Als die Performancekünstlerin Marni Kotak im Oktober 2011 ankündigte, ihr Kind in einer Galerie in Brooklyn vor Publikum gebären zu wollen, war sie keine besonders bekannte Persönlichkeit. Zuvor hatte sie schon zahlreiche Erlebnisse wie die Beerdigung ihres Großvaters und ihre eigene Entjungferung in Performances verarbeitet, ohne größeren Skandal. Ihr neues Projekt nannte sie The Birth of Baby X. Im Mittelpunkt stehen sollten weniger sie und das (Un-)Geborene als vielmehr der Akt des Gebärens als höchste Form von Kunst. Dass die Nachricht um die Welt ging und dann doch großes Interesse an ihr und ihrem Sohn Ajax als konkreten Personen bestand, schien sie so nicht erwartet zu haben. In den Tagen nach der Geburt begann eine Jagd auf die ersten Bilder ihres Kindes als sei sie eine berühmte Hollywood-Schauspielerin.

Kotak ist nicht die erste, die die Öffentlichkeit an der Geburt ihres Kindes teilhaben lässt. Auf youtube sind hunderte Videos verfügbar, mit denen meist sogenannte Alleingeburten, Hausgeburten ohne medizinische Assistenz, dokumentiert werden. Und doch scheint sie einen Nerv getroffen zu haben, der zuvor noch verdeckt lag. Woran genau das liegt, ist unklar: ob es die Tatsache ist, dass man die Geburt statt über ein Medium gefiltert live sehen, also tatsächlich das Leben unmittelbar im Leben entstehend sehen konnte, ob es der spezielle Ort der Geburt ist, die fehlende medizinische Kontrolle durch einen Arzt oder die mit Kunstprojekten einhergehende Vermarktung und Bewerbung des Ereignisses.

Auf meiner Suche nach Artikeln und Diskussionen zu Kotaks Projekt stoße ich auf größtenteils sehr heftige Reaktionen. Kotak wird angefeindet und beschimpft - weil sie die Persönlichkeitsrechte ihres Kindes verletze, weil sie sich mit einem so natürlichen und alltäglichen Ereignis ins Rampenlicht dränge und um jeden Preis berühmt werden wolle, weil sie zu hässlich und fett sei, als dass irgendjemand »das« sehen wolle. Aber vor allem wird immer wieder in Frage gestellt: Ist das überhaupt Kunst? Und immer wieder stoße ich auf den lapidaren, zynisch mit Smileys geschmückten Kommentar: »Ist das Kunst, oder kann das weg?« bezogen auf das ›Produkt‹ der Kunstperformance, Kotaks Kind. Ich war auf platten Sexismus gefasst, und auch auf ein reaktionäres Kunstverständnis, aber diese feindselige Entwertung von Menschenleben macht mir schlichtweg Angst. Mir kommen die Begriffe Euthanasie und entartete Kunst in den Sinn.

Kotak selbst erklärt zu ihrem Projekt, dass ihrer Ansicht nach das menschliche Leben an sich die grundlegendste Form von Kunst ist. Gebären sei als höchster Ausdruck des Lebens die höchste Form von Kunst und ihr Kind deswegen das größte Kunstwerk, das sie und ihr Mann jemals erschaffen könnten. Kotaks Projekt öffnet ein Spannungsfeld der Konzepte von Natur/Natürlichkeit und Kunst/Künstlichkeit. Mit der zwangsläufigen Entscheidung, in ihrer Performance eine bestimmte Geburtspraktik als höchste Form von Kunst zu präsentieren, macht sie zudem eine normative Aussage über die ›richtige‹ Art, ein Kind zur Welt zu bringen.

 

Born this way

Kotak zeigt sich mit ihrer Performance als Befürworterin der natürlichen Geburt und teilt Ideen des biologistischen Gynozentrismus. Dazu gehört die Positivierung von essentiell weiblich geglaubten Fähigkeiten und Eigenschaften, die Ablehnung als männlich verstandener Technologien und oftmals eine weiblich orientierte Spiritualität.

Kotak brachte ihr Kind mit Hilfe einer Hebamme und einer Doula, die sie emotional und spirituell auf die Geburt vorbereitet hatte, zur Welt. Ein Arzt war nicht anwesend – ein bewusstes Statement Kotaks gegen die Hospitalisierung von Geburt. Wenn Frauen in ungastlichen Krankenhäusern (»inhospitable hospitals«), an Infusionen und Monitore angeschlossen und im Bett festgezurrt Kinder zur Welt bringen, könne sie das auch in einer Kunstgalerie. Mit dieser Einstellung vertritt sie eine Strömung, die versucht, den Einfluss der Schulmedizin während Schwangerschaft und Geburt zu minimieren. Die auf youtube dokumentierten Alleingeburten stehen sicherlich an einem der extremen Enden der Skala von Vorstellungen über die ›richtige‹ Geburt: Auf der einen Seite diejenigen, die das medizinische System als männlich-patriarchal ablehnen und sich mit Hausgeburt, Doula und Hypno-Birthing in den »intimsten Stunden ihres Frau-Seins« dem »zutiefst weiblichen Bedürfnis« nach Privatheit hingeben und das als »neue Weiblichkeit« feiern. Auf der anderen Seite diejenigen, die die Vorsorgeuntersuchungen bei Gynäkolog_innen beanspruchen, das Ungeborene im Ultraschall beobachten und auf mögliche Fehlbildungen untersuchen lassen, das Geschlecht bestimmen lassen, eventuell noch eine Fruchtwasseruntersuchung machen, um einen genetischen Defekt auszuschließen und die Geburt im Krankenhaus, teils mit PDA oder Kaiserschnitt, erleben. Zwischenformen aller Art existieren; auch im Kreißsaal werden Bachblütentropfen und ätherische Öle gereicht, auch dort wird Gebären bisweilen als ur-biologischer, natürlichster aller Körperprozesse gesehen, als eine Situation, in der die Natur über die Frau Macht ergreift, ihre essentiell weiblichen Instinkte erwachen und sie körperlich ›weiß‹, was zu tun ist. Den Naturgeburtler_innen kann man entgegensetzen, dass auch ihr System der alternativen Geburt pathologisiert: auch Doulas und Hebammen bedienen sich Technologien und vermitteln den Paaren, sie würden bestimmte Waren oder Dienstleistungen brauchen, um eine gute Geburt zu erleben. Dann sind es eben nicht das EKG und der Wehentropf, die zum Gelingen der Geburt unabdingbar sind, sondern ätherische Öle, Globuli und die richtige spirituelle Vorbereitung. Alternativmedizin ist ebensowenig unschuldig wie Schulmedizin.

Bedenklich ist weniger das Wie des Gebärens, sondern der moralisch-diskursive Kampf um die ›richtige‹ Geburt und den besten Lebensbeginn; die soziale Sanktionierung von Geburtsmodellen, die nicht der eigenen Ideologie entsprechen und die Brandmarkung von Schwangeren als unverantwortlich, die sich für oder gegen verschiedene Maßnahmen entscheiden. Das bessere Leben, das man für das eigene Kind heraufbeschwört, beginnt schon vor der Geburt - und immer in Konkurrenz zu anderen.

 

We are all born superstars

Kaum wahrgenommen und diskutiert wurde, dass Kotaks Geburtsperformance in einer symbolgeladenen Rauminstallation stattfand, als Inszenierung von Natürlichkeit in einem künstlichen Setting. Neben dem Bett ihrer verstorbenen Großmutter und dem Schaukelstuhl, in dem ihre Mutter sie als Baby wiegte, ordnete Kotak eine Reihe von Gegenständen an, die man wohl am ehesten als Artefakte oder Fetische bezeichnen könnte. Zwei riesige Trophäen, mindestens 2 Meter hoch, stehen neben dem Nachttisch; eine für Marni, fürs Gebären, die andere für Baby X, fürs geboren Werden. In einem Tiefkühlgerät wird eine Plazenta aufbewahrt, an der Wand hängen eine Vitrine mit dem positiven Schwangerschaftstest sowie ein Schrein mit Kerzen und Rosenkette, in dem ein vergrößertes Ultraschallbild die Maria mit Kind ersetzt. Auf dem Bett liegt eine Stoffpuppe, auf deren Kopf ein Babygesicht gedruckt ist, eine Collage beschäftigt sich mit dem möglichen Aussehen des Kindes.

Auf den ersten Blick gruselt mich das Arrangement etwas. Schlussendlich ist diese Art der Auseinandersetzung mit dem Ungeborenen und der Geburt aber nicht weit von der Alltagspraxis entfernt. Es gibt viele verschiedene Arten, künstlerisch-kreativ mit Schwangerschaft und Geburt umzugehen. Am populärsten ist es, den Bauch zu bemalen und zu fotografieren, oder ihn in einem Gipsabdruck zu verewigen. Relativ neu sind dagegen Angebote, ein Ultraschallbild auf Leinwand vergrößern zu lassen oder als Skulptur oder 3D-Glasgravur umzusetzen.

In der Hausgeburtsszene wird im engeren Sinne künstlerisch mit der Geburt umgegangen. So stellen manche nach der Geburt aus der Fruchtblase eine Trommel her; die Plazenta wird gewaschen und mit Farbe getränkt, um wie mit einem Stempel einen Abdruck auf Stoff oder Leinwand machen zu können.

Diese Art von Kunst verbleibt jedoch in der Regel im Privaten. Selbst Schwangerschafts- und Mütterblogs, in denen oftmals die Ergebnisse der kreativen Projekte stolz präsentiert werden, scheinen trotz der Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit noch als privat betrachtet zu werden. Auch die Veröffentlichung von Geburtsvideos auf youtube ist nicht mit großen Kontroversen verbunden, obwohl die Videos durchaus von Vielen angeschaut werden (das beliebteste Video wurde mehr als 5 Millionen Mal aufgerufen). Warum nun ruft also die Idee, eine Geburt als Kunstperformance zu präsentieren, so heftige Reaktionen hervor?

 

Kotaks Projekt hat vor allen Dingen verdeutlicht, dass Schwangerschaft und Geburt mächtige diskursive Schnittstellen sind, auf die die Gesellschaft den Anspruch der Einmischung erhebt - und sei es die öffentliche Forderung, eine Geburt habe ein privates, vor der Öffentlichkeit verborgenes Ereignis zu sein. Kotak überschreitet offenbar gleich zwei Grenzen: Sie präsentiert ihre Geburt live und nicht als dem eigentlichen Ereignis nachgereichtes Artefakt. Und sie deklariert einen Prozess als Kunst, der allgemein als natürlich-biologisch verstanden wird. Hinter der Ablehnung ihrer Performance steht die Vorstellung, dass Kunst über das Normale und Alltägliche hinausgehen muss und nicht das Leben selbst sein darf; dass sie grundsätzlich von Natur verschieden ist, weil sie eben künstlich ist. Ich vermute, dass es darüber hinaus vor allem als anmaßend empfunden wird, dass ein als essentiell weiblich deklarierter Vorgang zur Kunst erhoben wird. Die unselige Natur-Kultur-Dichotomie, die Männer der Technik und Frauen der Natur zuweist, kann nur platten Sexismus erzeugen, auch wenn er als positiv-biologistische ›neue Weiblichkeit‹ verkleidet ist.

Ohne definieren zu wollen, was genau Kunst (nicht) ist, ist Kotaks Performance im Rahmen der Installation deutlich als Kunst zu erkennen. Zur Rezeption dieses größeren Zusammenhangs ist es leider gar nicht erst gekommen. Und selbst, wenn Kotak ihr Kind in einem leeren Raum, im Krankenhaus oder auf der grünen Wiese zur Welt gebracht hätte: Alles wäre Kunst gewesen, sobald sie es als Performance ankündigt. Durch die heftigen Reaktionen und den Versuch, der Performance den Status des Kunstwerks abzuerkennen, bewirken die Kritiker nämlich genau das Gegenteil: Kotaks Werk wird als Kunst rezensiert.

 

Rather a Cyborg than a Goddess

Eine vollkommen andere Perspektive als Kotak macht die japanische Pop-SciFi-Künstlerin Sputniko! auf. Sie entwirft Prothesen und Maschinen, die es ermöglichen sollen, Erfahrungen zu haben, die einem bestimmten Geschlecht zugeschrieben werden. Die Menstruationsmaschine zum Beispiel erlaubt jeder und jedem, einen kontinuierlich tröpfelnden Blutfluss zwischen den Beinen zu erleben. Ihre Idee der Child Producing Machine deutet den Begriff der Gebärmaschine um. Er steht nicht länger für die technische Aneignung des Reproduktionsvorgangs durch das Patriarchat, sondern dient als emanzipative Technologie, die Gebären für alle erfahrbar machen soll. Sie stellt ihre Erfindungen teils in Videoclips vor. In ihren Songtexten bezieht sie sich oft auf Donna Haraways Werk: Wir alle sind Cyborgs, ein Rückgriff auf die reine Natur und einen natürlichen Körper ist nicht möglich. Sputnikos! Child Producing Machine produziert leider kein echtes Kind, bringt aber immerhin den Gedanken des queering birth hervor.

Die Themen Schwangerschaft und Geburt sind die größten Stolpersteine der queer theory. Es ist schwierig, Naturalisierungstendenzen und das Bestehen auf einer (bedeutungsvollen) Geschlechterdifferenz zu entkräften, wenn als letztes Argument die Fähigkeit der Frau, schwanger zu werden, lauert – zumindest wird diese Fähigkeit jeder (›richtigen‹) Frau unterstellt. Einen entsprechend großen Aufschrei gab es, als 2008 verkündet wurde, ein Mann erwarte ein Kind. Die Sensation wurde jedoch schnell wieder abgewertet, weil Thomas Beatie zwar legal ein Mann ist, aber als Frau geboren wurde. Er wurde dennoch 2010 als »First Married Man to Give Birth«ins Guiness Buch der Rekorde eingetragen. Das Bild eines phänotypisch männlichen Körpers, nur eben mit einem großen Schwangerschaftsbauch, wurde schnell wieder in das vertraute Zwei-Geschlechter-System und die Gegensätze von Natur und Künstlichkeit eingeordnet. Der kurze Moment, in dem jemand sich fragt: »Ist das echt?« und es zwar für unwahrscheinlich, aber immerhin für möglich hält, ist jedoch viel wert.

Sputniko!s Child Producing Machine, auch wenn sie im eigentlichen Sinne nicht funktioniert, produziert immerhin einen shift: Sie verschiebt die Perspektive auf Reproduktion und verweist auf nicht-heteronormative Geburtssettings. Sie stellt die Natürlichkeit von Schwangerschaft in Frage und nutzt Technologien, um Geschlechtergrenzen zu verschieben und zu entmachten. Dem steht immer noch die Ideologie gegenüber, dass das technisch Hergestellte unnatürlich und somit nicht ›echt‹ sei. Der natürliche Körper und die natürliche Geburt sind aber zwangsläufig diskursiv hergestellt und ein kulturelles Konstrukt. Jede Geburt ist eine Performance und nimmt teil an einem fortlaufenden Normativierungsprozess. Meistens ist es den (zukünftigen) Gebärenden und ihren Partner_innen auch mehr oder weniger bewusst, dass sie Teil eines solchen Prozesses sind, da sie diesen oft nach außen hin präsentieren, das Wie und Wo der Geburt begründen und gegen andere Ansätze verteidigen. Entsprechend ist die Intention von Kotak und denjenigen, die ihre Geburtserlebnisse auf youtube veröffentlichen, nicht ausschlaggebend. Ihre Werke und deren Rezeption können so oder so queer gelesen werden.

Am Ende bleibt es unklar, wie sehr Kotak tatsächlich performt, ob sie die Rolle der Schwangeren, die von der natürlichen Geburt überzeugt ist und das Ungeborene antizipiert und fetischisiert, bewusst darstellt, oder ob ihre Installation ein Eigenleben hat und über sie hinausgewachsen ist. Kotak grenzt sich von der künstlichen Geburt ab, wendet sich der natürlichen Geburt zu, macht sie zu Kunst und dadurch wieder künstlich. Unabhängig davon, ob Kotak eine Kritik an der Ideologie der Geburtspraktiken beabsichtigte, hat die in ihrem Projekt gezeigte Fetischisierung des Natürlichen in einem künstlichen Raum verdeutlicht, dass ›das Natürliche‹ immer künstlich hergestellt und performt ist. Kotak betitelt ihre Homepage mit dem Spruch: »For truth is always strange; stranger than fiction.« - Die Realität ist verrückt genug, sie läuft jeder Parodie den Rang ab. Man braucht nur jemanden, der darauf aufmerksam macht.

 

Janne Krumbügel

 

*.lit

Donna J. Haraway (1991): Die Neuerfindung der Natur: Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt am Main: Campus Verlag.

sputniko.com

fuckermothers.wordpress.com

 

*.notes