Freud einer Art Camouflage, die an den Techniken der Sinnverschiebung von Witzen hängt. Das Über-Ich, als Zensurinstanz, wird insbesondere durch die Schnelligkeit der Pointen, durch überraschende Doppelbedeutungen, durch verkleinernde oder übertrieben ausfallende Verbildlichungen und Vergleiche von Ungleichem überrumpelt. Die Zensur bleibt daher stumm und der Organismus, so deutet es Freud libido-ökonomisch, spare so zum einen Zensurenergie und könne zum anderen die zusätzlich gewonnene Lust über das Lachen abfuhren. Wegen der Bedeutung die Freud diesen Effekten auf den Energiehaushalt beimisst, zählt sein Ansatz zu den sogenannten Erleichterungs- oder Abfuhrtheorien des Humors.
Freuds später verfasste Humortheorie weicht davon ab. Im Unterschied zum Witz lasse sich Humor auch einsam entwickeln und genießen. Während ein Witz misslungen ist, wenn die Lacher ausbleiben, lässt sich Humor, Freud zufolge, vom Lachen abkoppeln. Humor zu zeigen, bedeutet nicht automatisch, lachen zu müssen. Während zudem Witze Sublimationsformen für verbotene Aggressionen und sexuelle Triebe darstellen, ist der Humor seinem Gegenstandsbereich nach nicht derart eingeschränkt. Humor ist für Freud eher so etwas wie eine philosophische Grundeinstellung zur Welt, die durchaus idiosynkratisch ausfallen kann. Im Verhältnis zur Topologie des psychischen Apparats nehmen Witz und Humor unterschiedliche Funktionen ein, die als immanente Formen der Revision oder Suspension bestehender Hierarchien zwischen den Instanzen des triebhaften Es, des anpassungsorientierten Ichs und des gesellschaftlich-normativen Über-Ichs gelten können. Während der Witz durch Camouflage das Über-Ich beschwichtigen und hintergehen muss, um Freiräume der Lust zu gewinnen, fällt die befreiende Revolte gegen das Über-Ich im Humor in gewisser Weise noch subtiler und zugleich fundamentaler aus:
»Der Humor hat nicht nur etwas Befreiendes wie der Witz und die Komik, sondern auch etwas Großartiges und Erhebendes, welche Züge an den beiden anderen Arten des Lustgewinns aus intellektueller Tätigkeit nicht gefunden werden. Das Großartige liegt offenbar im Triumph des Narzissmus, in der siegreich behaupteten Unverletzlichkeit des Ichs. Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, dass ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahegehen können, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind. Dieser letzte Zug ist für den Humor durchaus wesentlich. […] Der Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag.«
Humor wird auch bei Freud mit dem Narzissmus in Verbindung gebracht nur im Kontrast zu Frankfurt ist das nichts Schlechtes. Humor wird im Zitat zudem explizit über die Wirkung charakterisiert, die Hierarchie jener Instanzen, die den psychischen Apparat regieren, vorübergehend neu zu sortieren. Humor soll zum selbstbehauptenden Triumph einer fragilen Ich-Instanz führen, die den Widerfahrnissen des Lebens plötzlich trotzt. Aber das gelingt nur deshalb, und das ist die häufig übersehene Pointe Freuds Humortheorie, weil der Humor eine nicht-personale Instanz stärkt: nämlich das Lustprinzip selbst. Der Humor vermag über die Widerstände des Lebens zu erheben, ohne auf eine trotzig unbewegliche Position festzulegen, weil er eine Art intrapsychische Meuterei des Ichs gegen die Herrschaft des übermächtigen Über-Ichs anzettelt. Während normalerweise das Über-Ich, verstanden als Inbegriff alles kulturell Gebotenen und Verbotenen, die normativen Dimensionen des Realitätsprinzips gegenüber dem Ich und Es verwaltet und durchsetzt, schwingt sich im Humor das schwächere Ich unautorisiert über die Urteile des Über-Ich hinaus, mit einer Haltung von: »Ich weiß zwar... aber: Na und?« Anstatt zu übersehen oder auszuklammern, was sich dem Lustvollen in den Weg stellt, beginnt der Humor – unter Inkaufnahme der offenen Verletzung des Realitätsprinzips – mit diesen Widerständen zu spielen. Aus Ernst wird Spiel, und zwar ein Spiel mit dem Ernst.
Humor zwischen Distanzierung und Anteilnahme Zum Eigensinn humoristischer Kritik
Auf Freuds Ansatz bezogen scheint mir nun Folgendes hervorhebenswert: Während das Lustprinzip auf eine die Gegenwart betonende, rauschhafte Entgrenzung, Bedürfnisbefriedigung, Symbiose und phantasieartig gesteuerte Wunschausrichtung zielt, ist das Realitätsprinzip für die Zurückdrängung der Wünsche und Triebe zugunsten einer »realistischen« Repräsentation von Welt zuständig. Es zielt dabei auf langfristiges Denken und Planen und insgesamt auf Kulturproduktion durch Sublimation. Wenn es also heißt, dass Humor dazu beiträgt, das Lustprinzip zu stärken, ließe sich das nun so übersetzen, dass Humor als eine Art dionysischer Schalter fungiert. Er schaltet in eine eigensinnige Matrix um, wobei er eine dionysische Ordnung der rauschhaften und auch metaphorisch-assoziativ verfahrenden Sorte gegenüber einer vernunftorientierten, stringent-logischen Ordnung verstärkt in Stellung bringt. Als Schalterfunktion verstanden schaltet er eben nicht nur das Realitätsprinzip einfach in eine Richtung aus. Das würde ja bedeuten, durch Humor ein für alle Mal den Boden unter den Füßen zu verlieren. Im Humor werden vielmehr Lust- und Realitätsprinzip miteinander verschaltet, so dass beide in ein irritierendes, nicht-stillstellbares, uneindeutiges Verhältnis zueinander versetzt werden.
Das daraus emergierende, spezifisch humorvolle Wahrnehmen und Handeln bringt imaginäre und hybride Gestalten und Verhältnisse sowie fiktionale Dimensionen der Wirklichkeit ans Licht. Nicht umsonst waren die lustorientieren, dionysischen Satyrspiele von Tiermasken und Zwischenwesen bevölkert, die zwischen Tier, Mensch und Fabelwesen changierten. Sie sind die Maskengewordenen Topoi des humorvoll in Stellung gebrachten Lustprinzips. Das dem Realitätsprinzip folgende Verhalten artikuliert sich demgegenüber im linearen Sprachmodus und in kohärenzorientiertem Denken und zielt auf eine – wie auch immer im Einzelnen zu bemessende – »angemessene« Repräsentation von Wirklichkeit. Wird das Lustprinzip gestärkt, wie wir mit Freud aus der Traum- und der Humoranalyse lernen können, so wird damit zugleich ein spezifisch bildlich-rauschhafter und frei assoziierender Modus im Zugang zur Welt gestärkt.
Man könnte die mit Freud hervorgehobene dionysische Tendenz des Humors, seinen Hang zu unbegründeten Umwertungen sowie seine tendenzielle Bereitschaft zur Affirmation von Widersprüchlichem zu einem Lob des Humors steigern, das speziell in diesen Faktoren seine intellektuelle Spannkraft sieht. Von dorther ließe er sich gegenüber anderen Formen des Denkens in postkritischer Zeit geradezu als überlegen auszeichnen, da er Positionen flexibel revidieren und setzen kann, ohne den Mut darüber zu verlieren, dass es keine letztverbindlichen Rahmungen gibt. Da Humor ein Denken und Wahrnehmen jenseits des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten ermöglicht, ohne in den Wahnsinn zu treiben, lässt er sich tatsächlich als spezifische Kritik an den Begrenzungen traditionalistischer Logiken und Rationalitätsvorstellungen á la Frankfurt in Anspruch nehmen.
Doch einem derartigen Lob des Humors, das einseitig seine kognitiven Leistungen hervorhebt, würde bei aller Berechtigung entgehen, dass wir es dabei mit einer Haltung und Verhaltensdisposition zu tun haben, die nicht zufällig mit gemischten Lustgefühlen einhergeht und Heiterkeit stimuliert. Diese Aspekte unterscheiden die humoristische von rein kognitiven Distanznahmen und Reflexionen. Humor ist nicht ohne seine affektive Grundierung und Wirkung zu haben und bleibt auch in seinen bildlich-intellektuellen Bezügen einer sinnlich-anschaulichen Materialität verhaftet. Bloße Abstraktion ist nicht sein Medium und nicht sein Geschäft. Seine wesentliche Operation besteht vielmehr darin, Sinn- und/oder Unsinnsangebote in eine greifbare Wirklichkeit umzuformen und so spielerisch handhabbar zu machen.
Die Hervorhebung des affektiven Grundes des Humors steht in Spannung zu einer verbreiteten und langtradierten Auffassung, der zufolge Humor mit einer Anästhesierung des Gefühls einhergehe. Die buddhistische Gelassenheit und zurückgelehnte Heiterkeit, die der Humor gemeinhin hervorbringen würde, basiere auf intellektueller Distanz und Kühle des Herzens. Wie Aristoteles feststellte, würden wir uns nicht über Schmerzen, Leiden und Not in der Komödie amüsieren können, wenn wir uns empathisch darauf einlassen müssten und mit den in Not Geratenen distanzlos identifiziert würden. Humorvolle Distanz substituiere Mitgefühl und umgekehrt. Furcht und Mitleid gelten ja deshalb auch als die Währung der Tragödie.
Nach meiner Auffassung ist es jedoch gerade die affektive Grundierung des Humors, die seine spezifisch epistemische und praktische Kraft ausmacht. Seine affektiven Antriebe fungieren als immanent gegenläufige Kraft zu den in der Tat ebenfalls mit ihm verbundenen Distanzierungen. Aber Distanz ist nicht gleich Distanz. Humoristische Distanzierung verläuft nicht ber größere Abstraktion vom Gegenstand. Vielmehr gewährt sie eine Vervielfältigung von Perspektiven auf die Welt. Die ›Welt‹ wird im humoristischen Zugriff ungenau, unfassbar, auf keine letzte Basis und bestimmte Objektivität festlegbar, aber sie steht in ihrer Nicht-Reduzierbarkeit plastisch und lustbesetzt vor uns. Die promisken Perspektivübernahmen des Humors finden ihren Halt nicht in einer externen Referenz, sondern vielmehr in ihrer humorimmanent lustvoll-metaphorischen Assoziiertheit. Insofern die Grundierung des Humors lustvoll und bildlich ist und nichts ausschließen muss, ist Humor im Grunde affirmativ und nicht vernichtend. Das ist er selbst dort noch, wo seine Mittel scharfe Kritik oder sogar Boshaftigkeit sind. Er verfügt durch seine Lustgrundierung über einen Motor, der sein Spiel antreibt und dabei die Verbindung und Nähe zu dem Unfasslichen/Unsinnigen aufrechthält, das er gleichermaßen wahrnimmt wie generiert. Auch wo der Humor nicht über sich selbst lacht, weiß er um seine Spielerei und antinomische Struktur, die ihn als anteilnehmende Distanzform ausweist. Erst wenn die lustvolle Grundierung verloren geht, kippt der Humor ins Vergebliche, Bittere und Zynische. Wann und wodurch das geschieht, ist selbst regellos. Der Zynismus ist jedoch nicht mehr flexibel, sondern führt Flexibilität als unhintergehbare Verderbnis vor. Damit ist allerdings ein Registerwechsel vom Ästhetischen zurück ins überforderte und damit kraftlose Epistemische vollzogen.
Fazit
Auch wenn Humor keiner binären Logik folgt, muss er keineswegs von den traditionellen Ordnungen der Vernunft gänzlich absehen. Er produziert nicht per se Schwachsinn, nur weil er die Dimensionen des Unsinns ausprobiert. Seine Kritikfunktion ist daher eine Meta-Kritikfunktion, die ihre affektive Verbindlichkeit und ihr Engagement nicht verleugnen muss. Zwischen den binären Unterscheidungen von Sinn und Nicht-Sinn, wahr oder falsch, ernst oder lustig verwaltet der Humor die große Zone des verschiebbaren (Un-)Sinns und eröffnet Ausblicke und Handlungsräume, wo sonst vermeintlich nur Mauern und Sackgassen sind. Die Risse und Fehler, die halb gedachten, dummen und abgebrochenen Gedanken, die altgewordenen Wahrheiten und Wiederholungen, die Stummheit des Himmels und der rasende Glaube sind ihm ebenso Wirklichkeiten, die er ungläubig affirmiert, wie ihm philosophische, künstlerische und politische Konstrukte, technische Glanzleistungen und Medienwandel Material zur spielerischen Re-Vision liefern.
Christiane Voss