Antisemitismus in der Frankfurter Linken
Zum wiederholten Mal sind rund um das vergangene Wochenende antirassistische Gruppen aus Frankfurt antisemitisch aufgefallen. Vor allem die Gruppen Black Power Frankfurt und Migrantifa Hessen stechen dabei hervor. Der Tropfen, der nun das Fass öffentlich zum Überlaufen gebracht hat, war die gemeinsam von diesen beiden Gruppen organisierte Demonstration am 03.10.20.
Antisemitismus und Israel
Auf dieser wurde kollektiv Parolen gerufen wie„from the river to the sea – palestine will be free“, womit ein Naher Osten ohne Israel gefordert wird, oder wurde zur Intifada aufgerufen, also dem gewaltvollen Angriff auf jüdische Menschen auf der ganzen Welt. Zudem wurde ein antisemitischer Redebeitrag der Gruppe Free Palestine FFMgehalten, der weder gestört noch von den Organisator_innen unterbrochen oder ablehnend kommentiert wurde. In diesem Redebeitrag wurde der antisemitische Mythos einer Vertreibung der Palästinenser durch die Gründung des Staates Israel (die sogenannte Nakba), ebenso wiederholt wie die Forderung Israel als (jüdischen) Staat abzuschaffen. Der Nahostkonflikt sei demnach „wirklich nicht komplex“, da Unterdrücker und Unterdrückte feststünden, weshalb auch alle als „antideutsche Faschos“ bezeichnet werden, die nicht Israel abschaffen wollen.
Ausgerechnet eine Demonstration für die Opfer des europäischen Grenzregimes, ohne jeden Bezug zum eigentlichen Thema, für die eigene Sache zu kapern, ist ein klares Zeichen der Prioritätensetzung. Diese Vereinnahmung der Demo mit Berufung auf einen diffusen Antiimperialismus ist besonders infam, wenn man sich vergegenwärtigt, dass viele Refugees vor den Bomben, Maschinengewehren und Terrorakten eben der Gesinnungsgenossen dieser Frankfurter Antizionist_innen geflohen sind: Denn die Parole, dass Israel “from the river to the sea” auszulöschen sei, ist zentrale Doktrin von Assad-Regime, Hisbollah, Iran, IS und Taliban. Ausgerechnet den Tag der deutschen Einheit, wenige Tage vor dem ersten Jahrestag des Anschlags von Halle, zu nutzen, um auf die Überlebenden des Holocaust und ihren Staat zu spucken und nicht den tödlichen Rassismus und Antisemitismus der ‚wiedervereinigten‘ BRD zu bekämpfen, ist ebenfalls erschreckend.
Hintergründe
Nur schwer kann man sich jetzt überrascht zeigen, in welcher Deutlichkeit der Antisemitismus hier zu Tage trat. Zum einen wurde vor allem mit Free Palestine FFM eine seit Jahren für ihren beißenden Antisemitismus bekannte Gruppe in den Unterstützerkreis aufgenommen und durch die weniger bekannte, jedoch offensichtlich nicht weniger problematische Stop Child Detention – nur eine kurze Assoziationskette vom bekannten „Kindermöder Israel“-Spruch entfernt – ergänzt. Zum anderen sind aber auch die beiden organisierenden Gruppen, Black Power Frankfurt und Migrantifa Hessen, bereits mehrfach selbst durch antisemitische Äußerungen und Veranstaltungen aufgefallen. So haben beide sich an antisemitischen, ‚propalästinensischen‘ Demonstrationen beteiligt, bzw. diese zustimmend kommentiert.MigrantifaHessen hat zum Beispiel mehrfach auf Instagram Videos geteilt oder selbst erstellt in denen antisemitische Sprechchöre gerufen oder Aussagen getätigt wurden. Black Power Frankfurt hat zudem Instagram-Posts geteilt in denen zur Intifada (s.o.) aufgerufen wurde. Zudem veranstaltete die Gruppe am 04.10., also dem Tag nach der erwähnten Demonstration, eine Veranstaltung mit dem ehemaligen Mitglied der Black Panther Party Dhoruba Al-Mujahid bin Wahad, dessen Antisemitismus bekannt ist, in der Vergangenheit bereits zu Protest und Ausladung geführt hat und auch auf eben dieser Veranstaltung im Frankfurter ExZess (!) durchschien.
Nun muss also nach der Fülle an Vorfällen wieder mal eine ernsthafte und grundlegende Debatte über Antisemitismus in der (Frankfurter) Linken geführt werden. Die, deren Antisemitismus seit Jahren bekannt ist und die keine grundlegende Kompromiss- oder Reflexionsbereitschaft zeigen, sind grundsätzlich aus emanzipatorischer Perspektive zu meiden. Dies betrifft allen voran Free Palestine FFM, mit denen sich jede noch so niedrigschwellige Zusammenarbeit ausschließt. Schlichtweg niederträchtig sind die Statements die Free Palestine seit der Demonstration veröffentlicht. Statt auch nur den Hauch einer Selbstkritik anzudeuten, wird der Antisemitismus immer unverholener geäußert. Die nun verbreiteten Mythen könnten auch einfach aus einem Lehrbuch für Antisemitismus kopiert sein. Demnach hätten die Nazis die Zionisten unterstützt, um eine "völkisch-nationalistische Kolonie" zu etablieren. Von der tatsächlichen Kooperation der Palästinenserführer mit den Nazis wird da sorgsam geschwiegen. Inzwischen sind bereits Gruppen, die Unterstützer_innen der Demonstration waren, mit Distanzierungen und Reflexionsbereitschaft offen aufgetreten. Fridays For Future Frankfurt, Seebrücke Frankfurtund Copwatch, haben sich bereits mehr oder weniger distanziert, indem sie darstellen, nicht gewusst zu haben wer beteiligt und welche Stoßrichtung angedacht ist. Besonders das Statement von Copwatch ist allerdings durchaus irritierend, da es unter anderem eine ausdrückliche Solidaritätsbekundung mit den Veranstalter_innen enthält, der verschweigt, dass deren Positionierung keinesfalls überraschend kommt. Im Gegensatz dazu teilt beheardffm, selbst Veranstalter_in verschiedener Demonstrationen und Kundgebungen, auf Instagram zustimmend die Beiträge von Studis gegen rechte Hetze, die, wenig überraschend, jede Selbstreflexion ob des eigenen Antisemitismus ablehnen.
Innerlinke Debatten und Selbstreflexion
Diese Debatten sind also notwendig, können und sollten allerdings nur bedingt von außen beeinflusst werden. Es ist in ihrem Selbstverständnis fatal, wenn in der Linken Debatten über die eigene Reproduktion von Diskriminierung aus falscher Rücksichtnahme so lange vermieden werden, bis Bürgerliche oder Liberale das Thema aufgreifen und damit öffentlich linke Positionen insgesamt diskreditieren können. Sich mit den Genoss_innen und Freund_innen immer wieder über die eigene Reproduktion von Unterdrückungsmechanismen selbstkritisch zu streiten, muss kein Akt der Entsolidarisierung sein, sondern kann ganz im Gegenteil die gemeinsame Stärke nach Außen festigen. Damit ist gemeint, an diesen Problemen selbstkritisch, möglichst intern und zwischenmenschlich zu arbeiten, bevor man beispielsweise das Armutszeugnis erbringt, als Linke reaktionärer als ein CDU-Politiker zu sein. Da diese Gesellschaft so grundlegend auf Diskriminierung und Unterdrückungsformen wie Sexismus, Rassismus, Antiziganismus und eben auch Antisemitismus aufgebaut ist, kann sich niemand von diesen frei erklären. Was Linke jedoch von Rechten unterscheiden sollte, war und ist das permanente Nicht-Einverstanden-Sein mit der eigenen Komplizenschaft.
Die Frage, die sich nun also leider wieder einmal stellt, lautet: Wie halten wir es mit dem Antisemitismus? Denen, die mit uns einen gemeinsamen Kampf führen, sie nicht zu stellen, ist keine Option. Gegen jeden Antisemitismus ist ein Grundsatz, an dem jede_r festzuhalten hat, die_der für die befreite Gesellschaft streitet. Es muss also wieder offener und deutlicher über das Thema des Antisemitismus in der Linken geredet werden und deutlich werden, ob die angesprochenen Gruppen sich, ihre Standpunkte und Arbeit glaubhaft und grundsätzlich überdenken, sodass Antisemitismus nicht nur nicht mehr verschwiegen, sondern bekämpft wird. Das bedeutet aber auch, dass bloße Lippenbekenntnisse nicht ausreichen. Vielmehr bedarf es einer tiefgreifenden Kritik der eigenen Grundlagen, die die Komplizenschaft mit Antisemitismus nicht zu einem Ausrutscher erklärt, sondern vielmehr strukturell ergründet. So gab es beispielsweise im amerikanischen Antirassismus immer wieder Überschneidungen mit antisemitischen Theorien und Aktionen, etwa durch Strömungen und Ableger der Black Panther Party. Gerade durch die Black Lives Matter Bewegungen wurden spezifisch amerikanische Theorie- und Aktionskonzepte übernommen, ohne deren kontextuelle Einbettung und problematischen Verstrickungen zu reflektieren.
Es bleibt also zu hoffen, dass es zu einer grundlegenden Selbstkritik und einem klaren Bekenntnis gegen Antisemitismus – auch des strukturellen und Israel-bezogenen – kommt. Doch sind die nun im Fokus stehenden Gruppen als schwarze und migrantische Selbstorganisierung im besonderen Maße Rechten, Rassisten und Reaktionären ein generelles Feindbild. Der grundsätzlichen Diskreditierung der Bewegung und Ansätze ist daher entschieden entgegenzutreten und die nun stattfindenden social media-Angriffe gerade auf weibliche migrantische Personen sind ebenso vorhersehbar wie verachtenswert.
Die Redaktion der diskus war nie ein rein publizistisches Medium, sondern versteht sich selbst als Teil der linksradikalen Bewegung. Aus dieser Doppelfunktion heraus, schreiben oder veröffentlichen wir unsere Artikel. Das heißt auch, dass wir uns über Feedback, Diskussionsbeiträge oder anderweitige Ideen freuen.