diskus: Du hast gemeinsam mit Bertholt Brunner den Roman Q inszeniert und auf die Bühne gebracht. Was hat dich an dem Roman über die Bauernkriege fasziniert?

Ebermann: Es ist etwas passiert, was in meinem Leben sehr selten vorkommt: Andere hatten die Idee aus Anlass des Lutherjahres den Roman Q auf die Bühne zu bringen. Als der Anruf kam, kannte ich das Buch gar nicht. Aber man fängt schnell Feuer. Der Roman ist in gewisser Hinsicht der Versuch, eine große These des Marxismus zu bebildern: Dass alle Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen sei. Diese Grundthese ist erst einmal, wie Adorno in seinen Reflexionen zur Klassentheorie schreibt, die Denunziation der Behauptung, es gebe gute alte Zeiten. Das Proletariat lacht jene aus, die von den guten alten Zeiten schwärmen: Als der Stand noch Stand war und die Herrschaft bestenfalls gütig und im schlechtesten Fall roh und despotisch. Als die Welt noch geordnet war und der Moloch Stadt und der Moloch Fabrik noch nicht lockte. Dagegen rebelliert dieses Postulat, es denunziert das gegenwärtige Unrecht, indem er das vergangene denunziert. Thomas Müntzer und seine Bauern verkörpern diesen Aspekt von Rebellion gegen das Unrecht in einer Zeit, in der auch der Sieg nur eine Egalität in vergleichsweiser Armut ermöglicht hätte. Wo vielleicht, die Produktivkräfte das Produktionsverhältnis noch nicht zu sprengen imstande waren.

diskus: Aktuell scheint die Klassenfrage in linken Kreisen eine Renaissance zu erleben. Was könnte man aus dem Buch für heute mitnehmen?

Ebermann: Ich glaube nicht, dass man aus dem Roman für unsere Kämpfe viel lernen kann. Dazu war die Zeit zu sehr eine andere. Mich hat sehr erstaunt, wie viele Leute zu mir kamen und sagten »Das Buch ist erstaunlich aktuell« oder beantworte »Fragen, die sich heute stellen«. Ich merke dann sofort, in welchen Rhythmus sie verfallen: Ob das vorschnelle Blasen zum Angriff die Linksabweichung der Abenteurerlust sei, zu der man in dem Buch ja auch noch verleitet werde. Für mich war zentral, der Maxime gerecht zu werden, die man in Herbert Marcuses Schlussformulierungen im Eindimensionalen Mensch findet: Es sei denen die Treue zu halten, die ihr Leben für die große Verweigerung geben. Dieser Gedanke ist für Marcuse in einer Formel von Walter Benjamin festgehalten: »Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben« (Benjamin 1991: 201). Unter diesem Aspekt eine Sache, die schon 500 Jahre her ist, zu betrachten – das finde ich schön und legitim.

diskus:Der Roman ist rund 800 Seiten stark. Wie habt ihr das auf eine zweistündige Inszenierung runtergebrochen?

Ebermann: Das war eine große Anstrengung. Ich wollte mich nicht in erster Linie selbst verwirklichen, sondern schätze die Autoren des italienischen Kollektivs Luther Blissett und wollte den Sound ihrer Arbeit behalten: Gerade dieses Verhältnis von unbändigem Jubel im Moment des Sieges und der niederdrückenden Trauer angesichts der Toten und der Niederlagen. Ihre Sehnsucht nach Slapstick und auch ein bisschen James Bond musste dennoch vorkommen – sonst kann man den Autoren und auch einigen Schwächen ihrer Überlegungen nicht gerecht werden.

diskus:Welche Schwächen?

Ebermann: Zum Beispiel ein Blick der Prostitution und freie Liebe verwechselt. Oder auch dass Luther in dem Roman als Antisemit praktisch nicht vorkommt sondern nur als Fürstenknecht und Verräter. Das ist unzulässig und vor allem fehlt etwas, das gerade für uns heute von enormer Bedeutung ist. Wenn die Autor_innen, die meine volle Sympathie haben, selbst Opfer des Gedankens sind, es müsse auch etwas für heute gelernt werden, dann stehen da falsche, fast törichte Sachen im Roman, etwa über die Macht der Banker und Fugger. In Antwerpen referiert der dortige Führer der Kommunarden, dass doch längst die Kaiser, Fürsten und der Papst vergleichsweise machtlos geworden sind, denn sie seien ja bei Fugger und Ähnlichen verschuldet. Das ist historisch nicht richtig und das ist gefährlich. Deshalb haben Berthold und ich uns erlaubt, Beatrice, eine jüdische Frau, die Geliebte aus Venedig, ein bisschen größer zu machen und Einiges sagen zu lassen, mit dem Anspruch, dass die Figur vielleicht 50 Prozent des Abends ausmacht.

diskus: Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich eure Ergänzung gut fand, da sie den antisemitischen Ton Müntzers stark abgemildert hat. Der Tenor Müntzers war ja an vielen Stellen eine bestimmte Vorstellung von Gleichheit gegen die Macht des Geldes in Stellung zu bringen.

Ebermann: Es gab Menschen, die das als den großen Wurf unserer Idee gesehen haben. Und es gab auch Leute, die viel schroffer als du gesagt haben: Das beschädigt den Abend. Natürlich haben wir versucht, darzustellen, dass dies eine Sichtweise ist, die etwas mit heute zu tun hat. Andere Einwände hätten aber auch jüdische Zeitgenossen Müntzers so formulieren können – die Juden haben gelernt, Luther und den katholischen Klerus gleichermaßen zu fürchten. Wir waren ganz zufrieden, ehrlich gesagt.

diskus: Ich habe diesen Widerspruch gegen das Stück auch so stark formuliert, weil das für uns der Moment war, an dem Überschneidungen zwischen dem Problem der Ohnmacht und dem von Dir inszenierten Stück sahen, um über aktuelle Sehnsüchte nach Revolution und Dynamik zu sprechen.

Ebermann: Es gibt diese Sehnsucht, und es gibt eine andere Sehnsucht, die sich beispielsweise darin ausdrückt zu übersehen, dass Thomas Müntzer ein religiöser Mystiker war. Das findet man beispielsweise prominent bei Engels in seiner Schrift Der deutsche Bauernkrieg. Sein Tenor ist ungefähr: »Zeitbedingt hat Thomas Müntzer, der eigentlich ein Sozialrevolutionär war, um die Massen erreichen zu können, auch zu religiösen Formeln gegriffen. Die waren aber ganz untergeordnet für sein Denken. Im Zentrum stand: ›Alles gehört allen‹, soziale Gleichheit und die Entmachtung der Bedrücker und Bedränger.« Das ist falsch. Wir können stattdessen sagen: Damals konnte man in der Geschichte der Eigentumsfeindschaft soziale Befreiung nur religiös begreifen. Aber lasst ihnen ihr Denken, macht es nicht zu unserem. Um auf den Anfang zurückzukommen: Das ist auch das Problem mit dem Satz, dass alle Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen sei. Es macht die ideologischen Muster, die in der Geschichte wirkmächtig wurden, klein. Es gibt genug Kriege, die mit Klassenkampf gar nichts zu tun haben, sondern beispielsweise mit religiösem Wahn. Die andere Sehnsucht, jene nach Handlungsfähigkeit und Dynamik, die verstehe ich vielleicht etwas. Ich komme auch in diese Gefühlslage, die ich nicht ganz negieren will: Dass es doch ein paar Gabelungen gab in der Menschheitsgeschichte, wo der Sieg vielleicht möglich gewesen wäre, wo vieles anders hätte verlaufen können. Ich gehöre zu der Schule, die ganz vorsichtig sagt, dass so etwas wie klassenlose Gesellschaft auf jedem Stand der Produktivkraftentwicklung möglich war. Viel gefährlicher erscheint mir dagegen die These, die Produktivkräfte müssten unter dem Kommando der Bourgeoisie entwickelt werden, das sei ihre historische Mission. Die Niederlage mit der These zu legitimieren, man habe unterliegen müssen, weil die Produktivkräfte und die Aufklärung sich noch nicht genug entwickelt haben, dem schließe ich mich nicht an. Ich habe aber trotzdem oft nach der Vorstellung den Eindruck, dass es in einem Teil des Publikums eine Sehnsucht gab, die Einwände von Beatrice als nebenbei Gesagtes zu empfinden und hauptsächlich den revolutionären Sprung zu feiern.

diskus: Würdest Du sagen, dass diese Selbstermächtigungswünsche Ausdruck einer realen Ohnmacht sind oder ermöglichen Sie erst eine selbstbewusste Praxis?

Ebermann: Es gibt dieses schöne Radiogespräch aus dem Jahr 1964 Über den Zustand der Utopie heute zwischen Ernst Bloch und Theodor W. Adorno. Die beiden, die ja in vielen intellektuellen Leistungen recht weit auseinanderliegen, sprechen auch über den Zustand der mutmaßlichen Vergeblichkeit von Rebellion in den Zeiten, in denen wir leben. An einer Stelle einigen sie sich darauf, dass Hoffnung ein legitimer Begriff sei und Zuversicht ein illegitimer.

Sprechen wir über Zuversicht: Das verabscheue ich. Zuversicht ist die Formel, mit der man vielleicht einen kurzfristigen Erfolg hat, einen Durchlauferhitzer organisiert, aber nichts Haltbares. Alle Kraftmeierei, die damals nach Heiligendamm geschrieben wurde, oder auch die kraftmeierischen Auswertungen der Hamburger Ereignisse des vergangenen Sommers. Das ist etwas, dass auch die Euphorisierten nicht bei der gesellschaftskritischen Stange halten wird. Denn auch die liegen manchmal vor dem Einschlafen alleine im Bett und sind dann oft realistischer als das, was in ihren Demoaufrufen und -auswertungen so steht. Sie überfällt ein Blues, eine Traurigkeit, eine alltägliche Nichtmehrfeststellbarkeit dessen, was in ihren Texten steht. Und zugleich verstehe ich die Sehnsucht, an so einer Demonstration unbedingt und zu jedem Preis teilzunehmen. Insbesondere an der Welcome to Hell-Demo. Ich weiß ja von mir, dass ich, als ich 17, 18, 19 war, zu vielen Demos gegangen bin, um dort schöne Menschen zu sehen und nicht, weil ich intellektuell zu hundert Prozent durchdrungen hatte, was der Gegenstand der Demo war. Auch heute noch sieht man, wie kaputt auch alles sei, auf linken Demos die schönsten Menschen. Schön, in dem Sinne, dass sie wenigstens versuchen, das von Konkurrenz, Vereinsamung, Karriere, Sich-Durchschlagen-Müssen und Positive-Thinking durchzogene Leben im weitesten Sinne zu durchbrechen. Ich teile also viele selbstbetrügerische Passagen der Aufrufe nicht und nehme zugleich nicht die Haltung eines Lars Quadfasel ein, der ja in seinen Artikeln nahelegt, dass man sich gut überlegen soll, ob man an dem Tag Pilze sammeln geht oder auf der Demo ist.

Das Eingestehen der Wirkohnmacht ist etwas ganz Schweres, vor allem wenn man noch jung ist. Denn da ist es ja noch ein bisschen legitimer zu sagen: »Ach was mir wohl noch begegnen wird, was kostet die Welt, ganz egal – wir legen los.« Und das sage ich jetzt über diejenigen, denen ich unterstelle, dass sie auch die antisemitischen Symbole, die Krake, die Anwesenheit von kämpferischen Antisemiten und Israelfeinden auf der Demo nicht gut finden. Von denen spreche ich und von ihrer großen Sehnsucht, dass die Bevölkerung sie gut findet. So ein Slogan wie »Ganz Hamburg hasst die Polizei« ist ungefähr das Törichste, was man rufen kann. Wir können ja den soziologischen Studien entnehmen, dass seit Jahrzehnten die Polizei die beliebteste Institution in Deutschland ist, eine sehr bedrückende Tatsache nebenbei bemerkt. Ich glaube deswegen, dass das, was man Arbeit am Begriff nennt, diesen hohen Stellenwert hat.

diskus:Ist die theoretische Reflexion die zentrale Form der Praxis, die einem angesichts des Eingeständnisses der eigenen Ohnmacht noch offensteht?

Ebermann: Es gibt einen unangemessenen Kult der Ohnmacht, den ich nicht wertschätze. Wir kennen den Begriff der Flaschenpost ja nun in- und auswendig: Zu schreiben ohne klaren Adressaten, ohne ein revolutionäres Subjekt zu kennen. Bei einer Flaschenpost weiß man eben nicht, ob jemand sie und wer sie findet. Ich glaube aber, dass es auch eine Art praktische Flaschenpost gibt: wenn ich die Verhältnisse nicht aushalte und gleichzeitig weiß, dass ich überhaupt keine Möglichkeit habe, sie zu verändern. Und es gibt die Möglichkeit der Rettung Einzelner. Das will ich so hoch veranschlagen, wie ich nur kann: Wie einen Geflüchteten mit falschen Papieren auszustatten und der deshalb nicht abgeschoben wurde; oder eine Frau, an einen Arzt zu vermitteln, der ihr eine Schwangerschaft bescheinigt hat, sodass sie nicht abgeschoben wurde. Dies versuche ich unpathetisch auszusprechen – und ich hoffe, dass mir das Unpathetische gelungen ist –, ohne vor mir herzutragen »wer einen rettet, rettet die Menschheit«, und stattdessen zu sagen: »Sowas ist immer möglich«. Wie auch jede Rebellion im Alltag manchmal möglich ist. Und gleichzeitig zu wissen, dass das, was geschieht, von uns unbeeinflussbar ist.

Ich möchte nicht mit der Aussage »Man kann ja nichts machen« wohlfeil umgehen, weil ich immer eine Wertschätzung habe, gegenüber jenen, die mich vielleicht als zu kleinkariert sehen – und von denen ich trotzdem weiß, dass sie ganz schön was leisten. So etwas wie eine Gruppe Kein Mensch ist illegal. Und es gab eben Zeiten, wo die Annahme, dass doch was möglich sei, naheliegend erschien.Und dennoch: Wir haben nichts damit zu tun, ob es eine Zuspitzung zwischen Deutschland oder Europa und China gibt, wir haben nichts damit zu tun, ob Bomben fallen oder nicht – wir sind reduziert auf die Hoffnung, es möge nicht so schlimm kommen, wie wir es manchmal befürchten. Das ist unsere Lage. Deswegen sind wir auch, jenseits allen Erfolgs, dazu verpflichtet, die Außenseiter und nicht die Erfolgreichen dieser Welt als unsere Freunde zu sehen. Viele Menschen sind in noch grausamere Bedingungen eingeklemmt im Kampf des Falschen gegen das Falsche.

diskus:Wir haben ja bisher vor allem über den falschen Umgang mit Ohnmacht gesprochen. Ich würde gerne noch mit dir diskutieren, wie man auf Ohnmacht reflektieren oder auch damit besser umgehen kann.

Ebermann: Also einmal gibt es die Option, sich das Recht rauszunehmen, nicht zu glauben, dass die zielgerichtete, zu einer Strategie gehörende politische Intervention zu suchen und zu finden sei. Sondern sich rauszunehmen, das, was uns nicht hilft, zu erforschen und auf den Begriff zu bringen – abseitig zu sein.

Es ist nicht ganz Zufall, dass jene, die einen Lebensabschnitt hatten, in dem sie rückblickend sagen würden, ich habe zu viel gehofft, im Alter doch nochmal auf die Kunst zu sprechen kommen. Zum Beispiel Marcuse. Wir kennen alle die unterschiedlichen Sichtweisen von Marcuse und Adorno zur der ausbrechenden Rebellion Ende der 60er Jahre. Große Köpfe aus derselben Denktradition, die man als gemeinsame Träger der kritischen Theorie ansehen kann, beurteilen eine historische Situation ganz unterschiedlich. Und Marcuse kommt zu der Auffassung, dass das, was er sich nur anzudeuten getraut hat im Eindimensionalen Mensch, eventuell eintreten wird. Marcuse sagt wiederholt auf diesen großen Versammlungen, zum Beispiel in Berlin im Audimax: »Selbst, wenn wir wüssten, dass wir scheitern, müssten wir kämpfen, um Menschen zu bleiben.« Er sagt nicht: »Wir werden scheitern«. Das ist der Aspekt der Hoffnung. Er schreibt stattdessen so rührende Sätze wie: »Du musst sie tanzen sehen, dann weißt du, dass sie sich nicht anpassen können, es ist ihnen unmöglich, der Weg zurück ist ihnen versperrt.« Das ist unzutreffend, aber gleichzeitig rührend, großartig, wunderbar. In diesem Streit bin ich ein bisschen auf seiner Seite, ohne zu leugnen, dass die Arbeit am Begriff von anderen vielleicht doch besser gemacht wurde.  Und ganz am Schluss, bevor er stirbt, schreibt er doch noch die Permanenz der Kunst. Er sagt im Scheitern sei das ein legitimer Fluchtpunkt, um Utopisches, nicht Denkbares, nicht Praktizierbares hinzukriegen. Das bedeutet aber, sich selbst einzustehen, dass man nicht an so etwas wie einem ›Hauptkettenglied‹ arbeitet, sondern in desperater Weise – wenn möglich kombiniert mit radikal humanistischer Praxis – durch eine trostlose Zeit hindurch kluges Denken rettet.

Es gibt ja so viele, wenn mal Hermann Gremlitza kolportieren kann, Sinnsprüche, die sowohl einen großen Wahrheitsgehalt als auch eine große Gefahr der Affirmation transportieren. Einer der berühmtesten ist: »Es gibt kein richtiges Leben im Falschen« (Adorno 1951: 43). Es ist zunächst einmal eine Aussage, die eine eigene Beschädigtheit transportiert: »Tu nicht so, gib nicht so an. Tu nicht so als sei dir Konkurrenz etwas ganz Fremdes, oder als hättest Du mal eben schnell die Eifersucht überwunden, als würdest du dir keine Sorgen machen, wie du die Miete bezahlst«. Die Nutzanwendung liegt aber gleichzeitig auf der Hand: »Wenn es kein richtiges Leben im Falschen gibt, kann ich ja alles machen. Danke! Ich kann auch von der taz zur Welt wechseln, ich kann auch von der jungle world zur Welt wechseln – es gibt ja kein richtiges Leben im Falschen und schließlich sind wir alle kleine Sünderlein.« Auch den Spruch »Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.« (Adorno 1966: 385), kannst du ganz und gar affirmativ für dich behandeln: »Tritt doch in die Grünen ein, damit verhinderst du bestimmt irgendwas und bist Teil der Zivilgesellschaft. Wenn schon Heimatbegriff, dann wollen wir ihn auch von links besetzen.« In all diesen Sachen ist diese Möglichkeit vorhanden.

diskus: Du hast bereits ausgeführt, dass es die Tendenz gibt, sich in die Kunst zu flüchten. Diese allgemeine Dynamik findet man auch bei Adorno, Marcuse, Rancière oder sogar Trotzki. In deinem Lebenslauf scheint sich diese Entwicklung auch abzubilden: Vom Mitglied im Kommunistischen Bund, hin zu einem wichtigen Akteur bei Bündnis 90/Die Grünen und schließlich zum Kabarettisten und Theaterregisseur. Du hast dich häufig den Macht-Optionen, die sich Dir beispielsweise bei den Grünen geboten haben, verweigert. Würdest Du sagen, das ist ein Eingeständnis von Ohnmacht? Oder bedeutet es eine neue Handlungsperspektive? Und welche Rolle spielte dabei die Zuversicht?

Ebermann: Ich will versuchen, die Antwort mit möglichst wenig ›Ich‹ hinzukriegen. Die Generation, zu der ich gehöre, hat – neben den bekannten Sachen, wie die Eltern fragen, was in der Nazizeit war, oder Vietnamkrieg – eine dritte große Angst gehabt: Dass das Leben so vergehe, wie man das bei den eigenen Eltern besichtigen konnte. Meine Behauptung wäre, dass letzteres bei mir viel, viel wichtiger war als die ersten beiden Aspekte. Ich habe die mit so fremden Augen angeguckt. Ich komme ja aus proletarischen Verhältnissen, das heißt so etwas wie Gymnasium oder Universität kommt in meinem Leben nicht vor. Das hat viele Nachteile. Mir ist so vieles mühsam, was Kindern von Bildungsbürgern viel leichter fällt.

Dann sind wir in einen Strudel gekommen – ich bin Jahrgang 1951 – wo die Welt plötzlich veränderbar schien. Wir dachten so etwas wie »Uns gehört die Zukunft«, und da ist das ›Ich‹ bestimmt zutreffend für viele - und unsere Lektüre hat uns überfordert. Und wir hatten etwas Ernstes und etwas Konservatives in uns.

Und aus diesem Impuls ist vielleicht der Versuch entstanden, ganz vorschnell Ordnung in mein Denken zu bringen. Ich weiß noch, wie fasziniert ich von der Lektüre von Geschichte und Klassenbewusstsein von Lukacs war. Auch das Kapitel Methodisches zur Organisationsfrage ist mir bis heute präsent. Deshalb dieses Selbstbild: »Schluss mit dem Vegrübelten« und »Schluss mit dem Experimentellen«. So bin ich in den Kommunistischen Bund gegangen. Niemand hat mich verführt, ich bin gegangen, wohl gesagt. Da schien die Welt recht klar. Über unsere Kräfte gehende, manchmal asketische Anstrengungen, an deren Ende eine kommunistische Partei in Deutschland stehen sollte – einschließlich der ganzen Lenin-Lektüre, wie man es macht, beginnend mit Was tun? oder auch Zwei Schritte vor und einen zurück. Unsere Ansicht, es müsse einen die Sozialpartnerschaft ablehnenden Pol im Proletariat geben, hat mich dann auch in die Betriebsarbeit geführt. Mich geführt, niemand hat mich da hineingedrängt. Das schien erfolgreich. Was wir an aus der Gewerkschaft ausgeschlossenen, linken Vertrauensleuten hingekriegt haben, hat der Verein als Gefahr angesehen. Die haben die absurdesten Sachen gemacht: Gewerkschaftsmitglieder mussten Bestätigungen unterschreiben, dass sie nicht dem Maoismus anhängen und sonst aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werden. Das musst Du dir mal vorstellen, der arme Industriearbeiter – der hatte von Mao noch gar nichts gehört.

Trotzdem gab es natürlich dieses Moment, das ich vorhin angedeutet habe. Dass man wach im Bett liegt, und denkt: »Was mache ich hier überhaupt? Gibt es eigentlich einen plausiblen Zusammenhang zwischen dem Titel unserer Zeitschrift, die Arbeiterkampf (AK) hieß, und dem, was ich jeden Tag in der Industriearbeit sehe? Was begegnet mir eigentlich, wenn ich plötzlich auf der Weihnachtsfeier in eine Polonaise verstrickt bin?« Und es gab natürlich die ganz tückische Angst, die einen immer am Sonntagnachmittag befallen hat: die Angst vor der großen Anstrengung. Diese vielen Tage mit nur vier Stunden Schlaf und gleichzeitig Mitglied der AK-Redaktion zu sein. Das kann man nur machen in einem bestimmten Alter. Man verliert ja auch einen Teil seiner sonstigen Sinnlichkeiten, in einer Zeit, wo man die eigentlich ausleben sollte.

Wir machen jetzt einen Riesensprung: Wir waren 1977 fürchterlich ratlos. Wir wussten, dass unsere Hoffnung auf die Steigerung von Massenmilitanz erloschen ist, oder wir fühlten es jedenfalls während des deutschen Herbst, der Wohnungsdurchsuchungen – wir wussten, es ist jetzt vorbei. Die Massen werden zur nächsten Demonstration nicht mehr kommen. Es war mehr Repression als die Massen in ihren Lebenskalkül erwartet haben. In der Zeit haben wir gedacht, vielleicht gibt es einen Ausweg, wie so etwas Linkssozialistisches, das wir aus skandinavischen Ländern kannten. Das alles war so viel größer als heute – das möchte ich immer Leuten deines Alters sagen. Wenn wir eine Versammlung in Hamburg mit aus der Gewerkschaft ausgeschlossenen Betriebsräten gemacht haben: Da kamen 5000 Menschen. Dass sich überhaupt 5000 Menschen für eine anti-sozialpartnerschaftliche Betriebsarbeit interessieren, ist heute ganz unerreichbar. Trotzdem waren wir ratlos.

Dann habe ich die Bunte Liste in Hamburg mit-gemacht. Wir haben zunächst gedacht, dass man gegen die Grünen was Linkeres aufbauen müsste. Wir haben dann aber unterschrieben, dass die der größere Magnet sind. Es gibt wohl trotzdem kein Interview, wo ich sage »Wir Grünen«. Es gab da ein paar gute Jahre, wo man wenigstens Sand im Getriebe war. Was wir da gemacht haben, hat Wohlwollen von Johannes Agnoli auf sich gezogen. Aber auf jedem Podium, auf dem ich mit ihm saß, musste aber trotzdem irgendwann die Gemeinheit kommen, dass er sagte: »Thomas Ebermann ist ein viel zu ehrlicher und aufrechter Mensch, ich kann es mit großer Sicherheit prognostizieren, dass er die Grünen nach seinem Scheitern verlassen wird.« Er hat Recht behalten. Ich habe mich bei den Grünen nicht aufgehoben gefühlt, sondern – wie soll man sagen ohne sich zu stilisieren – als kommunistischer Eindringling gewirkt, als einer der mitwirken will, dass es keine staatstragende Partei wird, keine Partei, in der die Regierung angestrebt wird. Das war dann wie bei jeder Beziehung – man bleibt ein Jahr zu lange, dann geht man.

Das alles war aber eigentlich Kleinkram gemessen an 1989. Das eine ist das normale Auf und Ab im Scheitern von Linken. Dann kam aber das viel Größere: 1989 wurde die ganze Welt wieder kapitalistisch. Daraus war der Schluss zu ziehen, dass wir ausgespielt haben – in jeder praktischen Hinsicht. Diese Erschütterung können Menschen deines Jahrgangs höchstens lesend nachzuvollziehen. Jetzt hat sich ja die Deutung durchgesetzt, dass es wirklich kein Verlust sei, dass dieser scheiß bürgerliche, stalinistische, revisionistische Staat unterging. Das haben wir wirklich anders gesehen. Für uns war es so, dass damit die Welt eine schlechtere wird. Womit wir recht behalten haben.

Seitdem macht man so negatorisch rum. Wir wollen die Kraft der Negation sein, war vielleicht die wichtigste Überschrift der damaligen radikalen Linken. Der Titel des konkret-Kongresses Nein, wir lieben dieses Land und seine Leute nicht! war massenfeindlich genug, um ein paar Reste zusammenzufegen. Und das ist der Moment, wo sowohl der Gedanke, »Ich weiß was ich aufbauen will« – das meinte ich jetzt als einen positiven Aspekt meiner Zeit beim Kommunistischen Bund – als auch »Ich ringe um gesellschaftliche Hegemonien« – also der Versuch einen Teil der Gesellschaft nach links zu verschieben oder im Streit sogar noch Bestandteil von Re-Education und Zivilisierung sein zu können, das ist der Aspekt bei den Grünen – zerbrochen sind.

Ich wusste zeitweise nicht weiter. Ich bin zwar noch an diesem relativ erfolgreichen Buch Offenbarung der Propheten, eine Art Bilanz der Antideutschen und Antinationalen, beteiligt – aber da hat schon ein Großteil Rainer Trampert geschrieben und ich war ein bisschen gelähmt. Es gibt solche Phasen, da bin ich eben nur Redakteur des Programmheft der Hamburger Trabrennbahn – was ich dann auch drei Jahre gemacht habe. Und dann versucht man so zu leben, dass man einige Sachen, die für die Linke nützlich sein können, aufarbeitet und referiert. Und gleichzeitig ein bisschen von dem Druck, dass das, was man macht, Hauptkettenglied ist, abstreift und sagt: »Ich weiß, ich handle in dem Sinne nicht politisch, sondern ich erlaube mir beispielsweise auch Ausflüge in die Literatur«.

Diesen Umgang mit der Ohnmacht möchte ich unbedingt als subjektiv betonen, und nicht als »So muss man…«. Das ist ganz falsch, denn »so muss man…« gar nicht. Ich schätze so viele Menschen, die meinen theatralen Sachen fernstehen und eher ein bisschen befremdet gucken und sich denken »Das ist wohl so sein Spleen«. Und ich bin geneigt zu sagen, »das ist auch so«. Das eine ist vielleicht die Bedingung, dass ich das andere hinkriege – lebenstechnisch meine ich und nicht, weil man das machen muss.

diskus: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Ein Interview von Hannah Hecker und Helge Petersen

 

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Adorno, Theodor W. (1951): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Berlin und Frankfurt.

Adorno, Theodor W. (1966): Negative Dialektik. Frankfurt am Main.

Adorno, Theodor W. (1975): Reflexionen zur Klassentheorie. In: Gesellschaftstheorie und Kulturkritik (GuK). Frankfurt am Main.

Adorno, Theodor W. Adorno und Ernst Bloch (1964): Möglichkeiten der Utopie heute. Radiogespräch im NDR.

Benjamin, Walther (1991): Goethes Wahlverwandtschaften. Gesammelte Schriften I.1. Frankfurt am Main

Ebermann, Thomas und Rainer Trampert (1996): Offenbarung der Propheten. Hamburg.

Engels, Friedrich (1850): Der deutsche Bauernkrieg. In: MEW 7: 327-413.

Luther Blissett (2002): Q. München.

Marcuse, Herbert (1967): Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft. Übers. Von Alfred Schmidt. Neuwied.

Marcuse, Herbert (1977): Die Permanenz der Kunst: Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik. München.

 

Ab Frühjahr 2019 geht Thomas Ebermann gemeinsam mit Thorsten Mense und dem EGfKA auf Heimatfeindliche Tour. Ihr gemeinsames Bühnenprojekt soll mit einer Mischung aus satirisch-analytischen Vorträgen und theatralen/musikalischen Bebilderungen Heimat vorführen und ihren rechten und linken Freund_innen eine deutliche Absage erteilen. Die Premiere wird (wenn alles gut geht) Anfang April 2019 in Potsdam stattfinden, danach sind von April bis Juni und von September bis November 2019 weitere Auftritte im deutschsprachigen Raum geplant. Wer Interesse hat, uns in den oben genannten Zeiträumen in ihre/seine Stadt zu holen, meldet sich bitte bei thamer [at] egfka.eu (thamer[at]egfka[dot]eu) um Termin, Technik und Konditionen abzusprechen.

Weitere Informationen findet ihr in Kürze unter www.heimatfeindschaft.de.