Bahnhofsviertel
Orte
dr. Müller
Von weitem ein Ort der Beständigkeit. Den Sexshop dürfte es im Bahnhofsviertel schon immer und durch all seine Wandlungen hindurch gegeben haben. Aus dem Schaufenster spricht dann aber doch der Zeitgeist. Die diversen Stimulanzien rund um das Penispowerspray dienen weniger der Lust als der Leistungssteigerung.
Kaiserpassage
Ein merkwürdig abgelegener und mitten im Bahnhofsviertel angenehm ruhiger Ort. Wir bleiben vor dem Exponat im Schaufenster einer Galerie stehen. Das Kunstwerk (?) skandalisiert die Plastikverpackung. Es verweist auf das Faktum, dass der Müll jährlich eine Million Vögel ihr Leben kostet.
Kaiserstraße
Wohnort von Bänkern und Professoren. Die Häuser sind bürgerlich-pompöser Art, die Wohnungen vor nicht allzu langer Zeit luxussaniert, innen großräumig und elegant.
Münchener Straße
Straße der Herrenfriseure. Wer sich hier einmal einen Schnitt verpassen lassen hat, wird niemals mehr bei anderen Friseuren sein Glück finden. Die Herrenfriseure der Münchener Straße bestechen durch handwerkliche Perfektion, weltgewandtes Gespräch und legitime Erotik unter Männern.
Hotel Nizza
Was nicht viele wissen: Man kann dort klingeln und beim Concierge ein Getränk kaufen. Mit größter Selbstverständlichkeit weist der einem dann den Weg zur Dachterasse des Hotels, wo man malerisch über den Häusern des Bahnhofsviertels sitzen kann.
Gespräch
Wandel
Früher ist das Bahnhofsviertel mal ein Arbeiterviertel gewesen, SPD-Hochburg undsoweiter. Die Junkis gibt’s erst seit den 90ern hier. Dass das Bahnhofsviertel als Wohnort hohes Ansehen genießt, ist ein noch neueres Phänomen. Dass sich hier neuerdings gehobene Wohnansprüche anmelden, merkt man zum Beispiel an den Luxussanierungen und der immer weiteren Eingrenzung der Prostitutionszone. Merkwürdig ambivalent ist das Verhältnis der neuen BewohnerInnen zur Umgebung. Einerseits kommen sie aus einer Faszination für die Widersprüchlichkeit, Milieuvielheit, eben Urbanität als verdichtete Gesellschaftlichkeit. Andererseits finden sie, dass es dann doch ein bisschen sauberer sein könnte und ein paar exklusive Cafés, wo man von den Elendsgestalten unberührt bleibt, dürften es dann auch schon sein.
Wohnen
Dass im Bahnhofsviertel die Leute nicht nur aus Überzeugung wohnen, sondern es zum Beispiel auch Kinder gibt, ist was, das man leicht vergisst. Denn jenseits des Urbanitäts-Gefühls hält das Bahnhofsviertel für die Bedürfnisse seiner BewohnerInnen eher wenig bereit. Genauer gesagt: Gemessen an den basalsten Lebensbedürfnissen ist die Wohnqualität miserabel. Es ist ununterbrochen laut, die Luft ist schlecht, es gibt keine Grünflächen und durch die umstehenden Hochhäuser ist es im Sommer unerträglich heiß.
Urbanität
Ist nicht das Bahnhofsviertel eigentlich lächerlich klein? Es besteht doch nur aus ein, zwei Straßen und geht dann unvermittelt über etwa in die Vorgarten-Provinzialität des Westends und so bedarf es doch einiger Naivität dem Eindruck von Urbanität zu glauben, den Frankfurt um seinen Hauptbahnhof herum macht. Eher als charakteristisch für die Stadt als Ganze zu sein hat die Urbanität des Bahnhofsviertels in Frankfurt was Künstliches. Gerade weil es mit der restlichen Stadt eher wenig zu tun hat, räumlich so eingegrenzt ist, seine Urbanität eher abrupt abbricht als sich in die Stadt hinein fortzusetzen, hat die Faszination fürs Bahnhofsviertel was touristisches. Wenn es die BewohnerInnen aus dem situierteren Frankfurt oder der umliegenden Provinz mal ins Bahnhofsviertel zieht, dann oft so als würden sie ein Disneyland besuchen. Das Bahnhofsviertel erscheint dann so als wärs nur als Projektionsfläche für die Provinzler da, die aus ihren eingehegten und wohlgeordneten Lebenswelten kommend als distanzierte Beobachter und mit voyeuristischer Faszination die Schattenwelt besichtigen. Ein Sinnbild für diese Haltung: die endlosen Schlangen, die auf dem Bahnhofsviertelfest vor den Bordellen stehen. Andererseits wird diese Beschreibung dem Bahnhofsviertel nicht ganz gerecht. Es ist dann doch was anderes als zum Beispiel die Reeperbahn in Hamburg. Zum einen, weils drumherum nicht nur das Westend gibt, sondern eben auch das Gutleut, Gallus und Bankenviertel. Zum anderen, weils wirklich im Zentrum ist und auf diese Weise dann doch zum Alltag der Stadt gehört. Bänker, Pendler, Reisende und alle werden da irgendwie durchgeschleust und so entsteht dann eben doch wirkliche Urbanität, nämlich eine Verdichtung aller möglichen Widersprüche, die die gegenwärtige Gesellschaft zu bieten hat.
Bankenviertel
Gespräch
Das Bankenviertel ist Ausdruck einer ganz anderen Form von Urbanität als das Bahnhofsviertel. Die Urbanität ist hier nur symbolischer Art, konkret ist das Bankenviertel einfach vollkommen unbelebt und leer. Abstrakt aber sind die Hochhäuser von Wichtigkeit für die Stadt. Nicht nur definieren sie das Stadt-Bild als groß und bedeutend, ebenso repräsentieren sie ein spezifisches Selbstverständnis von Frankfurt. Früher war es einmal so, dass jeder für die Identität der Stadt relevante Bereich sein eigenes Hochhaus hatte. Es gab den Euro-Tower, Messe- und AfE-Turm für Frankfurt als Stadt des Handels, der Banken und Gesellschaftstheorie. Heute kann man in das das Bahnhofsviertel überragende Bankenviertel die Dominanz des Finanzkapitals gegenüber dem klassischen Bürgertum hineinlesen. Bezeichnend ist auch, dass die neue EZB den ganzen alten Handelsplatz okkupiert hat.
Innenstadt/Zeil
Orte
Frankfurter Hof
Eine Adresse, das erste Haus am Platz. Vor dem Hotel sprudelt ein Brunnen, der aussieht wie ein Cocktailglas, aus dem ewig der Champagner fließt. Gebürtige Frankfurterinnen erkennt man daran, dass sie in eine Stimmung andächtiger Ehrfurcht geraten, wenn vom Frankfurter Hof die Rede ist.
Goethe-Platz
Vor noch nicht langer Zeit umgestaltet. Merkwürig an dem Platz wie charakteristisch für Frankfurt überhaupt, dass es keine Bänke gibt und wenn mal Sitzgelegenheiten da sind, dann sind sie gnadenlos unbequem und immer so aufgestellt, dass sich ja keine größeren Gesprächsgruppen bilden können.
Eschenheimer Tor
Könnte so schön sein. Ein Platz, dessen Lage und Größe für StadtplanerInnen andernorts wohl nahegelegt hätte, dort eine lebendige Öffentlichkeit zu ermöglichen, Cafés anzusiedeln, undsoweiter. Nicht so in Frankfurt. Hier durchziehen monströse Auto-Straßen den Platz, schneiden jede Möglichkeit zur Kommunikation ab und dementieren jede Einladung zum Aufenthalt.
MyZeil
Umgangssprachlich Frankfurter Rosette, Frankfurter Arsch oder auch einfach nur das Loch genannt. Von woher auch immer diese Bezeichnungen geprägt werden. Angeblich soll es die längste Rolltreppe Europas beinhalten. Angesichts der Rolltreppen, mit denen man in einigen osteuropäischen Ländern in die U-Bahnschächte fährt, ist das aber kaum zu glauben.
Zeil-Galerie
Archtektonisch raffiniertes Einkaufszentrum. Man kann ohne eine einzige Treppe zu nehmen hoch und runter kommen. Beinhaltet absurde Läden, wie zum Beispiel eine Minigolfbahn, früher auch mal ein 3D-Kino. Wird leider bald abgerissen.
Galeria-Kaufhof
Kaufhaus alten Stils. Hat eine Dachterasse, von der aus sich ein spektakulärer Blick auf Frankfurt eröffnet.
Gespräch
Eine Eigentümlichkeit von Frankfurt ist im Vergleich zu den anderen beiden deutschen Großstädten Hamburg und Berlin, dass Frankfurt eine Großstadt im Abstrakten ist. Blickt man von irgendeinem Aussichtspunkt auf die Stadt, hat man, anders als in Berlin, wo man eigentlich nur Wald sieht, den Eindruck an einem wirklich bedeutenden Ort zu sein. Nicht nur die Skyline und wenn man ankommt das Bahnhofsviertel erzeugen den Eindruck von Großartigkeit überhaupt scheint es Frankfurt im Sinn zu haben, sich als Metropole zu inszenieren. Wichtiges Kriterium der Stadtplanung ist immer der Superlativ, kaum irgendwo sonst gibt’s wohl eine derartige Häufung an absurden Rekorden: Höchster Holzturm der Welt, längste Rolltreppe Europas undsoweiter. Und dann hat man ja auch noch Goethe, großartigster und wichtigster Schriftsteller überhaupt, der nicht umsonst in Frankfurt geboren ist, auch wenn er später von der Stadt nicht mehr allzuviel wissen wollte. Die Stadt umgekehrt von ihm dafür desto mehr, kaum ein Ort in Frankfurt, an dem Goethe jemals gewesen ist, der nicht triumphal damit prahlt.
Die Großartigkeit ist dann aber ziemlich unbewohnbar. Der Innenstadtbereich ist durchfurcht von Hauptverkehrsstraßen, es gibt kaum Plätze und nur eine extrem durchkommerzialisierte Öffentlichkeit. Konkret wird dadurch Urbanität im Sinne möglichst weiter, offener und vielschichtiger Kommunikationsräume eher verhindert.
diskus unterwegs, 2015