Der Behemoth der tolerance
Seit und für kurze Zeit steht vor dem Haupteingang des IG Farben Hauses die Skulptur des französischen Künstlers Guy Ferrer. Diese setzt sich aus »9 monumentalen Bronze Skulpturen, die jede einen Buchstaben des Wortes ›tolerance‹ repräsentieren« zusammen:
»Eine Künstlerische Herausforderung, die die Botschaft hervorbringt, mit welcher man heute konfrontiert ist (...) eine Ode an die Toleranz, inkarniert in neun Lettern aus Bronze: Priester, Weise, Pilger...«
Am Aufstellen dieser Skulpturengruppe und vor allem mit dem von der Universität angebrachten Beschreibungstext, wird nicht nur auf eklatante Weise deren Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit deutlich, die mit dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der IG Farben verknüpft bleibt, sondern auch das Kunstwerk selbst ist Ausdruck des falschen Einspruchs gegen die falschen Gesellschaft.
Toleranz wird Groß geschrieben
»Bisher habe ich die ganzen Unannehmlichkeiten geschluckt, und mir dabei gedacht, dass mir das Ganze schon nichts machen wird. Ich hätte mich von dieser Uni nicht zur Verzweiflung bringen lassen. Aber jetzt ist es doch soweit gekommen. Sie hat es geschafft. Und wie. (…) Sie hat dieses Kunstteil auf die Wiese geklatscht. Und ein paar Tage später hat sie auch noch diesen Quatsch daneben geschrieben.« (Flyer: Ole Ole Tolerance)
Die Verwunderung war groß ob dieses Ungetüms, das Anfang Juni aufgestellt wurde; wie aus dem nichts – scheinbar über Nacht so natürlich gewachsen, wie diese Kunst sein möchte – stand es einfach dort. Weiß die Universität doch sonst so gut jegliche spontane Regung kulturellen Lebens auf ihrem Prestige Campus schon im Keim zu ersticken, thronte plötzlich und unübersehbar die Skulpturengruppe vor dem Haupteingang. Das Norbert-Wollheim-Memorial, was den vielen ermordeten und wenigen Überlebenden Jüdinnen und Juden der Shoah im allgemeinen und den Zwangsarbeitern der IG Farben im besonderen gedenkt, verschwindet mehr den sonst gegenüber der monumentalen Installation, die nichts sonst fordert als Toleranz.
Die beigestellte Tafel erklärt den Grund, warum dort die großen Lettern stehen:
»Mit der temporären Installation des Skulpturenzyklus T.O.L.E.R.A.N.C.E. bekennt sich die Goethe-Universität zu ihrer besonderen Verpflichtung, ihre Forschung in den Dienst des Menschen zu stellen.«
Selbst in der Begründung der ›besonderen Verpflichtung‹ kann sich die Uni wiederum nicht verkneifen ihrem Stolz auf den ›Prachtbau‹ Ausdruck zu verleihen: »Auf dem historisch vielfach markierten und wechselvoll besetzten Terrain vor der Kulisse des IG Farben Gebäudes des Architekten Hans Poelzig, erscheint die Skulpturengruppe als ein weiteres großes Versöhnungszeichen.« Die maßgebende Nutzung des Geländes und ursprüngliche Zweck des ›Poelzig-Ensembles‹, nämlich der Sitz der IG Farben vor und während des Nationalsozialismus und auch der eigentlich Grund für das ›Versöhnungszeichen‹ wird mit keinem Wort erwähnt; damit wird die früher dort existierende Nervenheilanstalt, die Nutzung des Gebäudes für die IG Farben und deren Beteiligung an Zwangsarbeit und Ermordung in Buna/Monowitz und die Verwendung des Gebäudes durch das US Militär unterschiedslos nebeneinander gestellt und der Bruch, den die Verbrechen während des Nationalsozialismus darstellen, eingeebnet. Gleichwohl gerinnt unter der Hand auch die amerikanische Nutzung zur »Besetzung«.
Die Tafel auf der Norbert Wollheim abgebildet ist, derjenige der in einem Zivilprozeß gegen die IG Farben Entschädigungszahlungen für die Zwangsarbeit einklagte, wird durch die Skulpturengruppe genau das, was er für die Universität ist: klein, winzig und unbedeutend – an den Rand gedrängt. An die Judenverfolgung und -vernichtung zu erinnern fällt schwer und braucht den Druck von Außen, ist nur mit vielen Kompromissen und Hartnäckigkeit durchsetzbar – nur damit sich die Universität in letzter Instanz noch damit brüsten kann. Alternative Vorschläge für ein Memorial, die es direkt vor das IG Farben Gebäude gesetzt, jedenfalls das Gebäude selbst stärker in ihre Entwürfe einbezogen haben und es damit direkt angegriffen hätten - unübersehbar aber nicht Monumental - , waren für die Universitätsleitung undenkbar. Auf die harmlose und beliebige Floskel der Toleranz kann man sich jedoch schnell einigen und diese auch übergroß propagieren, auf dass sich keiner mehr der Vergangenheit erinnere.
Diese spielte dann auch bei der Enthüllung und Eröffnungsfeier der Skulpturen im Zuge des, teilweise aufs widerlichste folkloristischen, Sommerfestes der Goethe-Universität am 03. Juli keine Rolle mehr – daran konnte auch der Redebeitrag eines Rainer Forst nichts ändern, der sich schon längst in die cosy corner seines Intellektuellen-Komforts und des Exzellenzclusters zurückgezogen hat. In schlecht sitzenden Anzügen waren der neue Universitäts-Präsident Werner Müller-Esterl und der hessische Finanzminister Karlheinz Weimar, der durch Sprache und Gesten seine, nicht nur aus geographischer Sicht, provinzielle Provenienz kaum verstecken konnte und somit der Veranstaltung und ihrem Flair gerade gerecht wurde, viel zu sehr damit beschäftigt sich mit Lob für das künstlerische Konzept Ferrers und den neuen Campus zu bekleckern. Finanzminister Weimar konnte gar nicht mehr an sich halten und weil Deutsche scheinbar gerne ›expandieren‹ machte er ›den schönsten Campus Deutschlands‹ kurzerhand zum schönsten des Kontinents und meinte, dass man das ja auch ohne große Scham behaupten könne. Ihr Palaver wäre nicht der Rede und schon gar nicht des Aufregens wert, jedoch machte Weimar einen Anlauf davon zu reden, wovon er als Jurist und ehemaliger Kreisvorsitzender der Jungen Union zwangsläufig Ahnung haben muss, nämlich Kunst und Architektur. Diese wolle man in Form von Skulpturen und ähnlichem in Zukunft noch mehr auf dem Campus integrieren und außerdem sei bei einer so kunstvollen Architektur, der Campus ja auch irgendwie unlösbar mit Kunst verbunden. Dass dieses Gebäude, das man bezogen hat, unlösbar mit der Judenvernichtung verbunden ist, dämmerte weder Publikum noch den Rednern.
Im Dialog mit Buddha und Sharia
Dass die Bronze-Figuren der Skulptur von weitem wie aus Stroh aussehen und an paganistische Kunst erinnern, ist kein Zufall. Das Gebilde hat der Künstler 2004 angefangen zu entwerfen, aufgrund des zunehmenden »Clash of the Religions« und den sich daran anschließenden Debatten. Die Forderung und Botschaft ist so simpel und naiv, wie das in der Presse-Mappe vorangestellte Zitat des Dalai Lama: »Es nicht von Bedeutung, ob jemand Gläubig ist oder nicht: worauf es ankommt, ist tolerant zu sein.« Im Kontext des interreligiösen Dialogs bekommt die Installation vor dem IG Farben Gebäude eine weitere Komponente: Wenn Religionskritik nicht gegen, sondern als Vorbedingung für ein unhintergehbares Mindestmaß an Liberalität von Nöten wäre, sie aber mit der unschlagbar gemütlichen Phrase der Toleranz abgewehrt wird, läuft das mindestens implizit auch auf die Toleranz gegenüber dem Antisemitismus hinaus. Die völlige Blindheit des Antisemitismus gegenüber seinen Objekten als dem projektiven Bild der Juden, auch da, wo ihm Religion als Rationalisierung dient, begegnet kein Dialog, zumal wenn er nicht einmal kritisch, sondern einfach tolerant sein soll.
Unterm Motto des postmodernem Identitätspatchwork gelegenen Dalai Lama wird der immanente Wahrheitsanspruch von Religion der Beliebigkeit preisgegeben und das heißt alle Besonderheit wird - gerade in deren Hypostasierung, der jeder Bezug auf ein Allgemeines, gar der Anspruch auf ein vernünftiges abgesprochen wird - in Einheitssuppe ersoffen. Übersetzt heißt sein Zitat: Solange du dich ergibst ist alles egal, auch wie du die Sperrzone deines Privatwahns einrichtest.
Es ist passend genug zum Dialog, dass vor dem Regierungspalast der Vereinigten Arabischen Emirate auch Ferrers Installation steht und von dieser gekauft wurde. Der rigiden und lustfeindlichen Sexualmoral die per Staatsreligion Islam verordnet und durch Zensur sichergestellt wird, begegnet man – wie in Europa so üblich – am besten mit tolerance; man könnte auch sagen: »Beflügelt durch die Spiritualität der Welt, offenbart er (Guy Ferrer) uns über alle Grenzen hinweg in seinen Werken eine individuelle poetische Vision des Menschen.«
Während sich das Kunstwerk schon allein wegen seines eigenen Anspruchs blamiert, erlaubt sich die Universität in Sachen ›Aufarbeitung der Vergangenheit‹ einen weiteren, nicht unerheblichen Fauxpas. Wer vor das IG Farben Gebäude eine Skulptur stellt, die sich selbst um interreligiösen Dialog ansiedelt und Toleranz propagiert, der rückt diese beiden Themen unweigerlich in den Kontext von Nationalsozialismus und Antisemitismus; übt sich damit in Appeasement und zeigt seine absolute Begriffslosigkeit von Antisemitismus (der die eines Werner Benz, seines Zeichen Chef der ZfA, locker übersteigt). Denn, was an diesem Ort durch das Werk vermittelt wird, ist nicht »Versöhnung und Hoffnung«, sondern dass es den Deutschen während des Dritten Reichs nur an Toleranz gemangelt habe die Juden in ihrem ›Anders-sein‹ zu akzeptieren, als wäre ihre – tatsächliche oder imaginierte – Differenz von Kultur und Religion der Anlass zum Antisemitismus. Durch den Aufruf zu Toleranz fordert man gleichsam auch eben die Opfer des Antisemitismus tolerant zu sein – gegen wen oder was auch immer – und fehlt ihnen jene, so geben sie doch einen Grund – mangelnde Toleranz – zum Judenhass. Hinzu kommt, dass der Appell an die Toleranz, auch einer an die Vernunft ist und somit gegen das Wahnhafte und irrationale des Antisemiten wenig anzubringen weiß – außer den bloßen Appell. Dabei müsste man doch wissen, dass alle Rufe nach Toleranz – damals wie heute – vergeben sind »und noch die zwingendsten anthropologischen Beweise dafür, daß die Juden keine Rasse seien, werden im Falle des Pogroms kaum etwas daran ändern, daß die Totalitären ganz gut wissen, wen sie umbringen wollen und wen nicht.«
Zero Tolerance
Der Künstler erklärt, dass er das Wort Toleranz gewählt habe, weil er meint, es sei in der ›post-1968er Zeit obsolet geworden‹, dass seine Personen ein harmonisches ›coming-together‹ verkünden, den willkommenden Dialog über unsere Unterschiede in einer ›friedvollen Komplizenschaft‹. Einer der ›prä-1968er‹ wußte allerdings noch: »Die abstrakte Utopie wäre allzu leicht mit den abgefeimtesten Tendenzen der Gesellschaft vereinbar. Daß alle Menschen einander glichen, ist es gerade, was dieser so paßte.« Und solang eben die versprochene Gleichheit beständig von der selben Gesellschaftsformation die sie ausruft uneingelöst bleibt wird, solange muß man sich »an dem Faktum [stoßen], daß totale Toleranz nicht nur leer ist, sondern auch gefährlich.«
Die Universität, die meint ihre Forschung in den Dienst der Menschen und sich damit in eine Traditionslinie der Aufklärung zu stellen, desavouiert diese, in dem eine ihrer Konstitutien, nämlich die Kritik der Religion, zugunsten des Dialogs preisgegeben wird: »Auf einer Bühne vereint, treten Wissenschaftler, Gelehrte, Weise und Priester miteinander in den Dialog und fordern Menschen aller Nationalitäten und Kulturen dazu auf, an diesem Ort der Begegnung und des Austauschs das symbolische Gespräch fortzuführen.« Dass das Gespräch nur symbolisch fortgeführt werden soll, spricht unversehens die Wahrheit aus, die so unbequem ist, dass sie nicht offen benannt werden darf: dass mit den Ermordeten nicht mehr gesprochen werden kann.
Der liberale Anstrich, den man sich gibt und der auch gut in das Bild der vermeidlich im Dienst der Aufklärung stehenden Universität passt, kann jedoch nicht über den Gehalt der leeren Phrase hinweg täuschen. Die Forderung wirklicher Toleranz würde eine Parteinahme einschließen, weil sie sonst nur dem Status Quo das Wort redet: gegen regressive Bewegungen und für fortschrittliche. ›Befreiende Toleranz‹ (Marcuse) würde diese Verhältnisse nicht mehr tolerieren, würde wissen wo die Grenzen der Toleranz sind, dass Toleranz Gleichmacherei ist, wo es keine wirkliche Gleichheit gibt und somit die gesellschaftlichen Zustände verwischt. Gleichwohl bereitet erst der Liberalismus und die bürgerlich-demokratische Gesellschaft den Boden für diese ›antidemokratische‹ Intoleranz gegenüber rückschrittlichen Bewegungen, während sie diese mittels Unterdrückung, Gewalt und Herrschaft doch wieder einkassiert.
Die Forderung: Toleranz wird pervertiert, wenn die Universitätsleitung am IG Farben Campus selbst alles dafür tut jegliches studentische Leben und Initiative zu verunmöglichen und doch mittels einer Skulpturengruppe Toleranz fordert, für einen Dialog, der nicht auch, sondern vor allem die Feinde der Aufklärung, Emanzipation und Zivilisation miteinschließt. Damit überführen sich Künstler wie Universitätsleitung gleichermaßen selbst ihrer Ideologie. Während das Kunstwerk die Toleranz des Bestehenden ausruft, hat die Universität einen weiteren Weg, welcher sich nahtlos in den aktuellen und neueren Diskurs der Berliner Republik einfügt, der Schuldabwehr gefunden: statt die Täterschaft klar zu benennen und sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen wird ein ›Versöhnungszeichen‹ gesetzt, dass doch nur der Deckerinnerung nützt und die Singularität von Auschwitz nivelliert um die Entsorgung des spezifischen daran voranzutreiben und es in eine Reihe von Menschenrechtsverbrechen in Anschlag zu bringen. Die Rede von Toleranz bleibt nur eine rhetorische Gebärde, gegen die nur eins zu setzten wäre: »Politik, der es im Ernst noch darum ginge,« die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen zu betreiben, »sollte deswegen die abstrakte Gleichheit der Menschen nicht einmal als Idee propagieren. Sie sollte statt dessen auf die schlechte Gleichheit heute (...) deuten, den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne angst verschieden sein kann.«
Patrick Schwentke