»Wie viele Neoliberale braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben? Keinen: das regelt der Markt von ganz alleine.« Die Vorliebe der liberalen Ökonomen für derart seltsame Selbsttätigkeiten »des Marktes« hat in der Tat seinen eigenen Glühbirnenwitz verdient. Viel mehr noch aber verdient diese Vorliebe kritische Aufmerksamkeit, handelt es sich doch bei der modernen Ökonomie (im doppelten Sinne von wissenschaftlicher Disziplin und dessen Gegenstandsbereich) um ein sehr vertracktes Ding. Denn man kann über derartige Marktmythen so viel lachen wie man will, bestreiten lässt sich kaum, dass es etwas im gegenwärtigen ökonomischen Geschehen gibt, das uns beständig über den Kopf wächst dabei aber immer häufiger im Dunkeln stehen lässt. Joseph Vogl widmet sich dieser vertrackten Situation und bedient sich dabei einer Figur, die vor allem aus der Gedankenwelt von Marx bekannt ist (das Gespenst), placiert sie aber geschickt in der Welt des ökonomischen Liberalismus, in der Welt des Kapitals, um dort ihre dekonstruktive Arbeit zu tun: Das Gespenst des Kapitals.

Ausgehend von Marx berühmten Ausführungen zum Fetisch wurde die Gespenstfigur immer wieder in Anschlag gebracht, um der eigentümlichen Verselbständigung des ökonomischen Geschehens gegenüber den ökonomischen Aktuer_innen im Kapitalismus Rechnung zu tragen. Ökonomische Vorgänge gehen nicht in den wohlüberlegten Tauschhandlungen einzelner Markteilnehmer_innen auf, sondern entwickeln eine Eigendynamik, die sich »über den Köpfen« oder »hinter dem Rücken« der ökonomischen Akteur_innen vollzieht. Nicht nur für Marxist_innen, sondern genauso auch für bürgerliche Ökonomen (Adam Smith »unsichtbare Hand«) oder auch in der Systemtheorie, besteht in dieser Eigenschaft des ökonomischen Geschehens aber gerade der Grund, warum man das Ökonomische als eigenständiges, auf die ein oder andere Weise gesetzmäßiges Ganzes betrachten und beschreiben kann. »Die Ökonomie« kann jetzt als abgrenzbarer Gegenstandsbereich einer wissenschaftlichen Beobachtung ausgesetzt werden, die sich an der epistemologischen Rigorosität der Naturwissenschaften orientieren kann. Das Gespenst wird dadurch zu einem wissenschaftlichen Objekt, dessen Regularitäten bestimmbar und dessen zukünftige Verläufe prognostizierbar sind.  Das wiederum ermöglicht es die Ökonomie als politisches Objekt, als politische Ökonomie zum Bereich zu stilisieren, der vor Eingriffen geschützt werden muss bzw. als Zielscheibe von Intervention und Sozialreform aufzurichten. Dadurch wird das Unheimliche des Gespenstischen wieder heimisch gemacht, das Gespenst nur beschworen, um es zu beherrschen. Der Spuk ist aus. Exit the Ghost.

All das ändert sich, wenn man wie Vogl die Figur des Gespensts auf die epistemologischen Beherrschungsversuche selbst anwendet, wenn man versucht »zu verstehen, wie die moderne Finanzökonomie eine Welt zu verstehen versucht, die durch sie selbst hervorgebracht wurde.« (S. 8). »Die Ökonomie« selbst, also das ökonomische Geschehen als eigengesetzliches System, wird dadurch grundsätzlich in Frage gestellt. In den Vordergrund rückt dagegen die Analyse der Performativität von  ökonomischen Modellen, »calculative devices« (Callon) und Finanztechnologien, wie jüngst von einer erneuerten ökonomischen Soziologie gefordert, die sich nicht mehr damit zufrieden gibt den Geist der Ökonomie – dessen kulturelle und normative Verwurzelung im »Sozialen« – zu thematisieren. Tatsächlich kann man darin die Möglichkeit einer Erneuerung der marxschen Kritik der politischen Ökonomie sehen, die im anspruchsvollen Sinne stets Kritik im Doppelsinn einer Kritik an dem Wirklichkeitsausschnitt »politische Ökonomie« und einer Kritik an der wissenschaftlichen Disziplin »politische Ökonomie« und deren Wahrheitsansprüchen ist.

Vogl vollzieht seine Kritik als dann doch ziemlich große historische Erzählung über die Begründung und vor allem die Begründungschwierigkeiten der »liberalen Oikodizee« welche die »Konsistenz einer möglichen Welt« (S. 55) verhandelt und damit ökonomische Ordnung nicht nur beschreibt (bzw. konstatiert), sondern auch vom Stapel lässt (bzw. performiert).  Zentrales Kennzeichen dieser Oikodizee ist für Vogl die Konzeptualisierung des Marktes als selbstregulatives System, das von sich aus stets zum Gleichgewicht tendiert – für Vogl die »Idylle des Marktes«. Diese Idylle des Marktes wird aber immer wieder von den Gespenstern des Kapitals oder vielmehr von dem Gespenst des Kapitals schlechthin – der Zeit – heimgesucht.

Aber der Reihe nach: Vogl erzählt gleichsam in der Dramatugie eines Kondratjew-Zyklus den Aufstieg und Fall der Marktidyllen, d.h. dem Konzept des ökonomischen Gleichgewichts. Für den klassischen Liberalismus war der Markt vor allem ein Mechanismus einen Ausgleich zwischen den maßlosen Interessen der Marktteilnehmer_innen und damit zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen. Gerade diese öknomischen Gleichgewichtsannahmen sorgen für die epistemische Konsistenz des Gegenstandes Ökonomie. Der Markt galt daher als eine natürliche Ordnung schlechthin, seine Gesetze gleichen denen der Physik (zweites Kapitel). Durch die Einführung des Kreditgeldes wird das geschlossene System des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage in der Zeitdimension geöffnet und damit die Gleichgewichtsannahme, das Systemische und Eigengesetzliche in Frage gestellt »Das Zeitmoment des Kredits ist damit nicht nur zu einem neuen Kriterium, sondern zu einer Fragwürdigkeit ökonomischen Wissens geworden, an der die atomporalen Verhältnisse von Tausch und Gegentausch, geschlossenem Kreis, Ausgleich und Gegenseitigkeit zerfallen.« (S. 82) (drittes Kapitel). Diese Öffnung in der Zeitdimension führte dazu, dass im 20. Jahrhundert ein bestimmter Physikalismus bzw. Naturalismus des Ökonomischen zerbrochen ist und fortan Wege gesucht wurden, dass ökonomische Gleichgewicht politisch bzw. finanzmarkttechnisch her- und sicherzustellen. Bretton-Woods, also die Einführung des Goldstandards war ein früher Versuch sich gegen fluktuierende Wechselkurse und damit eine wesentliche Kontingenz des immer wichtiger werdenden Welthandels zu schützen. »Was von nun an nominell als goldbasiert, real als Gold-Dollar-System gelten sollte, war wiederum mit der Hypothese eines elementaren Gleichgewichts verknüpft, das auf dem korrigierenden Austausch von Geld und Gold beruht.« (S. 85). Nach dem Niedergang von Bretton-Woods versprachen finanzökonomische Techniken, dass gerade die Spekulation auf die Zukunft zum stabilisierenden und äquilibrierenden Faktor gemacht werden könne. Jedes »realwirtschaftliche« Geschäft sollte mit einem Terminhandel auf den Finanzmärkten gehedged, also vor Währungsschwankungen und sonstigen temporalen Unsicherheiten gesichert werden. Die Finanzmärkte sollten so die Idylle des Marktes genau mit den Mitteln sichern – Zukunftsspektulation – die diese Idylle bedrohten; wir haben hier gleichsam die immunitäre Wendung der ökonomischen Gesundheits- und Normalisierungspolitik. Die Finanzmärkte wurden zu den idealen und effizienten Märkten schlechthin stilisiert. Gleichzeitig versprach das Risikokalkulationsmodell Black-Scholes mit mathematischen Mitteln Risiken effektiv erkennen, bewerten und so unschädlich machen zu können. Die statistisch-probabilistische Magie der Normalverteilung, die das Black-Scholes Modell informierte, konnte so zu dem wissenschaftlichen Modell werden, das den Physikalismus des 19. Jahrhunderts ablöste. Mit der jüngsten Finanzkrise sind jedoch auch diese Versprechen der Finanztechnologie fragwürdig geworden. So zeigte sich, dass gerade die Versuche Risiken mit spekulativen Geschäften zu zähmen bzw. zu hedgen schließlich zu der massiven Akkumulation von Risiken führte, die schließlich jene finanzökonomischen »Ereignisstürme« 2007ff. bewirkten, die sie doch eigentlich zu verhindern sollten. »Die Versicherung oder securitization künftiger Ereignisfolgen ist als Einbruch unbeherrschbarer Kontingenz wiedergekehrt, und die Technologien zur Kontrolle, zur Kolonisierung oder Entfuturisierung der Zukunft haben das Künftige auf unvorhergesehene Weise hier und jetzt zum Ereignis gemacht. Ein Wiedergängertum besonderer Art: Das Gespenst des Kapitals kommt stets aus seiner eigenen Zukunft.« (172).

In diesem Zitat zeigt sich das Kernargument von Vogl. Das gespenstische des Kapitals liegt in der Performativität finanzökonomischer Praktiken und diese gespenstische Performativität hat ihren (freilich »grundlosen«) Ur-Grund wiederum in der letztlich unbeherrschbaren Zeitlichkeit des ökonomischen Geschehens. Es handelt sich dabei offensichtlich um ein systematisches (epistemologisches und ontologisches) Argument, das auf dem Weg einer historischen Darstellung gewonnen und ausgearbeitet wird. Das zeigt sich allein daran, dass Vogl Ausgerechnet Aristoteles als Theoretiker heranzieht, der diese gespenstische Zeitlichkeit der Ökonomie zuerst analysierte. Im Gegensatz zur Subsistenzwirtschaft des oikos, kommt mit dem geldbasierten Tauschhandel etwas in die Welt, das die natürliche, zyklische Reproduktionszeit der Natur und des Lebens im oikos aufbricht und pervertiert: »Wenn sich Geld durch sich selbst in unendlicher Serie vermehrt, so ist die Zeit nicht mehr den Kardinalpunkten untergeordnet, über welche die periodischen Bewegungen, die Zyklen der physis, das Entstehen und Vergehen der Wesen und Dinge durchlaufen. Die Zeit ist aus den Fugen, sie ist aus den Angeln gehoben und aus ihrer Krümmung geraten. Die konkrete und dem Bedürfnis subordinierte Zeit wurde durch eine offene und lineare Zeit der Zeiten ohne Wiederkehr, in der sich die Macht der Zukunft manifestiert.« (123). Alle ökonomischen Theorien und politökonomischen Beherrschungsversuche des ökonomischen Geschehens müssen also letztlich scheitern, wenn sie das Ökonomische nach dem Modell einer harmonischen bzw. im Gleichgewicht befindlichen, zyklischen Naturordnung konzipieren und damit als berechenbaren Gegenstand. »Das Ende der Oikodizee verlangt demnach eine Denaturierung ökonomischen Wissens, seine Herauslösung aus dem alten providentiellen Hang und seine Überstellung in ein offenes historisches Feld.« (175).

Dieser Absicht ist vollkommen zuzustimmen und kaum etwas hinzuzufügen. Fraglich ist allerdings, ob die Kritik des ökonomischen Naturalismus allein entlang dem Modell des Gleichgewichts nicht zu kurz greift. Tatsächlich hat sich die ökonomische Zunft lange gesträubt die Ökonomie nach einer nicht-harmonischen, chaotischen, fernab des Gleichgewichts existierenden Natur zu konzipieren – die Natur der Naturwissenschaften des 20. Jahrhunderts im Gegensatz zur harmonischen Natur Newtons oder noch des 19. Jahrhunderts. Nur eine harmonische kapitalistische Natur konnte schließlich den ideologischen Ansprüchen an die ökonomische Theorie zu Zeiten der Systemkonkurrenz genügen. Ein Kapitalismus aber, der sich immer weniger um die Formulierung einer oikodizee im Voglschen Sinne bemüht, scheint auch immer weniger eine harmonische Natur zu benötigen, die zum Vorbild für eine harmonische Wirtschaftsordnung dient. Die ökonomische Theorie als »Sonnenschirm zum Schutz gegen das Chaos« (Deleuze/Guattari) weicht so einer Politik der Rettungsschirme in Vorbereitung auf die kommende Krise. 

 

Andreas Folkers

 

*.lit

Joseph Vogl (2011) Das Gespenst des Kapitals. Zürich: Diaphanes.