Zur Krisis der Kategorie ›Frauen‹
I'm not a girl
I'm a hatchet
I'm not a hole
I'm a whole mountain
I'm not a fool
I'm a survivor
I'm not a pearl
I'm the Atlantic Ocean
I'm not a good lay
I'm straight razor
look at me as if you had never seen a women before
I have red, red hands and much bitterness
(Judy Grahn, 1971)
Sich gegen weibliche Rollenerwartungen und Zuschreibungen zur Wehr zu setzen, war seit jeher ein Anliegen der Frauenbewegungen. In verschiedenen historischen Stadien forderten Frauen Zugang zu Bildung und Studium, setzten Wahlrechte durch, reklamierten körperliche und sexuelle Selbstbestimmung und prangerten Gewalt gegen Frauen an. Die Frauenbewegungen haben dafür gekämpft, dass Frauen ein selbstbestimmtes Leben führen können, in einer Gesellschaft, die keine Geschlechterhierarchien mehr kennt. Aber dieser gemeinsame Bezugsrahmen bedeutet noch lange nicht, eine einheitliche Position zu haben. Die zahlreichen Spaltungen innerhalb der Bewegungen zeugen im Gegenteil von großer Uneinigkeit und verweisen darauf, dass ein gemeinsamer Bezugspunkt auf ›die Frauen‹ nicht automatisch zu einer gemeinsamen politischen Position und Strategie führt. Mehr noch, die zentrale Referenzkategorie selbst ist umstritten.
Frau(en) in Bewegung
Die Widersprüche in Bezug auf ein Kollektivsubjekt Frau waren seit jeher integraler Bestandteil der Bewegung selbst. Dass das universalistische Versprechen von ›Global Sisterhood‹ nicht so einfach einzulösen ist, zeigen z. B. die Kritiken an der akademischen Frauenbewegung der 68er: zu oft waren ›die Frauen‹ weiß, akademisch, heterosexuell, aus der Mittelschicht und hegten rassistische Ressentiments. Sich gegen die Unterdrückung von Frauen einzusetzen, impliziert nicht, selbst nicht auch andere Formen der Diskriminierung und Herrschaft zu reproduzieren. Im primär in den USA aufkommenden Black Feminism thematisierten Schwarze Frauen ihre Ausblendung und Unsichtbarkeit in der weißen Frauenbewegung. So schrieb das Combahee River Collective (1977) eine Gruppe schwarzer, lesbischer Frauen:
»As Black feminists we are made constantly and painfully aware of how little effort white women have made to understand and combat their racism, which requires among other things that they have a more than superficial comprehension of race, color, and Black history and culture. Eliminating racism in the white women's movement is by definition work for white women to do, but we will continue to speak to and demand accountability on this issue.«
Sie hinterfragten damit den Charakter der Kategorie ›Frauen‹ und zeigten an den Ausblendungen dieser Kategorie, dass die damals vorherrschende Frauenbewegung ihren universalistischen Anspruch nicht einhielt.
Dieser Gestus wiederholt sich in der Neuen Frauenbewegung ab den späten 1960er Jahren von mehreren Seiten. Die Spannungslinien verliefen in verschiedenen Ländern an verschiedenen Stellen, weshalb die folgenden Ausführungen nur exemplarisch zu verstehen sind. Neben Kritik von Schwarzen Frauen an der colorblindness der Bewegung, wurden auch Stimmen laut, welche die verstärkte Thematisierung von sexueller Orientierung und nicht-heterosexuellem Begehren einforderten. Lesbische Frauen seien anders von patriarchalen Strukturen affiziert, weil sie sich qua lesbischer Existenz einer gesellschaftlichen Norm des männlichen Begehrens entziehen. Zudem hatten sie auch in der Gay Liberation Bewegung als Frauen einen schweren Stand, da sexistische Stereotype nur unzureichend reflektiert wurden.
Einige Gruppen zogen aus den Differenzen innerhalb der feministischen Bewegung den Schluss, dass unterschiedliche Erkenntnisstandpunkte und Identitäten einer gemeinsamen politischen Agenda im Weg ständen. Lesbische Gruppen wie die Furies schworen dem öffentlichen Aktivismus ganz ab und suchten die erhoffte Emanzipation im privaten Eskapismus. Dieser Weg des lesbische Separatismus steht symptomatisch für ein Auseinanderdriften der Neuen Frauenbewegung, die sich ab den späten 1970er/Anfang der 1980er Jahre aufgrund diametraler Positionen um den Status von Sexualität und Begehren überworfen hat und in den ›feminist sex wars‹ gipfelte.
Aber nicht alle Gruppen wählten diesen Weg des Rückzugs. Auch im Combahee River Collective organisierten sich Frauen anhand von geteilter Identitäten, sie beharrten aber auf der Notwendigkeit der Bildung von Allianzen – sowohl mit der weißen, akademischen Frauenbewegung, als auch mit der männlich-dominierten Black Liberation Bewegung. Aus der Erkenntnis, dass Herrschaftsverhältnisse verwoben sind, wurde gefolgert, dass eine wirkliche Befreiung nur stattfinden kann, wenn auch die anderen Herrschaftsverhältnisse überwunden werden.
»We realize that the liberation of all oppressed peoples necessitates the destruction of the political-economic systems of capitalism and imperialism as well as patriarchy.« (Combahee River Collective 1977)
Während die identitätspolitischen Kritikmomente des lesbischen Separatismus bei der mangelnden Repräsentation der eigenen spezifischen Positionierung als Frau liegt, bezieht sich der Konflikt beim Combahee River Collective weniger auf die Exklusivität des Referenzsubjekts, sondern auf die grundsätzlichen Möglichkeit einer Befreiung der Frau innerhalb bestehender ökonomischer Verhältnisse.
An dieser Frage nach dem Verhältnis von Frauenunterdrückung und kapitalistischer Herrschaft hatte sich bereits die frühe Frauenbewegung gegen Ende des 19./Anfang des 20.Jhd. überworfen. Der bürgerliche Flügel der Frauenbewegung hatte eine weibliche Emanzipation innerhalb des Bestehenden vor Augen und zielte vor allem auf eine Erweiterung der Einflusssphäre für Frauen über rechtliche und bildungspolitische Zugeständnisse. Dem gegenüber forderte die sozialistische Frauenbewegung eine darüber hinausgehende Emanzipation – proletarische und Arbeiterklasse-Frauen hätten wenig von mehr Zugang zu Bildung und dem Wahlrecht, lässt dies doch ihre ökonomische Stellung unangetastet. Ein rechtlicher Wandel bleibe notwendigerweise unvollständig und könne sich nie gänzlich verwirklichen, wenn die materiellen Bedingungen der Frauen sich nicht auch radikal veränderten. Clara Zetkin, eine der bekanntesten Vertreterinnen der frühen deutschen sozialistischen Frauenbewegung, schreibt:
»Emanzipation der Frau heißt die vollständige Veränderung ihrer sozialen Stellung von Grund aus, eine Revolution ihrer Rolle im Wirtschaftsleben. […] Wir erwarten unsere volle Emanzipation weder von der Zulassung der Frau zu dem, was man freie Gewerbe nennt, und von einem dem männlichen gleichen Unterricht – obgleich die Forderung dieser beiden Rechte nur natürlich und gerecht ist – noch von der Gewährung politischer Rechte. Die Länder, in denen das angeblich allgemeine, freie und direkte Wahlrecht existiert, zeigen uns, wie gering der wirkliche Wert desselben ist. Das Stimmrecht ohne ökonomische Freiheit ist nicht mehr und nicht weniger als ein Wechsel, der keinen Kurs hat.« (Zetkin 1957 [1890])
Der Konflikt zwischen bürgerlicher und sozialistischer Frauenbewegung wurde nicht argumentativ entschieden, sondern die historischen Ereignisse ließen die Sozialistinnen verstummen. Mit dem ersten Weltkrieg wurde die sozialistische Frauenbewegung marginalisiert. Im faschistischen Deutschland des Nationalsozialismus wurden vorherige rechtliche Errungenschaften wieder zurückgenommen, Frauen auf ihren Platz als Hausfrau und Mutter verwiesen, die Frauenbewegung aufgelöst oder national integriert und Sozialistinnen verfolgt.
Dieser schematische Abriss einiger der Konflikte innerhalb der Frauenbewegungen sollte aufzeigen, dass der politische Begriff der ›Frauen‹ historisch umkämpft war, die Diskrepanzen aber an anderen Linien verlief. Die Identität zum Ausgangspunkt nehmenden Gruppen der Neuen Frauenbewegung kritisierten den Ausschluss und die mangelnde Repräsentation bestimmter Frauen, während sich die sozialistische Frauenbewegung um Identität wenig kümmerte. Für sie waren die Frauen gleichzusetzen mit den proletarischen Frauen, die ökonomisch und kulturell am meisten deklassiert und marginalisiert, in ihrer Unterdrückung für die Unterdrückung aller stehen.
Das Ende der Kategorien
Das in der Bewegung aufgeworfene Problem der Unabschließbarkeit und der mangelnden Inklusivität der Kategorie ›Frau‹ spiegelt sich in der seit den 1970er Jahren zunehmend akademisch institutionalisierten feministischen Theorie als theoretische Reflexion des praktischen Problems wieder: Einerseits ist ein Bezug auf etwas Gemeinsames nötig, um eine kollektive Betroffenheit formulieren zu können, andererseits scheint dies immer eine Schließung der Gruppe ›Frauen‹ zu beinhalten, die nie umfänglich inklusiv sein kann. Diese Spannung zwischen Differenz und Universalisierung wurde zu einem der zentralen Aspekte der feministischen Debatten.
»Die strukturelle Aporie besteht in der Unverzichtbarkeit und gleichzeitigen Unmöglichkeit einer fundierten Bezugnahme auf ein epistemisches und politisches Referenzsubjekt. Feministische Theorie, wenn sie die Geltungsgründe ihrer Kritik als feministisch ausweisen will, kann auf diese Referenz nicht ganz verzichten.« (Knapp 2003: 243; Herv.i.O.)
Wie aber umgehen mit der Aporie, kein homogenes Kollektivsubjekt der ›Frauen‹ annehmen zu können, zugleich aber davon ausgehen zu müssen, dass es etwas Gemeinsames gibt, um Ungleichheit und Diskriminierung von Frauen als Frauen verhandelbar zu machen?
Die poststrukturalistische feministische Diskussion im Anschluss an Judith Butler hat die unmögliche Repräsentation aller Frauen zur symptomatischen Prämisse für die Unabschließbarkeit jeglicher Kategorisierung erhoben. Der kritische Impetus von Butlers Dekonstruktion lag darin zu zeigen, dass identitätspolitische Ansätze fehlschlagen müssen, weil sie weiterhin dem Phantasma anhängen, dass sich mit einer adäquaten Repräsentation auch die Machtverhältnisse verschieben würden. Butler hingegen zeigt, dass damit das ursprüngliche Moment der Kategorisierung und Hierarchisierung unangetastet bleibt. Die Rezeption beschränkt sich vor allem auf das Paradigma des Konstruktionscharakters von Geschlecht aus dem dann abgeleitet wurde, dass geschlechtliche Zuordnung eben auch anders verlaufen könne. Die Unabschließbarkeit wurde zur emanzipatorischen Prämisse erhoben (s. Artikel von Andrea Trumann).
Einen ähnlichen Wandel hat auch die Intersektionalitätsdebatte vollzogen. Ausgangspunkt bildet auch hier die Feststellung, dass ›Frau‹ – entgegen des selbst gesetzten universellen Anspruches – immer bereits für eine bestimmte Frau steht: weiß, heterosexuell, ohne Migrationshintergrund, cis, bürgerlich. Die Unausgesprochenheit dieser Norm wurde kritisiert und versucht, der Diversität weiblicher Diskriminierung und Erfahrung Rechnung zu tragen, indem die Kategorie ›Frau‹ erweitert wurde. Die Crux liegt darin, dass die Achsen aber nicht lediglich additiv aufeinander wirken, sondern miteinander verschränkt sind. Eine Schwarze, lesbische Frau wird nicht nur als PoC, als Frau oder als Lesbe diskriminiert, sondern spezifisch als Schwarze Frau, oder als Lesbe of Color. Diese Erkenntnis war v. a. im Zuge von Antidiskriminierungsmaßnahmen notwendig, um die spezifische Positionierung von Frauen miteinzubeziehen, die nicht nur entlang der Achse Geschlecht diskriminiert werden. Auch als politische Organisationsform ist es wichtig, die individuelle Erfahrung und Identität als epistemischen Standpunkt ernst zu nehmen, denn aus der Erfahrung, mit der eigenen Unterdrückung nicht allein zu sein, kann eine Form der kollektiven Selbstermächtigung entwickelt werden, die politische Handlungsfähigkeit ermöglicht. Der problematische Wandel vollzog sich, als das Intersektionalitätsparadigma nicht mehr als Mittel zur konkreten Beschreibung von Diskriminierung und Positionierung herangezogen, sondern in eine gesellschaftstheoretische Makrotheorie übersetzt wurde. Problematisch deshalb, weil der kritische Anspruch, Überschneidung von Diskriminierungsachsen theoretisch aufzuarbeiten, einem vorauseilenden Gestus in der feministischen Theorie gewichen ist. Wenn auch hier die Unabschließbarkeit, als potentiell unendliche Aufzählung, als neue Prämisse gesetzt wird, verschiebt sich der Fokus von der Erklärung und Sichtbarmachung der spezifischen Unterdrückung von mehrfachdiskriminierten Frauen hin zu einer abstrakten Feststellung des Zusammenwirkens vieler diskriminierender Strukturen – ohne diese konkret benennen zu können.
Beiden theoretischen Zugängen ist damit gemein, dass sie einen Ebenenwechsel vollziehen, an dem ihre radikalen Prämissen der Unabschließbarkeit der Referenz ›Frau‹ an Potential verlieren. Was auf der Mikroebene zentriert um die Kategorie Identität noch ganz gut funktioniert, wird als Strukturkategorie problematisch. Wird im poststrukturalistischen Theorem die ›Frau‹ auf diskursive Machteffekte reduziert, löst sich zumindest theoretisch die Schwierigkeit der Exklusivität – kann das Zur-Frau-Werden doch unendlich divers verlaufen. Das Emanzipationsversprechen wird in der Pluralisierung geschlechtlicher Identifikationsmöglichkeiten verortet.
Wird die Pluralität individueller Erfahrungen zur ontologischen Prämisse der Pluralität von Herrschaftsstrukturen erhoben, entledigt sich Gesellschaftstheorie nicht nur ihrer Aussagekraft, sondern auch ihrer Kritikmöglichkeit:
»Der Denkfehler besteht darin, vor lauter Differenz-Bäumen den Wald der Strukturen nicht richtig zu sehen. Verhängnisvoll ist das, insofern als die Resignation vor der Erkennbarkeit der Zustände aufgrund der unendlichen Fülle von Differenzen der Aufrechterhaltung der herrschenden Verhältnisse Vorschub leisten kann.« (Klinger 2012: 5f.)
Wird die Logik der identitätspolitischen Ansätze beibehalten und auf die Makroebene übertragen, würde das heißen, dass die Kategorien und Herrschaftsverhältnisse unendlich erweiterbar wären. Damit wird gerade nicht mehr greifbar, welche Strukturen für unsere aktuelle Gesellschaftsformation bestimmend sind. Wenn Gesellschaftstheorie sich nicht mit der Floskel von ›Jede_r hat eine Identität und ist entlang jeder Achsen unterschiedlich positioniert‹ begnügt, sondern die Strukturen gesellschaftlicher Hierarchisierung und Unterdrückung erklären möchte, muss ein Ebenenwechsel vollzogen werden. Zwar kann gerade die individuelle Erfahrung von Machtlosigkeit, von Unterdrückung und Diskriminierung Motivation für Widerstand sein und den Ausgangspunkt einer umfassenderen Theoriearbeit bilden. Aber um kollektive Herrschaftsstrukturen aufzuzeigen, muss das Terrain der Identität verlassen werden – singuläre, individuelle Erfahrung oder ein Gefühl verweisen nicht notwendig auf ein gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis und können deshalb auch nicht das alleinige Kriterium einer Herrschaftskritik sein. Vielmehr müsste hierzu die Problemstellung von einer immer adäquateren Beschreibung von Diskriminierung oder geschlechtlichen Identifikationsmöglichkeiten verschoben werden hin zu der Analyse von Herrschaftsverhältnissen, die dazu führen, dass Menschen unterschiedlich vergesellschaftet werden.
Der unterschiedliche Zugang lässt sich an dem am wenigsten ausformulierten Teil der intersektionalen Triade von race, class, gender – der Klasse – verdeutlichen. Sie ist in der heutigen neoliberalen kapitalistischen Konfiguration nur selten ein Merkmal, das einen Teil der Identität ausmacht. Für die meisten Menschen spielt ›Klasse‹ keine Rolle in der Selbstbeschreibung, sie würden sich zwar als arm oder Teil der Mittelschicht beschreiben, die wenigsten (wenn nicht politisch organisiert) sehen sich aber als proletarisch oder Teil der Arbeiterklasse an.
»[C]lass is not part of the common sense understanding of the world and remains conspicuously absent from the vocabulary of politicians and most mass media pundits. This is why, despite the U.S. history of labor struggles, today people are more likely to understand their social and economic grievances in gender, racial and ethnic terms, rather than in class terms, despite the fact that class is an ineradicable dimension of everybody's lives.« (Gimenez 2001)
Aus der faktischen Abwesenheit eines Klassenbewusstseins kann aber gerade nicht geschlossen werden, dass der Klassenantagonismus für die gesellschaftliche Konfiguration keine Rolle mehr spielt. Hier zeigt sich, dass Identität bzw. Konzepte des Alltagsverstandes oft keine adäquaten Kategorien sind. Zwar kommt die Klasse mittlerweile als ›Klassismus‹ wieder in die feministische Debatte zurück, dies aber wiederum nur in identitätspolitischer Form. Klassismus beschreibt die Abwertung von Menschen aufgrund eines Habitus der Unterschicht, den falschen Klamotten, sprachlichen Merkmalen etc. und ist bestimmt Teil der Erfahrungswelt vieler Menschen. Nur ist die Ausgrenzung, die Menschen erfahren, weil sie arm sind, angesichts des ›eigentlichen‹ Problems sekundär. So sollte es ja nicht darum gehen, die Unterschicht mit ihren habituellen Besonderheiten anzuerkennen und nicht mehr zu diskriminieren, sondern Armut abzuschaffen. Und damit ist man nicht bei Identitätskategorien des Klassismus, sondern bei Klasse, einem Begriff mit dem ein gesellschaftliches Verhältnis sichtbar wird, das unabhängig vom Willen und der Identifikation der Individuen existiert.
Und damit kommen wir auch wieder auf die beiden weiteren Kategorien der Triade zurück. Wenn man gender und race in Begriffen der Identität fasst, lässt sich damit Diskriminierung beschreiben. Dies war und ist wichtig im Kontext von (meist staatlicher) Anti-Diskriminierungspolitik, die darauf abzielt, einen formellen Gleichheitsgrundsatz einzuhalten und zu verhindern, dass Menschen z.B. am Arbeitsplatz »aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität« (AGG, §1) diskriminiert und ungleich behandelt werden. Diesen formellen Gleichheitsgrundsatz gilt es zweifelsohne als Fortschritt zu verteidigen. Weil daraus aber noch keine materielle Gleichheit und gerechte Ressourcenverteilung folgt, kann dabei nicht stehen geblieben werden. Um ein System analytisch in den Blick zu bekommen, dessen Voraussetzung die strukturelle Verunmöglichung sozialer Gleichheit ist, muss über die Benennung des Effektes – Diskriminierung – hinausgegangen werden, um die Bedingung fassen zu können, die in letzter Konsequenz zu Diskriminierung führen.
Um dies leisten zu können, werden Begriffe benötigt, mit denen sich gruppenbezogene, strukturelle Ungleichheiten erfassen lassen. Die Referenz auf Frauen ist notwendig, um Geschlechterverhältnisse in einer Gesellschaft fassen zu können, die fernab des Gleichheitsversprechens und des ›gender mainstreamings‹ ungeachtet weiter existieren. ›Frau‹ ist damit für die feministische Gesellschaftstheorie weder ewig-weiblicher Wesenskern oder essentialistischer Geschlechtscharakter, noch wird damit nahegelegt, dass es nur zwei Geschlechter geben sollte – sie hat keinen ethisch-normativen Anspruch. Die Kategorie fungiert als Marker, als Benennung eines Herrschaftsverhältnisses in der aktuellen gesellschaftlichen Formation, der die Grenzen des liberalen Gleichheitsversprechens aufzeigt.
Prägnant kann dieses Vorgehen an der Verwobenheit von Geschlechterverhältnissen in der kapitalistischen Produktionsweise aufgezeigt werden. Trotz formal-rechtlicher Gleichheit aller Bürger_innen und Marktteilnehmer_innen in westlichen Demokratien, ist die spätkapitalistische Konfiguration von Geschlechterungleichheit durchzogen. Empirisch zeigt sich diese Schieflage an der bestehenden geschlechtlichen Differenzierung des Arbeitsmarktes: wenig Frauen in Führungspositionen, viele im Niedriglohnsektor und in Teilzeitbeschäftigung, der altbekannte ›gender pay gap‹. Hinzu kommt, dass Frauen innerhalb der Familie trotz Berufstätigkeit den Großteil der Haus- und Sorgearbeit erledigen.
In den letzten Jahrzehnten hat zwar eine Veränderung der Arbeitswelt und der Familienbeziehungen stattgefunden – auch zugunsten von mehr Rechten und Freiheiten für Frauen. Förder- und Gleichstellungsmaßnahmen gehören mittlerweile zum bundesdeutschen politischen Programm des ›Staatsfeminismus‹, trotzdem scheint die Befreiung der Geschlechter darin nicht ganz aufzugehen. Materiellen Schieflagen der Geschlechterverhältnisse erweisen sich immer noch als erstaunlich stabil. Dies könnte darauf verweisen, dass dem geschlechtlichen Bias nicht mit staatlicher Umverteilungspolitik beizukommen ist, weil er tiefer in die polit-ökonomische Struktur der Gesellschaft eingeschrieben ist. Der Wohlfahrtsstaat zeigt hier entgegen seiner vordergründigen Geschlechtsneutralität eine Mitverantwortlichkeit für die Aufrechterhaltung dieser Strukturen. Hinter der staatlich abgesicherten Ehe, scheinbarer Ort der romantischen Liebe, verbirgt sich eben auch eine rechtlich verbürgte Gemeinschaft, die auf geschlechtlichen Asymmetrien baut. Zum einen wurden dem Mann mehr Rechte zuerkannte – man denke an die Straffreiheit ehelicher Vergewaltigungen bis 1997 in der BRD oder die Regelung, dass Frauen bis 1958 die Erlaubnis ihres Ehegatten benötigten, um einer Lohnarbeit nachzugehen. Zum anderen ist die Gleichheit der Vertragsteilnehmer_innen trügerisch – wird in einer Ehe aufgrund der schlechteren materiellen Stellung von Frauen eben oft auch finanzielle Absicherung gegen persönliche Abhängigkeit, ökonomische Sicherheit gegen Unterordnung getauscht (vgl. Wilde 1997).
Die fordistische Hausfrau, abhängig von der Gunst des lohnarbeitenden Ehemanns ist das Symbol für die Einschreibung von Geschlechterverhältnissen in einer kapitalistischen Produktionsweise, für die der Staat sowohl den rechtlichen Überbau bereitstellt, als auch den Zugang zu Ressourcen regelt. Aber auch wenn dieses Modell als Ideal überkommen ist, setzt sich die familiäre materielle Schlechterstellung von Frauen fort. Die grundlegende Struktur – die Teilung von privat-öffentlich, von Reproduktionsarbeit und produktiver Arbeit als unausgesprochene Voraussetzung kapitalistischer Verwertung – bleibt intakt. Die Entwertung von Frauenarbeit, nicht nur als unbezahlte Haus- und Sorgearbeit, sondern von weiblich konnotierten Tätigkeiten, selbst wenn als Lohnarbeit geleistet, erweist sich als beständig.
Dieser Abriss soll beispielhaft den Fortbestand von Geschlechterverhältnissen im Kapitalismus verdeutlichen und aufzeigen, dass es nicht lediglich kulturelle Rollenerwartungen und -muster sind, die für die Aufrechterhaltung geschlechtlicher Asymmetrie sorgen, sondern dass der Geschlechterantagonismus materiell in der (staats-)kapitalistischen Konfiguration verankert ist und damit eine Frauenbefreiung innerhalb der kapitalistischen Konfiguration unwahrscheinlich erscheint.
Identitätspolitische Ansätze können gerade nicht die Wurzeln der materiellen Schlechterstellung von Frauen greifen, weil ihre Analyse erst bei den individuellen Effekten, die aus dem Geschlechterantagonismus folgen, ansetzt. Oder sie verlieren sich in den unabgeschlossenen Aufzählungen, im obligatorischen etc. der Anti-Diskriminierungspolitik und verlagern das Kritikmoment auf die Eindämmung des bereits angerichteten Schadens. Eine Frauenbewegung und feministische Theorie, die sich dem Ziel verpflichtet sieht, die materiellen Ursachen des Geschlechterantagonismus zu bekämpfen, muss in der Lage sein, diese benennen zu können. Was mit einer identitätspolitischen Perspektive zu haben sein wird, ist eine Pluralisierung und Diversifizierung, aber die Frau im Dax-Vorstand ist nicht im Stande, das Gleichheitsversprechen für die Arbeiterfrau mit einzulösen, geschweige denn, die Geschlechterverhältnisse in ihrer antagonistischen Grundstruktur abzuschaffen. Um das feministische Anliegen – den Kampf gegen die alltägliche Diskriminierung, Abwertung und Gewalt gegen Frauen – in eine gesellschaftskritische Analyse zu übersetzen, braucht es die Benennung von Strukturen und deren Funktionslogik. Feministische Theorie kann nicht ohne Kategorien auskommen – diese mögen nicht allumfassend inklusiv sein, können aber so angelegt sein, dass sie offen für Kritik bleiben – als ein feministisches Projekt im Werden.
Carina Klugbauer
*.lit
Combahee River Collective (1977): Combahee River Collective Statement, online unter: http://circuitous.org/scraps/combahee.html.
Ferguson, Ann (1984): »Sex War: The Debate between Radical and Libertarian Feminists«, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society, Bd. 10, Nr. 1: 106-112.
Gimenez, Martha (2001): Marxism and Class, Gender and Race. Rethinking the Trilogy, in: Race, Gender & Class 8 (2): 23-33, online unter: http://www.colorado.edu/Sociology/gimenez/work/cgr.html.
Grahn, Judy (1971): Edward the Dyke and other poems. Oakland.
Klinger, Cornelia (2012): Für einen Kurswechsel in der Intersektionalitätsdebatte, in: Portal Intersektionalität, online unter: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/schluesseltexte/klinger/.
Knapp, Gudrun-Axeli (2003): »Aporie als Grundlage. Zum Produktionscharakter der feministischen Diskurskonstellation«, in Gesellschaftstheorie und feministische Kritik, hrsg. v. Knapp, Gudrun-Axeli. Münster: 240-265.
Soiland, Tove (2008): Die Verhältnisse gingen und die Kategorien kamen. Intersectionality oder Vom Unbehagen an der amerikanischen Theorie, in Querelles-net. Zeitschrift für Frauen- und Geschlechterforschung 26.
Wilde, Gabriele (1997): Staatsbügerstatus und die Privatheit der Frauen. Zum partizipatorischen Demokratiemodell von Carol Pateman, in Staat und Privatheit. Aktuelle Studien zu einem schwierigen Verhältnis, hrsg. v. Kerchner, Brigitte/ Wilde, Gabriele. Opladen: 69-106.