Keine »Mätzchen des Bauhausstils«, so hatten es die Bauherren gewünscht und zeigten sich mit dem Ergebnis sehr zufrieden: »Ein eisernes und steinernes Sinnbild deutscher kaufmännischer und wissenschaftlicher Arbeitskraft« war entstanden, wie der damalige Direktor, Baron von Schnitzler, in seiner Eröffnungsrede im Oktober 1930 feststellte. Stahl und Stein, in diesem Sinne zu lesen als Fortschritt und Tradition, verbanden sich, um das I.G.-Farben-Haus schon bei seiner Fertigstellung zur Legende zu machen. Schiere Größe allein, unbestritten war es das größte Verwaltungsgebäude Europas, reichte dazu nicht aus. Stahl, in Form eines Skeletts, die Steinverkleidung, die lediglich vorgeblendet wurde, d.h. selbst keine tragende Rolle übernimmt, erlaubte die Fertigstellung in einer Rekordzeit und stellte die Leistungsfähigkeit der Bauwirtschaft und den Drang der I.G. Farben unter Beweis, aus dem Willen zur Größe im tatsächlichen wie im metaphorischen Sinne unverzüglich Wirklichkeit werden zu lassen. Der Turmbau zu Babel, das Unvermögen eines gemeinsamen Werks, ist die Horrorvorstellung und gleichzeitig der Bezugspunkt jeder großen Bauaufgabe; unter kapitalistischen Bedingungen wird der gleiche Wille aller Kräfte nicht mehr allein in der Größe, sondern auch in der minimierten Arbeitszeit ausgedrückt. Zumindest in dieser Hinsicht ist das I.G.-Farben-Gebäude durch und durch ein Bauwerk der Moderne. In seiner Gestalt hingegen haftet ihm der »Geruch von Schuld« an, wie der SPIEGEL einen im Kulturteil erschienenen Artikel überschrieb. Mit wohligem Gruseln erliegt die Autorin Großbongardt der »Faszination eines schönen Schurken« der »unverdient« durch die Rolle der I.G. Farben im Nationalsozialismus korrumpiert worden sei. Eigentlich handele es sich um ein »berühmtes Bauwerk der Moderne«, das aber »zurückgekehrt [sei], ein versprengter Nazi-Onkel aus Kriegsgefangenschaft«, mit dem »die Familie« nichts recht anzufangen wisse, obwohl doch die Deutschen mit Nazi-Onkeln nie ernstliche Probleme hatten. Trotz, oder gerade wegen der Ambivalenzen des Gebäudes, die hier, auch im Hinblick auf Nutzung durch die Universität, gezeigt werden sollen, erfreute sich der Abzug der amerikanischen Streitkräfte starken Interesses in der Öffentlichkeit, auch wenn die »Tausende[n] von Neugierigen«, die daraufhin zum Grüneburggelände »strömten«, respektive »pilgerten«, wie der SPIEGEL zu erzählen weiß, möglicherweise auch durch die Ausstellung »50 Jahre Hessen« angezogen wurden. Der Anteil derer, die die erstmalig zugängliche Architektur gelockt hatte, dürfte jedoch nicht gering gewesen sein. Das Gebäude nicht nur wegen der Verstrickungen der I.G. Farben, sondern auch aufgrund seiner architektonischen Gestalt mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen, liegt aus heutiger Perspektive ebenso nahe wie die Feststellung, es sei »monumental«. Die Frage danach, wie Monumentalität im Betrachter evoziert wird, da pure Größe dazu kaum ausreichend ist – wer würde schon das neue Commerzbank-Hochhaus oder das Juridikum so bezeichnen? – gerade die Frage nach dem Mechanismus des Monumentalen vermag nicht nur einen Hinweis auf eine heutige Herangehensweise an das I.G.-Farben-Gebäude zu geben. Sie ist auch auf das Engste verknüpft mit dem Gedanken, das Bauwerk habe die NS-Architektur antizipiert. Sollte dieser Gedanke sich als unhaltbar erweisen, für was steht es dann sonst? Ist es ein Zwitter, Funktionalismus einerseits, Monumentalarchitektur andererseits und damit ein legitimes Bauwerk der Moderne, wie neuere Forschungen zur Architektur der 20er Jahre nachzuweisen versuchen? Eine Antwort zu wagen bedeutet immer auch, ein Analyseverfahren anzubieten. Die Architektur auf verschiedene Weise zum Sprechen zu bringen, soll im folgenden versucht werden.

 

Eine Annäherung

Der, von Richtung der Innenstadt aus gesehene, konvexe Baukörper lässt »hinter dessen wuchtiger Fassade (...) eher eine römische Festungs- oder Thermenanlage als ein modernes Bürogebäude vermuten«, schreibt Wolfgang Herrmann in der 1933 verhinderten, erst 1977 erschienenen Publikation »Deutsche Baukunst«. »Hinter der Fassade«, formuliert Herrmann und meint damit nicht das Innere, sondern das dahinter des Bauwerks. Er begreift mit diesen Worten das Gebäude nicht als eigenständig (»modernes Bürogebäude«); er sieht es als ein Zeichen, das auf einen dem Betrachter verborgenen größeren Gesamtplan (»Festungs- / Thermenanlage«) verweist. Um diesem Gedanken zu folgen, lohnt ein Blick auf die Rezeption des I.G.-Farben-Gebäudes durch Photographien und Zeichnungen. Von den Handzeichnungen des Architekten Hans Poelzig über die Photoaufnahmen nach der Fertigstellung bis hin zu aktuellen Aufnahmen zieht sich eine bildliche Interpretation des Gebäudes, die Herrmanns Polemik als Illustration zur Seite gestellt werden könnte: Nie wird der Versuch gemacht, eine Totale des Gebäudes einzufangen, indem die Kamera in der Eingangs-Achse Position bezieht, nie wird die vorhandene Symmetrie zur Geltung gebracht. Ausnahmslos erscheint das I.G.-Farben-Gebäude als lediglich ein Teil auf einem riesigen Kreisradius, immer scheint es, auch bei den Aufnahmen von der Seite, als sei das Gebäude eigentlich eine sich immer weiter fortsetzende Mauer, eben ein Teil jener »römischen Festungsanlage«, die auch der zitierte Herrmann assoziiert hatte. Architektonisch lässt sich der Gedanke einer Festung ebenfalls ableiten: Obwohl die äußeren der sechs in den gebogenen Längsbau eingestellten Baukörper etwas breiter ausgeführt sind, gliedern sie das I.G.-Farben-Gebäude in fünf gleiche Abschnitte, an die sich baukastenartig weitere anfügen ließen, so lange, bis sich der Kreis irgendwann geschlossen hätte, um sich dann einer Festung gleich nach allen Seiten in gleicher Weise gewappnet zu zeigen. Der Eingang ordnet sich dieser Vorstellung folgerichtig unter, er lässt die Symmetrieachse fast unmarkiert. Fast wie ein Pavillon, dessen Säulen nur eine symbolische Last abtragen müssen, ist er als ein autonomes Bauteil in der Mitte zwischen zwei Querbauten eingeschoben. Denkbar, ihn sich als Modul vorzustellen, das immer dann in den Festungsring eingefügt wird, wenn es von Nöten ist, diesen aber nicht in seiner Wirkung steigert, sondern in trockenstem Architekten-Jargon lediglich Erschließung bedeutet. Mit dieser Feststellung soll nicht die Raumwirkung im Inneren gemindert werden, die durch ihre kompakte, elliptische Form den modulhaften Charakter der Eingangssituation unterstützt.

 

Zwei rezeptionsgeschichtliche und ein formal-analytischer Strang führen zu demselben Ergebnis: Das I.G.-Farben-Gebäude ist so angelegt, dass es als Teil einer Festungsanlage gelten könnte, nur – es steckt, fast, nichts dahinter. Das »Herz« der Anlage ist nur auf den Plänen das hinter dem Bürogebäude, im Brennpunkt des großen Radius liegende Casino, ein der Bedeutung als Konzernzentrale zuschreibbares Zentrum ist nicht sichtbar, es verbirgt sich in der Ornamentik der endlos gleichen Fensterreihen. Der »Palast« für das »Fürstentum des Geldes«, wie ein Zeitgenosse den Bau beschrieb, ist weder »Palast« noch »Barockschloss«, was eine Autorin 1989 als Vergleich heranzog. Anstelle der personalisierten Macht ist ein anonymer Apparat getreten, dessen Hierarchien sich nicht mehr mit den Mitteln traditioneller Herrschaftsarchitektur repräsentieren lassen. Das I.G.-Farben-Gebäude versinnbildlicht in der Form der Festung die Undurchdringbarkeit einer riesigen Verwaltungsmaschinerie, die Undurchschaubarkeit derselben in der Repetition der immer gleichen Fensterreihen und die prinzipiell unendliche Ausdehnung des Apparates in der Suggestion der beliebigen Erweiterbarkeit entlang des großen Kreisradius. Zugleich entspricht das Gebäude in weiten Teilen rein funktionalen Überlegungen, folgt also den Vorstellungen moderner Architektur. Alle Büroräume sind nach Süden, zur Innenstadt hin orientiert, alle Versorgungsräume wie Gänge und Treppenhäuser nach Norden hin, was den monotonen Rhythmus der Fensterreihen zur Eingangseite überhaupt erst möglich macht. Funktionalität in diesem verkürzten Sinne demonstriert das I.G.-Farben-Gebäude nur zu gut, birgt in sich den Ansatz des Monströsen.

 

Stadträumlicher Maßstabssprung

Von vornherein lag es im Interesse der I.G. Farben, der wirtschaftlichen Bedeutung ihres Zusammenschlusses architektonischen Ausdruck zu verleihen. Ursprünglich liefen die Planungen auf ein Hochhaus hinaus, ein weithin sichtbares Zeichen, konkurrierend zu den Kirchtürmen der Stadt. Der Baugrund war dafür jedoch nicht geeignet, die I.G. Farben entschieden sich, stadträumliche Dominanz durch eine symbolhaft in die Breite gehende Form zu erzielen und erteilten nach einem Wettbewerb Hans Poelzig den Auftrag. Er entschied sich »als einziger, den Komplex nicht an die Straßenführung im Westend anzuschließen«. Die Begründung liefert der erste Biograph Poelzigs, Theodor »Papa« Heuss, der spätere Bundespräsident, im Jahr 1939, drei Jahre nach Poelzigs Tod und neun Jahre nach der Fertigstellung des Gebäudes: »der Bau war ( ... ) Sitz des wichtigsten deutschen Industrieunternehmens (...), sodass nicht er an einer gegebenen Nachbarschaftsgegenwart, sondern eine wandlungsfähige Zukunft an ihm sich orientieren sollte«. Dieser Satz muss vor dem Hintergrund dessen gelesen werden, was »wandlungsfähige Zukunft« ab 1933 bedeutete, auch wenn an konkreter Stelle die I.G. Farben keine Bestrebungen verfolgten, sich im Westend durch Neubauten auszudehnen. Durch die Äußerung Heuss' scheint die enorme propagandistische Bedeutung hindurch, die der Architektur im Nationalsozialismus zukam, sei es durch Staatsbauten oder Bauten der Großindustrie. Gegen die »Nachbarschaftsgegenwart« setzten die Planungsstäbe der Nazis nicht nur in Berlin sondern in nahezu allen Städten Neuplanungen groteskester Maßstabssprünge. Ein solcher Maßstabssprung kündigt sich im I.G.-Farben-Gebäude bereits an, obwohl es zu kurz greift, es als »protofaschistisch« zu bezeichnen. Auch wenn eines der ersten Gebäude des NS-Regimes, das Reichsluftfahrtministerium in Berlin, mittlerweile besser als ehemaliger Sitz der Treuhand durch den Paternoster in Grass' »Ein weites Feld« bekannt, Verwandtschaftliches zum I.G.-Farben-Gebäude zeigt, so war Poelzigs Bau keineswegs stilbildend. Während viele NS-Bauten dazu neigten, Kulissen für kollektive Ereignisse zu bieten oder der bestehenden Stadt an exponierter Stellung eine neue Prägung gaben, verhält sich das I.G.-Farben-Gebäude als schroffe Antithese zum Bestehenden. Es macht keinen Versuch der Vereinnahmung, gleichwohl es in der Fernwirkung auf Überwältigung hin konzipiert wurde, denn weder kennt es die Kategorie des Kollektiven in Form großer Versammlungsräume oder Innenhöfe, noch bricht es den Maßstabsbezug zum Benutzer dort, wo er sich mit der Architektur nicht nur in Form der Fassade konfrontiert sieht, sondern sie physisch erlebt: Der Säulenportikus des Eingangs beispielsweise ist nicht überdimensioniert, und auch die elliptische Eingangshalle zelebriert nicht die Größe der Architektur sondern lenkt den Blick durch das Gebäude hindurch ins Freie.

 

Zurück zu der eingangs gestellten Frage, für welche Architektur das I.G.-Farben-Gebäude steht, wenn es nicht haltbar ist, darin eine Neuschöpfung zu sehen, die die Architektur des Nationalsozialismus vorwegnahm. Die Betrachtung des I.G.-Farben-Gebäudes darf nicht übersehen, dass Geschäftsbauten der zwanziger Jahre nur in sehr wenigen Fällen dem heute gängigen Bild der architektonischen Moderne entsprachen, d.h. das Gebäude sich gar nicht so sehr von dem unterscheidet, was sich andere Konzerne errichten ließen. Die Bauten, die heute für die Moderne stehen, waren in weiten Teilen öffentliche Bauaufgaben wie Wohnsiedlungen und Schulen, in Frankfurt beispielsweise die Römerstadt. In den letzten Jahren ist eine Debatte, zunächst unter Architekten und Architekturhistorikern, an der Frage entbrannt, ob es neben dieser Avantgarde noch eine zweite architektonische Richtung gegeben habe, der bspw. das I.G.-Farben-Gebäude zuzurechnen ist, die gleichermaßen die Bezeichnung »Moderne« verdiene. Die Vertreter der »konservativen Moderne« berufen sich auf die Permanenz bestimmter architektonischer Ausdrucksformen, die von der avantgardistischen Moderne zum Schaden insbesondere des Städtebaus über Bord geworfen worden seien und machen die Moderne insbesondere für Flächenabrisse und die Errichtung von Trabantenstädten aus Traditionshass verantwortlich. Diese Kritikpunkte an der Moderne hatte strenggenommen die pluralistisch gesinnte architektonische Postmoderne bereits seit den 60er Jahren unablässig vorgetragen, die Vertreter der konservativen Moderne wendeten sie dann seit den 80er Jahren, vor allem aber mit der Ausstellung »Reform und Tradition«, 1992 im Frankfurter Architekturmuseum, ins Reaktionäre.

 

Ohne das Spannungsfeld dieser Diskussionen ist die aktuelle Rezeption des I.G.-Farben-Gebäudes kaum verständlich. Jenseits seiner offenbar emotional anrührenden Gestalt – der Kritiker und heutige FAZ-Redakteur Bartetzko schwärmte 1989 von der »überwältigende[n] Wirkung ( ... ) kristallin flirrender Quaderflächen«, die erwähnte SPIEGEL-Redakteurin assoziiert eine »Perlenkette« von Gebäuden – wird das I.G.-Farben-Gebäude ins Feld geführt, um es gegen die avantgardistische Moderne der 20er Jahre zu wenden. Diese habe es nicht vermocht, die »psychischen Dispositionen der Majorität zu beschwichtigen« sondern »Unrast, Bindungslosigkeit [und] Heimatverlust« auf die Spitze getrieben, so derselbe Bartetzko. Seine Äußerungen, die hier nur exemplarisch angefügt sind, lassen den Eindruck entstehen, die Architektur der Moderne habe nicht nur die Zerstörung der Städte in den fünfziger Jahren durch funktionalistisches Zonierungsdenken, d.h. die Trennung von Wohnen, Arbeiten und Verkehr, sondern auch den Faschismus auf dem Gewissen. Diesen stellt er unter Verwendung einer Formulierung Ernst Blochs als zumindest auf architektonischem Gebiet als notwendig aus der Moderne folgenden »Gegenzug« dar, in dem »das Haus zur Festung werde, wo nicht zur Katakombe«. Einzig ein »versteinerter Funktionalismus«, wie am Beispiel des I.G.-Farben-Gebäudes zu sehen ist, führe aus diesem Dilemma der »symbolischen Unstetigkeit in den Architekturen des Neuen Bauens« hinaus, und hätte, so lässt sich hinzufügen, nach Meinung Bartetzkos das Verlangen nach dem Faschismus gar nicht erst aufkommen lassen.

 

Gegen soviel Klassik hilft es nur, sich zu besinnen, was unter der Oberfläche steckt. Das I.G.-Farben-Gebäude ist eigentlich ein Stahlskelettbau. Wie eine Abbildung zeigt, unterscheidet es sich nicht wesentlich von den ersten Gebäuden, die nach dem zweiten Weltkrieg durch den Emigranten Ferdinand Kramer auf dem Campus der Universität Frankfurt errichtet wurden. Das Philosophikum, das Hörsaalgebäude 1 und viele andere Universitätsbauten dieser Zeit basieren auf dem gleichen Konstruktionsschema wie das I.G.Farben-Gebäude. Eine Teildemontage der vorgehängten Travertinplatten, um in dem Stahlgerüst eine zeitgenössische Architektur zu verankern, wäre ein ganz ähnliches Zeichen, wie es Kramer im Jügelhaus setzte: Dort ließ er das alte Portal abbrechen und fügte einen neuen Eingang in die neobarocke Fassade von 1906 ein.