Dass die Komplexität und Ubiquität kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse einen zerstreuenden und paralysierenden Effekt erzeugt, ist nicht nur für die alltägliche Reproduktion dieser Verhältnisse von Bedeutung – sondern auch für die Frage nach der Möglichkeit politischen Aufbegehrens. Die ausgelieferten Subjekte werden permanent auf ihre intellektuelle wie praktische Ohnmacht zurückgeworfen.Vgl. bspw. die Beiträge von Alex Struwe und Surplus Club in diesem Heft. Der emanzipative Charakter und die Wirksamkeit linker politischer Kräfte lassen sich insbesondere an der Frage messen, ob dieser Teufelskreis der subjektiven Eingebundenheit ins falsche Ganze durchbrochen und widerständige Formen des Denkens und Handelns befördert und organisiert werden. Gegen was und wie die Befreiung erstritten werden soll, und was Befreiung beziehungsweise Emanzipation überhaupt bedeutet, sind im Angesicht der erdrückenden Kraft des Bestehenden keine einfach zu beantwortenden Fragen.

Als Ausgangspunkt für die Betrachtung des Zusammenhangs von Marginalität, Ohnmacht und (regressiver) Gesellschaftskritik eignen sich einige Überlegungen Adornos: Im Anblick der kulturindustriellen und volksparteipolitischen Integration der Massen, aber auch der faschistischen und nationalsozialistischen Regression, sah Adorno sich dazu genötigt, sowohl den Begriff der Ideologie als auch die Aufgabe der Ideologiekritik grundsätzlich neu zu bestimmen. War Ideologie im klassisch-bürgerlichen Sinn noch durch die widersprüchliche Verstrickung von emanzipatorischen Ideen und realer Herrschaftsstabilisierung geprägt, sodass Kritik noch als »Konfrontation der Ideologie mit ihrer eigenen Wahrheit« (Adorno 1996: 465) betrieben werden konnte, ist im postliberalistischen Zeitalter dieses Emanzipationsversprechen weitestgehend erodiert. Für Adorno ist dabei entscheidend, dass eine verschärfte Disziplinierung der Einzelnen durch Lohnarbeit, Konkurrenz und Gehorsam nicht folgenlos an ihnen vorbeigeht, sondern schwerwiegende Auswirkungen auf ihre individuelle Triebstruktur hat. Die feindseligen und widersprüchlichen Lebensanforderungen erzeugen ein permanent erhöhtes Frustrations- und Aggressionspotential, das – wenn überhaupt – nur sehr oberflächlich durch die Einöde kulturindustrieller Bespaßung eingedämmt wird.Dieser Prozess ist insofern objektiv, als dass er alle betrifft, die in kapitalistische Arbeits- und Lebensverhältnisse gezwungen werden. Mit den hier beschriebenen psychischen Dispositionen sind daher keine Pathologien einiger Weniger gemeint sind, sondern gesellschaftlich bedingte Massenphänomene. Aufgrund seiner primär affektiven Natur ist dieses Frustrations- und Aggressionspotential nicht unmittelbar progressiv. Hierzu bedürfte es einer kritischen Reflexion auf dessen gesellschaftliche Ursachen, die dann zum Gegenstand einer verändernden Praxis gemacht werden könnten. In Ermangelung einer solchen Perspektive bildet es hingegen den Nährboden für reaktionäre Gemeinschaftsideologien. Im Unterschied zu bürgerlichen Ideologien, die noch ansatzweise mit einem Erkenntnis- und Aufklärungsanspruch aufwarten, zeichnen sich derartige Ideologien schlichtweg dadurch aus, aggressive Dispositionen in einer Weise zu rationalisieren, dass sie unmittelbar, in Abwesenheit einer Reflexion auf deren gesellschaftliche Ursachen, entladen werden können. Vor allem ist hier der Mechanismus der »falsche[n] Personalisierung« (Adorno 1971b: 76) zu nennen: die Anfeindung und Bekämpfung konkreter Personengruppen, die als imaginierter Ersatz für die unverstandenen gesellschaftlichen Übel herhalten sollen. Ideologieproduktion ist in diesem Sinne dann nichts weiter als eine Form »psychologischer Berechnung« (Adorno 1971a: 34), das heißt die Mobilisierung destruktiver Affekte zu reaktionären politischen Zwecken. Mit dieser Erkenntnis muss sich auch der Modus der Ideologiekritik ändern: Es macht für Adorno keinen Sinn, Anspruch und Realität miteinander zu konfrontieren, wenn bereits der Anspruch falsch ist. Stattdessen müsse es darum gehen, nachzuvollziehen, »warum und auf welche Weise die moderne Gesellschaft Menschen hervorbringt, die auf jene Reize ansprechen, die solcher Reize bedürfen und deren Sprecher in weitem Maße die Führer und Demagogen aller Spielarten sind« (Adorno 1996: 466).

›Die Linke‹ ist von diesen Entwicklungen nicht unberührt geblieben. Dies wurde insbesondere im frühen 20. Jahrhundert offenkundig, als sich erstmals abzeichnete, dass sich lohnarbeitenden Massen, als Proletariat der traditionelle Hoffnungsträger linker RevolutionstheorieVgl. den Beitrag von M. Elliesen und L. Ahnert im diskus-Heft Kollektivitäten (2016)., durchaus für die klassenübergreifende Einreihung in Volk, Staat und Nation begeistern konnten – ein historischer Zustand, der sich im Laufe des letzten Jahrhunderts qualitativ nicht wesentlich geändert hat.

Auch sind linke, emanzipatorische Kräfte zunehmend mit dem Problem konfrontiert über keine verbindliche und nachhaltige Massenbasis mehr zu verfügen. In den besten Fällen sind hieraus Versuche entstanden, auf die Entstehungsbedingungen der eigenen Marginalität zu reflektieren und entsprechende Schlussfolgerungen für die veränderten Herausforderungen emanzipatorischer Theorie und Praxis zu ziehen. Allzu häufig scheint sich diese Erfahrung der eigenen gesellschaftlichen Marginalität als Linke jedoch zu dem zuzuspitzen, was man einen linken Ohnmachtskomplex nennen könnte: Das Gefühl individueller wie kollektiver Ohnmacht wird so stark und unerträglich, dass es unmittelbar verdrängt wird. Dabei birgt insbesondere die Überspielung und Verdrängung der eigenen Marginalität die Gefahr, die Suche nach einem ernst gemeinten Emanzipationsanspruch hintenanzustellen und im schlimmsten Falle durch regressive Erklärungsmuster und Praxisformen zu ersetzen.

Bei dem Versuch dieser Tendenz nachzuspüren, beschränken wir uns im Folgenden auf zwei Beispiele, die gegenwärtig eine prominente Stellung im bewegungslinken und linksakademischen Spektrum einnehmen: Linkspopulismus (Chantal Mouffe) und linker Insurrektionalismus (Unsichtbare Komitee). Wie zu zeigen ist, bieten sowohl Linkspopulismus als auch linker Insurrektionalismus einen Anknüpfungspunkt für unbefriedigte Sehnsüchte nach Stärke, die mit dem Versprechen nach unmittelbarer gesellschaftlicher Relevanz politisch leicht mobilisierbar sind.

 

Linkspopulismus: Das Versprechen linker Herrschaft

Linkspopulismus ist eine aktuell in der (partei-)politischen Linken prominent diskutierte Strategie, die vor allem von den Theoretiker_innen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe geprägt wurde. Neben Sahra Wagenknechts ›Sammlungsbewegung‹ Aufstehen haben in der jüngsten Vergangenheit auch andere europäische Parteiprojekte, wie etwa Podemos, Syriza, Parti de Gauche oder der Corbyn-Flügel in der Labour Party diese Strategie praktisch aufgegriffen. Ein Kernelement linkspopulistischer Ansätze ist der Versuch, sich den Volksbegriff ›von links‹ anzueignen und in ein Feindschaftsverhältnis zwischen ›Unten‹ und ›Oben‹, ›Volk‹ und ›Elite‹ zu überführen. Dabei wird sich einerseits von der rassistischen Feindbildkonstruktion des Rechtspopulismus abgegrenzt; andererseits wird jedoch mit den Vertreter_innen des Finanzsektors ein politischer Hauptfeind anvisiert, der auch im Rechtspopulismus eine Rolle spielt. Dass Mouffe mit dieser Selbst- und Feindbestimmung den linkspopulistischen Kräften aus dem Herzen spricht, lässt sich exemplarisch an ihrer engen intellektuellen Zusammenarbeit mit der Führungsriege von Podemos nachvollziehen. Diese Zusammenarbeit ist insbesondere im Buch Podemos. In the Name of the People (2016) dokumentiert, in dem der Podemos-Chefstratege Errejón mit Mouffe über die politische Strategie eines »alternativen nationalen Projektes« (ebd.: 148) diskutiert, um eine linke Hegemonie zu erreichen. Gewinnbringend ist die Auseinandersetzung mit diesem Text insbesondere, da durch Errejón ein praxisnaher Zugang zu Mouffes Ausführungen hinzukommt.

Ausgangspunkt der Diskussion ist die Feststellung eines ›fundamentalen Politikverlusts‹ im Neoliberalismus – verstanden als der Verlust von Mitspracherechten, die es im Fordismus noch gegeben habe. Sowohl Mouffe als auch Errejon gehen davon aus, dass mit der Durchsetzung des Neoliberalismus der Abstand zwischen den Regierenden und der Bevölkerung größer geworden sei. Das habe zur Entfremdung eines Großteils der Bevölkerung von den angestammten Parteien und Politiker_innen geführt (ebd.: 21f.). Diese historische Situation möchten beide nutzen, um ihr politisches Projekt voranzutreiben: eine »Radikalisierung der Demokratie« (ebd.: 20). Ihr erklärtes Ziel ist die (Rück-)Eroberung der politischen Herrschaft im Rahmen des bestehenden Parteiensystems, das heißt die Eroberung der Staatsmacht (vgl. ebd.: 48f., 79, 80). Zentrale Hintergrundannahme dieser Zielsetzung ist, dass es eine harmonische Gemeinschaftlichkeit in der ›einfachen Bevölkerung‹ gebe, die von einer ›illegitimen und korrupten Elite‹ gestört und negiert werde. Als moralischer Kompass der Bewegung wird von Errejon und Mouffe das »Gemeinwohl« (ebd.: 40f.) gesetzt – ohne dies jedoch genauer zu bestimmen. Damit ist nun aber gerade nicht die grundlegende Veränderung der kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse das Ziel ihrer Bemühungen; vielmehr treten sie primär gegen neoliberale Akteursnetzwerke an: »Wir wollen die Demokratie wiederherstellen – die von der Elite und der Finanzkraft gekapert wurde […]« (ebd.: 115).

Das linkspopulistische Weltbild verbleibt dabei im Horizont des kapitalistisch organisierten Nationalstaats und seinem Wahlvolk – einem Horizont, zu dem die regressive Dichotomie zwischen Produktions- und Finanzsektor wesentlich dazugehört (vgl. ebd.: 104, 106, 132f.). Einem wahlweise als »(Finanz-)Elite«, »Oligarchie« oder »Casta« umschriebenen Feind steht in den Ausführungen von Mouffe und Errejon mit dem »Volk« eine Gemeinschaft gegenüber, die sich explizit nicht aus rational bestimmbaren Interessens- und Bedürfnisstrukturen ableitet, sondern künstlich konstruiert werden muss. Das konstituierende Moment des »Volkes« ist die Abgrenzung von einem gemeinsamen Feind, der zur negativen Existenzbedingung jeglicher Form von Gemeinschaft wird. Die theoretische Absage an materialistische und marxistische Theorie drückt sich damit auch in der angestrebten Mobilisierungsstrategie aus: »Es besteht immer die Notwendigkeit, eine Einheit aufzubauen, die weder in der Wirtschaft noch in der Gesellschaft gegeben ist« (ebd.: 18). Ontologisch abgesichert wird diese Strategie durch die auf Carl Schmitt zurückgehende Beschwörung einer im Kern unergründlichen Freund-Feind-Dichotomie: »Politik hängt von der Schaffung eines ›Uns‹ ab und das bedeutet zwangsläufig die Unterscheidung von einem ›Sie‹” (ebd.: 10).

Mouffe geht, an diese Einsicht anknüpfend, davon aus, dass eine affektive Verarbeitung gesellschaftlicher Prozesse der Motor jeglichen politischen Handelns sei: »Mit ›Leidenschaften‹ meine ich gemeinsame Affekte, die Art von Affekten, die in der politischen Arena in der Verfassung von uns/ihnen in Formen der Identifikation mobilisiert werden« (ebd.: 60). Mit der Ausrichtung auf eine affektive Mobilisierung der Massen wird gerade nicht angestrebt, die Subjekte in der reflektierten praktischen Veränderung ihrer widersprüchlichen, beschränkten und leidvollen Verfasstheit im Kapitalismus zu stärken. Diese Probleme werden vielmehr ausgeblendet und durch den Schein eines einfachen, äußerlichen und durchschaubaren Antagonismus zwischen zwei kollektiven Identitäten aufgelöst.Vgl. als Beispiel für solch einen Versuch den Artikel von Thomas Seibert in diesem Heft. Die einzige Voraussetzung zum Mitmachen besteht darin, diese kollektiven Identitäten als unterhinterfragte Tatsache anzuerkennen.

Mouffe und Errejon skizzieren in ihrer Diskussion eine politische Strategie, die es ermöglichen soll, durch ein paar einfache rhetorische Tricks die Mehrheit der Bevölkerung auf ein ›linkes‹ Projekt zu verpflichten. Dafür müssen zwar grundlegende Emanzipationsversprechen aufgegeben werden – im Gegenzug verspricht der Linkspopulismus seinen Anhänger_innen materielle Zugeständnisse, eine neue Machtperspektive und eine Re-Etablierung des fordistischen Klassenkompromisses (vgl. ebd.: 83ff.). Dabei muss das Prinzip der ›Freiheit‹ und ›Individualität‹ als Maßstab emanzipatorischer Bewegungen hinter die Prinzipien ›Gleichheit‹ und ›Volkssouveränität‹ zurücktreten (ebd.: 91). Insbesondere hier zeigt sich deutlich, dass es im Linkspopulismus, wie er von Mouffe und Errejon ausformuliert wird, nicht darum geht, dass bürgerliche Freiheitsideal in emanzipatorischer Absicht zu radikalisieren. Stattdessen wird es zunehmend durch den Gedanken eines ewigen Kampfplatzes kollektiver Identitäten ersetzt. Diese veränderte Zielsetzung hat auch Auswirkungen auf die Ansprüche, die an die Anhänger_innen der Bewegung gestellt werden: Das ›Volk‹ muss die Verhältnisse nicht mehr selbst durchschauen, um handlungsfähig zu werden, sondern kann bequem und komfortabel auf seine Gefühle und Impulse vertrauen. Oder wie Errejon es fasst: »Die Leute wollen eigentlich auch nur nach Hause gehen‹(ebd.: 111).

 

Linker Insurrektionalismus: Das Versprechen linker Rebellion

Auch das Unsichtbare Komitee wartet mit einer Zeitdiagnose auf, die sich vor allen an den vereinzelnden und entpolitisierenden Tendenzen im neoliberalen Zeitalter abarbeitet. Diese »Fragmentierung der Welt« (ebd. 2017: 17) sei bereits so weit vorangeschritten, dass mehr oder weniger alle Lebensbereiche kontaminiert seien. Hieraus entwickelt das Unsichtbare Komitee den durchaus sympathischen Ausgangspunkt, dass jeglicher Versuch einer rettenden Kritik oder immanenten Transformation dieser Gesellschaft weder realisierbar noch wünschenswert sei. Die Möglichkeit des radikalen Bruchs mit dem Bestehenden werde jedoch durch eine ganze Phalanx an herrschenden und kollaborierenden Kräften sowie der allgemeinen Trägheit der abgehängten Massen verhindert. Diese ungünstige Situation werde schließlich auch durch den Umstand verschlimmert, dass die etablierten Strömungen der organisierten Linken keinen wirklichen Kontrapunkt zum offiziellen Politikbetrieb darstellen. Im Unterschied zum Linkspopulismus beginnt das Unsichtbare Komitee daher mit einem äußerst pessimistischen Eingeständnis: »Wir gehen aus von einem Punkt der extremen Isolation, der extremen Ohnmacht« (2010: 64).

Trotz dieser selbstkritischen Grundhaltung zeigt sich schnell, dass hieraus keine progressive Perspektive entwickelt wird. Dies hat vor allem damit zu tun, dass das Unsichtbaren Komitee überhaupt nicht daran interessiert ist, eine ernsthafte Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen und politischen Ausdrucksformen dieses »ganze[n] Gefühl[s] der Machtlosigkeit« (2017: 14) zu entwickeln. Stattdessen sollen die Leser_innen davon überzeugt werden, dass der praktische Bruch mit dem Bestehenden trotz aller Hindernisse unmittelbar möglich ist. Das Unsichtbare Komitee findet ihn in der Praxis des gewaltsamen Aufstands. Der mit allerlei Katastrophenfantasien ausgeschmückte kategorische Imperativ lautet: »Nichts ist dem hinzuzufügen, alles ist zu zerstören«.

Insbesondere diejenigen, die ein mehr oder weniger ausgeprägtes Bewusstsein davon haben, dass einiges in dieser Welt falsch läuft, gleichzeitig aber von der Trägheit des bürgerlichen Politikbetrieb sowie der organisierten Linken frustriert sind, dürften sich von der Jetzt reichts!-Mentalität des Unsichtbaren Komitees angesprochen fühlen. Im Kern geht es um das Versprechen einer radikalen Identität und kollektiven Handlungsfähigkeit, die ohne große Umschweife realisierbar sein soll. Das Berauschende am Aufstand sei »das Gefühl, Teil zu sein und die Erfahrung von einer unbestimmbaren, vorübergehend unverwundbaren gemeinsamen Stärke zu machen« (ebd. 2015: 209). Verlockend ist auch die intellektuelle Entlastung, die im andauernd wiederholten Vorwurf enthalten ist, die Linke verschwende zu viel Zeit damit, »zu schwatzen, zu diskutieren und abzustimmen« (ebd. 2017: 46). Worauf es, statt mühsamer Gesellschaftskritik und lähmender Organisationsdebatten ankomme, sei die Benennung eines angreifbaren Feindes, der für das gesellschaftliche Elend verantwortlich gemacht werden könne. Auch wenn damit in erster Linie die Polizei gemeint ist, wird gleichzeitig betont, dass sie lediglich das repressive Bollwerk der herrschenden Mächte sei. Insbesondere wenn es um letztere geht, offenbart sich ein personalisierendes und moralisierendes Weltbild, das starke Ähnlichkeiten zum Linkspopulismus aufweist. Kapitalismus wird als ein Raum der »widerrechtlichen Aneignung« (ebd.: 82) verstanden, dessen Repräsentant_innen »ein Ganovenherz« (ebd.: 30) nachgesagt wird. Unter Rückgriff auf den Schlachtruf der Occupy-Bewegung werden diese weiterhin als ›allmächtige und hintergründige Elite‹ imaginiert, die sich primär zusammentue, »um das Leben der anderen zu organisieren« (ebd. 2015: 15) und die Lohnabhängigen »mit Füßen zu treten« (ebd. 2017: 73). Auch die reaktionäre Fixierung auf die Zirkulationssphäre wird grundsätzlich geteilt. Beispielsweise wird von der »unverschämten ›Diktatur der Finanzwelt‹« (2015: 216) oder der »Allmacht jener, die die Kommunikationsmittel kontrollieren« (ebd. 2017: 36) schwadroniert.

Dass das insurrektionalistische Versprechen in sich widersprüchlich ist, dürfte auch dem Unsichtbaren Komitee bewusst sein. Im Endeffekt bleiben diejenigen, die sich auf die aufständige Praxis einlassen, in einem äußerst prekären Nischendasein mit erhöhter Repressionsgefahr gefangen. Der versprochene Gewinn an Handlungsmacht ist nur auf Kosten einer Opferbereitschaft im Straßenkampf zu haben, die unweigerlich neue Frustrationsgefühle provoziert. Doch das Unsichtbare Komitee weiß durchaus, mit diesem Problem umzugehen. Der weiterhin ungebrochene Widerspruch zwischen ersehnter Macht und realer Ohnmacht wird durch eine Praxisphilosophie verdrängt, die den gewaltsamen Aufstand glorifiziert und eine darüberhinausgehende Emanzipationsperspektive aufgibt. Dies heißt vor allem, dass der Kampf nicht als Vorbereitung, sondern als Wesen der Befreiung umgedeutet wird: »Es geht nicht darum, für den Kommunismus zu kämpfen. Was zählt, ist der Kommunismus, der im Kampf selbst gelebt wird. Die eigentliche Ergiebigkeit einer Aktion liegt in ihr selbst« (ebd.: 63). Die reaktionären Konsequenzen zeigen sich nicht nur daran, dass die Frage der Gewalt zum existentialistischen Selbstzweck überhöht wird, sondern auch an dem organischen Gemeinschaftsverständnis, das dabei heraufbeschworen wird: »Organisierte Unruhen sind in der Lage, etwas hervorzubringen, was zu schaffen diese Gesellschaft nicht in der Lage ist: lebendige, irreversible Bindungen« (ebd.: 12). Die Überbetonung des Gemeinschaftlichen geht dabei so weit, dass nicht nur falsche Formen der Individualisierung, sondern Individualität schlechthin in Frage gestellt wird. Auf triebstruktureller Ebene wird Kommunismus gleichgesetzt mit der Zurückdrängung und Auflösung der Ich-Instanz, an deren Stelle »Subindividuelles« und »Supraindividuelles« (ebd.: 121), Affekt und Kollektiv, treten sollen. Anstatt eine politische Praxis anzustreben, die ein reflektiertes Verhältnis zu den affektiven und unbewussten Regungen als Bedingung menschlicher Befreiung begreift, soll es einfach nur um deren unregulierte Mobilisierung für den gemeinschaftlichen Kampf gehen. Das vorläufige Schlusswort der Autor_innen klingt dann nicht zufällig so, als hätten sie es von Mouffe abgeschrieben: »Wir sprechen davon, sich an die Körper zu wenden und nicht nur an den Kopf« (ebd.: 125).

 

Macht statt Ohnmacht

Die Glorifizierung des Kampfes gegen äußere Feinde, die als konkrete Repräsentanten der Herrschaft identifiziert werden, bildet, trotz aller Unterschiede, die augenscheinliche Einheit der hier skizzierten linken Strömungen. Dieser Kampf wird nicht als Mittel zum Zweck der Emanzipation angesehen, sondern bereits mit dieser gleichgesetzt. Auch was in diesem Kampf geschaffen und verteidigt werden soll, ist miteinander verwandt. In beiden Fällen wird von einem Kollektiv der Unterdrückten und Marginalisierten ausgegangen, das jedoch rein positiv bestimmt wird: als etwas Gemeinschaftliches, Unmittelbares und Ursprüngliches. Herrschaft bleibt dann immer etwas, das von außen und in der Form kollektiver Akteure in den gemeinschaftlichen Zusammenhang eindringt und zurückgedrängt werden muss. Beiden Strömungen geht es daher auch nicht um die Überwindung von Herrschaft schlechthin, sondern entweder um die Eroberung der Herrschaft im Rahmen des kapitalistisch verfassten Nationalstaates (im Falle des Linkspopulismus) oder um die Verteidigung der eigenen Scholle innerhalb des bestehenden Herrschaftsgefüges (im Falle des Insurrektionalismus). Der Linkspopulismus spielt mit der unbefriedigten Sehnsucht nach gesellschaftlicher Relevanz und überführt diese in das falsche Versprechen politischer Herrschaft. Der linke Insurrektionalismus hingegen glorifiziert ebendiese Ohnmachtsgefühle und bietet als Kompensation die Allmachtsphantasie im gelegentlichen Showdown mit der bewaffneten Staatsgewalt. Beide können als meisterhafte Umsetzung des Prinzips Psychologischer Berechnung verstanden werden, vor dem Adorno so dringlich gewarnt hatte.

 

Hannah Hecker und Helge Petersen

 

*.lit

Adorno, Theodor W. (1971a): Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda- In: ebd.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Frankfurt am Main: 34–66.

Adorno, Theodor W. (1971b): Individuum und Organisation. In: ebd.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Frankfurt am Main: 67–86.

Adorno, Theodor W. (1996): Beitrag zur Ideologienlehre. In: ebd.: Soziologische Schriften I. Frankfurt am Main: 457–477.

Errejon, Inigo und Chantal Mouffe (2016): Podemos: In the Name of the People. London.

Unsichtbares Komitee (2010): Der Kommende Aufstand. Hamburg.

Unsichtbares Komitee (2015): An unsere Freunde. Hamburg.

Unsichtbares Komitee (2017): Jetzt. Hamburg.

 

*.notes