Gallus vs. Europaviertel
Der Begriff Gentrifizierung beschreibt stadtteilbezogene Aufwertungsprozesse, bei denen »immobilienwirtschaftliche Strategien der Inwertsetzung und/oder politische Strategien der Aufwertung den Austausch der Bevölkerung für ihren Erfolg voraussetzen« (Holm 2014: 102). Verdrängung, ausgelöst durch steigende Mieten und/oder den Abriss bislang vergleichsweise günstigen Wohnraums, stellt also keinen ungewollten Nebeneffekt dar, sondern ist der Kern der Gentrifizierung. Im Anschluss an die globale Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 lässt sich gegenwärtig in vielen Städten in Deutschland und anderswo eine neue Phase von derartigen Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen beobachten. Um den jeweils konkreten Verlauf solcher Prozesse verstehen zu können, sind neben globalen Tendenzen jedoch ebenso die nationale Regulierung von Finanz- und Wohnungsmärkten, lokale politische Machtverhältnisse sowie stadtteilbezogene Spezifika und Pfadabhängigkeiten zentral. Am Beispiel des traditionellen Arbeiter_innenviertels Gallus in Frankfurt/Main kann man bezüglich letzterem anschaulich zeigen, dass Gentrifizierungsprozesse von stadtpolitischen Akteuren und öffentlichen Unternehmen (wie der Deutschen Bahn AG) gewollt und jahrelang aktiv vorangetrieben worden sind. Der Stadtteil ist aufgrund seiner innerstädtischen Lage und umfangreicher Neubauprojekte auf ehemaligen Industriebrachen, wie etwa dem Europaviertel, im Zuge des durch die globale Finanzkrise induzierten Immobilienbooms seit 2010 zu einem neuen Hotspot von Aufwertung und Verdrängung avanciert und dabei jüngst in den Fokus öffentlicher Debatten gerückt.
Das neue Gallus: Wohnen im Europaviertel
Mit rund 145 Hektar Fläche und einer Investitionssumme von mehreren Milliarden Euro ist das in nördlicher Nachbarschaft zum Gallus gelegene (und administrativ diesem zugehörige) Europaviertel eines der zurzeit umfassendsten Stadtentwicklungsprojekte Europas. Nach seiner Fertigstellung Anfang der 2020er Jahre soll es, so die offiziellen Angaben, neben 30.000 Arbeitsplätzen und Erweiterungsflächen für die Messe auch bis zu 6.000 Wohnungen bieten (Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Im Gallus gibt es bislang ca. 16.000 Wohneinheiten). Seinen Ausgang nahm das Projekt Mitte der 1990er Jahre, als die Deutsche Bahn AG die Aufgabe des Hauptgüterbahnhofs bekannt gab. Neben dem Rückgang des Transportvolumens im Güterverkehr lässt sich diese Entscheidung insbesondere auf das gesteigerte Interesse der Bahn an einer möglichst profitablen Verwertung ihrer größtenteils innenstadtnahen Liegenschaften zurückführen (Langhagen-Rohrbach 2003: 147 f.).
Als Startschuss für das Europaviertel diente eine bereits vor der 1998 erfolgten Betriebsaufgabe des Güterbahnhofes veröffentlichte Absichtserklärung, in der eine der beiden neuen Grundstückseigentümerinnen, die Stadt Frankfurt sowie die Firma Stella AG den Bau eines mehr als eine Milliarde DM teuren Urban Entertainment Centers am östlichen Geländeeingang ankündigten. Dieses Vorgehen ist charakteristisch für den gesamten Planungsprozess, in dem die Eckpunkte des Projektes durch Absprachen einflussreicher Akteure vorab festgelegt wurden und die Stadt eine profitorientierte Entwicklung durch das Aufstellen eines großzügigen Hochhausentwicklungsplanes sowie den weitgehenden Verzicht auf sozialpolitische Vorgaben aktiv beförderte. Zudem wurde – zumindest zu Beginn – über zentrale Planungsschritte, wie z. B. die Erstellung des Rahmenplanes, »hinter verschlossenen Türen« (ebd.: 149), d. h. ohne Beteiligung einer kritischen Öffentlichkeit entschieden. Auch deshalb blieben frühzeitige Warnungen einer Bürgerinitiative und von kritischen Stadtforscher_innen, dass vom Europaviertel »eine Sogwirkung auf das benachbarte Gallus ausgehen« werde, weitgehend ungehört: »Die dortigen Mietpreise werden steigen, Wohnungen werden luxussaniert werden, Leute mit wenig oder ohne Einkommen strukturell verdrängt«, so die Wohnraumbeschaffungsinitiative Gutleut (WobiG 1998).
Betrachtet man die konkreten Projekte, die im Europaviertel entlang der in Ost-West-Richtung verlaufenden Europa-Allee realisiert worden sind, wird ersichtlich, warum diese Befürchtungen mehr als berechtigt sind. So entstanden seit der zweiten Hälfte der 2000er Jahre im östlich der Emser Brücke gelegenen Areal neben der bereits 2001 abgeschlossenen Erweiterung der Frankfurter Messe mehrere Hotels, Geschäfts- und Büroflächen sowie Gebäudekomplexe mit hochpreisigen Miet- und Eigentumswohnungen in geschlossener Blockrandbebauung. Zudem wurden hier anstelle des zunächst geplanten Urban Entertainment Centers das Einkaufszentrum Skyline Plaza sowie ein Kongresszentrum gebaut und 2013 bzw. 2014 eröffnet. Weitere Büro- und Wohnhochhäuser werden aktuell geplant und sind bereits im Hochhausrahmenplan der Stadt Frankfurt vorgesehen.
Im Unterschied zu dieser sehr verdichteten Bebauung und dem hohen Anteil gewerblicher Nutzung war der westliche, auf den ehemaligen Gleisanlagen des Güterbahnhofes gelegene Teil des Europaviertels von Beginn an mehrheitlich als weitläufiges Wohnquartier vorgesehen. Obwohl der Planungsprozess unter stärkerer Beteiligung von Ortsbeirat und Bürgerinitiativen verlief als im östlichen Teil, konnten Grundstückseigentümerin und Investoren auch hier in wichtigen Fragen (z. B. die Größe des zentral gelegenen Parks, der Verlauf der U-Bahn-Verlängerung und die Aufteilung der hierfür anfallenden Kosten oder die Preisstruktur der angebotenen Wohnungen) ihre Interessen durchsetzen (Langhagen-Rohrbach 2003: 161 ff.). Da die Bahn das Areal noch bis Mitte der 2000er Jahre als Rangierfläche nutzte, aber auch, weil ein zu diesem Zeitpunkt kriselnder Immobilienmarkt zu geringe Renditeaussichten eröffnete (Kirst 2006: 58 f., 80 f.), wurde in diesem Teil des Europaviertels erst Ende des Jahrzehntes, d.h. mit Einsetzen des jüngsten Immobilienbooms, tatsächlich mit dem Bau begonnen.
Seither entstehen dort rund um einen 6 Hektar großen Park, den Europagarten, verschiedene Wohnquartiere sowie zwei gemischt genutzte Abschnitte, in denen Büros, Nahversorger, Kitas usw. untergebracht werden. Dominiert wird das Bild dabei von Projekten wie der gehobenen Wohnanlage Central & Park oder dem selbsternannten ›Edelquartier‹ Parkend, in denen Mieter_innen und Käufer_innen das Gefühl vermittelt werden soll, »weit weg vom Mittelmaß« zu sein. Ein Gefühl, das unter gänzlich anderen Vorzeichen wohl auch die rumänischen Bauarbeiter im Europaviertel hatten, die im Oktober 2012 aus Protest gegen ihren Stundenlohn von 1,09 Euro ihre Arbeit niederlegten (vgl. FR vom 26.10.2012).
Nicht weit entfernt von Parkend entstehen die beiden Wohntürme Westside Tower und Axis, wo für bis zu 20 Euro/m² Miete bzw. knapp 10.000 Euro/m² Kaufpreis mit einem Concierge-Service oder einem eigenen Hundewaschplatz geworben wird. Kaum geringer fallen die Preise für die Wohnungen aus, die die landeseigene, öffentliche Wohnungsbaugesellschaft Nassauische Heimstätte (NH) über ihr Tochterunternehmen NH ProjektStadt GmbH realisiert. Etwas günstiger, für untere Einkommensschichten jedoch ebenfalls unerschwinglich, sind die 12 bis 15 Euro/m², welche die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG Holding für ihre Mietwohnungen verlangt. Als Sozialwohnungen dienen lediglich die 400 Wohneinheiten der Helenenhöfe, die am nordwestlichen Ausgang des Europaviertels von dem privaten Wohnungsbauunternehmen Sahle Wohnen errichtet und später für 5 bis 5,50 Euro/m² an anspruchsberechtigte Haushalte vermietet werden. Vor dem Hintergrund, dass es sich dabei lediglich um knapp 7 Prozent des gesamten Wohnangebots handelt, mutet es zynisch an, wenn der städtische Planungsdezernent Olaf Cunitz (Die Grünen) die Helenenhöfe als deutlichen Beleg dafür wertet, »dass im Europaviertel nicht nur hochpreisige Wohnungen entstehen.« (FNP vom 08.03.2014) Zu berücksichtigen ist zudem, dass Sozialwohnungen in Hessen nur für 5 bis maximal 20 Jahre der Belegungs- und Preisbindung unterliegen. Nach Ablauf der Bindungsfrist dürfen aber auch diese Wohnungen zu Marktpreisen vermietet oder verkauft werden.
Als Fazit kann man festhalten, dass im Europaviertel nördlich des alten Gallus überwiegend gehobener und luxuriöser Wohnraum entsteht, weil politische Entscheidungsträger_innen bewusst darauf verzichtet haben, den potenziell tiefgreifenden Einfluss der öffentlichen Hand zu nutzen, um Wohnraum für unterschiedliche Einkommensgruppen zu ermöglichen. Stattdessen entsteht auf dem Areal des Europaviertels zu über 90 Prozent gehobenes Wohnen (ab 12 Euro/m² Miete), weil 1.) die öffentlichen Flächen der DB profitorientiert verwertet und privatisiert worden sind, 2.) eine investorenfreundliche Stadtplanung weitgehend marktorientiert und »flexibel bis zum Anschlag« (Heeg 2012) agiert hat, und 3.) die städtischen (ABG) und landeseigenen (NH) Wohnungsbauunternehmen selbst profitorientiert handeln und lediglich hochpreisige Segmente bedienen.
Wohnungsbau auf weiteren Konversionsflächen im alten Gallus
Die dargestellten Entwicklungstendenzen beschränken sich indes nicht nur auf die Neubauten im Europaviertel, sondern treffen in leicht abgeschwächter Form ebenso auf die zahlreichen hochpreisigen Wohnungsbauprojekte zu, die infolge des kriseninduzierten Immobilienbooms seit etwa 2010 im Bereich des alten Gallus verwirklicht werden. So entstehen etwa auf den wenigen noch vorhandenen Baulücken und Konversionsflächen im östlichen Bereich des Gallus ca. 300 Miet- und Eigentumswohnungen, die mit einer Preisspanne von 3.500 bis 5.500 Euro/m² zwar nicht ganz das Topniveau des benachbarten Europaviertels erreichen, sich aber ebenfalls eindeutig an ein zahlungskräftiges Milieu richten.
Noch umfangreicher wird im westlichen Teil des Gallus gebaut, wo auf den Flächen ehemaliger Autohäuser, Handwerksbetriebe und Getränkemärkte sowie auf einem Areal der früheren Adlerwerke, das seit der Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre brach lag, neue Miet- und Eigentumswohnungen entstehen. Wie umfassend der Aufwertungsprozess inzwischen ist, verdeutlicht die Preisstruktur der Neubauten: Während im Fall des bereits fertiggestellten ›Mehrgenerationenquartiers‹ Frank an der Frankenallee zumindest ein geringer Teil der Wohnungen öffentlich gefördert ist und sich die Mieten (12 Euro/m²) als auch Eigentumspreise (3.000 Euro/m²) auch im frei finanzierten Bereich eher am unteren Durchschnitt des Europaviertels orientieren, fallen sie in den z. T. frühzeitig an institutionelle Investoren verkauften Projekten wie den Lahn’schen Höfen oder den diversen Town- und Roofhouses der Adler Quartiere deutlich höher aus. Gleiches gilt beispielsweise für das von einem privaten Investor zum hochpreisigen ›Studentenwohnhaus‹ umgebaute ehemalige Ordnungsamt, in dem die 390 maximal 24m² großen Zimmer um 550 Euro warm kosten sollen. Die generelle Stoßrichtung all dieser – und mehrerer weiterer – Projekte offenbart der Vorstandsvorsitzende des Immobilienunternehmens Opera One AG, Ralph Jerey, der angesichts des von seiner Firma geplanten »hoch attraktiven« Wohnquartiers Gallus Gärten »von einem ›neuen Gallusviertel‹ [träumt] und von einer ›Insel‹ spricht, auf der er mittleren und gehobenen Wohnungsbau realisieren will.« (FAZ Rhein-Main vom 29.07.2012)
›Niemand hat die Absicht, das Gallus zu gentrifizieren…‹
Die Aussicht, im Gallus höhere Mieten und Wohnungspreise erzielen zu können, hat in den letzten Jahren eine umfassende Neubautätigkeit auf industriellen Brachflächen, insbesondere im Europaviertel, nach sich gezogen. Damit einhergehen Befürchtungen innerhalb der ortsansässigen Bevölkerung, dass das massive Investitionsvolumen im Neubau zu Ausstrahlungseffekten auf die noch relativ günstigen Bestandswohnungen in der unmittelbaren Nachbarschaft führen könnte und somit zukünftig eine Welle der Neubau-Gentrifizierung zu erwarten sei. Ein derartiger Zusammenhang wird jedoch bemerkenswerterweise von stadtpolitischen Entscheidungsträger_innen in der Regel vehement bestritten. So betont etwa der grüne Stadtplanungsdezernent Olaf Cunitz in einem Zeitungsinterview, dass der Wohnungsneubau im gehobenen Preissegment »eine sozialverträgliche Durchmischung und Aufwertung« verspräche, wobei Sorgen von Anwohner_innen, das Wohnen im Gallus werde durch solche Projekte auf lange Sicht teurer, »unbegründet« seien (FR vom 10.07.2013). Vielmehr entstünde auf ehemaligen Gewerbebrachen »viel neuer Wohnraum ohne Verdrängung alteingesessener Mieter.« (FR vom 20.11.2013) Im Unterschied zum obersten Stadtplaner kommt der Gutachterausschuss für Immobilienwerte der Stadt Frankfurt hingegen zu einem etwas differenzierteren Fazit. In seinem Bericht von 2014 heißt es, dass »der Wohnungsneubaumarkt und die Umwandlungswelle mittlerweile das Gallus erreicht [haben]. Neben der nachgefragten Innenstadtlage kommt die Nähe zum Europaviertel diesem Quartier zu Gute [Anm. d. Verf.: Natürlich kommt diese Entwicklung nicht ›dem Quartier‹, sondern den dortigen Immobilienbesitzer_innen zu Gute]. Ob dies im Endeffekt zu einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur führt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen« (Gutachterausschuss 2014: 11).
Im Gegensatz zu den Beschwichtigungen des Frankfurter Stadtplanungsdezernenten deuten die erheblichen nahräumlichen Preisdifferenzen darauf hin, dass Befürchtungen vor einem Prozess der Neubau-Gentrifizierung sehr wohl berechtigt sind. Denn aus Sicht privater Investoren gibt es keinen Grund, warum nach Aufwertung, Modernisierung oder Abriss die Mieten im jetzigen Bestand dauerhaft niedriger sein sollen als diejenigen, die sich auf den Neubauflächen nebenan realisieren lassen. Insofern Investoren also angesichts der zu erwartenden Ausstrahlungseffekte darauf spekulieren, zukünftig im Gallus ein höheres Mietniveau durchsetzen zu können, lassen sich erstens die daraus resultierenden immobilienwirtschaftlichen Strategien der Inwertsetzung als zentrale Dynamik einer Neubau-Gentrifizierung identifizieren. Diese wird zweitens durch die Funktionsweise des Mietspiegels befördert. Da die hohen Mietabschlüsse im Europaviertel und in den Neubauten im alten Gallus zukünftig in die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete einfließen, werden erhebliche Mieterhöhungen im Bestand ermöglicht. Und schließlich ist drittens zu erwarten und z. T. bereits zu beobachten, dass es infolge städtebaulicher Maßnahmen (z. B. im Rahmen des Programms Soziale Stadt) und des vermehrten Zuzugs einkommensstarker Haushalte zu einer symbolischen Aufwertung des städtischen Raums, zu neuen Nachfragemustern sowie zu einer veränderten Gewerbestruktur kommt, wodurch Verdrängungsprozesse verstärkt werden.
Stadtpolitisch ermöglicht und befördert worden ist diese Entwicklung, weil öffentliche Flächen im Besitz der Deutschen Bahn AG profitmaximierend privatisiert worden sind, auch landeseigene und städtische Wohnungsbauunternehmen ausschließlich im gehobenen bis luxuriösen Wohnungsmarktsegment agieren sowie zudem stadtplanerische Instrumente des Baurechts bewusst nicht eingesetzt worden sind. Letztere hätten in Gestalt von Bebauungsplänen oder städtebaulichen Verträgen genutzt werden können, um Sozialwohnungen im relevanten Umfang zu schaffen oder Bauflächen für gemeinnützige Akteure vorzuhalten (wie etwa Genossenschaften oder dem Mietshäusersyndikat), die aufgrund ihrer nicht-profitorientierten Ausrichtung erfahrungsgemäß weitaus günstigeren Wohnraum schaffen können. Nahezu idealtypisch kann man daher am Gallus zeigen, dass (Neubau-)Gentrifizierung kein natürliches Resultat rein ökonomischer Marktkräfte ist, sondern wesentlich von lokalen politischen Kräfteverhältnissen geprägt wird.
Bislang waren selbige in Frankfurt durch eine jahrzehntelange hegemoniale Zustimmung zur unternehmerischen Stadt gekennzeichnet, insofern städtische Eliten nahezu konsensual die Aufwertung innerstädtischer Viertel als Instrument im Wettbewerb um gehobene Mittelschichten und globale Wissensnomaden begrüßt und vorangetrieben haben (Schipper 2013). Angesichts der eskalierenden Widersprüche und zunehmenden Proteste lassen sich gegenwärtig jedoch zumindest im Bereich der Wohnungspolitik gewisse Risse identifizieren. So fordert beispielsweise der Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD), die Mieten in ABG Wohnungen für drei Jahre praktisch einzufrieren (wovon 30% aller Haushalte im Gallus und 20% aller Mieter_innen in Frankfurt direkt profitieren würden), um Verdrängungsprozesse zu bremsen – womit er sich jedoch bislang nicht gegen die schwarz-grünen Mehrheiten in Magistrat, Stadtverordnetenversammlung und Aufsichtsrat durchsetzen konnte. Nichtsdestotrotz bieten derartige Brüche innerhalb der politischen Eliten durchaus Potenzial, um über außerparlamentarischen Druck lokale Kräfteverhältnisse zu verschieben und eine progressivere Wohnungspolitik durchzusetzen. Gegenwärtig unternehmen vor allem verschiedene Mieterinitiativen gemeinsam mit stadtpolitischen Aktivist_innen Schritte in diese Richtung, indem sie sich unter dem Motto »Eine Stadt für alle! Wem gehört die ABG?« in die Stadtpolitik einmischen. In einer gesellschaftlichen Situation, in der ein temporärer Mietenstopp zumindest wieder ernsthaft diskutiert werden kann, lassen sich dabei sogar weitergehende Forderungen nach einer Dekommodifizierung des Wohnens und einer grundlegenden Demokratisierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft stark machen.
Sebastian Schipper & Felix Wiegand
*.lit
Gutachterausschuss für Immobilienwerte (2014): Immobilienmarktbericht für den Bereich Frankfurt am Main. Frankfurt.
Heeg, Susanne (2012): Flexibel bis zum Anschlag: Bauen und Planen für die Global City Frankfurt. In: AK Kritische Geographie Frankfurt (Hg.): Wem gehört Frankfurt? Dokumentation des aktionistischen Kongresses vom März 2012. Frankfurt am Main, 75–85.
Holm, Andrej (2014): Gentrifizierung – mittlerweile ein Mainstreamphänomen? In: Informationen zur Raumentwicklung 4, 277–290.
Kirst, Volker (2006): Die Entwicklung des Gallusviertels seit 1970 unter besonderer Berücksichtigung des Strukturwandels an drei Beispielen. Unveröffentl. Diplomarbeit am Institut für Kulturgeographie, Stadt- und Regionalforschung, Goethe-Universität.
Langhagen-Rohrbach, Christian (2003): Räumliche Planung in Deutschland und der Schweiz im Vergleich. Rahmenbedingungen, Akteure und praktische Umsetzung, dargestellt an den Beispielen Europaviertel (Frankfurt am Main) und Zürich West. Frankfurt: Rhein-Mainische Forschung.
Schardt, Jürgen (2012): Das bundesdeutsche Vergleichsmietensystem und der Frankfurter Mietspiegel 2010. Frankfurt.
Schipper, Sebastian (2013): Genealogie und Gegenwart der unternehmerischen Stadt. Neoliberales Regieren in Frankfurt am Main, 1960–2010. Münster.
WobiG (1998): »Spaß muß sein«. Das Urban Entertainment Center am Frankfurter Güterbahnhof. In: diskus. Frankfurter StudentInnen Zeitschrift, 1/98.