Der 2001 begonnene Umzug der Universität steht kurz vor seinem Abschluss. Maßgebliche Teile der Goetheuniversität werden in wenigen Jahren am Campus Westend angekommen sein – einem Ort, der nicht nur wie in der aktuellen Imageanalyse der Goetheuniversität irgendwie mit dem »Umzug in ,alte‘ Gebäude«»Monotone Stadt, innovative Universität?« In: UniReport (02/2012), S. 2. assoziiert werden kann, sondern als ehemaliger Standort der Verwaltungszentrale der IG Farben unmittelbar mit deren aktiver Teilnahme an Weltkrieg, Zwangsarbeit und Massenmord im Nationalsozialismus verbunden bleibt. Der angeblich schönste Campus Europas ist wohl auch derjenige, der wie kein anderer mit dem »Zivilisationsbruch« (Dan Diner) zusammenhängt – namentlich mit dem Grauen des Konzentrationslagers Buna/Monowitz (Auschwitz III)Für Informationen zu den IG Farben und dem Lager Buna/Monowitz siehe: http://www.wollheim-memorial.de/..

Das hinderte Uni-Präsident Rudolf Steinberg nicht daran, den IG Farben-Campus bei seiner Eröffnung 2001 zum »Palast des Geistes« auszurufen und damit dessen auftrumpfende Erscheinung bruchlos für die Universität zu beanspruchen. Die unbekümmerte Unschuld, mit der die Goetheuniversität als scheinbar ungebrochener Hort der Aufklärung ihren Einzug als »Teufelsaustreibung«So Jochen Sander wörtlich in einem Video von 2010 im youtube-Kanal der Goetheuniversität. URL: http://www.youtube.com/watch?v=ynpJ8r4jMfs&lr=1 (15.05.2012). der nationalsozialistischen Vergangenheit feiert, muss einen bitteren Geschmack hinterlassen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass selbstverständlich auch die Goetheuniversität selbst eine solche Vergangenheit hat, die heute keinen mehr so recht zu interessieren scheint.Vgl. hierzu ausführlicher den Beitrag der Initiatve Studierender am IG Farben Campus (ISIG): »Immer wieder das Gleiche. Zur Geschichte des schönsten Campus Europas.« In: AStA-Zeitung FFM (04/2010). Eine ehrenwerte Ausnahme bildet hier das von Hans Sarkowicz angestoßene und von Studierenden produzierte Radiofeature »Die Bücherverbrennung in Frankfurt. Eine studentische Aktion«. Den Kern dessen, was eine Erkenntnis wäre – dass die vielbeschworene »Geistfeindschaft« der Nazis maßgeblich aus der Universität heraus organisiert wurde –, kann der UniReport in seinem Bericht nicht festhalten; hier wird stattdessen resümiert, die beteiligten Studierenden hätten Bedeutendes »für den eigenen Berufsweg in Richtung Journalismus« mitnehmen können. Vgl.: »Bücherverbrennung in Frankfurt«. In: UniReport (02/2012) S.a. den Beitrag der ISIG »Zum Jahrestag der Bücherverbrennung 1933 – und dem Scheitern der Universität im Nationalsozialismus« (2010). Dagegen wird man – gerade wenn man weiß, wie sehr Wissenschaft mit der nationalsozialistischen Barbarei verbunden war – auf den Unterschied von Aufklärung und Exorzismus beharren müssen.

 

Lässt sich an der neuen Universität am neuen Campus ablesen, wie intellektuelles Arbeiten und akademisches Selbstverständnis immer stärker von ihren kulturindustriellen Bedingungen bestimmt sind und mehr und mehr in den Jargon von Reklame übergehenVgl. hierzu: »Gegen eine bessere Uni...« In: Wahlzeitung der Linken Liste (2010/11). Unnachahmlich geständig und kaum mehr kommentarbedürftig ist hier auch die »Imageanalyse« der Universität selbst: »Monotone Stadt, innovative Universität?« In: UniReport (02/2012)., so wird im Rückblick auf den Campus Bockenheim deutlich, dass hier aufgegeben wird, was man als den Versuch einer reflexiven Universität bezeichnen könnte: Denn zeitgleich mit dem Umzug werden auffälligerweise genau diejenigen Institutionen und Strukturen aufgegeben und fallengelassen, die einmal die Anstrengung auf sich nehmen wollten, auf Nationalsozialismus und in Barbarei übergegangene Wissenschaft zu reagieren – und das gerade nicht durch Aushängeschilder einer vorbildhaften Aufarbeitung, sondern indem ganz im Sinne einer »Aufklärung, die ein geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht zuläßt, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen geführt haben, einigermaßen bewußt werden«Adorno, Theodor W.: »Erziehung nach Auschwitz«. (1966)., die Möglichkeit und der Raum für Reflexion institutionell verankert werden sollte.

An drei Beispielen – deren Liste sich gewiss noch erweitern ließe – soll im Folgenden deutlich gemacht werden, dass es hier nicht um schale Nostalgie gehen soll, sondern um einschneidende Veränderungen, an denen die Verschränkung von historischem Bewusstsein und universitärem Alltag deutlich werden.

 

1. Demokratischer Funktionalismus

Mit dem Bockenheimer Campus verbindet sich der Name Ferdinand Kramers, der als Architekt in den fünfziger und sechziger Jahren für den Auf- und Ausbau der Universität verantwortlich war. Von Anfang an schlug dem sachlichen, als »Glattmacher« verschrieenen Kramer das Ressentiment der Frankfurter Bürger entgegen, das sich über die Studierendenbewegung bis zur heutigen Uni-Leitung durchgehalten hat. Dabei halten sich die Bauten Kramers deutlich gegenüber späteren, in ihrer Häßlichkeit aufdringlichen Gebäuden wie der Neuen Mensa, dem Juridicum oder auch dem AfE-Turm als Bockenheimer Markenzeichen zurück und wirken fast schon schüchternFaktisch entspricht der Campus Bockenheim also nicht mehr dem Entwurf Kramers und es werden nur noch wenige seiner Gebäude tatsächlich genutzt., die Kramer-Bauten sind bei aller Funktionalität von einer Zartheit, die mitunter roh von nachträglichen Eingriffen wie der braunen Verschalung des Hörsaalgebäudes oder dem grotesken türkisenen Sonnenschutz in der Robert-Mayer-Straße zerstört wurde. Diese so leicht übertönte Zurückhaltung ist dabei typisch für den demokratischen Funktionalismus, mit dem der nur widerwillig aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrte Kramer sich beim Bau der Universität von einer Repräsentationsarchitektur abwandte. Die neue und alte Architektur des Campus Westend, die aus der Trickkiste moderner und postmoderner Fassaden- und Monumentalarchitektur lebtMit Trickkiste meine ich zum Beispiel die im IG Farben-Haus nach den oberen Stockwerken hin abnehmende Fensterhöhen, wodurch das Haus als noch höher erscheint., steht in schroffem Gegensatz zur eben überhaupt nicht rabiaten Haltung Kramers, in der funktionale, politische und ästhetische Momente aufs Engste vermittelt sind.

Am deutlichsten wird das vielleicht am Kramerschen Umbau des Jügel-Haus-Portals: Die enge Tür, einmal das Herzstück der Fassade des schlossartig angelegten urspünglichen UniversitätbausMan kann das ursprüngliche Jügel-Haus als ein sogenanntes »Bürger-Schloss« deuten, das heißt als selbstbewusste Aneignung aristokratischer Privilegien durch das liberale Frankfurter Bürgertum, das hier in einer Pionierleistung 1914 eine vom preußischen Obrigkeits-Staat unabhängige Stiftungsuniversität gründete. Vgl.: Hansen, Astrid: Die Frankfurter Universitätsbauten Ferdinand Kramers. Weimar 2001., wurde mit all ihrem wulstigen Ornament und ihrer barocken Herrlichkeit weggerissen und durch einen klar definierten und offenen Haupteingang aus Glas und Stahl ersetzt. Damit reagierte Kramer nicht nur auf eine drastisch steigende Zahl von Studierenden, sondern eben auch darauf, dass nach ihrem Bankrott im Nationalsozialismus der Universität kein Schloss und kein Palast mehr zu bauen sei. Der unangemessenen Selbstherrlichkeit des akademischen Geistes versetzte Kramer mit einem seiner vielleicht schönsten Gebäude – dem Heizkraftwerk – einen weiteren Dämpfer. Dieses legt durch die Verglasung nicht nur seine Funktionsweise offen, sondern überragt mit seinem in die Höhe getriebenen Schornstein weithin den Campus: Ein so offenes Eingeständnis der Abhängigkeit geistiger Arbeit von gesellschaftlicher Produktion, dass also Bildung immer auch als Privileg auf gesellschaftlicher Ungerechtigkeit beruht, sucht man am neuen Campus als dem »Palast des Geistes« vergeblichSchaute man bis vor kurzem aus den oberen Etagen des IG Farben-Hauses, dann schob sich allerdings doch der kurze Schlot des dortigen Heizkraftwerks ins Panorama. Der Campus Westend wird nunmehr allerdings mit der Abwärme der Müllverbrennungsanlage in der Nordweststadt versorgt, weshalb das Kraftwerk in der Lübecker Straße abgerissen wurde. – vielmehr wäre es eine eigene Analyse wert, als wie demütigend hier die Arbeit von Mensa-, Reinigungs- und Gärtnereipersonal inszeniert wird.

Der Unterschied von Westend und Bockenheim wird noch einmal besonders deutlich an der Kramerschen Universitätsbibliothek – hält man hier das gewünschte Buch Minuten nachdem man aus der U-Bahn gestiegen ist in den Händen, so ist im IG Farben-Haus ein absurder Aufwand von im günstigsten Fall einigen hundert Metern Fußweg und mehreren Aufzugfahrten nötig. All die blauäugige Kritik am Funktionalismus, er richte eindimensional auf Zwecke zuKramer baute ganz im Gegenteil in der Voraussicht, dass sich die Bedürfnisse historisch wandeln und seine Gebäude nur schätzungsweise fünfzig Jahre angemessen sein würden. Eine enttäuschte Hoffnung. In diesem Sinne geht es mir hier auch nicht um den Denkmalschutz der Kramerschen Bauten – vielmehr darum, festzuhalten, dass der von Kramer erhoffte Fortschritt ausgeblieben ist beziehungsweise sich nur als Regression niederschlägt., vergisst die Brutalität von Repräsentationsarchitektur, die sich jedem Bedürfnis vermauert, insofern es nicht gerade auf IdentitätsstiftungBei der Entscheidung über die Entwürfe für den neuen Campus war das erklärte Ziel »ein identitätsstiftendes und unverwechselbares Gepräge«. Vgl.: URL: http://www.uni-frankfurt.de/ueber/campi/westend/ausbau1/index.html (15.05.2012). geht. Eine vollständige Liste der anti-funktionalen Stolperfallen am neuen Campus wäre lang – hier seien als Beispiele nur die Bodenstufe in der schwergängigen, praktisch als Hauptdurchgang dienenden Tür in der Eisenhower-Rotunde, die ungleichmäßigen Abstände der Treppenstufen im Hörsaalzentrum und die umfangstarken tragenden Säulen in der Mitte von Personal-Wegen im RuW-Gebäude genannt. Vielmehr als seine mitunter klinische Reinlichkeit wäre am IG Farben-Campus also zu kritisieren, dass er gnadenlos unpraktisch ist; die Forderung nach Leistungsnachweisen mag steigen, die Bedingungen der für ein Studium nötigen Arbeit werden dabei aber immer schlechter. Ganz im Gegensatz dazu beweist sich die Größe des Kramerschen Funktionalismus nicht durch Repräsentation, sondern praktisch – darin, dass sie sich denjenigen zur Verfügung stellt, die sie nutzten.

All das hat durchaus etwas mit der Geschichte des Nationalsozialismus zu tun – nämlich damit, wie akademische Bildung im Sinne einer reflexiven Aufklärung zu organisieren sei, die also auch um die Möglichkeit des eigenen Rückfalls in die Barbarei weiß: Denn Kramer nahm der Alma Mater nicht nur ihre selbstherrliche Fassade; seine funktionalistische Haltung hat wesentlich zum Inhalt, der intellektuellen Arbeit der Einzelnen die Entfaltung zu ermöglichen, das heißt also der von den nationalsozialistischen Studierenden im Namen eben des »deutschen Geistes« nicht nur symbolisch verbrannten, sondern auch offen verfolgten »liberalistischen Intelligenz«Vgl. die »12 Thesen wider den undeutschen Geist”, die im Kontext der Bücherverbennungen veröffentlicht wurden. Man findet das problemlos im Internet. Raum zu schaffen. Und das verlangt allerdings – gerade wenn man sie jenseits von Effizienz ernst nimmt – auf deren auch funktionale und praktische Bedürfnisse einzugehen.

Der funktionalistische Campus Kramers hat also rein garnichts mit einer monotonen »Denkfabrik« zu schaffen und in der Abkehr von der universitären Selbstherrlichkeit liegt alles andere als eine Geringschätzung von geistiger Arbeit. Vielmehr ist es bezeichnend, was bei der Eröffnung des IG Farben-Campus Roland Koch formulierte, ohne dass irgendjemandem der schreiende Gegensatz zum vom damaligen Präsidenten auf der gleichen Veranstaltung vorgetragenen Geschwafel vom »Palast des Geistes« aufgefallen wäre: Bemerkte Koch zu Recht, dass das IG Farben-Haus ein Verwaltungsgebäude ist – und damit eben für universitäre Zwecke unbrauchbar – kommentierte er dies so: »Aber in gewisser Weise haben eine Universität und ein Verwaltungsgebäude durchaus ja etwas miteinander zu tun. Hier wie dort wird Wissen ›verwaltet‹.«Vgl. das Grußwort von Roland Koch in der von der Universität herausgegebenen Broschüre »Dieser Ort ist Geschichte. Einweihung des Campus Westend” (2001), S. 39. Gerade die selbsherrliche Feier der Vernunft geht also mit deren offener Missachtung einher – wird Denken ungebrochen und entgegen jeder Reflexion als »Geist« hypostasiert, da gibt es sich bereitwillig selbst auf.

In Abgrenzung zur Universität heute also, die es versteht ohne Rücksicht auf Verluste ihren Wert als »etablierte Marke«»Monotone Stadt, innovative Universität?”, a.a.O., S. 1. der Aufklärung zu verteidigen, ließe sich die Haltung Kramers vielleicht pointiert so ausdrücken: Um der Rettung Vernunft willen hieß es, ihr keinen Palast, sondern selbst vernünftig zu bauen.

 

2. Studentische Öffentlichkeit

Das Studierendenhaus am Campus Bockenheim ist mit seiner Größe und der zentralen Lage durchaus eine Besonderheit und wahrscheinlich das einzige dieser Art in Deutschland. Das ist kein Zufall, wurde es doch, finanziert von einer amerikanischen Stiftung, 1953 in unmittelbarer Reaktion auf den Nationalsozialismus eingeweiht. Grund dafür war die Idee, dass, wenn die deutschen Studierenden irgendwie zur Demokratie befähigt werden sollen, man ihnen einen Raum für politische Öffentlichkeit geben muss.

Es spricht Bände, dass ein Studierendenhaus am neuen Campus nicht oder erst im letzten Bauabschnitt geplant ist und dann im hintersten und entlegensten Teil des Campus liegen wird.Vgl.: »There is a house... in the middle of nowhere”. In: Wahlzeitung der Linken Liste (2010/11). Wer sich am IG Farben-Campus bewegt weiß, dass eine studentische Öffentlichkeit dort quasi systematisch verhindert, jedenfalls marginalisiert wird und sich folglich kaum findet.Die Marginalisierung studentischer Öffentlichkeit steht dabei auch in engem Zusammenhang mit der behaupteten Kunsthaftigkeit des IG Farben-Campus; erinnert sei an die peinlichen Versuche Müller-Esterls, die Bildungsproteste in die Nähe nationalsozialistischer Kampagnen gegen entartete Kunst zu rücken, als die Besetzung des Casinos nicht nur die Gemälde Georg Hecks, sondern vor allem auch den proklamierten Werkcharakter der Architektur Poelzigs bedrohte: »Denn wo Kunstwerke geschändet werden, ist die Freiheit in Gefahr.« (Müller-Esterl) Vgl. hierzu: Perabo, Gabi: »Vergangenheit unter Farbschichten... something about the yankee doodle room«. In: AStA-Zeitung FFM (04/2010). Die universitäre Kultur 2012 bezieht sich offensichtlich auf Studierende nicht mehr als politische SubjekteIm Artikel UniReport wird dann auch einigermaßen verwundert festgestellt, dass ein Studium noch immer nicht ausschließt, wie es heißt, »Entscheidungen an der Uni mitzugestalten und sich für die Belange verschiedener Personengruppen einzusetzen.« Für die universitäre Kommunikation verständlich eingeholt wird dies aber nur dann, wenn auch versichert wird, dass die hierbei erlernten Soft Skills »auch später im Arbeitsalltag nützen« werden. Vgl.: »Politisches Engagement als Teil des Studiums«. In: UniReport (02/2012), S. 3. öffentlicher Diskussion, sondern setzt im Namen der Diversity auf Minderheitenverwaltung. Deutlicher Ausdruck davon ist, dass statt eines Studierendenhauses als allererstes ein »interkultureller Begegnungsraum« mit dem bezeichnenden Namen »Haus der Stille« eingerichtet wurde: Ein ökumenischer Gebetsraum mit der Möglichkeit zur Geschlechtertrennung – zur Begegnung im gegenseitigen Anschweigen.

Das Studierendenhaus war und ist dagegen davon getragen, dass Debatte, Diskussion und Auseinandersetzung nicht einfach behauptet werden können, sondern eigene Voraussetzungen haben zu denen auch Zeit und Raum gehören. Öffentlichkeit als der Rahmen einer der Idee nach die Autonomie aller Beteiligten auch im Konflikt aushaltenden Verständigung, in dem sich politische Reflexivität einstellen könnte, ist dabei aber grundverschieden vom kampagnenförmigen Dialog, der friedfertige Wesensschau und repressive Toleranz verordnet. Pluralismus als Konzept ist nur dann sinnvoll, wenn er nicht nur beworben und verwaltet wird, sondern wenn es einen Rahmen gibt, indem die Differenzen ausgetragen und auch ausgehalten werden können.

Bei der Forderung nach einem Studierendenhaus, das kann nicht genügend herausgestrichen werden, geht es um ein Herzstück einer Universität, die sich nicht nur abstrakt und mit abgestandenem Pathos aufklärerischen Formeln verschreibt, sondern in der die Möglichkeit von Reflexion und Öffentlichkeit Teil des Alltags ist. Das macht allerdings einen studentisch selbstverwalteten RaumAm Campus Westend wird mitunter auf die Notlösung zurückgegriffen, Fachschafts- in Aufenthaltsräume umzuwandeln, was der Arbeit in der Studierendenvertretung die nötigen Büros nimmt. Daneben ist das Verfahren zur Raumvergabe an institutionell nicht näher gebundene studentische Arbeitszusammenhänge für Veranstaltungen u.ä. im besten Falle unklar und letztlich bürokratischer Willkür überlassen. notwendig, der sich sowohl von universitärem Marketing als auch von akademischer Öffentlichkeit unterscheidet, an denen Studierende bekanntermaßen nur eingeschränkt teilnehmen können.

 

3. Psychoanalyse

Wer ein wenig mit der sogenannten Frankfurter Schule vertraut ist, wird wissen, wie wichtig ihr die Psychoanalyse war und zwar vor allem auch in Bezug auf den Umgang mit dem Fortleben des Nationalsozialismus in der postnazistischen Demokratie. So meinte Adorno, dass dessen Überwindung wesentlich davon mit abhänge, inwieweit sich in Deutschland die Psychoanalyse und damit eine der Reflexion und der Einsicht in die Bedingtheit von Subjektivität günstige Wissenschaft etablieren könne. Horkheimer und Adorno, von denen die Frankfurter Universität in den fünfziger und sechziger Jahren ja maßgeblich mitgeprägt wurde, suchten deshalb unter anderem die Nähe zu Alexander Mitscherlich, dem Gründer des Sigmund-Freud-Instituts, der außerdem auch intensiv zur aktiven Teilnahme von Akademikern – den Medizinern – am Nationalsozialismus gearbeitet und publiziert hatte. Daraufhin bekam Mitscherlich einen Lehrstuhl an der Universität, aus dem sich schließlich mit dem Institut für Psychoanalyse das einzige seiner Art in Deutschland entwickelte. Auch das, der Versuch die Psychoanalyse akademisch zu etablieren, war ein von Frankfurt ausgehender Versuch, einen institutionell verankerten Rahmen für reflexive intellektuelle Arbeit in der postnazistischen Gesellschaft zu schaffen. Damit war vor allem auch die Eigenständigkeit gegenüber der Psychologie und die Offenheit gegenüber anderen, nicht therapeutisch angelegten Disziplinen verbunden. Vor allem einer reflexiven und subjektorientierten Sozial- und Erziehungswissenschaft sollte die Psychoanalyse wichtige Impulse geben.

Seit einiger Zeit ist das Institut für Psychoanalyse allerdings auf einen Arbeitsbereich zusammengestrichen und der Psychologie eingegliedert; alle Studiengänge, die eine Interdisziplinarität möglich machen sollten, laufen aus. Damit wird die Psychoanalyse ins individualtherapeutische Feld zurückgenommen und der Anspruch kassiert, eine reflexive Wissenschaft an der Universität zu institutionalisieren.

 

An der Akademie gegen die Akademie studieren

Das sind an dieser Stelle nur drei Beispiele, die freilich nicht einfach nur aus der – hier passt der etwas altbackene Ausdruck einmal – Geschichtsvergessenheit der Frankfurter Universität abzuleiten sind. Im weiteren Zusammenhang wäre nicht nur auf die spezifische erinnerungspolitische Formation der Berliner Republik zu verweisen, sondern auch auf so verschiedene Entwicklungen wie den durch den Bologna-Prozess veränderten Stellenwert der Universitäten, den fortschreitenden Zerfall von Öffentlichkeit, die Aushöhlung der Psychoanalyse als kritischer Wissenschaft wie auch stadtpolitisch eine Wende zugunsten einer Architektur des postmodern-restaurativen HeimatgefühlsGemeint ist hier zum Beispiel der Abriss des Technischen Rathauses und des Historischen Museums, die einer »Rekonstruktion« der Frankfurter Altstadt geopfert wurden. Während zur Zeit beinahe jeder Schutthaufen, den man in der Innenstadt findet, auf ein abgerissenes funktionalistisches Gebäude verweist, setzt sich das Frankfurter Stadtbild immer mehr aus einerseits grotesken postmodernen Scheußlichkeiten, identitätsstiftenden Ankern im Stadtbild, wie dem Main Plaza (Sachsenhausen) oder MyZeil und andererseits den tatsächlich völlig kargen Wohnhäusern eines Bauwirtschaftfunktionalismus wie in der Berliner Straße zusammen. Es ist das sang- und klanglose Ende einer Debatte um Statdbebauung, die in Frankfurt Jahrzehnte geführt wurde, und bei der sich nun endgültig die Reaktionäre durchgesetzt haben.. Wäre aber Reflexivität und die Institutionalisierung der Möglichkeiten zur Reflexion die Bedingung für eine Aufklärung, die nicht einfach über die eigene Teilhabe an der Barbarei hinweggeht, dann gilt es auch zu erkennen, dass nicht bloßer Widerwille gegen die bessere Einsicht das Problem darstellt, sondern die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Reflexion immer weiter abgeschliffen werden.

Das heißt auch: Sind die einzelnen Wissenschaftler zwar durchaus für den gequirlten Schwachsinn verantwortlich zu machen, den man sich mitunter von ihnen anhören muss, so kann man ihnen doch nicht vorwerfen, dass dieser Schwachsinn noch als Wissenschaft gilt, solange die Definition hierüber sich statt an Wahrheit, institutionell eher an der Anzahl der (allzuoft ungelesenen) Publikationen und den akademischen Klüngeln orientiert. Ähnlich gilt für den gegenwärtigen Zustand der Universität, dass man ihn nicht der mangelnden Aufrichtigkeit ihrer Repräsentanten in Präsidium und der Abteilung Marketing und Kommunikation zur Last legen kann; deren Zynismus mag zwar alles noch verschlimmern, er bringt aber auch auf den Punkt was vom Anpruch bürgerlicher Bildung geblieben ist, wo das Bürgertum mehr und mehr auf die bloße Sachzwangverwaltung herunterkommt. An der Universität, die nach gesellschaftlicher Arbeitsteilung Erkenntnisse und hochqualifizierte Arbeitskräfte produzieren soll, wird schlagend deutlich, wozu Ideologie, das heißt gesellschaftlich notwendig falsches Bewusstsein, heute tendiert – zum Zynismus, der garnicht mehr verlangt, dass man ihn ernst nimmt.Zahlreiches Anschauungsmaterial wird hier vom Blog goethewatch bereitgestellt: URL: http://goethewatch.blogsport.de/

Am IG Farben-Campus stellt sich mit besonderer Schärfe das Problem, dass gesellschaftlich die Bedingungen für Reflexivität immer weiter ausgehöhlt werden: In dem Moment, in dem dieses Haus der Täter zum schönsten Campus Europas ausgerufen wird, werden gerade diejenigen Institutionen aufgegeben, abgebaut und abgerissen, die einmal der Versuch waren, auf das Scheitern der Universität im Nationalsozialismus zu reagieren und Strukturen für eine an der Autonomie der Einzelnen orientierte reflexive und kritische Wissenschaft in der postnazistischen Gesellschaft bereitzustellen. Dieser Versuch muss als abgebrochen gelten.

 

Mit der Schließung und Räumung des Instituts für vergleichende Irrelevanz geht eine Insel verloren, die wenigstens für einen gewissen Zeitraum noch an Strukturen festhalten konnte, die Reflexion ermöglichen. Nicht umsonst hatte das IvI als Motto: »Kritisches Denken braucht – und nimmt sich – Zeit und Raum.« Nicht nur diese grundlegenden Bedingungen für Reflexion werden immer prekärer, sondern mit ihnen droht auch der Verlust eines Denkens, das zum Eingeständnis der eigenen Bedingtheit überhaupt noch in der Lage ist und nicht von vornherein die Fanfaren der Exzellenz vor sich herzutragen braucht.

Verschlechtern sich die institutionellen Bedingungen, dann bleibt wenig übrig, als dass Kritik selbst einen neoliberalen Zug annimmt: Die Verantwortung für reflexive und das heißt eben auch historisch bewusste Wissenschaft und intellektuelle Arbeit liegt einmal mehr bei den Subjekten. Davor bewahrt aber ohnehin kein institutioneller Rahmen, denn ohne Frage ist Reflexivität – ebenso Mündigkeit oder Kritik – nichts, was objektiv je »bereitgestellt« oder »geliefert« werden könnte, sondern notwendig Subjektives. Sowenig aber der institutionelle Rahmen und seine Voraussetzungen zu hypostasieren sind, so wenig ist es das Subjekt als ihr Gegenpol: Reflexivität ist wesentlich dadurch bestimmt, dass die Bedingungen und Begrenzungen des eigenen Denkens und Handelns bewusst gemacht werden. Die Aporie, vor der intellektuelle Arbeit nicht nur an der Universität heute steht, ist die, dass sich Reflexivität unter Bedingungen beweisen muss, die gerade die Möglichkeiten zur Reflexion immer weiter einschränken.

 

Johannes Rhein, Initiative Studierender am IG Farben-Campus

Erstmals erschienen in: Wahlzeitung der Linken Liste (Januar 2012);sowie in leicht überarbeiteter Fassung in AStA-Zeitung FFM (01/2012).

 

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