Kampf um Zeit in der Agentur
Mir zappeln noch immer meine nervösen Kaffeefinger, wenn ich daran denke wie ich über meinen Xing-Account die konspirative Rundmail an 10 Kolleg_innen versende. Das all die aufgebrachte Anstrengung und der geflossene Angstschweiß bemerkenswert wirkungslos geblieben sind, ist mir inzwischen egal.
Ich hatte nach einem Jahr als studentische Hilfskraft in der Online-Marketing-Agentur genug erlebt. Die nötige Anerkennung und Verantwortung zum Wohlbefinden hatte ich bereits erlangt, zudem ein Job-Angebot für die Zeit nach meinem Studium. Alle Mitarbeiter_innen waren nett und der Umgang in der Agentur war auch okay. Wenn meine Kolleg_innen, die dort fest arbeiteten, eine 40 Stunden Woche gehabt hätten, gäbe es weit weniger Gründe einen Karriere-Job auszuschlagen. Lange hatte ich über die Form der Organisation der Arbeit nachgedacht und Gespräche geführt, bis ich letztlich zu dem Entschluss kam, einen Aufstand zu proben. Es wurde mir nach einem Jahr immer deutlicher, dass die Art und Weise der Produktion in einer solchen Online-Agentur einen auf subtile Weise Dinge tun lässt, die völlig absurd sind. Die Spitze des Eisbergs war da tatsächlich der eine Donnerstag-Morgen, an dem ich um 7:45 Uhr nach 23 Stunden ununterbrochener Arbeit mit einigen Kollegen heimging. Ich war dort freiwillig so lange geblieben, niemand hatte eine Forderung an mich gestellt. Mein Abteilungsleiter, gerade einmal 30 Jahre alt, frischer Diplomand, unheimlich energetisch und aufgeweckt, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 14 Tage am Stück hingelegt, selbst am heiligen Sonntag war er im 2. Stock die Laptoptasten hauen.
Plant mensch eine Betriebsratsgründung, so mein Gedanke, berät dich die Gewerkschaft sicher gerne. Leider hatte ich zunächst das Gefühl, dass Verdi die Online-Medien Branche aufgegeben hat. Die letzten Info-Flyer, die einen bescheidenen Überblick über die Branche geben sind bereits über acht Jahre alt. Sie geben auch nicht wirklich das wieder, was ich in der Agentur erlebt hatte. Die Berichte von der recht gut informierten Verdi-Mitarbeiterin, mit der ich zuvor einen Termin vereinbart hatte, deckten sich mit den Erfahrungen die ich gemacht hatte. Sie erzählte, dass häufig Leute aus der Online-Werbe-Branche und aus PR-Agenturen bei ihr seien, sie aber fast immer Angst hätten, die ersten Schritte einer Betriebsratsgründung zu übernehmen. Derweil haben sich aber die Arbeitsumstände nach den Berichten der zu ihrer Beratung kommenden Angestellten sehr verschlechtert. Früher, so klagte wohl einer, seien auch Überstunden gekloppt worden, danach gab es aber mal ein von der Firma bezahltes Ski-Wochenende als Ausgleich, diese Motivationshilfen seien aber komplett verschwunden. Immer häufiger kämen die Leute aus dieser Branche, berichteten von dramatischen Arbeitszeiten, trotzdem hätte sie nach drei Jahren das Gefühl, dass sie lediglich kämen um sich auszukotzen. Danach hörte sie in allen Fällen nichts mehr von den frustrierten Beschäftigten, es kam dann auch nicht mehr zur Betriebsratsgründung. Ich fragte mich nach dem Treffen mit der Verdi-Beauftragten, warum es sich in der Branche als so kompliziert erweist, einen Betriebsrat aufzubauen.
Ich hatte, als ich zu Verdi ging, bereits ein diffuses Gefühl davon, dass sich die Agenturarbeit von den klassischen Produktionsweisen unterschied. Vor allem aber versuchte ich ihr glaubhaft zu machen, dass ich das Gefühl nicht loswerde, dass die identitären Haltungen der Leute, die in so einer Agentur arbeiten, sich stark von denen unterscheiden, die ich bislang in einer Versicherung, Rundfunkanstalt oder im Krankenhaus kennengelernt hatte. Einmal hatte ich, kurz nachdem ich dort angefangen hatte zu arbeiten, in die Runde Rauchender gefragt, wer denn eigentlich den Betriebsrat bildet und daraufhin betretenes Schweigen und ein jähes Ende aller Unterhaltungen geerntet. Ich hatte immerhin eine kleine Note erhalten wie das Verhältnis einiger Kolleg_innen zum Thema Betriebsrat war. In den ehemaligen Beschäftigungsverhältnissen war das Sprechen über den Betriebsrat unter Kolleginnen und Kollegen kein Grund zu betretenem Schweigen gewesen, im ehesten Fall deshalb nicht, weil es bereits einen Betriebsrat gab.
Ich dachte, dass eine vergleichsweise neue Branche mit neuer Produktionsweise und anderer Altersstruktur, auch eher auf neue Formen der Mitarbeiter_innen-Organisation anspringt und entschied mich daher dafür, gegen den Rat der Verdi-Beauftragten, die entsprechenden Kolleginnen und Kollegen über ein soziales Netzwerk anzusprechen. Während der Arbeit stehen nämlich dem Panoptikum gleich, alle Bürotüren offen und eine jede Unterhaltung kann alsbald unerwartet gestört werden. Außerdem werden ja in der Soziologie so gerne die unvorhersehbaren Dynamiken innerhalb sozialer Netzwerke beschwört.
Also verfasste ich einen Brief den ich an 10 Mitarbeiter_innen verschiedener Abteilungen über das »Karriere-Netzwerk« Xing versendete, über dessen Nutzen ich mir bis dahin immer unklar gewesen bin. In diesem Schreiben kritisierte ich ineffiziente Abläufe und argumentierte, dass sich Veränderungen zu effizienteren Arbeitsabläufen und damit zusammenhängend die Möglichkeit auf weniger Überstunden, nur durch Eigeninitiative der Belegschaft angestoßen werden könnten. Weil in dem Unternehmen jeder Arbeitsschritt unter dem Parameter der Effizienz bewertet wurde, hoffte ich den Gedanken an ein gemeinsames Treffen einigen Kolleg_innen schmackhafter zu machen. Ich wollte nicht gleich mit dem Wort Betriebsrat alle erschrecken, sondern zunächst so etwas wie einen Raum schaffen, in dem sich Teile der Belegschaft, abseits der Büros, untereinander über Probleme austauschen konnten. Darüber erhoffte ich mir eine Sensibilisierung gegenüber der eigenen Handlungsmacht herstellen zu können um an der gegenwärtigen Arbeitssituation etwas verbessern zu können. Ich dachte, mit der Argumentation über ineffiziente Arbeitsabläufe, diejenigen anzusprechen, die zwar auch unter den Bedingungen leiden aber über ihre politische Sozialisation Begriffe wie Arbeitskampf als wirres Zeug definieren.
Das war für mich keine leichte Sache. Wenn mensch ein ganzes Jahr eine integrierte, in der Arbeit voll aufgehende Identität performt, die Kolleginnen und Kollegen lieb gewinnt und dann eine derart konspirative Mail schreibt, bringt das währenddessen klapprige Knie und nervöses Zucken mit sich. So eine Missstände-Email ist nicht kompatibel mit der dort herrschenden grinse-gute-Laune-ich-hab-bock-Atmosphäre. Nachdem ich die Emails abgeschickt hatte, war ich ziemlich verunsichert. Was denken die Leute jetzt von mir? Liege ich jetzt blamabel daneben mit meiner Einschätzung? Lediglich einen Mitarbeiter hatte ich vorab von meinem Vorhaben in Kenntnis gesetzt, der wollte aber nichts davon wissen, weil er sich ohnehin bald bei der Konkurrenz in besserer Stellung hoffte.
Leider musste ich nun feststellen, dass das oben genannte Karriere-Netzwerk, auch zur Betriebsratsgründung ungeeignet war. Nachdem ich das Schreiben abgeschickt hatte, musste ich noch über einen Monat dort arbeiten. Eine Hölle: Eine Mitarbeiterin grüßte mich fortan, beträchtlich geschult, nur noch wenn sie dabei die Wand oder den Boden anschaute. Andere machten ähnlich nervöse Gesichter wenn sie mich sahen, wie ich mir meines kurz vor abschicken der Mail vorstellte. Drei sagten unter Vorbehalten zu. Ein Anderer, dem ich die Mail nicht geschickt hatte, grinste mich freudestrahlend auf dem Flur an, hob beide Daumen und verschwand wieder ohne auch nur Piep zu sagen. Mein eingerichteter Doodle-Link blieb aber fast leer und eigentlich war niemand bereit Initiative oder Verantwortung mitzutragen.
Als ich mit meinem Abteilungsleiter darüber sprach dass ich kündigen werde weil ich keinen Bock mehr hätte diesen Arbeitsirrsinn mitzumachen, verstand er das sofort. Als Einschub: er wurde als Berufseinsteiger mit akademischem Abschluss, bei einer tatsächlichen 55-60 Stundenwoche mit ca. 1600 € abgespeist. Damit lag mein Stundenlohn als studentische Aushilfskraft, mit 12 € die Stunde, beinahe doppelt so hoch wie seiner, weil ich meine Überstunden verrechnen konnte. Er wusste, dass die Geschäftsleitung ihn mit der miesen Bezahlung veralbert, verwies aber darauf, dass er das jetzt 3 Jahre mitmachen würde um dann aufzusteigen und richtiges Geld zu verdienen, er sprach von 100.000 €/Jahr.
Diese Perspektive war nicht vollkommen unbegründet. Der Markt wächst ja schneller als andere Märkte und während der letzten Jahre gab es immer neue Abteilungen. Wer seine Abteilung effizient und profitabler als andere Abteilungen strukturierte, konnte bald vielleicht eine fette Abteilungsleiter_innenstelle ergattern.
Krise der Repräsentation
In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts können die Tarifrunden in den großen Branchen der bundesrepublikanischen Wirtschaft als institutionalisierter Kampf um Arbeitszeit verstanden werden. Ob Angestellte oder Arbeiter_innen, die Mehrheit der Beschäftigten hatten so etwas wie eine Repräsentantin oder einen Repräsentanten, dessen Auftrag darin bestand, die (Lohn)Forderungen der Belegschaften umzusetzen. Die radikale Linke konnte diese Tarifrunden als das verstehen was den Status Quo des Kapitalismus aufrechtzuerhalten in hohem Maße in der Lage war. Erst einmal gut, dass hier und dort der Lohn gegenüber der Inflationsrate adäquat angeglichen wurde, doch im Ganzen schlecht weil die Möglichkeit auf Revolution und / oder die Abschaffung des Kapitalismus mit der Tarifpartnerschaft verringert wurde. Die Tarifpartnerschaft und die Sozialpolitik sind als Teil der Goldenen Handfesseln bezeichnet worden, die der Legitimation der kapitalistischen Wirtschaftsordnung unabdingbar waren.
Der Begriff der Repräsentation ist für diese Ordnung maßgebend. Die vermeintlich homogenen Gruppen der Arbeiter_innenschaft und Angestellten hatten eine Repräsentation bei den Tarifverhandlungen als auch im Parlament der repräsentativen Demokratie. Zwar gab es damals auch unterschiedliche Gruppen in der Arbeiter_innenschaft beispielsweise unter denen die feste Stellen inne hatten und den Tagelöhnern, Wanderarbeiter_innen etc.. Dennoch hatten diese Gruppen wenn auch über die Differenzierung zu anderen Gruppen eine Assoziation, die durch eine Repräsentation ihre Interessen vertreten konnte.
Es lassen sich, spätestens seit dem vergangenen Jahrzehnt, drei Tendenzen ziemlich deutlich erkennen, die das Potential haben, die Erzählung der Repräsentation zum Ende hinzuführen. Ein Krise der Repräsentation zeigt sich zunächst in den stark sinkenden Mitglieder_innenzahlen der Gewerkschaften. Ließen 1960 noch 34 % aller Beschäftigten ihre Interessen von einer Gewerkschaft vertreten, sind es heute weniger als 12 % der Beschäftigten. Wenn nach einer Entsprechung dieser Entwicklung bei der Beteiligung an Wahlen gesucht wird, lässt sich diese Tendenz auch verzeichnen, ca. 10 % der Berechtigten gehen weniger wählen als in den 1960ern. Drittens und mit den ersten beiden Veränderungen womöglich korrelierend, wird es für die Parteien immer schwieriger, die gesellschaftlich divergierenden Interessen in ihren Programmen in einer Volkspartei aufgehen zu lassen. Die Mitglieder_innenzahlen sinken ohnehin permanent. Die SPD beispielsweise verlor in den letzten 30 Jahren die Hälfte ihrer Mitglieder und ist zudem völlig überaltert.
Es gibt Möglichkeiten die Krise der Repräsentation zu erklären. Eine dieser Möglichkeiten kann beispielsweise sein, dass es in den vergangenen Jahren bestimmte Veränderung der Produktionsweise im Kapitalismus gab, die das Ende der Repräsentation begünstigen. Insbesondere die Entgrenzung der Arbeitszeit in bestimmten Branchen und die damit zusammenhängende neue Organisation der Verantwortungsstrukturen in den einzelnen Betriebseinheiten, so die These, können für eine neue Ausgangslage verantwortlich gemacht werden, in der es immer schwieriger wird, mit der Form der Repräsentation des vergangenen Jahrhunderts den Kampf um Arbeitszeit zu führen.
An vielen Stellen zeigt sich nämlich, dass sich die Bedingungen für repräsentative Interessenvertretung durch die neue Form der Organisation von Produktion entscheidend verschlechtern. Die Konsequenz daraus lässt sich auch verstehen als Plädoyer für ein Bewusstsein darüber, dass die Form der politischen Organisation in Unternehmen und anderen Organisationseinheiten in bestimmbarem Maße, den Produktionsbedingungen entspringt. Anders: Die Produktionsbedingungen begünstigen auch eine bestimmte Form der politischen Organisation.
Die neue Produktionsweise bildet bei genauer Betrachtung Widersprüche unter den Beschäftigten, die durch das alte repräsentative Modell der Interessendurchsetzung nicht mehr zu glätten sind. Oder wieder anders, die scheinbare Glättung von widersprechenden Interessenlagen der Beschäftigten, durch die alte Produktionsweise fällt mit der Neuen weg. Es können drei Widersprüche identifiziert werden, die eine gemeinsame Assoziation von Beschäftigten verunmöglichen.
1. Widerspruch: Das Profitcenter
Eine solidarische Assoziation der Belegschaft ist prekär, wenn die Interessen der einzelnen Belegschaftsmitglieder im Arbeitsalltag bereits divergieren. Insofern bildet die Einführung von Profit-Centern in jeder noch so kleinen Abteilung ein Grundelement dieser neuen Form der Organisation. Die Mehrzahl der Abteilungen in derlei Agenturen sind heute Profitcenter. Nicht nur der Verkauf muss profitabel sein, so die Idee, sondern jede Abteilung muss ihre Dienste innerhalb des Unternehmens gewinnbringend verkaufen. Aus dem Management kommend ist dies in etwa der Versuch, die als produktiv wahrgenommene Konkurrenz zwischen Unternehmen auf dem freien Markt innerhalb des Unternehmens herzustellen. Die Modifizierung der Produktivität liegt im Profitcenter dadurch bei den einzelnen Beschäftigten und nicht mehr bei der Geschäftsleitung. Das Feilschen um Preise bei dem Verkauf um Leistungen auf dem freien Markt findet so auch innerhalb des Unternehmens statt. Der Preis jeder Leistung wird in Arbeitsstunden berechnet, so dass die Abteilungsleiter_innen ein großes Interesse darin haben viel Arbeit in wenig Arbeitszeit zu verpacken. Oft wird gehört das es eigentlich erstmal egal sei was abgeliefert wird, wichtiger ist, dass es schnell abgeliefert wird. Die Prämisse ist unverkennbar die Effizienz. Wenn eine Abteilung mehr Projekte als andere Abteilungen umsetzt, desto profitabler ist sie und desto besser ist die Ausgangslage der Abteilungsleiter_innen, wenn eine sehr gut bezahlte Stellung geöffnet wird. Je schneller die einzelnen Angestellten arbeiten, desto profilierter und wichtiger sind sie für ihre Abteilung. Wer dann noch bereit ist, länger als die Konkurrenz, beziehungsweise die direkten Kolleg_innen, am Schreibtisch zu sitzen und mehr Überstunden als diese macht, der kann den Preis seiner Leistungen drücken und macht so die Konkurrenz, die anderen Kolleg_innen teurer. Die Logik verläuft also so, dass die aufopferungsvollsten Angestellten dadurch den Maßstab für die Produktivität aller anderen bilden. Es zeigt sich, dass dies eine doppelte Anstrengung erfordert. Erstens muss mehr Leistung in eine Arbeitsstunde verpackt werden die Konkurent_innen / Kolleg_innen imstande sind zu leisten, was zu einem absurden Zeitmanagement führt. Für jeden Arbeitsschritt hatte ich mir eine persönliche Deadline eingerichtet, die mich tatsächlich die Aufgaben gehetzter erledigen ließ. Zweitens ist das Profit-Center eine Verlängerung der Arbeitszeit, in der in jeder Abteilung versucht wird so, viele Stunden wie möglich zu kloppen um mehr Projekte im Quartal abgewickelt zu haben als andere konkurrierende Abteilungen. Die Logik zielt damit nicht nur auf eine maschinenhafte Effizienz sondern schlichtweg auch auf mehr Arbeitszeit bei unverändertem Lohn.
Wenn sich die Abteilungen in einem Unternehmen ihre unterschiedlichen und nicht vergleichbaren Leistungen gegenseitig in Rechnung stellen und so auch innerhalb des Unternehmens verkaufen entsteht eine wahrnehmbare objektive Konkurrenz sowohl zwischen Abteilungen, jede will ja produktiver sein als die andere, als auch unter den Beschäftigten, denn wer teurer ist, also mehr Arbeitszeit für bestimmte Leistungen veranschlagt, belastet das Budget der ganzen Abteilung. Die Buchhaltung und damit die Kalkulierung aller Kosten, rutscht herab in die Sphäre jeder einzelnen Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters. Ist beispielsweise die Grafik zu teuer d.h., veranschlagt zu viel Arbeitszeit für ein Projekt, wird einfach ein Drittanbieter oder jemand aus dem Pool von freien Mitarbeiter_innen angefragt. Denn wenn die eine Abteilung alleine wegen der teuren Arbeitsstunden der Grafik ihr Budget übermäßig belastet sieht, muss sie sich Alternativen suchen. Alle Mitarbeiter_innen haben dadurch stets ihre eigenen Kosten präsent. Kolleginnen und Kollegen werden durch das Feilschen um Zeit zu Vertragspartner_innen anstelle zu Genoss_innen.
Erfahrbar ist dies am eigenen Leibe. Jeder Arbeitsschritt wird von einem subtilen Produktivitätsdruck begleitet, der irgendwann internalisiert, zur Normalität gerinnt. Es fiel mir unheimlich schwer, mich der eigenen Bestimmung von Produktivität zu entziehen, weil ich das Budget für ein Projekt immer kannte. Und dieses Budget ist immer knapp. Es ist beinahe unmöglich in so einem Umfeld während der Arbeit, Zeit zu vertrödeln wie ich das von anderen Jobs gewohnt war. Im Krankenhaus war das zügige Arbeiten immer ein Grund für mehr arbeitsfreie Zeit in einem ohnehin festen Rahmen aus Lohn und Arbeitszeit. Es gibt diesen vergleichbar festen Rahmen aus Lohn und Arbeitszeit im Profitcenter nicht. In der Agentur ist nicht die hinsichtlich ihrer Interessen gegenüberstehende Pflegedienstleitung für die Steigerung der Produktivität zuständig sondern jede Mitarbeiterin selbst. Das Verhältnis zu den anderen Mitarbeiter_innen wird dadurch beachtlich affiziert. Es wird in der Agentur nicht gemeinsam im Schwesternzimmer über die neuen Vorgaben der Pflegedienstleitung gemeckert stattdessen wird sich mit einem verheerenden Augenzwinkern bescheinigt, das man heute Abend bis mindestens 22:00 Uhr arbeitet. Damit fehlt aber auch die Möglichkeit sich als gleichermaßen Betroffene zu assoziieren. Mehrarbeit fühlt sich sexy an (Denn wer länger arbeitet: der mehr Verantwortung: der wichtiger für den Vorstand: der bald eher eine höhere Position bekleidet…Ätsch!). Die Andersheit der Mitarbeiter_innen, die durch das gegenseitige in Rechnung stellen von Dienstleistungen zutage tretenden divergierenden Interessen, werden tagtäglich erfahren.
Sind hingegen manche Abteilungen nicht voll ausgelastet, führt das zu anderen Absurditäten: Eine Freundin berichtete mir aus der Mode-Branche, dass sie nach der Arbeit täglich noch zwei Stunden im Internet surfen muss, damit nicht der Eindruck bei den Kollegen entstehe, dass sie sich leisten könne um 18h bereits Feierabend zu machen. Die aus dem Profitcenter entstehende Logik die eigene Stellung im Unternehmen über unbezahlte Mehrarbeit zu legitimieren ist mit der Hoffnung auf weniger Arbeitszeit durch gemeinsamen Arbeitskampf inkompatibel.
2. Widerspruch: Die Zellen// »Happiness is just around the corner« – Vengaboys
Die Vermutung liegt nahe, dass die Größe der Abteilung im Verbund mit dem Profitcenter einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die fehlende Möglichkeit der gemeinsamen Assoziation hat. Im Krankenhaus gibt es etwa auf 60 – 80 Pflegekräfte eine Pflegedienstleitung. Doch selbst wenn eine Abteilung 20 – 30 Mitarbeiter_innen beschäftigt, ist allen völlig klar, dass die Verbesserung der persönlichen Lage eher im Verbund mit anderen zu erzielen ist. Dort geht es im Verbund mit anderen in etwa darum, anstelle 8,76 €, 9,12 € die Stunde zu verdienen. Wo aber eine Abteilung lediglich 4-6 Beschäftigte hat, in der alle auch potenziell für die nächste freie Abteilungsleiter_in-Stelle in Frage kommen, fällt die gemeinsame Assoziation schwer. Denn in diesem Falle geht es um weit mehr als nur einige Euro im Monat, es geht bei den für die tatsächliche Arbeitszeit unerträglich schlechten Lohn eher um das aufsteigen in eine andere Gehaltsklasse: Statt 1600 € gibt es bei einer guten Beförderung dann plötzlich das doppelte Gehalt und die Erlösung von der anhaltenden Schmach.
Die Frage nach der Repräsentation von Interessen wirkt angesichts der persönlichen Möglichkeiten für den Aufstieg in eine grundlegend höhere Gehaltsklasse befremdlich. Niemand, der in einer solchen Agentur arbeitet, kann sich damit zufrieden geben, anstelle der 1600 €, 1700 € zu verdienen. Eine 50-60 Stunden Woche bleibt immer noch eine unerträgliche Frechheit, soll aber wenigstens im Reichtum entschädigt werden. Es ergeben sich in einer solchen Ausgangslage keine verallgemeinerbaren Interessen wie etwa am Fließband sondern lediglich die partikularen, sich notwendig widersprechenden Interessen. Wenn alle 5-8 Mitarbeiter_innen in der Abteilung auf die Beförderung in mittlerer Zukunft hoffen, möchten sie nicht mit Betriebsratsgehabe daherkommen.
Die Perspektive auf die eigene Karriere hat damit die zeitliche Linearität des Aufstiegs des Fordismus abgehängt. In der eigenen Biographie entstanden in den alten Produktionsverhältnissen Möglichkeiten langfristig Planungen anzustellen, weil mit jeder Tarifrunde immer etwas mehr hängen blieb und so langfristig eine Stabilität der eigenen Arbeitsbiographie vermittelt werden konnte. Diese zeitliche Linearität der Arbeitsbiographie wird durch die neue Strukturierung ersetzt. Es entsteht ein beinahe messianisches Warten auf den großen Karriere-Quantensprung, der alle Schufterei irgendwann entschädigen wird, hoffentlich. Der Preis für das Warten auf den Quantensprung ist der Verzicht auf eine konkrete Verbesserung im Jetzt.
3. Widerspruch: ich selbst
Bei allem Unverständnis für die Bereitschaft so einen Unfug mitzumachen, muss beachtet werden, wie sukzessiv die Vereinnahmung verläuft. Es ist ähnlich der gehaltlosen Schufterei im universitären Mittelbau, wo ja auch jeder unbezahlte Termin mitgenommen wird, weil alle anderen ja ebenfalls mitmachen. Oft lohnt es sich sogar, noch öfters auch nicht. Alle, so mein Eindruck, erkennen die Situation und finden sie abscheulich, selbst der Vorstand macht unbegründete Überstunden, doch der Alltag frisst einen auf. Es gibt einem verzaubernde Anerkennung lange dort zu sein und sich wichtig für den Verlauf eines Projektes zu fühlen. Mich selber überkam oft eine flirrende Disziplin, die eine Sache auf der ToDo-Liste noch loszuwerden. Gerade weil auf so niedrigen Lohnebenen so vergleichsweise hohe Verantwortung gelastet wird, ist die Möglichkeit auf Identifikation mit dem produzierten Müll relativ hoch. So bringt es einen um die Freizeit. Die prägnante Diskrepanz zwischen geringem Lohn und hoher Verantwortung wird zwar erkannt aber es werden die falschen Konsequenzen gezogen. Bei Mehrarbeit trägt nicht die böse Pflegedienstleitung die Schuld wie im Krankenhaus, sondern entweder ich selbst oder die viel zu behäbig arbeitenden Kolleg_innen. Diese Atmosphäre herrscht in einer Agentur unangegriffen, weil sie nicht als Ausdruck aktiv geschaffener Strukturen der Geschäftsleitung wahrgenommen wird. Ich hätte es nur schwer ertragen wenn ich bemerkt hätte, dass ich viel unproduktiver und damit teurer für das Unternehmen bin als meine Kolleg_innen.
Hinzu kommt aber noch ein wesentlich leiblicher Aspekt, da der Druck weniger von oben sondern von innen kommt. Das konkrete Arbeiten ist unter dieser Konstellation am ehesten vergleichbar mit einem guten Computerspiel. Ein permanent aufrechtzuerhaltener positiver Stress-Pegel befeuert die Konzentration, den workflow. Ähnlich wie bei einem Computerspiel steigert sich der Stress je näher die Deadline kommt und genauso wird auch die Zeit erfahren, sie vergeht wie im Fluge. Der Körper nimmt diesen Stress mit nach Hause und eine verpasste Bahn kann einen aggressiv und wütend machen, denn Nichtstun und warten müssen fühlt sich in dieser Kondition unerträglich an. Wird einmal dieser Stress-Modus internalisiert ist es schwer von ihm loszukommen.
Angesichts dieser Gefühlslage erscheint es mir im Rückblick unmöglich, eine gemeinsame Opposition gegen die Geschäftsleitung herzustellen, eher lässt sich eine Opposition gegen einzelne unproduktivere Mitarbeiter_innen herstellen. Diese behindern ja ganz offenbar weil an Kosten ablesbar, meine eigene Produktivität. Die Regierung und Disziplinierung des eigenen Selbst verläuft dabei nicht autark, sondern richtet sich immer auch gegen die anderen Selbste, weil diese immer die Parameter für die Beurteilung der eigenen Produktivität bilden.
Wann kämpft die Zeit?
Ins Bewusstsein zu heben ist der Umstand, dass sich notwendig gegenläufige Interessen innerhalb der Belegschaft nicht in einer Repräsentation vertreten lassen. Die notwendig gegenläufigen Interessen sind hervorgerufen aus 1. dem Profitcenter, der die einzelnen Abteilungen des Unternehmens zu miteinander vertraglich verhandelnden Subunternehmen macht. 2. Aus den kleineren Betriebseinheiten in denen ein bestimmtes Gehaltsgefüge die wenigen einer Abteilung hoffen lässt, richtig aufzusteigen anstelle der in großen Einheiten übliche Verbundstrategie zur Durchsetzung von Interessen. 3. Die aus beiden vorherigen Punkten entstehende Selbstdisziplinierung zur höheren Produktivität deren Parameter die Produktivität der direkten Kolleg_innen bzw. Konkurent_innen bildet.
Die gemeinsame Assoziation in Hinblick auf Verbesserung der Arbeit erscheint mir nach diesen Erfahrungen nicht möglich. Wahrscheinlich müssen sich die Vorstände deshalb schon so Dinge wie Teambuilding-Maßnahmen einfallen lassen, von alleine stellt sich ein Team in diesen Strukturen nicht mehr her. Selbstverständlich könnten sich die einzelnen Glieder der Produktionskette einer Agentur zusammentun und eine clevere Genossenschaft gründen, in der bestimmte Leute die Aufträge einholen und andere die restlichen Arbeitsschritte zum fertigen Produkt vollziehen. Diese Rechnung geht aber leider nicht auf, weil es da ja noch die Produktionsmittel gibt. Diese sind nach wie vor in der Hand derjenigen, die sich für diese Art der Organisation entschieden haben. Das führt aber unweigerlich zu der Frage, welche Form der Interessendurchsetzung den Burnout-Bionade-Biedermeier_innen noch bleibt, wenn es auf betrieblicher Ebene unmöglich erscheint?
Vor mehr als zehn Jahren erschien Empire von Hardt und Negri sowie wenig später Der neue Geist des Kapitalismus von Chiapello und Boltanski. Damit wurde zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts in den Geisteswissenschaften das neue Jahrhundert eingeleitet in dem der Kapitalismus, so beide Bücher, eine große kulturelle Veränderung offenbaren wird. Chiapello und Boltanski sehen in ihrer Kapitalismus-Analyse, infolge von netzwerkbasierter Projektarbeit sowie der damit zusammenhängenden konstruktiven Integration klassischer Kapitalismuskritik bezüglich Individueller Freiheit, die kapitalistischen Logiken auf alle Lebensbereiche ausgeweitet und im Schein von Autonomie im Subjekt internalisiert. Hardt und Negri hingegen sehen in demselben Phänomen die Möglichkeit der Multitude: ebenfalls vernetzte Singularitäten deren Konvergenz in der weltweiten solidarischen Demokratisierung des Kapitalismus erkannt wird.
Nach Chiapello und Boltanski braucht es ein Zurück zu den alten stabilen und klaren Grenzen. Diese Position ist alleine deswegen schwer vertretbar, weil die gute alte Zeit auch schon immer Scheiße war. Es klingt in etwa so, als wenn erst mal beide Beine gebrochen sind wie heute, es leichter ist dem Humpeln von früher etwas abzugewinnen.
Bei Hardt und Negri hingegen sind auch beide Beine gebrochen, jedoch fährt der Rollstuhl ohne planbare Steuerung wie von selbst in die gute Demokratisierung. Die beiden Autoren behaupten ja in etwa, dass eine netzwerkbasierte globalisierte Demokratisierung, ohne Subjekt, automatisch entsteht.
Die Erfahrung aus der Agentur zeigt aber, dass es so einfach nicht ist. Soziale Netzwerke sind toll, sie können aber in einem Unternehmen nicht die divergierenden Interessenlagen homogenisieren.
Gerne wird argumentiert, dass es eine unbestimmbare Eigenlogik politischer Prozesse gibt, in die es Hoffnungen zu setzen gilt. Das Warten auf Kairos und das damit zusammenhängende Zusehen wie alles noch weiter an Fahrt gewinnt, ist aber mittlerweile so alt wie der Kapitalismus selber. Besser und perfider wurde durch diese strategische Hoffnung aber nur die Instrumentalisierung der Menschen unter die Logik des Kapitals.
Es erscheint, als dränge die Zeit auf Alternativen zum regressiven Zurück nach früher und zum weiter es wird schon das heilvolle unvorhersehbare Moment eintreten. Derweil gilt es den Pessimismus sichtbar und damit auch organisierbar zu machen.
Dominik Lux