Der Fachbereich Psychologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main könnte einen der aktuell letzten beiden psychoanalytischen Universitätslehrstühle Deutschlands umwidmen. Dem traditionsreichen Lehrstuhl, der von den 1960ern bis heute Generationen von Studierenden nach Frankfurt zog, droht eine gänzlich veränderte Ausrichtung in Forschung und Lehre. Im Zuge der Emeritierung des bisherigen Lehrstuhlinhabers Prof. Tilmann Habermas soll das Neubesetzungsverfahren fachlich ausgeweitet werden – was wohl eine verhaltenstherapeutische Besetzung begünstigen würde. Auf Nachfrage seitens diskus wollte sich die derzeitige Dekanin des Fachbereichs Psychologie und Sportwissenschaften, Prof. Dr. Sonja Rohrmann, nicht zur Sache äußern und verwies auf derzeitige interne Strategiegespräche und Diskussionen.

Das Interview mit der Studentischen Interesseninitiative Psychoanalyse an der Goethe-Uni aus Frankfurt am Main führten Josephine von der Haar und Louis Pienkowski am 18. Mai 2021.

diskus: Ihr habt eine Petition für den Erhalt des psychoanalytischen Lehrstuhls an der Goethe Universität gestartet. Was ist der aktuelle Stand der Petition?

Studentische Interesseninitiative Psychoanalyse (SIP): Mittlerweile haben wir über 8.300 Unterschriften gesammelt. Bereits Anfang Mai haben wir die Petition beim Offenen Forum des Fachbereichs Psychologie dem Dekanat überreicht. Zu dem Zeitpunkt hatten bereits mehr als 7.600 Personen die Petition unterschrieben und 650 Personen angegeben, dass sie direkt von dem Anliegen betroffen sind. 

diskus:  Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eine Petition zu starten und was erhofft ihr euch davon?

SIP: Wir haben auf Nachfrage im Fachbereich erfahren, dass die Professur für Psychoanalyse nach der Emeritierung von Professor Habermas verfahrensoffen ausgeschrieben werden soll. Weil eine solche Ausschreibung mit einer Umstrukturierung des Lehrstuhls einhergeht, mit Konsequenzen für die Lehre am Fachbereich, aber auch für die Stellung der Psychoanalyse in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, haben wir uns dafür entschieden, nicht nur ein studentisches, sondern auch das öffentliche Interesse durch ein Stimmungsbild einzufangen.

diskus:  Ihr habt euer Ziel von 8.000 Unterschriften mittlerweile erreicht. Was ist nun der nächste Schritt?

SIP: Uns ging es vor allem erst mal darum, die geplante Neubesetzung des Lehrstuhls sichtbar zu machen. Tatsächlich wussten viele unserer Kommiliton_innen nichts von den Plänen des Fachbereichs und waren darüber zum Teil sehr besorgt. Darüber mit der Petition zu informieren, war unser erstes Ziel. Danach haben wir sie, wie gesagt, im Fachbereich innerhalb des Offenen Forums eingebracht.

diskus:  Könnt ihr denn schon den Erfolg oder die Wirkung eurer Petition abschätzen?

SIP: Die eingereichte Petition wurde erst einmal zur Kenntnis genommen, bisher ist aber noch keine Entscheidung gefallen. Wir stehen weiter im Kontakt mit dem Fachbereich und der Fachschaft, können aber noch nicht abschätzen, in welche Richtung es weitergeht.

diskus:  Bisher läuft eure Petition ziemlich gut. Gab es auch Kritik an der Petition?

SIP: Bisher sind die Reaktionen auf die Petition überwiegend sehr positiv ausgefallen. In den Kommentaren unter unserer Petition findet sich bisher erst eines, in dem sich kritisch gegenüber der Positionierung der Petition und dem Anliegen geäußert wird. Wir haben ansonsten aber keine Zuschriften oder Kommentare erhalten, die die Petition kritisieren.

diskus: Auch von Seiten der Uni kam nichts in die Richtung? Eure Initiative hat ja eine recht große Aufmerksamkeit erhalten. Kürzlich erschien auch ein Artikel in der taz.

SIP: Die mediale Aufmerksamkeit ist tatsächlich durch den taz-Artikel vorhanden. Daneben gab es aber von Seiten der Universität keine größeren Reaktionen darauf.

diskus:  In eurem Petitionsaufruf steht, „Die Professur für Psychoanalyse soll zukünftig verfahrensoffen ausgeschrieben werden“. Das klingt erstmal harmlos. Warum kommt das, wie ihr schreibt, „einer Abschaffung der Abteilung für Psychoanalyse“ gleich und wie kam es zu dieser Entscheidung?

SIP: Der jetzige Arbeitsbereich Psychoanalyse ist dezidiert ein psychoanalytischer. Eine Öffnung würde eben das zur Disposition stellen. Verfahrensoffene Ausschreibung, das klingt tatsächlich ja erstmal nach Chancengleichheit unter den Bewerber_innen aus den verschiedenen anerkannten Therapieverfahren. Weil aber bei dem Auswahlprozess der Nachbesetzung Kriterien, wie die Anzahl der Publikationen und die erwartete Einwerbung von Forschungsgeldern, auch zum Tragen kommen, befürchten wir, dass Bewerber_innen aus dem Feld der psychodynamischen Verfahren systematisch benachteiligt würden. Zur Erforschung psychoanalytischer Inhalte braucht es Längsschnittstudien über längere Zeiträume, die auch mit aufwendigen qualitativen Methoden ausgewertet werden müssen und somit ist die Anzahl der Publikationen schon qua Gegenstand niedriger als in Verfahren mit kürzeren Interventionen und quantitativ leichter operationalisierbaren Konstrukten. Uns ist also insbesondere wichtig, dass neben der Anzahl an Publikationen und der Einwerbung von Forschungsgeldern weitere Kriterien in der Ausschreibung festgehalten werden, die die Verfahrensvielfalt innerhalb der Klinischen Psychologie sicherstellen.

diskus:  Von einer „Abschaffung“ zu sprechen, suggeriert auch eine gewisse Absichtlichkeit. Ist diese verfahrensoffene Ausschreibung eine Abschaffung durch die Hintertür, indem man die Kriterien verändert?

SIP: Uns geht es nicht darum, Intentionen zu unterstellen, die hinter der verfahrensoffenen Ausschreibung stehen könnten; darüber könnten wir nur mutmaßen. Dass von der gängigen Praxis, Lehrstühle in der Klinischen Psychologie verfahrensgebunden auszuschreiben, abgewichen werden soll, ist kein Frankfurter Spezifikum, sondern findet sich neuerdings auch an vielen anderen Universitäten. Aber wir sehen, dass im konkreten Fall der Goethe-Universität die verfahrensoffene Ausschreibung eine Gefahr für den psychoanalytischen Lehrstuhl bürgen würde.

 diskus:  Wurden studentische Vertreter_innen in den Entscheidungsprozess einbezogen?

SIP: Bisher wurde dem Präsidium, soweit wir wissen, noch gar kein Antrag auf Ausschreibung vorgelegt. Diesem Antrag wird dann aber auch der Ausschreibungstext beigelegt, in dem diese Verfahrensoffenheit dann festgelegt werden würde. Beides, also sowohl der Antrag als auch der Ausschreibungstext, muss zunächst im Fachbereichsrat diskutiert werden und diesem zugestimmt werden. Im Fachbereichsrat sitzen natürlich auch studentische Vertreter_innen; genauso werden auch studentische Vertreter_innen in der Berufungskommission mitwirken. Allerdings sind die studentischen Vertreter_innen sowohl im Fachbereichsrat als auch in der Berufungskommission stimmenmäßig in der Unterzahl.

diskus:  Wir haben jetzt viel über das konkrete Problem, welches eure Petition adressiert, gesprochen. Inwiefern beeinflusst die Corona-Pandemie euer hochschulpolitisches Anliegen? Das Leben an der Universität ist ja quasi nicht mehr existent und derzeit bleiben nur digitale Möglichkeiten.

SIP: Ja, das stimmt. Seit das Studium online läuft ist es viel schwieriger mit anderen Studierenden oder Lehrenden in Kontakt zu kommen und sich zu vernetzen. Es gibt natürlich weiterhin die Möglichkeit, sich über Chatgruppen oder Video-Konferenzen auszutauschen aber die Kommunikation läuft dadurch häufig viel schleppender und es ist beispielsweise viel schwieriger, Gruppendiskussion zu strukturieren und zu gestalten. Da zeigen sich auf jeden Fall Auswirkungen der Pandemie.

diskus:  Der Frankfurter Lehrstuhl für Psychoanalyse ist einer der letzten beiden in ganz Deutschland. Warum ist die Psychoanalyse an den deutschen Universitäten so marginalisiert?

SIP: Die Psychologie als Wissenschaft hat sich von Beginn an im Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften befunden – also zwischen einem Erklären und einem Verstehen. Dieses Spannungsfeld hat sich im Laufe der Zeit zu Gunsten eines naturwissenschaftlich-positivistischen Verständnisses der Disziplin aufgelöst, zumindest an hiesigen Universitäten. Und die Psychoanalyse als eine Hermeneutik des Leibes, das heißt eine Teildisziplin, die das ursprüngliche Spannungsverhältnis nicht einseitig aufgelöst hat, findet in diesem Paradigma wenig Platz.

diskus:  Warum findet ihr es – entgegen dem deutschlandweiten Trend – so wichtig, dass auch psychoanalytische Ansätze Eingang in das Psychologiestudium erhalten?

SIP: Zum einen bietet die psychoanalytische Theorie mit ihrem Subjektverständnis die Möglichkeit, ein kritisches Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, von Natur und Kultur, von Krankheit und Gesundheit zu denken – und das fehlt in weiten Teilen der akademischen Psychologie. Auf der anderen Seite ist es so, dass der psychoanalytischen Erkenntnis ein Wissenschaftsverständnis zu Grunde liegt, das sich nicht in einem positivistischen Paradigma erschöpft.  wir finden es wichtig, dass Studierende im Studium vermittelt bekommen, dass Wissenschaft auch bedeutet, unterschiedliche erkenntnistheoretische Bezüge, unterschiedliche methodische Zugänge und unterschiedliche Subjektverständnisse zu diskutieren. Darüber hinaus ist es wichtig, die Psychoanalyse innerhalb der klinischen Psychologie als Lehre zu erhalten, damit angehende Psychotherapeut_innen eine fundierte Entscheidung über das für sie passende psychotherapeutische Verfahren treffen können. Im Psychotherapeuten-Gesetz von 2019 wurde festgehalten, dass alle wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren und Methoden im Studium vermittelt werden müssen.

diskus: Bereits unter dem derzeitigen Lehrstuhlinhaber Tilmann Habermas wurde die Psychoanalyse-Professur in das Institut für Psychologie eingegliedert. Angenommen ihr hättet Erfolg mit eurer Petition, und man schriebe die Professur nicht verfahrensoffen aus: Wäre ein sozialpsychologischer Fokus, wie er innerhalb der Frankfurter Psychoanalyse der 1960er Jahre unter Alexander Mitscherlich vorherrschte, überhaupt noch denkbar?

SIP: Ungeachtet des Ausschreibungsverfahrens handelt es sich bei dem zu besetzenden Lehrstuhl – eben durch die damalige Eingliederung – letztlich um einen Lehrstuhl der klinischen Psychologie. Daher ist ein sozialpsychologischer Fokus eher nicht vorstellbar. Trotzdem sollte man hierzu sagen, dass auch eine klinisch orientierte Psychoanalyse aus theorieimmanenten Gründen nicht ohne die Reflexion auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer Psychopathologien auftreten, auskommt. Psychoanalyse ist somit auch in ihrer klinischen Anwendung die Kritik eines als naturhaft erscheinenden Phänomens. Für eine explizit sozialpsychologisch orientierte Psychoanalyse muss man zum Frankfurter Fachbereich Gesellschaftswissenschaften blicken. Dort hat Prof. Dr. Vera King, die gleichzeitig geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts ist, eine entsprechende Professur inne.