In der Stadt
Stadtbeschreibung – ein zwielichtiges Unterfangen; zwielichtig, wie sich verschiedenste Schichten (geschichtliche, soziale, (produktions)logische) in ihr brechen müssen. Auf verwirrendste Weise sind in ihr Produktion und Konsumtion ebenso verwoben wie korrigierbar getrennt. Gesellschaftliches Zwischenreich. Aber zwischen was? Städtisches Leben rangelt sich zwischen (sozialer) Vergangenheit und Utopie, exponiert sich zum Leben überhaupt, das Land ins antiquarische drängend. Urbanität als diese Utopie: verstädterte Gesellschaft. Im gesellschaftlichen Bewegungsgefüge, den sich kulminierenden Umschlagszeiten zum permanenten Durcheilen von Räumen (ohne Zeit zu haben), existiert die Stadt zunächst nur in infrastrukturellen Zonen, oder einfach: als Stadt-Plan.
Diese zum Flächennutzungsplan gereifte ›Erfindung‹ des auf die Fläche projizierten Lebensraumes (bereits im 16./17. Jahrh.) hat Stadtplanung zur schwungvollen geschwindigkeitsbestimmenden Federlinienführung werden lassen, die einzeichnet und ausradiert nach ingenieurwissenschaftlichem Belieben. Diese in die Wirklichkeit der Städte eingedrungene Abstraktivität hat zunächst – gegen alle ›inhaltliche‹ Spekulation nur diesen, an ihr selbst ablesbaren Struktur-Raster. An der Störung dieser Linienführung aktualisieren sich Konflikte, um nur zu selten die papierne Fläche des Plans zu durchkreuzen, um nur zu selten in das Untergrunddasein des ›Sozialen‹ vorzustoßen. Und die Linienführung, die das eingegrenzte Feld als baulichen Grundriß definiert, der sich zunächst nur in schwindelnde Höhen emanzipieren konnte, suggeriert ebenso als Planung des Zukünftigen eine Utopie, ein permanentes Versprechen vom städtischen Paradies im Schein verkehrstechnisch-architektonischer Perfektion. In dieser (strukturellen) Dialektik des konservativen Beharrenmüssens von Leben im Vergangenen und der Glitzerwelt des lautlos gleitenden Geschehens von Morgen sind die folgenden Überlegungen eingeortet – selbst in urbanen Tagträumen befangen.
Utopia lebt vom Zukünftigen, das ans Jetzt nur erinnert. In diesem vom Subjekt entfernten Raum scheint noch so etwas wie Erfahrbarkeit zu liegen in verzweifelnden Vermittlungsanstrengungen: Weltenträumerei, Jet-Setting oder als Umherschweifen, das sich reflektorisch und gewaltsam Zeit verschafft zur Erkundung der psychogeographischen Natur des beengenden Raumes. Reste einer Ahnung von Lebenszeit kämpfen gegen die verordnete Produktionszeitverkürzung. Sie schwören nicht nur den Haß des befangenen Arbeitenden herauf, sondern wecken die schlafenden Hüter der urbanen Bewegungsmaschinerie.
Die Stadt ist allererstens Bewegung: fließender Verkehr auf allen Ebenen. Sie ist punktualisierte Satellitenstadt oder: Ort des Geschehens und gleichzeitig Nicht-Geschehens. Die Reise bewegt sich nicht im Raum, nicht über Land zur nächsten Siedlung. Kein Draußen, das noch Wetter ist. Nur Zeit-Bewegungen. Zehn Minuten bis zum Kino, dann fünf zu McDonalds. Orte des Tanzens, Trinkens, Schlafens. Entdeckungen, in unbekannte Gegenden vorgestoßen zu sein ist verunmöglicht bzw. wird zu einer Art ganz anderem Abenteuer: zur Reise durch ein unglaubliches Universum versprengter Kommunikationsplanetoiden und den ritualisierten Sozialisationen ihrer Ghettos. Die Bezirke sind eingebaut, verschlossen. Keine Information dringt von hüben nach drüben. Die Stadt als Ort anderer Kommunikation, distanzierter, entfernter, ein riesiges Pueblo mit Geheimgängen, die nur Eingeweihten vertraut sind. Jedes Café hat seine Umgangsformen, befremdet den Fremden. Ein Sieg für die gastronomische Industrie, die ein Immergleiches erwarten läßt. Die Kommunikation ist eingeebnet, kanalisiert und bedrängt im Parterre der Straßen. Untendrunter bricht die Erniedrigung hervor aus Metropolis (oder der B-Ebene). Obendrüber erschreckt die Eingeschlossenheit des Privaten und der heimlichen Geschäfte: Sterilität.
Frankfurt lebt wie jede andere Stadt von ihren Superlativen. Daran wäre nichts Besonderes. Doch jedem Besucher wie Einwohner drängt sich immer wieder der Gedanke auf, mitten im Zentrum von dem, was Urbanität sein könnte zu stecken –von vielen Seiten betrachtet.
Der Gegensatz Stadt-Land scheint immer nur noch als erinnernde Reminiszenz zu bestehen: Verstädterung des Landes. Ihre neueste Strömung ist die Landkommune. Städtisches Knowhow wird ins Land getragen und organisiert die technische Überfremdung und Fremdheit distributiv und kommunikativ neu. Marx betont den Unterschied Stadt-Land als den Unterschied der feudalen Bäuerlichkeit und der handelnden, später produzierenden Bürgerlichkeit. Feudal ist die ›Stadt‹ politischer Ort, Zentrum der Ordnung, der Erlässe, der Macht mit Administration, Schreibkunst und Steuerlisten. Diese verstreuten Zentren der Macht werden von den fahrenden Händlern auch als Umschlagplätze ihrer Waren benutzt. Und wie die Tauschgeschäfte an Bedeutung gewinnen, so die Städte. Die ›Bürger‹ erkämpfen sich das Marktrecht (teilweise sogar Münzrecht) aus ihrer Machtposition kleiner Geldkapitalisten heraus. Die Stadt beginnt Stadt zu werden. Der Dorfplatz, ehemals politischer Ratsplatz wird zum Marktplatz, an den sich Rathaus und Kirche ansiedelt. Die Stadt wird zum Fremdkörper im Land. Ihr Konstituens ist das bewegliche Eigentum, Ware und Geld, die freie Konkurrenz des Einzelnen im Gegensatz zur haft-feudalen Organisation ländlicher Arbeitsteilung; Ort der freien Zirkulation des Geldes, damit der Buchführung, der Verwaltungswissenschaft, des Rechts – schlicht der bürgerlichen Freiheiten der Handelnden und Gelehrten (der freie Gedanke gelingt nur dort, wo sich die Gerechtigkeit der Zirkulation frei bewegt). Sie schält sich endgültig aus dem Land heraus, indem sie Wiedergeburt des Logos, der Vernunft wird. Und als gesellschaftlicher Fremdkörper, der tradierte Arbeitsteilungsverhältnisse sprengt (Aufhebung der Leibeigenschaft) schützt die Stadt sich durch den Wall gegen das Land, spinnt ihr Spinnennetz der Handelswege durchs Land, verstört es, indem es beginnt, nur noch für die Stadt zu produzieren, sein Mehrprodukt zu forcieren und es dem Feudalherren zu entziehen aufgrund des trotz Ausbeutung attraktiveren Geschäfts mit der Stadt. Die ursprüngliche Urbanität schafft vermittels der freien Geldzirkulation, die als neu sich realisierendes und gleichzeitig befremdendes Sozialgefüge in den Örtlichkeiten auftritt, die Voraussetzung, deren Materialisationen sich selbst zur Voraussetzung werden als Selbstproduktion von Urbanität. Die Gewalt dieser Ursprünglichkeit bestimmt sich durch die noch wilden Kapitalbewegungen, die den Bauern und Handwerker in die Freiheit von Eigentum setzen – oder in die Misere zerstörter Landkommunikation. Sie äußert sich in der Erfahrbarkeit der dem städtischen noch unangemessenen baulich-sozialen Struktur von Orten, denen eine ›durchdachte‹ Ordnung zugrunde gelegt werden muß, um letztlich auch der am menschlichen Subjekt auftretenden zügellos wilden Gewalt als Pestepedemien Herr zu werden. Abstraktive Verhaltenslogiken werden zu sich verfestigenden Unterschied von Stadt und Land gegen die überlieferte beharrende Tradition direkter Abhängigkeiten, um in der Zeit selbst eine eigene Tradition von Beziehungsgeflechten und Begegnungen auszubilden – betrauert als die erscheinende Stabilität bürgerlicher Identität; bis die Industrie in die Stadt einbrach als Ort potentieller freier Arbeitskräfte, sie implodieren und explodieren ließ in zahllose Fragmente (Randgebiete, Satellitenstädte, Produktions, Konsumtions·und Repräsentationszentren), je unterschiedlich sich gestaltend, ob Produktionsorte zu Städten zusammenwuchsen (Ruhrgebiet) oder Handelsstädte unterhöhlt wurden. Die industriellen Wucherungen durch das städtische Gefüge scheinen dabei selbst eine gesellschaftliche allgemeine menschlich somatische Reaktion auszulösen: Krebs.
In der Dialektik Stadt-Land (materielle/geistige Arbeit, Produktion/Handel, Landwirtschaft/Industrie) bleibt die Stadt Sieger, d.h. die Verweltlichung (Vergesellschaftung) der Industrie löst den Gegensatz auf: Ländlichkeit ist gesellschaftliche Unangemessenheit oder: spürbare kommunikative Armut – Abseits, Abgeschlossenheit, Kaputtheit, lebende Dürre oder erzwungene Einsamkeit, regressive Ruhe (politische Kämpfe sind städtische Kämpfe gewesen – nach der Niederlage der Bauernaufstände). Aber sind das nicht genau die typischen Stadtlebencharakterisierungen? Vielleicht liegt hier für die Städter ein folgenschwerer Irrtum vor, indem städtisches Leben mit den in ihm enthaltenen nichturbanen Strömungen verwechselt wird.
- Vergessen wird die meist ›ländliche‹ Sozialisation der Zugereisten;
- die ›ländliche‹ Ghettobildung der Vorstädte, geplant nach der falschen Sehnsucht vom natürlichen Grün und Ruhigen, dem beruhigten Verkehr;
- die repressive Ruhe und Ordnung der Wohngettos, bei deren Planung außer Acht gelassen wurde, dass Konsum (Einkaufen) die Lustbarkeit der Freizeit ist (nach der industriellen Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung);
- der Run in die städtischen Lustbarkeiten, ohne mit ihren Frustrationen fertig werden zu können, Lustbarkeiten, die Bedürfnisse am Glanz und Glitter abfallen lassen in die Unbefriedigbarkeit eines Warenversprechens;
- der nur quantitativ ausgedehnte Naturrhytmus von Tag und Nacht (Laden- und Kneipenschlußgesetz: Bürgerliche Moral entläßt den Städter in die Frustration. Immer noch zwingt ihn ein Ritual, spätestens um 1 Uhr seine Betonzelle aufzusuchen, obwohl der Arbeiter nicht in den Genuß dieser verlogenen Moral kommt. Sein Tag endet um 22 Uhr vor den Tagesthemen. Nur wirkliche Weltstädte haben den urbanen Unsinn von Tag und Nacht begriffen);
- die Stadtplanung, die die Bevölkerung ins zerstörte Land zurückdrängt, sich selbst entleert, indem sie sich zum aufgeblasenen Dienstleistungs/Verwaltungsumschlagplatz macht, der nur zwischen 9 und 19 lebt;
- etc.
Wirkliche Urbanität ist dem Begriff nach Aufhebung des Naturzustandes, unsere Befreiung von ihren Fesseln. Doch diese Entwicklung ist noch Prozeß und wird auch widersprüchlicher Prozeß bleiben in den Veränderungen geschichtlich gewachsener Substanz von Nähe und Ferne – gegen alle Unkenrufe einer science fiction haften sozialtechnologischen Verwaltung, die in ihren Visionen der industriellen Produktionslogik verhaftet ist, aber stärker noch als diese den Unterschied, den sie an sich selbst hat, mit ›Gegenständlichkeit‹ behaftet zu sein, nicht auflösen kann. Die dialektische Bewegung der Verstädterung von Zentralität und ihrer eigenen Zerstörung (Entleerung) wird überlagert von einem Mythos, dem Mythos vom Land, dem der ländliche Mythos vom Stadtleben gegenübersteht. Kultur und Diskussion, durchs Fernsehen ins Land getragen, sind zwar städtisch monopolisiert, aber das was an Vorstellungen hin und herüber schwingt, ist nur in der Sphäre des Mythos begreifbar.
Und urbane Widersprüchlichkeit ist in keiner Stadt so deutlich und gleichzeitig utopisch wie in Frankfurt. Man mag zögern im Vergleich mit Städten wie Hamburg, Berlin, München, mit Riesenstädten wie Paris, London, Rom oder New York (wie mag es erst in Tokio sein). Den letzteren werden wir nur mit dem touristischen Auge begegnen können, um uns von ihren unterschiedlichen Superlativen einfangen zu lassen, traumverloren zurückkehrend. Von den deutschen Großstädten scheint Frankfurt allerdings die superlativste zu sein. Sie kann ungeheuer gut gefallen, denn sie ist die ehrlichste Stadt unter den Städten. Unverhohlen wuchert das Bankkapital über die Villa und es gibt andererseits wohl keine Stadt, der eine soziologisch fundierte Infrastrukturplanung derartig fehlt wie Frankfurt.
Frankfurt, eine der ältesten freien Reichsstädte, Messestadt, Kaiserkrönungsstadt. 1815-66 Sitz des Bundestages als Zentrum der bürgerlich demokratischen Bewegung. Seit 1828 bereits mit der Eisenbahn erreichbar und ab 1853 größte Touristenstadt. Da bietet Frankfurt bis heute Attraktivität. Die Stadt der höchsten Häuser, Mittelpunkt der Geldzirkulation, Schnittpunkt der Verkehrsführung, die zerstörteste Stadt und die verrufenste mit erschreckend hoher Kriminalitätsrate, die Stadt der gewalttätigsten Auseinandersetzungen, eine Stadt die 68 politisch bestimmend war, in den siebziger Jahren ihre Spontibewegung, offensichtlich ein Zentrum links-intellektueller Auseinandersetzung mit dem ausgeprägtesten linkskulturellen Angebot, Stadt der Frankfurter Schule, als solche in aller Welt bekannt (für andere als Deutschlands Flughafen), die allgemein als Bewegungsgrund des Protestes gesehen wird – eben: die umstrittenste Stadt.
Es muß was dran sein an dieser Stadt.
Was an ihr dran ist, ist zunächst verbunden mit der Verbreitung ihres BILDES, den Vorstellungen. […]
Die Begehbarkeit von Straßen erhält eine neue Bedeutung. Sie muß sich sehen lassen können, das Leben ist diesem untergeordnet. Sie muß durcheilbar sein (allerdings nicht nur für den Sightseeing Bus, nicht nur im Maß des nach 125stel Sekunden suchenden Kameraauges). So ist auch Frankfurt eigentlich nur bekannt als die Stadt der Wolkenkratzer, Mainhatten, der üblichen Fußgängerzone und den Vergnügungszentren Alt-Sachsenhausen und Kaiserstr., der Satellitenstädte. Doch wer ahnt schon die Kleinheit städtischer Besiedlung von Frankfurt, in kürzester Zeit nicht im üblichen Bild der Vorstädte mit ihren Arbeitersiedlungen zu sein, sondern auf dem Dorf, die nur dem Namen nach als gleichberechtigte Stadtteile gelten. Der Übergang ist erstaunlich abrupt, dem Bildwesen der Stadt unwesentlich aber mit der büromäßigen Unwohnlichkeit der Innenstadt das Wohnen wesentlich.
An dieser Stelle drängen sich erste Überlegungen über die Ab-Bildung einer Stadt auf. Das Bild ist kein Ab-Bild (auch wenn bei der Fotographie die dokumentarische Genauigkeit der Reproduktion des ,Originals im Bild faszinierend ist), sondern ausgesuchter Blickwinkel, geprägt durch die kulturelle Haltung des Photographen. Und die ›Ab-Bildung‹ hat sich auseinanderzusetzen mit dem in der Wahrnehmung eingeschriebenen Sightseeing Objekt durch Postkarte und Stadtführer als suggestives Repräsentationsbild (grundsätzlich im Weitwinkel und bei schönem Wetter fotographiert). […]
Der natürliche Vergessungsprozeß wird durch die rasche Betonierung ehemaligen Erfahrungsraumes beschleunigt. Erinnerungen verschwinden hinter den Bildern der archivierbaren Erinnerung. Auch die Stadtgeschichte existiert nur noch als Bild, hat die gelebte Erinnerung durch brachiale Stadtzerstörung ausgelöscht.
Die ›Zerstörung‹ Frankfurts beginnt – wie überall – mit der Industrialisierung, zunächst wild, dann immer stärker stadtplanerisch bis zu infrastrukturellen Maßnahmen. Hatte im 18. Jahrh. der Römer schon sein Zentrum an die Neustadt (Hauptwache/Zeil) verloren und damit eine erste Zerstörung der Einheit von Handwerk und Leben erlebt, so setzt sich diese Entwicklung fort über Industrialisierung und die damit einhergehende Grundstücks- und Bauspekulation, die außerhalb des alten, inzwischen geschliffenen Walles reine Wohnviertel entstehen lassen (ins. das Villenviertel Westend). Die Abrisse ganzer Stadtviertel (Straßenzüge, Blocks) eröffnen andererseits das spezifische bildarchivarische Interesse des Bürgers; Reminiszenzen an eine durch notwendige Baumaßnahmen zerstörte Stadtviertelkommunikation – die Bewohner in der Pose intakten glücklichen Familienlebens mitfotographiert –, die für den Blick des Bürgers nur in der Zerstörung von ›Repräsentationsbauten‹ besteht (Denkmalschutz). Die industrielle Veränderung war dem gegenüber beharrenden Leben davongeeilt. Die Konservierung alter Baulichkeit ist bis heute ein konservativer Kampf geblieben. Erst der Häuserkampf begann, Architektur auch als kommunikative Stadtteillebensqualität zu begreifen, wurde jedoch durch die festgeschriebene Stadtstruktur bald gewaltsam auf seine überkommene hundertjährige Tradition reduziert, um als Feind der Moderne zerschlagen werden zu können, indem die Bevölkerung den Stadtverordnungen gegen diesen Konservatismus den Rücken stärkte. Der Häuserkampf war zum Hemmschuh der Zirkulationsgeschwindigkeit geworden, die eine Stadt erst zur Stadt macht, dem urbanen Leben erst die lebenswerte Aufgabe gibt, am toten Stein zu nagen, um ihn mit dem Leben zu bereichern. (Die Häuser der Gründerzeit sind nur noch tote Repräsentationen eines gelebten Lebens. Nur die Erinnerung vermag in ihnen zu leben. Sie konservieren eine Haltung, die sich aus dem industriellen Cracking und Recycling freiwillig zurückzieht, einen – mit der Industrie entstandenen sehnsuchtsvollen – Romantizismus renaissiert, der unfähig ist, den Kampf der Dialektik sozialtechnischer Fiktionen zu lernen.) Der bürgerliche gegenstandsfixierte Blick begriff zu langsam, daß Stadtviertel soziale Architektur sind. Abbruch ist nicht die Zerstörung von Wohnraum (an sich), sondern ersatzlose Streichung sozialer Gefüge und Geborgenheit.
Infrastrukturelle Maßnahmen haben die beengten Verhältnisse geöffnet, das Leben gleichsam in die leere Offenheit neuer Ghettos, Abgezirkeltheiten entlassen. Der Anfang, als Stadt urban zu werden, war durch die Zunahme der Veränderungsgeschwindigkeit gesetzt und sprengt das aus dem täglichen Bedürfnis gewachsene Aneinanderbauen. Die Stadt verstreut und ergießt sich ins Um-Land. Der industrielle Güterverkehr hat die Stadt verändert ohne sich Gedanken um die Veränderung des Lebens zu machen. Grenzlinien werden heute durch die Verkehrsmaschinerie und ihre Taktstraßen gezogen, denen die traditionelle Bausubstanz lästiges, aber nicht ohne weiteres auslöschbares Hindernis ist, und: durch die Leerheit der kommunikativ unorganisierten Grünflächen, auf denen Natur unzugänglich ist.
Die flächenbauliche Geschichte Frankfurts ist an der Verkehrsführung noch ablesbar. War der Wall Schutz gegen die Feudalität, begrenzte er in diesem Sinne die Stadt und das Leben zu seiner eigenen Erhaltung, so zerschneidet heute der Anlagenring die Begehbarkeit zum Nachbarn. Die Gefahr ist nicht mehr von außen, sondern ins Innen verlagert, trennt das hektisch geschäftige Zentrum vom ruhigen Freizeitwohnen. Der schon vor 1900 angelegte Alleenring trennt den Rest des Urbanen von seinem gleichgültig belassenen Vorstädtischen: die für das Leben gemeinste Zwitterstellung von Stadt und Land – mit zwei Ausnahmen: Die um diese Zeit schon eingemeindeten Vororte Bockenheim und Bornheim haben eine gewisse Intaktheit kleinstädtischer Kommunikationszentren bewahren können, mittlerweile bedroht, zur faden Miniaturausgabe großstädtischer Planung zu werden – fad deshalb, weil sie in allem zu begrenzt sind, um wirklich urban zu werden, insbesondere Aufgrund des ›ideologischen‹ Selbstverständnisses dieser Kleinstädter: zu familiär – kleinstädtische Randzonen als urbane Vorsozialisation. Vielleicht erwächst der Frankfurter Protest gerade aus diesem Widerspruch. Die Ruhe der städtischen Randzonen wie Bornheim und Bockenheim bietet die Möglichkeit, sich gegen die zirkulierende Hektik noch Reflexionszeit zu gönnen, die in einer wirklichen Kleinstadt am Ereignislosen einschläft; in der Massierung anonymen Wohnens sich nicht mehr die Zeit lassen könnte aus psychischer Notdurft des Überlebens.
Um das kartographisch ablesbare Bild zu Ende zu führen. Ein nächster Ring, der Autobahnring, zwingt die planerisch vergessenen, aber eingemeindeten Dörfer in den urbanen Sog (wie die Besiedlung der Eschersheimer Landstr. Eschersheim erdrückte), wird sie in den Tod einer verarmten Kommunikation entlassen; die Ermordung des letzten Bauern durch das Desinteresse der Freizeitverkaufsindustrie an diesen Vor-Orten – oder durch gewalttätige Wohnzellenmassierungen (wie bereits schon Bonames und der Kunst Nordweststadt).
Um sie herum wachsen Wälle ganz anderer Art, die das Ländliche der Stadt vom Städtischen abtrennen. Der Verkehr hat in den äußersten Randzonen eine Lärmgeschwindigkeit erreicht, daß der Wall jetzt als Lärmschutz entsteht und gleichzeitig den Ausblick auf das Land, den Taunus (die Aussicht) versperrt. Naturgrünlackierte Mauern: Schutz und Sichtblende eines Gefängnisses oder Ironie einer Ghettoisierung.
Die Grenzen der Ghettos sind ihre Verkehrsadern. Durch sie wird der gesellschaftliche Status der Bewohner bestimmt. Aus der Straße als Kommunikationsweg sind unbegehbare Durcheilungslinien der maximalen Geschwindigkeit geworden – tödlich für diejenigen, die sich mit dem Zerschneiden ihrer Kommunikation nicht abfinden können. […]
Das Zerschneiden begehbarer Räume ist die infrastrukturell unbegriffene Urbanität. Der positive Schein der Überwindung von Entfernung und der Schaffung von verschiedenartigsten Ruhezentren ist eher geeignet das Durcheinander urbaner Strömungslinien zum Auseinanderplatzen zu bringen. Mögliche Urbanität karamboliert im Überschallknall zur Nicht-Urbanität, löscht sich selbst aus. Das Anlegen von Durcheilungslinien ist die Abschaffung der Raumerfahrung zur Verwaltung von Reisezeit. Der Weltbürger wird zum utopischen Bürger, der nur noch Transportmittel und die Transitstätten bewohnt. Der Flughafen wird zur neuen Stadt, die Transitstadt mit ihren zehn Millionen, pro Passagierjahr, wird zur letzten Stadt. Die Bewohner dieser Durchgangsorte sind ›Passagiere‹, sie besetzen verstohlen den Raum der Luftstadt, Mieter für wenige Stunden, nicht mehr für Jahre. Ihre flüchtige Gegenwart entspricht der Irrealität und der Geschwindigkeit ihrer Reise (vgl. Virilio, Fahren, fahren, fahren). In der Umsetzung der Ruhe in die Geschwindigkeit verschwindet Körperlichkeit in die beherrschende kinetische Energie. Der vorbeihuschende Raum wird undeutlich, besteht nur noch aus Zeichen und funktionalen Anweisungen, ein Funktionsraum, an dem gleichgültig ist, was sich in ihm abspielt. Städtische Planung hat sich immer mehr diesem Zusammenschieben von Räumen ergeben, der Annullierung von Entfernung ist durch den Bau von Geschwindigkeitsrauschstrecken zum Verwalter von Zeit geworden - Zeitministerium? –, wobei zunehmend der Wahrnehmungsverlust hilfreich ersetzt wird durch die Elektronik der Medienperzeption. Gegen die Funktionalität der meßbaren Zeit wäre Zeit (als Nicht-Uhrzeit) das Nebeneinander von Altersgruppen.
So ist auch nur dem Autofahrer der Bau von städtischen Schnellstraßen einsichtig. Doch die Zerstörung lebbarer Nähe steigert die Aggressivität (Die Aggressivität der Autofahrer gegenüber Demonstranten ist die Störung ihrer Geschwindigkeit, der Geraden. Sie zwingen ihn zum Umweg, zur Rückkehr, zum Aufenthalt im Raum, die von der Geschwindigkeitsmaschine aus unbewegliche Zeit ist. Die Störung dieser Funktion muß sich im Radikalenhaß Luft machen, da der funktionalen Beziehungslosigkeit zu den Gegenständen des Raumes der Begriff fehlt). Die Fabrikation von Geschwindigkeit ist die Abschaffung des traditionellen Krieges zur permanenten Kriegsführung der Einzelnen in ihren Blechkarossen, ist die Provozierung der Lust am Töten. Erst eine großflächige Dichte würde den Ansatz wirklicher Urbanität erlauben. Im Gegensatz zur Mordlust Frankfurter (bzw. deutscher) Autofahrer darf man in Paris und New York durchaus sich auf der Straße bewegen. Man kann sicher sein – bei Beachtung der technischen Größe Bremsweg – vom Fahrer beachtet zu werden, ein freundliches Kopfnicken zu erhalten. Hier ist das, was man urbanes Leben nenne könnte aus seinem begriffslosen und damit faschistoiden Anfangsstadium heraus. Urbane Kommunikation ist die von Mensch und Fortbewegungsmittel, die Straße, die nur zum Leben erwacht, wenn sie den Raum für Beschäftigung und Geschäftigkeit eröffnet, städtischem Anarchismus Bewegungsspielraum läßt für Auseinandersetzungen: sich die Verkehrsmaschinerie des wirklichen Ineinandergreifens verwirklicht hat. (In Manhattan sind die Autos (als Tarnung oder Geschicklichkeitsherausforderung) voll einbezogen in die Spielstrategie. Bälle und Frisbee fliegen über parkende wie fahrende Autos hinweg, Straßenspiele auf hochumzäunten Betonplätzen dagegen sind tot.) Eine Stadt braucht, um sich urban füllen zu können Platz, Plätze des Strömens, statt der repräsentativen Leere. Frankfurt ist wohl das beste Beispiel einer Hyperangst vor Aufmarschräumen, vor der Leere der Plätze, durch die sich - bisher jedenfalls – Macht repräsentiert. Es hat sich zugebaut, statt Bewegungslinien zu schaffen. Es hat seine Straßen zu Schluchten von Fluchtlinien ummauert, in denen jede Unordnung zerschlagbar ist. Der Bürgersteig als Residuum einer ehemaligen Klassenunterscheidung – rausgekommen aus dem Schmutz der Straße – ist überdimensioniert zur fatalen Langweiligkeit der Fußgängerzonen, im Grunde genommen dem Charakter von Industrie und Gewerbestraßen nachgebildet, deren Ausgänge zu Begegnungszonen nur noch die Eingänge der Kaufhäuser sind: verordnete Kommunikation mit dem Verkaufsartikel. Das Innenleben der Stadt ist durch bürokratisierten Wohnraum entwohnt, kein Café an der Ecke, nächtliche Ruhe, im Prinzip nur Haltestellen für automatischen Essenseinwurf – nach dem Vorbild technischer Verkehrsführung.
Die Straße ist dieser widersprüchliche Lebensraum. Ohne sie gibt es kein Zusammentreffen. Sie ist Ort der Begegnung, der Information, der Versammlung, schlicht: des urbanen Geschehens überhaupt. Sie ist Unordnung. Alles ergießt sich auf die Straße. Sie ist Schutz vor Einsamkeit und heimlichem Überfall. Spielstraße, Lernstraße; der Ort der Revolutionen – auf die Straße gehen. Aber sie ist auch nur Durchgangsort, von der hektischen Geschwindigkeit getrieben. Straßenfeste haben sich um die Wiederaneignung der Straße im Sinne der traditionellen Beruhigung bemüht. Ihre behördlich genehmigte Inbesitznahme wirkt immer wieder wie eine Karikatur. Ihr Sinn will nicht mal als Feststimmung so richtig aufkommen. Sie sind ebenso nur augenblicklich wie die flüchtige Begegnung, zerbröckeln an ihrer eigenen Unmöglichkeit zur fortschreitenden Gestaltung von Straßenleben zu werden. (Ein Beispiel: Die Initiative Mulanskystraße wagte wie viele andere den Versuch der Aneignung ihres Straßenlebens. Doch der Broßwitz-Platz, auf dem an einem Wochenende endlich wieder Straßenleben gelebt wurde und das sich noch einige Tage hinschleppte – hinschleppte, weil die Erfahrung zu neu und fremd war, als das sie schon wirklich täglich gelebt werden konnte – hat sein bekanntes, kaltes, abgezirkeltes Dasein durch die Stadtverwaltung erhalten. So war das nicht gemeint: Straßenleben stirbt auf geharkten Kieselsteinen. Hier erschauert das Wohlbehagen. Da kann man höchstens noch zur Flasche greifen – Anregungen zur Wahl des Produkts werden praktischer Weise von der Litfaßsäule geliefert, dem einzigen, was an diesem ›Alternativplatz‹ noch ›urban‹ anmutet. Als ehemaliger Parkplatz bot er wenigstens am Wochenende, an dem die Städter in den ›Schutz der Natur‹ rasen, die Möglichkeit des Spiels. Kaum jemand hatte die Macht der Stadt-Planung in ihrer vernichtenden Gewalt geahnt.) Demonstrationen haben einst eine wirkliche Inbesitznahme der Straße aufscheinen lassen. Die städtische Repression hat ihr Vergessen angeordnet. Sie haben sich in die Linienführung der Durcheilungsräume eingepaßt, statt sie zu sprengen, haben sich entgegen ihrem Wollen in die nichtwahrnehmbaren Zonen der Verkehrsfunktionen begeben. An ihrem gleichgeschalteten Bild ist der Inhalt ihres Tuns nicht mehr ablesbar, funktionalisiert zu einem riesigen, langsam sich dahinwälzenden Verkehrskörper. Nur herrschende Gewalt vermag ihre geronnene Langweiligkeit noch aufzubrechen: als Implosion. (LKW-Fahrer haben da den Vorteil, die Macht ihrer Giganten aus der Immanenz der Verkehrsmaschinerie selbst heraus demonstrieren zu können.) Die Begradigung der Straßen entspricht der Gradlinigkeit des Denkens – Begradigung des Sehens. Die Schönheit alter Straßenzüge ist dabei nicht die Kurve ihrer Linienführung, sondern beruht auf der geringen Distanz der Straßenwände. Das Gegenüber, die Nähe.
Die Straßen sind der Schnittpunkt urbanen Lebens. Hier prallen die substanziellen Gefüge aufeinander, verwirbeln sich, bilden eine Einheit eigener Art. Dem Zuschnitt der Straßen auf die Zeitlosigkeit der Zeit und ihren angrenzenden Räumen der Zeitlichkeit liegt ein (besonders städtisches) Maß zugrunde: die Warenumschlagszeit. Sie (einschließlich der Ware Arbeitskraft) zu verkürzen ist die geheime Motivbildung stadtplanerischer Tätigkeiten, die an der Abstraktivität von Konstruktionszeichnungen ihren Ausdruck finden kann. Der Mensch muß schnell rein und raus, vom immer entfernteren Umland an die Umschlagszentren herangeführt werden können, um dann in seinem privaten Konsum vergessen zu sein. Auf der Straße entfaltet sich der Warenpöbel. Hier ist die Welt der Ware, ihre Ortsungebundenheit und ihr zeitloses Dasein bis zum Verkauf. Sie entfaltet das urbane Gegenstandsbild anstelle der verschwimmenden Raumwahrnehmung zunehmender Geschwindigkeiten. Sie vereinheitlicht die urbane Ästhetik zu einer Vereinheitlichung des Raumes. Ihre Widersprüchlichkeit der Bedürfnisversprechungen und die Widersprüchlichkeit ihres Entstehungsprozesses ist die Stadt selbst. Die Stadt war handwerkliche Warenproduktionsstätte und ist in ihrer unmittelbarsten Lebensfähigkeit als Zirkulation des Geldes heute begründet durch industrielle Produktion. Aber als Lebensraum hat sie die Industrie wohlweißlich an ihren Rand gedrängt, auch weil Produktionseinheiten den Raum nicht ausfüllen. Höchst, halbherzig eingemeindet wegen der Steuern; in der Grauzone zwischen Frankfurt und Offenbach, der verfeindeten Stadt. Die Stadt ist so doppeltes, Wohnstadt und Verwaltung der Industrie, die Schande der Stätte der Ausbeutung in der Anonymität versteckend. Die in der Verwaltung tätigen Massen flüchten ebenso vor ihrer kalten Arbeitsstätte. Das Zentrum hinterläßt ein Vakuum, das die Asozialität ist. Demonstrationen, die in dieses soziale Vakuum vorstoßen können es zum gewaltsamen Platzen bringen, denn es hält die feindliche Gegenüberstellung von (geplanter) Leere und angefülltem Leben nicht aus.
Die Logik industrieller Produktion ist die von Kapital und Arbeit, die Trennung von Arbeit und Konsum der Arbeitsprodukte, die Permanenz neuer Arbeitsteilungsverhältnisse. Die Stadt ist die Drehscheibe, das Karussell dieser verschiedensten Interessen. Die Produktion hat die kapitalmäßige Vernunft der (wissenschaftlichen) Rationalität. In dem Maße, wie die Stätte der Arbeit aus der Diskussion von Leben hinausgedrängt ist, unkorrigierbar erscheint in ihrer ›Vernünftigkeit‹, hat sich der Schaden in den unorganisierten Bereich der Freizeit verlagert, in den Bereich, der in der blinden und wilden Expansion nicht in den Blickwinkel kapitalmäßiger Verwertungsinteressen gerückt war: die Reproduktion der Arbeitskraft blieb dem Einzelnen überlassen. Hier existiert die Diskussion um Sein oder Nicht-Sein, hier werden Konflikte ausgetragen bzw. zunehmend sozialtechnisch verwaltet. In diesem Residuum von Lebensqualität prallt umso heftiger der Begriff von Vernunft auf die Unvernunft der Rationalität. Die öffentliche Diskussion um städtische Sanierungen (welcher Schäden eigentlich?) wird daher gezwungenermaßen sich verstärkt den Schein der vernünftigen Reflexion geben müssen. Denn die einzige Konsumierbarkeit kapitalistischer Produktionsweise ist der Gebrauch seiner Hirngespinste, was ihr immer wieder Schmerzen verursacht. Jede Veränderung von gesellschaftlich gebildeten Lebensqualitäten des Essens, Trinkens, Wohnens, des Lebens überhaupt, muß Qualitäten anderer Totalitären herausbilden, aber Qualitäten! (Das bauwissenschaftlich statistische Minimum der Wohnfläche muß durch ein anderes Maximum kompensiert werden). Die Stadt kann daher kapitallogisch (ökonomisierend) planen, wie sie will. Es wendet sich gegen ihre Lebensfähigkeit, wenn sie Reflexionen sozialer Lebensqualitäten, die mit Zählungen und statistischen Erhebungen einer linearen Zukunftsprojektion nichts gemein haben, nicht einbezieht, nicht in die technische Rationalität einzufädeln vermag. Die ›Fehl-Planung‹ rächt sich sonst auf der Ebene, durch die die Stadtverwaltung existiert: die Stadtflucht verringert die Steuereinnahmen, die zwar nicht den Tod der Stadt bedeuten – siehe das quicklebendige New York –, die Konflikte aber auf eine sozialdarwinistische Ebene verlagern (so auch die zwei Seiten der science fiction Romane: supertechnisierte Zukunft und Hordendasein, verschiedene Seiten derselben kapitalistischen Anarchie).
Dieser Schein von Vernunft ist eine Kritik wert. Aber in einer Gesellschaft der herrschenden Unvernunft hätte diese Kritik eher das elfenbeinerne Moment eines Aufbewahrens von Reflexion gegen ihr eigenes Vergessen (vgl. Frankfurter Schule oder Fahrenheit 451), wenn sie sich nicht auf die Wirklichkeit des Scheins einzulassen vermag. Bürgerinitiativen scheinen hier den Mittelweg einer neuen Einheit gefunden zu haben. Diese ›Einheit‹ der sich widersprechenden Seiten von Vernunft und technologischer Rationalität kann jedoch gleichermaßen nur (ideologischer) Schein bleiben. Aber das ist die Widersprüchlichkeit, aus der Urbanität sich konstituiert, der Stoff, aus dem unsere Träume sind.
Ohne Zweifel steht die spekulative Vernunft industrieller Produktion im Hintergrund aller Baumaßnahmen – jedoch höchst vermittelt und nicht (mehr) unmittelbar angreifbar. Die Brutalität der Produktion ist zu einem städtischen Schwamm aufgeblasen, aus dem die Brutalität für das Leben direkter tröpfelt und es aufsaugt in seinen Löchern. Die Gesichter der Stadtteile haben daher weniger das Aussehen, im Zusammenhang bestimmter Produktionen zu stehen, als bestimmter Ideologien. Die Arbeiterklasse hat keinen städtischen Raum geschaffen außer dem, der sich aus ihrer Enteignung und Verschleppung ergibt: den der Absonderung – oder die punktuellen Orte der Trinkhallen. Vermeintliches Wohlfühlen und (vermeintliche) Einkommensverhältnisse bestimmen eher die Wahl/Nicht-Wahl. Visionen dieser Viertel nehmen die Züge von Ghettos für Schwule, Lesben, Männer und Frauen, Ehen und Studenten an, über allem die europäische Nationalitätenvermischung schwebend, nur unter Gefahr für den Fremden betretbar (wie die Schwarzen Harlem als ihr Viertel gegen die weißen Eindringlinge verteidigen).
Frankfurt ist vielleicht bestes Beispiel den Logos der widersprüchlichen Einheit und Trennung von Stadt, Konsum und Produktion zu mißachten. Der zu einseitige Kapitalschutz im weitesten Sinne, wird es nicht wirklich urban werden lassen. Eine Stadt, die im Widerspruch zu ihrer eigenen Bild-Fiktion einer Superstadt steht, muß Stadt der gewaltsamsten Konflikte werden. Statt utopisch anmutender Magnetschnellbahnen über den Dächern (und die die Hochhäuser verkleinert), hat Frankfurt sich an Bewegungssysteme der Jahrhundertwende geklammert, die heute nur in ihrem ausgebauten Netz wirksam sind. Antike U-Bahnen, die nicht mal automatisch und geräuschlos auf Pneus durch den Untergrund säuseln, die Ruhe der Zukunft suggerierend, eine Rarität, wie alle Frankfurter öffentlichen Verkehrsmittel, wenn man sie braucht. Die U-Bahn ist nur eine Richtung urbaner Raumwahrnehmung. Ohne als sich verändernder Raum wahrgenommen zu sein, spuckt der Tunnel den Fahrgast in aller Plötzlichkeit an einem anderen Ort aus. Die zweite ist das Wirklichkeit werdende kartographische Stadtbild aus der Höhe. Statt Leben in einen Superlativ der Verkehrsmaschinerie, – was die Organisation des Bewegungsraumes überhaupt meint, einschließlich des Wohnens – zu integrieren verbannt Frankfurt das Leben aus seinem Inneren.
Zwischen Industriellem und Städtischem besteht gleichermassen nur die Illusion eines Zusammenhangs, weil als Widerspruch zur potentiell automatisierten Leere der Fabrikhallen, vom heimischen Fernseher aus zu kontrollieren, die Stadt mit Leben gefüllt ist. Ort der planenden Konstruktion von Erzeugnissen und ihrer verschwenderischen Destruktion. Die Zunahme der symbolhaft vermittelten Situationen und elektronischen Verknüpfungen erzwingt eine Zunahme an städtischem Lebensfluß in dem wie immer veränderte Lebensbedürfnisse befriedigt sei wollen. Das wäre meine "Vision" von Urbanität.
SI
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