Im Februar 2010 fand an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ein Treffen zu »Postkolonialer Stadtforschung« statt. In diesem Rahmen stellten auch die Initiativen freiburg-, hamburg- und berlin-postkolonial ihre jeweiligen Schwerpunkte vor. Im Anschluss an die Tagung fanden sich einige Frankfurter_innen zusammen, verwundert darüber, dass es bislang noch keine postkoloniale Auseinandersetzung zur Stadt Frankfurt gegeben hat.

Auf den Namen frankfurt postkolonial hatten wir uns schnell geeinigt und der erste gemeinsame Abendspaziergang führte uns als eben gegründete Gruppe zum Ivory Club an der Taunusanlage. Das Feuer-Entrée mit Elfenbeinportal und Empfangspersonal in kolonialer Butleruniform passierend, betraten wir das inszenierte kolonialnostalgische Nobelrestaurant für urbane »Großwildjäger« mit »Gentlemen-Club-Atmosphäre« und »Contemporary Colonial Cuisine«. Als potenzielle zukünftige Veranstalterin einer größeren Gesellschaft führte uns das Personal in den separaten »Elephant and Tiger Room«, in dem die Nachbildung einer Bibliothek im sogenannten »englischen Kolonialstil« zu sehen ist und der den Betreiber_innen zufolge »authentisch den Stil der Kolonialzeit vermitteln« soll. Von der »authentisch« aufgeladenen kolonialen Atmosphäre tief beeindruckt und mit dem Gefühl, »Teil einer großen Inszenierung gewesen zu sein«, verließen wir aufgeregt das Corporate-Design-Restaurant. Uns war klar, Frankfurt benötigt dringend eine Auseinandersetzung mit den vielfältigen Nach- und Fortwirkungen des Kolonialismus einerseits und aktuellen kolonialistischen Repräsentationen andererseits.

So fanden sich bald mehr Interessierte, um sich über die akademische Debatte hinaus mit postkolonialer Geschichte und Gegenwart in Frankfurt zu beschäftigen. Mit der Zeit wuchs die Palette an Themen beständig, sodass die schon länger kursierende Idee eines postkolonialen Stadtplans und eines damit verbundenen Rundgangs konkretere Formen annahm. Konkrete Orte in Frankfurt sollten dabei Ausgangspunkte für eine Auseinandersetzung mit weit komplexeren (post-)kolonialen Strukturen sein, um deren diskriminierende Momente sichtbar zu machen und zu kritisieren.

 

Im Rahmen einer Konferenz des Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies im Juni 2011 fand die Premiere des Rundgangs statt, der zu einer besonderen Herausforderung werden sollte: Mit etwa 130 Teilnehmer_innen und einem spontan organisierten Megaphon bewegten wir uns Richtung Innenstadt. In der B-Ebene der Hauptwache thematisierten wir die Bildungsarbeit des städtischen Kindermuseums, in dem die Originaleinrichtung eines Kolonialwarenladens zu sehen ist. Dort soll der spielerische Einkauf zum exotischen Erlebnis werden, die Produktionsbedingungen der Waren und deren rassistische Bewerbung finden jedoch keine Erwähnung. Im Gallusviertel befindet sich der Karnevalsverein Die Kameruner 1922 e.V., der seit seiner Gründung beinahe alljährlich eine »Negersitzung« veranstaltet. Während der »N-Sitzung« schwärzen sich die Karnevalist_innen ihre Gesichter und tanzen mit Afroperücken und Baströcken über der Bühne. Dabei knüpfen sie an die Blackface-Performance des frühen 20. Jahrhunderts an und reproduzieren wohlbekannte stereotype Repräsentationen schwarzer Menschen. Ein weiterer Anlaufpunkt ist die Kaiserstraße – (nicht nur) dort fanden zwischen den 1880er Jahren bis in die Zeit Nazideutschlands sogenannte Völkerschauen in Panoptiken statt. In der Junghofstrasse beteiligte sich 1884 der ehemalige Frankfurter Bürgermeister Johann von Miquel an der Gründung des Deutschen Kolonialvereins. Im Weltkulturen Museum am Mainufer lagern noch heute hölzerne Grabpfeiler, die Johannes Elbert im Auftrag der Frankfurter Geographischen Gesellschaft auf seiner »Forschungsreise« in die Kolonie Niederländisch-Indien entwendete. Neben diesen größeren Stationen sind es vor allem die vielen kleinen Mosaikstücke, die uns im Alltag begegnen und selten problematisiert werden: Etwa die Fassadenfiguren vor der Frankfurter Börse von 1843, die fünf Kontinente abbilden sollen und dabei ebenso auf rassistische Vorstellungen zurückgreifen wie das Heinrich Hoffmann-Denkmal an der Hauptwache mit den drei bösen Buben und dem »Mohr« (im nachfolgenden als »M« bezeichnet). Die »M-apotheke« in Eschersheim, das ehemalige »Gasthaus zum M« an der Konstablerwache, »Christa’s Kolonialwarenladen« im Gallus oder die Villa Merton in Bockenheim mit ihrem »Colonial Room« zum »stimmungsvollen Feiern«. Diese Liste ließe sich ohne Weiteres fortführen. So können Zoos und Museen, Flughäfen und Bahnhöfe, Straßennamen und Denkmäler, Flüchtlingslager und Abschiebeknäste, Bankentürme und Supermärkte weitere Ausgangspunkte sein, um koloniale Beziehungen schlaglichtartig aufscheinen zu lassen.

 

Mit unseren Aktivitäten wollen wir am Fall von Frankfurt am Main historische und gegenwärtige Bezüge zum Kolonialen im Lokalen thematisieren. Wir fragen, inwieweit auch die deutsche Gesellschaft noch immer kolonial geprägt ist und regen zu Kritik und Intervention gegenüber solchen Kontinuitäten an. Schließlich verstehen wir unsere Arbeit nicht als Kampf um Repräsentationen oder die »richtige« Musealisierung des Kolonialismus. Wir wollen nicht nur bis in die Gegenwart fortwirkende koloniale Praktiken, Strukturen und Diskurse offenlegen, sondern uns auch dafür einsetzen, dass in der sich als weltoffene Metropole inszenierenden Stadt Frankfurt u.a. Veranstaltungen wie die des Karnevalsvereins die Kameruner e.V. verhindert werden. Gerade aus einer postkolonialen Kritik heraus müssen die Grenzen zwischen akademischer Arbeit und politischer Praxis hinterfragt werden. Hierzu streben wir weiterhin Bündnisse und Aktionen mit anderen, sich in antirassistischen sozialen Kämpfen verortenden Gruppen an.

 

frankfurt postkolonial

 

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