diskus: Als wir uns im Rahmen dieser Ausgabe mit der Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Ohnmacht beschäftigten, richtete sich unsere Aufmerksamkeit sehr schnell auf die öffentlichen Debatten um Ausstellungsprojekte wie die Documenta 14 oder die Venedig Biennale des letzten Jahres. Im öffentlichen Räsonnement scheinen diese Ausstellungen und die in ihnen präsentierte Kunst in verschiedener Hinsicht ohnmächtig. Der Documenta 14 wurde und wird zum Beispiel vorgeworfen, dass ihre Intention eine politische Botschaft zu vermitteln scheiterte. Wenn schon die breite Öffentlichkeit die Sinnhaftigkeit dieser Veranstaltungen immer mehr in Frage stellt, verwundert es nicht, wenn auch breite Teile der (radikalen) Linken kein Interesse an diesen ›etablierten‹ Institutionen zeigt. Wie habt ihr den Medienrummel um die Kunst im vergangenen Jahr wahrgenommen? Wird zum Beispiel der Documenta zurecht Ohnmacht vorgeworfen? Wie hat sich die Linke zur (etablierten) Kunst zu verhalten?

Lea: Generell beobachte ich eine gesamtgesellschaftliche Repolitisierung. Das reproduziert sich eben auch im Bereich der Bildenden Kunst. Mir scheint sich in der Art, wie diese großen Ausstellungsprojekte konzipiert und wie sie rezipiert wurden, eine neue Dringlichkeit auszudrücken, sich mit Politik zu beschäftigen.

Sina: Wir waren als Curatorial Studies Jahrgang auf der Documenta14 und haben uns viel darüber ausgetauscht, auch darüber, dass wir immer wieder keinen Bezug zu den Werken finden konnten. Ich sehe ein großes Problem darin, dass die Kurator_innengruppe um oder unter AdamSzymczyk mit einer wahnsinnig dominanten Moral argumentierte. Das war mir neu. Zwar war auch die Biennale zwei Jahre zuvor unter OkwuiEnwezor sehr politisch und hat einen die ganze Zeit gefühltermaßen angeschrien, aber es wirkte weniger moralisierend.

Johanna: Das könnte daran liegen, dass ein postkolonialer Ansatz damals noch relativ neu war und es jetzt auf der Documenta eben nicht mehr war. Mir ging es bei meinem Besuch jedenfalls ähnlich. Alles war unfassbar kleinteilig und detailliert in Glaskästen und Vitrinen ausgestellt, sodass bei mir eher der Eindruck aufkam, ein Archiv zu studieren.

diskus: In der medialen Rezeption der Documenta hieß es, wenige Werke konnten oder sollten wirklich für sich sprechen und auch, dass in Kassel bewusst keine Kunst mehr ausgestellt wurde, um eine Aussage über die Kunst zu machen. Ein Motto der Documenta war auch, man solle ›verlernen‹.

Sina: Ja, ›unlearning‹. Man wurde geradezu beschallt mit diesen Begriffen: decolonizing, dislocating, oder eben unlearning. Aber wie kommt man aus dieser ständigen Verneinung von allem wieder heraus? Und wie kommt man weiter? Die Documenta 14 hatte meiner Meinung nach durchaus etwas Arrogantes, indem sie diese Haltung einnahm.

Johanna: Die Documenta 14 versuchte recht deutlich, einer linksradikalen Kritik am ›Establishment‹ gerecht zu werden. Wenn man durch den Katalog blättert, sind da vier bis fünf Global Player drin und den Rest kennt niemand. Es wurde also offenbar versucht gegen Künstler_innen, die immer zu sehen sind, andere zu setzen, die von überall aus der Welt kommen, aus kleinen Galerien, und vielleicht noch nie auf einer größeren Ausstellung waren oder gar noch nie eine Einzelausstellung hatten.

Sina: Oder die schon tot sind. So viel wie noch nie wurden Personen auf der Documenta vertreten, die nun nicht mehr so viel davon haben.

Johanna: Wobei dann ja auch der Anspruch verloren geht, ein Abbild der Gegenwartskunst zu sein, den die Documenta eigentlich hat. Allerdings gibt es auch eine historische Begründung, warum sie so pädagogisch oder moralisch argumentiert. Schon die erste Documenta hatte ein sehr pädagogisches Konzept. Arnold Bode hat damals in den 1950er Jahren eine Art ästhetisches Entnazifizierungsprogramm gestartet als explizite Gegenausstellung zu sowas wie ›Entartete Kunst‹, um den Deutschen, die während des Nationalsozialismus gar keinen Zugriff auf moderne Kunst hatten, wieder den Zugang dazu beziehungsweise ästhetische Bildung zukommen zu lassen. Im Kontext dieser Geschichte der Documenta ist es vielleicht nicht so sehr erstaunlich, dass die Documenta 14 wieder pädagogisch daherkommt und Weisheiten postulieren will.

 

Die Linke und ihr Verhältnis zur Kunst

diskus: Ihr sagtet, bei der Documenta wurden linke Diskurse aufgegriffen, trotzdem gibt es gerade von links immer wieder den Vorwurf, dass es sich dabei um ein ›bürgerliches Elitenprogramm‹ handele.

Lea: Ich finde diesen Vorwurf erstaunlich, weil ich mir dann die Frage stelle, mit was beschäftigt man sich als ›Linker‹. Natürlich kann man an so Großausstellungen, wo eine Menge Geld drinsteckt und die Eintrittskarten 25 Euro kosten, Kritik üben, sollte man auch. Aber auf der anderen Seite würde ich behaupten, dass Kunst auch innerhalb dieser Institutionen Momente sichtbar macht, die gerade nicht an Verwertungsprozessen anknüpfen und eine gewisse Erfahrung ermöglichen. Und auf eine spezifische Art braucht Kunst auch diesen Rahmen um sich materiell und situativ darin reflektieren zu können. Kunst ist kein Buch, das man liest und über das man sagen kann, das ist richtig oder falsch. Es ist auch keine eindimensionale Erfahrung. Viele Linke gehen ja auch nicht in die Arbeiterviertel und machen Politik, sondern sitzen in der Uni. Bürgerliche Kunst scheint ja durchaus eine gewisse gesellschaftliche Wirkmächtigkeit zu haben und dann per se zu sagen, sobald etwas einen gewissen Grad an Institutionalisierung erreicht hat, finden wir es scheiße, ist zu einfach.

Sina: Ich finde den Vergleich zum Lesen eines Buches spannend. Ein Buch, das man liest und das man als richtig oder falsch bewerten kann. Genau das ist mittlerweile die Attitüde, wie mit bildender Kunst umgegangen wird, und das ist fast die gleiche Einstellung, die ihr als aus der linksradikalen Kritik kommend beschreibt. In der Art: Entweder ich identifiziere mich jetzt mit dieser Kunst und sie macht das, was ich will, oder sie ist schlecht. Allerdings tun dies auch Künstler_innen selbst. Dass Dana Schutz‘ Bild abgehängt werden müsse, kam von Seiten verschiedener Künstler_innen. Oder die Kontroverse um Balthus‘ Gemälde des Mädchens, deren Unterhose sichtbar ist. Dass all diese Werke jetzt mit Petitionen ›weggeschafft‹ werden, ist ein neues Verhältnis, das aus einer identitätspolitisch sensibilisierten Gesellschaft kommt. Anscheinend sind Menschen mobilisiert, weil Kunst in der aktuellen gesellschaftlichen Situation eine völlig andere Rolle einnehmen soll – was sie aber nicht tut und was sie auch vorher nicht getan hat. Ich glaube, dass Kunst 2017 nicht sehr viel andere Dinge tut als sie 1957 getan hat, aber mir scheint es gibt ein stärkeres Bedürfnis, das in Schach zu halten. Und linke Kritik, die dabei stehen bleibt, ist zu kurzgegriffen. Diese Wut, das ist am Ende reiner Ikonoklasmus.

diskus: Wenn Kunst eine gewisse Wirkmacht erreicht hat und in gewissem Maße institutionalisiert ist, gibt es Ressentiments dagegen. Aber was bleibt auf der anderen Seite? Autonome Kunst, die in irgendwelchen Autonomen Zentren ausgestellt wird, hat fast überhaupt gar keine gesellschaftliche Wirkmächtigkeit. Kann das die Alternative sein?

Lea: Nein, nur weil Kunst im AZ steht, heißt das nicht, dass sie irgendwie emanzipatorisch ist. Nur weil da ein Refugees Welcome-Sticker drauf ist, muss das nicht bedeuten, dass darin eine Reflexionsleistung vollbracht wird, die über diese Message hinausgeht. Natürlich gibt es auch Künstler_innen, die sich oder ihre Kunst als politisch betrachten, was auch immer politisch bedeutet. Natürlich gibt es also politische Kunst. Kunst ist auch nie unabhängig von dem gesellschaftlichen Kontext, in dem sie stattfindet, allein schon materiell, und vielleicht gerade dadurch polititsiert. Aber man muss auch trennen können zwischen der Kunst selbst und einer Rezeption, die sie politisiert. Auf der Biennale gab es beispielsweise Leute, die mit Tüten, auf denen Refugees' Rights stand, in den Pavillon gekommen sind. Das ist ein Beispiel für eine Reaktion auf eine moralische Anrufung, die diese zugleich verflacht. Ich habe die zu dieser Tasche zugehörige Ausstellung oder das Happening nicht gesehen, aber die Tasche allein fand ich schon sehr befremdlich in diesem Kontext.

Johanna: Ein weiteres Beispiel dafür ist das neue Werk von Ai Weiwei, das er auf der Hong Kong Biennale ausgestellt hat. Es ist ein überdimensional großes Schlauchboot, in dem sehr figürlich Geflüchtete sitzen. Das wurde für seinen politischen Gehalt hoch gelobt, tatsächlich ist es aber unfassbar plakativ und künstlerische Abstraktion, die das Thema reflexiv bearbeiten würde, wird hier gar nicht erst versucht. Ich finde an solchen Arbeiten zeigt sich immer ganz gut, dass dieses Hau drauf-Engagement sehr platt ist und dass darin nicht das Politische der Kunst liegen kann. Dann kann ich mir auch einen Flyer durchlesen, dazu brauche ich nicht dieses überdimensionierte Schlauchboot von Ai Weiwei. Viel spannender finde ich dagegen, was etwa in den 1920er Jahren in Russland passiert ist. Dass das revolutionäre Gedankengut dieser Zeit, in eine Kunst mündete, die mit Abstraktion arbeitet, Komposition, geometrische Formen neu im Bildraum anordnet und eben ganz anders als der spätere Sozialistische Realismus nicht versucht Hau drauf-mäßig zu zeigen: »So sieht die Utopie aus; hier sind Bäuer_innen und Arbeiter_innen und die geben sich alle die Hand oder sitzen alle zusammen in einem Schlauchboot.« Sondern zu zeigen: »Das könnte eine andere Welt sein.« In einer Form, die vorher noch nicht da war, die ein Fenster öffnet, in eine Welt, die es in der Realität nicht gibt. Vielleicht liegt genau darin dieses kleine Versprechen, dieses kleine Fünkchen, was Kunst noch hat oder was Kunst uns als radikal Linken geben kann; das Fenster zu etwas anderem, aber eben nicht zu einem Schlauchboot.

Sina: Ich finde das Verhältnis von Revolution und Formalismus auch sehr spannend. Immer dann, wenn es in den aktivistischen Zustand übergeht, verliert der Formalismus seinen Charme oder seine ›Kraft‹. Es gibt kein Interesse mehr daran, weil es die ganze Zeit darum gehen muss, sich selbst zu bestätigen: »Wir leben jetzt in der Utopie und jetzt brauchen wir keine Abstraktion mehr.« Salopp gesagt. Die Kritik einer heutigen Linken an Abstraktion als snobistisch halte ich deshalb für problematisch. Allerdings ist es schon richtig, dass die Abstraktion aus einer modernistischen und damit weitgehend bürgerlichen Tradition kommt. Was wir heute als Kunst verstehen, vertritt nicht den Anspruch auf Utopie, noch will es indoktrinieren. Es ist eben keine Bildersprache mehr wie etwa in der Kirche. Oder im Sozialistischen Realismus.

 

Institutionalisierung und Nationalisierung von Kunst

diskus: Nun haben wir bereits über die Institutionalisierung von Kunst und die gesellschaftliche Wirkmächtigkeit, die damit einhergeht gesprochen. Ist diese Vereinnahmung durch einen institutionellen und im konkreten Falle der Biennale nationalen Kontext also etwas, was man in Kauf nehmen muss, um überhaupt ein Werk wie zum Beispiel Faust von Anne Imhof realisieren zu können? Wie ist es, selbst in einen solchen Kontext eingebunden zu sein?

Lea: Ja, das ist ein Widerspruch, den wir in Kauf nehmen mussten. Natürlich ist das problematisch und es wäre viel besser, wenn man solche Projekte auch jenseits nationalstaatlicher Rahmen umsetzen könnte. Das hätte aber vermutlich zur Voraussetzung, dass die Welt selbst nicht mehr nationalstaatlich und durch Ausgrenzungen verfasst wäre. Aber den absoluten Bruch damit in der Performance selbst und in der Gegenwart vollziehen zu wollen, würde die Performance bloß auf den nationalstaatlichen Kontext beziehen. Im deutschen Pavillon die antideutscheste Performance zu machen, wäre dann eben doch wieder ziemlich deutsch und hat uns nicht primär interessiert. Dass in den Tageszeitungen steht, »Deutschland holt den Goldenen Löwen«, ist sehr ärgerlich. Auf der andern Seite wäre es aber doch ein fataler Fehler, es deshalb nicht zu tun und denjenigen das Feld zu überlassen, die mit dem nationalstaatlichen Rahmen überhaupt kein Problem haben; die die Repräsentation freiwillig übernehmen und dann auch noch denjenigen, die solche Kunst affirmativ rezipieren wollen, etwas geben, womit sie sich wohlfühlen können. Es bleibt ambivalent und es gibt darauf keine eindeutige Antwort. Letztlich gibt es jenseits dieser Kontexte ganz einfach auch nicht die Mittel und Ressourcen solche großen Projekte zu realisieren. Künstlerisches Schaffen ist immer noch prekär und es gibt nur wenige Künstler_innen, die diese Prekarität verlassen. Wahrscheinlich sind das weniger als an deutschen Universitäten kritische Wissenschaftler_innen, die Möglichkeit haben Professor_innen zu werden.

Johanna: Eine Auseinandersetzung mit dem institutionellen und nationalen Kontext kann auch im Werk selbst stattfinden. Wie alle, die den Deutschen Pavillon auf der Biennale bespielen, hat sich Anne Imhof erst einmal mit der Architektur auseinandergesetzt, was man auch quasi notwendigerweise tun muss, weil es sich dabei um Nationalsozialistischen Klassizismus handelt. Sie hat die Front des Pavillons zugebaut und zwei riesige Käfige davor gesetzt, in denen zwei Dobermänner herumstolzierten. Man konnte den Pavillon daher nur über den Seiteneingang betreten. Die Türen waren durch Rollgitter ersetzt, davor standen junge Frauen mit Antifa-Cappies und Trainingsjacken wie Türsteherinnen und man musste Schlange stehen. Im Pavillon war dann ein zweiter Boden aus Glas eingezogen, unter dem nur die Performer_innen sich bewegen konnten. In ähnlicher Weise waren auch noch andere Orte des Pavillons nur für die Performer_innen zugänglich wie etwa höher gelegene Podeste. Es wurde also bereits viel mit der Architektur des Pavillons selbst gearbeitet. Dadurch wurden die Performer_innen in eine gewisse Machtposition versetzt, sich unter, über oder einfach nur unabhängig von den Besucher_innen bewegen zu können. Für ihre an Faschismus gemahnende Ästhetik und die Abgeschlossenheit der Performer_innengruppe, die in ihren Bewegungen oft an politische Aktivist_innen erinnerte, zum Beispiel ausgestreckte Fäuste oder Figuren, die erobernd, okkupierend oben auf den Plattformen oder dem Portikus des Pavillons standen, wurde die Performance auch kritisiert. Es ist, meines Erachtens, allerdings gerade eines der stärksten Momente des Werkes, einen politische Auftritt zu inszenieren, ihm aber gleichzeitig auch zu widersprechen. Die Performer_innen wirkten ohnmächtig, stellenweise unbeteiligt – gerade dadurch, dass sie in weiten Teilen so von den Betrachter_innen abgeschlossen waren, auch dann wenn keine wirkliche Glasscheibe zwischen ihnen lag.

Sina: Weil der Gewinn des Golden Löwen angesprochen wurde, habe ich kurz überlegt, wann der Deutsche Pavillon zuletzt gewann. Das war, als Christoph Schlingensief und Susanne Gaensheimer ihn bespielten. Die damalige Auseinandersetzung war tatsächlich ähnlich zu der, die über Anne Imhof stattfand. Man kam in den Pavillon und der war einem Tempel ähnlich gestaltet; eben in der Ästhetik Schlingensiefs, dem ja auch öfter ein Hang zu faschistischer Ästhetik vorgeworfen wurde und der auch bewusst damit arbeitete, die Grenzen auszutesten; wie man sich bestehende Formalismen aneignen kann. Was also ähnlich war, war eine Erfahrung der Ohnmacht in Anbetracht dieses überwältigenden Arrangements. Wie bei Schlingensief, der sein Krankenbett über den Besucher_innen thronen ließ, thronten bei Imhof die Performer_innen über und unter den Besucher_innen und so war man dazu verleitet, sich der Situation hinzugeben und eine defensive Position einzunehmen, obwohl das, was dargestellt wurde, selbst eigentlich die Ohnmacht war. Und vielleicht ist es genau diese Form der Überwältigung, durch die Zurschaustellung der Ohnmacht, die dabei dann gleichzeitig gar nicht mehr so ohnmächtig ist, was im spezifisch nationalen Kontext des Pavillons angemessen erscheint.

Lea: Natürlich war all das ein Thema für uns als Beteiligte. Wir haben darüber nachgedacht, wie man diese Architektur nutzt und durch die Performance verändert und wir haben uns auch mit der Rolle als Vertreter_innen dieser Institution auseinandergesetzt – Susanne Pfeffer hat zum Beispiel einen sehr kritischen Text zur Performance geschrieben. Auf der anderen Seite haben wir darin auch einfach ein Projekt verwirklicht, das mehr ist als das; das den Rahmen, in den es zwangsweise eingefasst ist, überschreitet. Die Frage, die sich dann schnell stellt, ist, inwiefern tut es das? Was haben wir da eigentlich gemacht? Genau diese Frage, worum geht es darin, nail it! Das ist eine Frage, die man allen beantworten muss, die nicht da sein konnten, die aber nicht zu beantworten ist in diesem Sinne. Auch ich weiß nicht, worum es da ging. Ich weiß nur, dass ich viele von den ästhetischen Entscheidungen, die Anne getroffen hat, gut finde, ebenso wie die Auseinandersetzungen, die wir darüber hatten.

Johanna: Eine Deutung des Werkes scheint mir viel sinnvoller, wenn man diese Momente nicht zu Symbolen erhebt, sondern erst einmal aufzeigt, inwiefern sie Teil des Werkes selbst waren und bestimmten Zwecken im Werk dienten, wie etwa die Smartphones zur Kommunikation untereinander. Wenn man das Werk so unter eine eindeutige Bedeutung zwingen will, dann vernachlässigt man auch einfach viel zu viele solcher Momente. Zum Beispiel hat Musik eine große Rolle gespielt. Es gab ein Wasserbecken, Schläuche, die verschiedenartig genutzt wurden. Ich habe Steinschleudern gesehen. Sicherlich fügen sich davon einzelne Momente zu einer bestimmten Deutung. Aber das Werk ist immer noch mehr. Der Gehalt des Werkes kommt auch zum Ausdruck, wenn man sie immanent und formal beschreibt. An der bereits angesprochenen Auseinandersetzung mit der Architektur wird das deutlich. Sie gab den Performer_innen Räume, die nur ihnen zugänglich waren, dort hatten nur sie die Macht, an anderer Stelle mussten sie unter den Besucher_innen durchkriechen, dort waren sie vielleicht ohnmächtig, fast überall waren sie Blicken ausgesetzt, konnten aber auch zurückblicken; hatten vielleicht sogar eine herrschaftliche Perspektive von oben. Bereits die Architektur verweist auf ein Aushandeln von Macht- und Ohnmachtpostitionen zwischen den Betrachter_innen und den Performer_innen. Solche Beschreibungen verraten vielleicht mehr über das Werk als symbolische oder metaphorische Deutungen.

Sina: Als ich solche Rezensionen gelesen habe, dachte ich mir auch oft, das ist einfach nur ziemlich schade, dem Ganzen so etwas Einheitliches aufzuzwingen. Es wird in allen Dingen danach gesucht, die einmal getroffene Deutung wiederzufinden, ohne für das Werk selbst und seine einzelnen Momente offen zu sein. Anstatt dass man Fragen stellt wie: Wie ist es, auf einem Glasboden zu laufen? Wie verändert sich die Architektur dadurch? Sieht man dadurch mehr oder weniger? Was macht das mit der Akustik? Wie erleben es die Performer_innen? Anstatt also werkimmanent zu bleiben, trägt man gleich so große Fragen an das Werk heran, die gar nichts mit dem Werk selbst zu tun haben. Die drängende Frage nach dem, was es bedeutet, ist vielleicht nicht die richtige Frage. Vielleicht ist es auch einfach nur eine Aufforderung, ein Vorschlag von Anne Imhof, auf den die Performer_innen eingehen, dann beginnt eine neue Situation und die bedeutet erstmal nichts und das Werk ist nicht primär ›Spiegelung der Gesellschaft‹ oder eine Antwort auf die Frage nach gegenwärtiger Subjektivität.

 

Kunst als Gesellschaftskritik?

diskus: Wenn jedoch die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft in der Kunst besonders auch in einem kritischen Sinne nicht so eindeutig auszumachen ist, inwiefern kann Kunst dann eine Wirkung entfalten und inwiefern ist sie dabei von Interesse für eine gesellschaftskritische Linke?

Lea: Vielleicht ist das eine globale Aussage, aber vielleicht passt es auch. Ich würde sagen, genauso wie Sina und Johanna Kunstexpertinnen sind und ich das nicht bin und sie eine spezifische Sprache sprechen, um über Kunst zu sprechen, die ich nicht spreche, gibt es das auch in der Politik und in anderen Bereichen. Es ist, glaube ich, wichtig zu begreifen, dass man sich da in unterschiedlichen Rahmen bewegt. Wenn man die Frage nach dem emanzipatorischen Potential von Kunst stellt, dann heißt das eben nicht unmittelbar dasselbe wie in der Politik. In jedem Bereich gibt es ein ganz spezifisches, emanzipatorisches Potential, was nicht einfach in einen anderen Bereich übertragen werden kann. Dieses Ringen um Bedeutung der Kunst auf der Biennale wird sehr wenig mit kunsthistorischem, künstlerischem Background betrieben. Die meisten Besucher_innen der Biennale sind eben Leute, die da einer Freizeitaktivität nachgehen. Andere sind einfach Kunstmarktinvestor_innen. Und die Frage nach der Bedeutung wird dann meist von diesen Leuten und in ihrer Sprache gestellt und ist dann vielleicht auch eher ein Missverständnis von dem, was da passiert. Man könnte natürlich sagen, das ist eine elitäre Position. Aber dem entsprechen nun einmal viele Bereiche der Gesellschaft. Wenn man das annehmen kann, was da passiert, dann kann man die Welt um einen herum sicherlich vergessen. Aber das unterscheidet sich vielleicht nicht unbedingt von der Erfahrung in einem Kinofilm.

Johanna: Wobei dabei festzuhalten gilt, dass die Biennale zwar so etwas wie ein Kinofilm ist – bloße Unterhaltung –  aber ein Kinofilm, in dem es immer wieder Momente gibt, die die Unterhaltung überschreiten. So sehr wir die Biennale kritisieren, hat sie dennoch auch dieses Potenzial Räume für Überschreitungen zu öffnen. So sehr es sich dabei um nationalistische Institutionen und Rummelplätze für Reiche handelt, ist sie doch einer der wenigen Orte für gelingende Gegenwartskunst. Wenn man das jetzt an die Ausgangsfrage zurückbindet, also fragt, ob sich eine radikale Linke für die Biennale von Venedig interessieren muss, würde ich antworten: Ja, das muss sie!

Lea: Vielleicht wird das mit einer Parallelisierung noch deutlicher. Es ist bemerkenswert, wie wenig sich große Teile derjenigen die sich selbst als links beschreiben für tagespolitische Themen interessieren und wie wenig sie darüber Bescheid wissen, was beispielsweise auf der Agenda der Bundesregierung steht und damit Einfluss auf die politische Kultur in der Gegenwart hat. Mit der Kunstwelt ist es ähnlich: Da ist die Biennale ein zentrales Ereignis, in dem sich verschiedene Momente vereinen; einmal die Sichtbarkeit von Neuem und dann Erfolge bei einem rezipierenden Publikum oder auch Erfolge auf dem Markt. Mit diesem Ereignis hat man sich zwangsläufig zu beschäftigen, wenn man Kunst und Ästhetik für ein gesellschaftlich relevantes Thema hält. Wie in jedem Feld muss man sich auch in der Ästhetik mit den hegemonialen Momenten, die dieses Feld bestimmen, auseinandersetzen. Wenn man nur aus einem bestimmten identitären Selbstverständnis heraus diese Auseinandersetzung ablehnt, dann ist das, meiner Ansicht nach, ein Fehler.

Johanna: Wenn man die Institution allein aufgrund ihrer Verbindung zur Nation und zur bürgerlichen Gesellschaft ablehnt, weil sie finanziell von fragwürdigen Quellen getragen ist, dann ist man blind dafür, dass sich dadurch überhaupt erst ein Möglichkeitsraum für künstlerische Auseinandersetzungen öffnet. Die Vorstellung, dass ein Ort für Kunst jenseits der nationalstaatlichen und bürgerlich verfassten Gesellschaft existieren könnte, ist eine Illusion. Kunst findet immer innerhalb der Gesellschaft statt.

Sina: Ich denke, dass man sich von einem essentialistischen Verständnis von ›Links-Sein‹ befreien müsste, in das dann eben auch Kunst einsortiert wird, und wo man wie mit einer Checkliste schaut, was einem das für die Revolution bringt. Wenn man sich davon befreit, eröffnet das die Möglichkeit, in den unterschiedlichsten Zusammenhängen Erfahrungen mit bildender Kunst zu machen. Sich einer Sache überhaupt einmal hinzugeben oder anzuvertrauen ist etwas, das Mut erfordert, den die wenigsten aufbringen und dadurch zu vermeiden suchen, den eingeschliffenen kategorialen Bezugsrahmen zu verlassen. Sich dem zu verweigern, ist, wie schon gesagt wurde, eigentlich etwas dumm.

diskus: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Gespräch führten Jasmin Klotz und Jonas Balzer