»Die neue Universität in Frankfurt wird die schönste Universität Deutschlands sein. […] Im Poelzig-Bau gibt es auch nach sechs Jahren keinerlei Schmierereien an Wänden oder sonstige Zerstörungen. Ich betrachte das als die zivilisierende Kraft der Ästhetik.« Rudolf Steinberg, ehem. Unipräsident der Goetheuniversität, 2008

 

Das IG-Farben-Haus ist ein Monument deutscher Tätergeschichte. Hans Poelzig baute das Gebäude 250 m lang, 35 m hoch mit neun Stockwerken, wobei die Geschosshöhe vom Parterre nach oben hin abnimmt (von 4,6 auf 4,2 m). Dadurch sieht das Gebäude für den Betrachter höher aus. Nach Fertigstellung im Jahr 1930 diente das Haus 15 Jahre lang seinem Nutzungszweck als repräsentativer Bürobau der Interessens Gemeinschaft Farben AG, bis zur militärischen Intervention und Übernahme durch die alliierten Truppen im März 1945. Im Nationalsozialismus waren die IG-Farben direkte Profiteure und eine wichtige Schaltstelle des Zivilisationsbruchs. Das Unternehmen unterhielt sein firmeneigenes Konzentrationslager Buna/Monowitz und die Tochterfirma DeGeSch produzierte das für den deutschen Massenmord verwendete Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon-B.

 

Dass vor diesem geschichtlichen Hintergrund die Universitäts-Leitung des IG Farben Campus nicht müde wird, die »zivilisierende Kraft der Ästhetik” des Poelzig-Baus zu beschwören, kann nur als bizarrer Zynismus verstanden werden. Verzweifelt bemüht das Uni-Präsidium das naive Ideal von Kunst als immun und immunisierend gegen alles Ideologische. Dabei positioniert sich die Leitung des IG-Farben Campus ganz in Tradition seines Architekten Hans Poelzig, dem es, zumindest der eigenen Wahrnehmung nach, immer nur um die Kunst ging, und der unabhängig von ideologischen Erwägungen einfach nur bauen wollte, Hauptsache monumental, egal ob in Deutschland (auch nach 1933) oder für die Kommunistische Partei in der Sowjet-Union.

 

Der Opportunist Poelzig wird von der Goethe-Universität zum Genius und geistigen Vater des neuen Gesamtkunstwerks »Poelzig-Ensemble« aka Campus Westend stilisiert, dessen neue Erweiterungsgebäude peinlich-eklektizistische Imitationsversuche des neoklassischen Baustils des historischen Hauptgebäudes sind. Der Ästhetik des IG-Farben-Gebäudes obliegt alles andere als ein heroischer Selbstzweck der Zivilisierung. Seine Geschichte ist konkreter Beweis des Scheiterns dieser ästhetisch-zivilisatorischen Projektion. Das IG Farben-Gebäude ist vor allem eins: Monument deutscher Täterschaft moderner Barbarei und zugleich Relikt eines unbedarften wie opportunistischen Kunstbegriffs.

 

Dennoch erhebt sich die Uni-Leitung zum pseudo-kritischen Anwalt der Geschichte und des künstlerischen Gedenkens. Eine Position von der sich das Präsidium wohl nicht zu letzt auch erhofft jede Kritik an der eigenen Institution delegitimieren zu können: Die Casinobesetzung im Dezember 2009 und der dadurch entstandene Sachschaden an den Rahmen der Kunstwerke von Georg Heck stilisierte die Uni-Leitung folgerichtig zum Beinahe-Zivilisationsbruch. Uni-Sprecher Olaf Kaltenborn skandierte: »Wo Kunst geschändet wird, ist die Freiheit in Gefahr.« In einem Leserbrief versuchte der Uni-Präsident dann auch die haarsträubende Parallele von Bildungsprotesten und nationalsozialistischen Kampagnen gegen »entartete« Kunst nahe zu legen. Die unerträglichen Versuche der Uni-Leitung die barbarische Geschichte dieses Ortes in ästhetische Qualität umzudefinieren bedürfen einer politischen Antwort.

 

Dennoch wollen wir uns nicht dazu hinreißen lassen diesem Ort jeden ästhetischen und gedenkpolitischen Wert abzusprechen. Der künstlerisch so interessierten Uni-Leitung sowie der zur Nutzung dieses Gebäudes genötigten Studierenden und wissenschaftlichen Fachkräften könnte die Gedenkstrategie der Künstler Hans Hoheisel und Andreas Knitz ein Denkanstoß sein. »Zermahlene Geschichte« nennen sie ihr als Antimonument konzipiertes Gedenk- und Mahnmal in Weimar. 1997 ließen sie hier die ehemaligen Verwaltungsgebäude der GESTAPO-Leitstelle Thüringens in einer öffentlichen Kunstperformance mittels eines Brechwerkes zu »Holzschnitzeln und Mauerwerksgranulat« zermahlen um diese später wieder auf die Grundrisse der ehemaligen Gestapo-Gebäude als begehbare Skulptur aufzuschütten. Auch an der Ausschreibung für das Holocaust-Mahnmal in Berlin im Jahr 1995 beteiligte sich Hoheisel. Sein Vorschlag: den Mittelteil des Brandenburger Tors zu zermahlen und auf dem Denkmalsgelände auszustreuen. Der Entwurf schied schon in der ersten Runde des Wettbewerbs aus.

 

»Zermahlene Geschichte« halten wir als ästhetisches Erinnerungs-Konzept auch im Bezug auf die Geschichte des Poelzig-Baus für diskussionswürdig. Der Gewinn wäre ein Doppelter: Zum einen bliebe es Studierenden wie Mitarbeiter_innen erspart in diesem Gebäude weiter arbeiten zu müssen. Zum andern würde das Norbert Wollheim Memorial ,als einzig substantielle Erinnerungsarbeit zum Gedenken der Zwangsarbeiter des IGFarben-Konzentrationslagers Buna/Monowitz, endlich nicht mehr länger im Schatten der monumentalen Täterrepräsentation des Poelzig-Baus stehen.

 

Free Class FaM

Erstmals erschienen im November 2010.

 

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