Biedermeier – Postmoderner – Biedermeier
Stadt ist Bewegung, Gewühl, strömende Massen, die sich am Beton brechen – gesichtslos. Das Versprechen der Stadt ist gleichzeitig Zentrum zu sein, welches das Chaos ordnet, kulturelle, politische und gesellschaftliche Bezugspunkte setzt. Stadt als Metropole soll der Standort sein, von dem aus Geschichte gemacht wird. Diese Bedeutung von Stadt ergibt sich ›von selbst‹, ungesteuert, aus dem gesellschaftlichen Leben, quasi anarchisch, hinter dem Rücken der Bewohner. Und dennoch spürt man sofort, wenn die Stadt diese Bedeutung verliert. Sie läßt sich nicht willentlich erzeugen. Zugleich ist Stadt Heimat für Individuen. Man will sich in ihr zuhause fühlen, sich ihren Bewegungen anvertrauen. Die Stadt braucht ein vertrautes Gesicht, einen Charakter. Auch der entstand anarchisch, ›naturwüchsig‹ aus dem Zusammenspiel gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Entwicklungen. Nur selten in der Geschichte wurden Städte umfassend und bewußt umgebaut und gestaltet. Solchen Umbau kann nur vornehmen, wer die Macht hat. Er legt den Charakter und die Formen des städtischen Lebens damit auf lange Zeit fest. Dies gilt für Haussmanns Umbau von Paris im 19. Jahrhundert, der ganze Stadtviertel abreißen ließ, um Platz für Boulevards und Plätze zu schaffen. Und dies gilt auch für die Phase nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland, wo die völlig zerstörten Städte neu aufgebaut wurden.
Bis in die 80er Jahre hinein reichte der Aufbau- und Modernisierungsprozess in Frankfurt. Bei der neuesten Gestaltung der Zeil, der Oper, der Plätze geht es im Wesentlichen um die Fassade. Sie soll aus dem funktional und ökonomisch bestimmten Chaos von Straßen und Betonklötzen ein harmonisches Ganzes erzeugen, eine Stadt, in der man leben will. Nach dem Frankfurt seit Jahren in Bewegung ist, im Umbau begriffen, gibt es ein unabweisbares Bedürfnis nach Ruhe und Bürgerstolz auf das Erreichte, sollen Ergebnisse vorzeigbar sein. Diesem Bedürfnis Befriedigung anzubieten, ist das Erfolgsgeheimnis Wallmannscher Politik.
»Das Grundkonzept der architektonischen Formulierung des Boulevardzuges beruht auf der Intention, der überdimensionalen Konsumfunktion der Zeil einen extrem konträren Erlebnisraum mit hohem Identifikationswert entgegenzusetzen.« (Ausschreibungstext Kunst auf der Zeil)
Die Zeil soll nicht nur Verkehrsader und Umschlagplatz für Waren sein, sondern öffentlicher Raum, in dem sich gesellschaftliches Leben frei entfalten kann. Nachdem sie sich einige Monate in diesem Sinne bewähren durfte, zeigte sich, daß so neutral dem Gesellschaftlichen gegenüber die Intentionen der Gestaltung denn doch nicht waren. Der zum ›Flaneur‹ erhobene Käufer, der sich an den vor ihm ausgebreiteten Herrlichkeiten in den Schaufenstern von Kaufhof bis Hertie ergötzt, in den Pavillon-Cafés sich das raffinierte Vergnügen lauer Sommerabende in der absurden Kulisse eines Einkaufsparadieses nach Geschäftsschluß gönnt, er fühlt sich gestört und bedroht vom Gesindel, von den Pennern und Säufern, die ihn mitunter ansprechen auf der Straße und seiner splendid isolation entreißen. Diesen Subjekten muß der Zugang zum und der Aufenthalt im öffentlichen Raum polizeiobrigkeitlich verwehrt werden. Der soll denn doch weiterhin dem Käufer vorbehalten sein. Als solchen will man ihn auf keinen Fall verärgern oder gar vertreiben. Auch sollte ihm möglichst nicht aufgrund politischer Manifestationen und Demonstrationen der ungehinderte und reibungslose Zugang zu den Warenhäusern verwehrt sein. Die Zeilgestaltung hat weniger den Sinn, einen öffentlichen Raum zu schaffen, als einen Ruheraum für erschöpfte Käufer. Die achso umsorgten Bäumchen verhindern den Blick der einkaufenden Masse auf sich selbst, somit ihre vorzeitige Frustration.
Daß Frankfurt eine Stadt der Angestellten, mithin der wohlhabenden Kleinbürger ist, ist nicht neu; die Baustellen verdrängten sie in den letzten Jahren nur vorübergehend aus dem Straßenbild. Die Bauzäune machten in dieser Zeit aus Frankfurt die ›ehrliche Stadt‹, in der die Widersprüche offen lagen. Es wurde gar nicht erst versucht, den Eindruck zu erwecken, zwischen Hochhäusern und Schnellstraßen könnte Gemütlichkeit aufkommen. Solange alles in Bewegung war, schien alles möglich. Jetzt stehen die Ergebnisse vor uns, und wir sind etwas schockiert, daß Frankfurt so mittelmäßig und so provinziell ist. Nachdem die Linke die Straße aufgeben mußte, inszeniert die Rechte dort Öffentlichkeit im Stile von Familienfeiern.
Immer sind wir unter uns, wie zu Haus. Die Gestaltung der Innenstadt hat einen Rahmen hervorgebracht, in dem alles seinen Platz hat und harmlos wird. Oder von der Polizei verfolgt. Sofern das ästhetische Bemühen der Planer nicht an der Masse von Material und Verkehr scheiterte, brachte es in weiten Teilen ein kleinbürgerliches Schlaraffia hervor. Gestaltung allein kann Gesellschaftlichkeit, Lebensstil und Kultur nicht erzeugen. Der blasierte Angestellte hat einen pedantischen Begriff des Schönen oder auch nur Geschmackvollen. Es soll sauber und wertvoll, d. h. teuer sein, und möglichst beweisen, daß er zur großen Welt gehört. Die Limousinen glänzen wie das Pflaster der Fußgängerzonen, wie die Scheiben der Deutschen Bank , in ›reizvollem‹, aber nichtssagendem Kontrast zur Katharinenkirche oder zur Alten Oper. Frankfurts Schmuckkästchen. Dazu passend die Fachwerkhäuser am Römerberg. In den Cafés auf der Fressgass wirds dann vollends gemütlich. Und wo ein freies Plätzchen den Blick aufs Ganze, d. h. ins Leere fallen lassen könnte, wird die Stadtlandschaft ›möbliert‹, wie es ein Beamter des Hochbauamtes formulierte. […]
Hier in Frankfurt, so scheints, hat jeder seinen Platz, besteht eine prästabilisierte Harmonie: in den Spiegelfassaden der neuen Hochhäuser schaut wohlwollend das satte Bild seiner Eintracht mit der Umwelt auf den Betrachter herab. Allerdings muß man die Pedanterie nicht respektieren. Dies beweisen die fußballspielenden Italiener auf der Hauptwache. Selbst in der Alten Oper ereignet sich bisweilen Kunst, die sich von dem Rahmen nicht bändigen läßt. Die Menschen müssen ihr Verhältnis zu dieser neuen Stadt erst neu bestimmen, eine neue und eigene Umgangsweise mit diesen Räumen finden. Diese Prozesse sind das eigentlich Spannende in Frankfurt, nicht aber die inszenierten Festivitäten.
An der Hauptwache steht eine Plastik, David und Goliath, die nach Verlautbarung Walter Wallmanns den Sieg der Kultur über den Kommerz nicht nur darstellt, sondern mit dem Akt ihrer Aufstellung auch beweist. Um mehr zu erfahren über die Spannungen und Widersprüche von Stadtgestaltung und Kunstansprüchen, besuchte ich Richard Hess, der David und Goliath schuf. Im Folgenden habe ich versucht anhand von Notizen den Verlauf des Gesprächs wiederzugeben. […]
M. Behrent
diskus: Was halten Sie von der Innenstadtgestaltung in Frankfurt? Ist die Hauptwache ein angemessener Rahmen für eine Skulptur?
Hess: Ich habe David und Goliath im Hinblick auf diesen Platz entworfen. David repräsentiert das Geistige, Goliath die brutale, sinnlose Gewalt. Die Plastik stellt den erhofften Sieg des Geistes über die Gewalt dar. Ein Kampf, der immer noch und immer neu, in jedem selbst, wie auch im Allgemeinen ausgefochten werden muß. Geist und Kultur sind ständig bedroht von Barbarei. Als barbarisch empfinde ich allerdings den brutalen Kapitalismus und die rücksichtslose Geschäftemacherei, wie sie sich besonders auf der Frankfurter Zeil zeigen, deren Äußeres von Betonfassaden beherrscht wird. Die Zeil war aber vor ihrer Gestaltung unbestreitbar trister als sie es jetzt ist. Die Kaufhäuser sehen dagegen von außen immer noch so aus, wie es innen auch zugeht – auf möglichst geringem Raum soll in kürzester Zeit eine Höchstmenge an Waren umgeschlagen werden. Kaufen wird dort zur Arbeit. Das war um die Jahrhundertwende anders. Die Kaufhäuser sind in ihrer Bedeutung für unsere Zeit doch eigentlich die Kathedrale des 20. Jahrhunderts. Früher haben sie auch entsprechend ausgesehen, waren repräsentative Architektur, der Verkaufsraum war großzügig gestaltet, lud zum Verweilen und Flanieren ein. Das ist ja nach dem Krieg völlig anders geworden. Da wurde schnell und hoch gebaut. Da sollte Geld verdient werden. Und diese brutale Reduzierung der Innenstadt auf einen Umschlagplatz für Waren wurde jetzt wieder rückgängig gemacht. Die Straßen und Plätze haben einen Eigenwert gewonnen, sie sind auch nach Geschäftsschluß noch belebt. In diesem Rahmen hat meine Plastik ihre Berechtigung.
diskus: In einem Text, der David und Goliath vorstellt, werden Sie sinngemäß folgendermaßen zitiert: »David und Goliath soll den Kontrast zwischen Katharinenkirche, der Hauptwache und den Betonfassaden brennpunktartig zusammenziehen und analytisch beleuchten.« Was soll dabei herauskommen?
Hess: Es gibt einen ästhetischen Widerspruch zwischen dem Kaufhof und der Kirche, in dem die Kirche und die barocke Architektur auch der Hauptwache kaum noch zur Geltung kommen. Innerhalb dieses Widerspruches schlage ich mich auf die Seite der Kirche. Ich empfinde diese Architektur als lebendiger, als beseelter. Das heißt nicht, daß ich nachträglich die Funktion der Hauptwache als Gefängnis gutheiße. Diesen Widerspruch wollte ich gestalten, indem ich ihn benenne und mit meiner Plastik auch bewerte. Ich halte es für einen Fortschritt, wenn die Gestaltung der Innenstadt in Richtung einer Belebung und Beseelung weitergeht. Die Stadt gewinnt eine andere Qualität, wenn man auf Plätzen Brunnen und Skulpturen aufstellt. Vorher war Frankfurt doch eine völlig kaputte Stadt. Durch die Gestaltung gewinnt sie wieder eine Einheit, und das ist gut so.
diskus: Ich frage mich, von welchem Geist Frankfurt denn jetzt wohl beseelt ist. Bei meinen Recherchen sprach ich mit jemandem vom Stadtbauamt, der im Zusammenhang mit der Gestaltung der Plätze von einer ›Möblierung‹ sprach. […] In solcher Umgebung wird Kunst zum Accessoire, was Ihren Intentionen doch wohl widerspricht.
Hess: Ich denke, Lebenskultur in diesem Sinne, sich mit schönen Dingen umgeben, sich bewußt kleiden, gut essen hat auch etwas zu tun mit dem Verhältnis zu Kunstwerken, beeinflußt dieses Verhältnis positiv. Den Deutschen fehlt in diesem Sinne Kultur, vergleicht man sie mit den Italienern. Die Italiener haben ein viel ausgeprägteres Formbewußtsein. Selbst wenn jemand ein Kunstwerk nicht bewußt als solches wahrnimmt und versteht, formt dessen Existenz doch sein ästhetisches Empfinden, differenziert es.
diskus: Ich empfinde die Innenstadtgestaltung in Frankfurt als eine oberflächliche Harmonisierung, weniger als eine Anhebung von kulturellen Qualitäten.
Hess: Frankfurt war eine kaputte Stadt. Daraus ergab sich die Aufgabe, etwas Ganzes herzustellen. Das war notwendig, auch wenn man mit dem Ergebnis nicht immer zufrieden ist. Wien dagegen hat ein erdrückend geschlossenes Stadtbild, da muß man eher revoltieren. Die Wiener Künstler sind ja auch sehr nihilistisch. […]
diskus: Stört es Sie, wenn Kinder auf ihrer Skulptur herumklettern?
Hess: Das finde ich allerdings nicht besonders gut. Aber da kann man nichts machen. Noch mehr ärgere ich mich, wenn irgendwelche Leute meinen, sie müßten Plastiken mit Farbe beschmieren. Das kann ich nicht verstehen, daß sie gerade die paar schönen Dinge verschandeln, die Betonfassaden aber eher unversehrt lassen.
diskus, 1983, H. 4/5.