Wir freuen uns, Euch unser Heft Trotzdem vorzulegen. Das Thema ist Ohnmacht.

Wir haben intensiv gelesen, diskutiert und dem Thema teilweise ratlos gegenübergestanden. Im Folgenden ein paar Gedanken:

Die neoliberale Gegenwart befördert das Gefühl der Ohnmacht, zugleich bei den ohnehin schon Marginalisierten und Ausgeschlossenen, wie auch bei allen Menschen, denen damit gedroht wird, ebenfalls zu diesen zu gehören. Ohnmacht liefert eine Basis für den Aufstieg der weltweiten Faschisierung, indem sich die Reaktion als Zurückgewinnung verlorener Handlungsmacht inszeniert. Dies passiert auf unterschiedlichen Ebenen, die nicht voneinander getrennt werden können: vom postindustriellen Arbeitsplatz, über den gesamtgesellschaftlichen ›Kampf der Kulturen‹ bis hin zur ›Zurückgewinnung‹ nationalstaatlicher Souveränität. Den ›Kit‹ bildet die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – verbunden mit Imaginationen einer äußeren Gefahr durch globale Migration und Flucht, und einer inneren Bedrohung durch Eliten und Verschwörungen.

Das Gefühl der Ohnmacht erreicht zudem auch die, welche bis jetzt am Glauben an die Überwindung von Ausschluss und Unterdrückung trotz alledem festhielten. Ohnmächtig sind nicht nur die Anderen. Dies zeigte sich auch in den Reaktionen auf Krisen von Wirtschaft, Demokratie und Nationalstaat des letzten Jahrzehnts. Oft bleibt von der Suche nach dem Besseren nur der Versuch das Schlimmere zu verhindern. Und trotzdem heißt ohnmächtig zu sein nicht, dass man aufgeben muss.

Die Erfahrung von Ohnmacht kann als ein zentrales Moment spätkapitalistischer Subjektivität gelten. Zum einen, weil Ohnmachtserfahrungen heute überall gemacht werden. Zum anderen, weil die Reflexion der eigenen Ohnmacht nicht nur, aber auch in der Linken keinen Platz hat. In der von Imperativen der Selbstbehauptung und -optimierung durchzogenen neoliberalen Gegenwart ist kein Platz für Mängel oder dafür, sich zurückzunehmen. So lastet ein Druck auf allen, der eigenen Ohnmacht Herr zu werden, um täglich zu malochen.

Mit dieser Ausgabe reflektieren wir einige Erfahrungen und Bedingungen von Ohnmacht, ohne der Pseudoaktivität das Wort zu reden. Viele Fragen standen am Anfang dieses Heftes und wir sind froh, dass unsere Autor*Innen bereit waren, mit uns gemeinsam einzelne Fragen genauer zu betrachten.

Alex Struwe fragt in seinem Artikel Souveräne Ohnmacht, was es für Linke bedeuten könnte, sich angesichts von Souveränitätskrisen, kapitalistischer Totalität und populistischen Bewegungen (wieder) der eigenen Ohnmacht zuzuwenden.

Über Ohnmacht zu denken ist nicht möglich, ohne die ökonomische Basis mitzudiskutieren. Der SurplusClub Frankfurt hat sich der Aufgabe in seinem Beitrag Proletarisierung im Überschuss angenommen und unterbreitet ein an Marx entwickeltes Modell der Überflüssigen. Ihre These ist kurz gesagt: Je weiter die Kapitalakkumulation fortschreitet, umso überflüssiger werden alle. Zu spüren bekommen es diejenigen zuerst, deren Leben ohnehin prekär ist.

Thomas Ebermann thematisiert im Interview Denen die Treue halten, die ihr Leben für die große Verweigerung gaben die Kämpfe, Auseinandersetzungen und das Scheitern linker Ansätze während der letzten 50 Jahre bundesdeutscher Geschichte aus einer sehr persönlichen Perspektive. Auch hier findet sich, trotz aller Aussichtslosigkeit, kein Aufgeben: Am Ende sind es die Einzelnen, die immer noch zu retten sind.

Der Psychoanalytiker Lutz Garrels diskutiert in dem Text Zum Gefühl der Ohnmacht mit Blick auf analytische Therapiesituationen Ohnmacht im Rahmen von Verdrängung und Aufdeckung. In der Tradition Fromms lassen sich theoretische Erklärungsansätze finden, die Ohnmacht beschreiben. Daher werden hier dessen Überlegungen aufgegriffen, um einen sozialpsychologischen wie auch psychoanalytischen Blick auf Entstehung und Bearbeitung von Ohnmacht zu werfen.

Explizit beziehen sich derzeitige linke Vorschläge auf Ohnmacht und wehren zugleich eine sozialpsychologisch inspirierte Auseinandersetzung mit den eigenen Wünschen und dem eigenen Begehren ab. Hannah Hecker und Helge Petersen diskutieren daher in ihrem Beitrag In Feindschaft vereint jene Tendenzen, die sich exemplarisch im Linkspopulismus von Chantal Mouffe sowie beim Unsichtbaren Komitee finden lassen: Beide setzen auf den Effekt der Masse, auf Populismus, um die Ohnmacht vermeintlich zu überwinden. Dass hierbei nicht nur Einzelne, sondern auch eine Herrschaftskritik auf der Strecke bleibt, zeichnen sie nach.

In dem Gespräch Die Ohnmacht in der Kunst diskutieren wir mit Lea Welsch, Sina Brückner und Johanna Müller darüber, wie Kunst auf Ohnmacht reflektieren kann und welches gesellschaftskritische Potential der Kunst unter diesen Bedingungen innewohnen kann.

Im Rahmen feministischer Kritiken lässt sich fragen, ob eine Ermächtigung nicht zugleich eine neue Ohnmacht hervorbringt, wo sie ein sich selbst-gleiches zum Ziel hat. Im Zentrum von Anastassija Kostans Artikel Ohnmacht als Ausgangspunkt emanzipatorischer Praxis steht der Versuch, durch das Werk von Luce Irigaray hindurch eine Perspektive auf einen Umgang zu entwickeln, der starre Identitäten durchbricht und stattdessen die tabuisierte weibliche* Lust als Ausgangspunkt setzt.

Die Gruppe Keine Privatangelegenheit [ka:pri] beschreibt in ihrem Beitrag Solidarisch gegen das Gefühl der Ohnmacht, wie die gemeinsame Diskussion von Ohnmachtserfahrungen und psychischer Belastungserfahrungen einen emanzipatorischen Umgang mit dieser bedeuten kann.

Ohne Reflexion der eigenen Ohnmacht, scheint es nicht zu gehen. Der schwierigen Aufgabe, diese Floskel näher zu bestimmen, nimmt sich Thomas Seibert in seinem Beitrag Diskurs über die freiwillige Unknechtschaft an, und versucht auszuarbeiten, was eine Reflexion von Ohnmacht in der Tradition von 1968 bedeuten kann. Dabei ist nicht nur zu fragen, wie ein Umgang mit der eigenen Ohnmacht aussehen könnte, sondern ebenso nach der Richtung, auf die dieser Umgang hinausläuft.

Im Garip Dünya finden sich de Beitrag Plus! Fem! Mehr Frauen in die Kunst von NaomiRado und der Buchrezension Das Unsichtbare Komitee: Jetzt von Christoph Sommer. Daneben finden sich hier Reaktionen auf unsere letzte Ausgabe, der von der AKK gestalteten Diskussion ihres Strategiepapiers Der kommende Aufprall. So diskutiert Felix Lang in Kritik als ob, inwiefern der Begriff des Kommunismus angesichts der umfassenden Ohnmacht linker Strategien der Revolution überhaupt noch angemessen sein kann. Eine weitere Reaktion auf das Heft der AKK ist die Zuschrift von W. Neumann.

An unsere Lesenden haben wir zusätzlich - wie gewohnt - eine Kleine Anfrage gerichtet und gefragt, wann und wie sie Ohnmacht erleben und was ihr Umgang mit ihr ist. Die Antworten finden sich in der Mitte des Heftes.

Die beigefügten Bilder sollen einen kleinen Eindruck davon vermitteln, wie viele Themen wir gerne bearbeitet hätten, die es aber doch nicht in das Heft geschafft haben. In dieser Ausgabe und dem, fast gleichzeitig erscheinendem Heft We can’t believe we still have to protest this shit. Für das Recht auf Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung, versuchen wir, eine Art Designredaktion zu etablieren. Einzelne Bereiche des Heftes werden Künstler_innen zur Gestaltung überlassen.

Jetzt aber genug der Fragen! Ein gutes Lesen wünscht

 

Die diskus-Redaktion