Die letzte Schlacht gewinnt immer das Wir
Ich. Du. Er. Sie. Es. Ihr. Wir. Das Wir am Ende aller Formen = das Wir subsumiert alle Formen. Das Wir als Summe. Die Essenz. Der heilige Gral. Ommmmmmm. Was übrig bleibt. Satzanfang. Satzende. Satzeingang. Satzausgang. Wir ist out. Wir ist in. Es regiert die Ich-Form. Jetzt wird wieder mehr Wir gefordert. Weil: das ständige Ich Ich Ich geht so egoarschmässig voll auf die Nerven. Alles ist so verwirrend. Das Wir – das ist die Gruppe. Gruppen sind scheiße. Gruppen sind notwendig. Gruppendruck. Gruppenzwang. Gruppendynamik. Gruppentherapie. Gruppenneurose. Zum Wir – zur Gruppe – gehört das Gruppentier. Ich war das nie – so ein Vieh! In der Familie, in der Schule, an der Universität, in der Ausbildung, im Beruf – überall dort, wo Gesellschaft sich konstituiert und Menschen sich zu Gruppen zusammenfügen, werden Menschen an den Rand der Gruppe gedrängt und von der Gruppe ausgeschlosssen. Ich hab das früh gespürt. Als ich sieben Jahre alt war, war mein Vater auf einmal der Arsch in der Familie. Er reagierte hilflos, entsetzt, verzweifelt, verstörend, aggressiv. Ich wurde auch ausgeschlossen. Niemand sagte mir, dass meine Eltern geschieden wurden. 1977. Deutscher Herbst. In Stuttgart-Stammheim
sterben Menschen. Über den Schullautsprecher wird meine Schulklasse während des Unterrichts über das Ereignis informiert. Die Klasse springt auf wie nach einem Tor im Stadion für die Heimmannschaft. Meine Klassenlehrerin lächelt glückselig. Ein Hauch von kollektivem Wahnsinn liegt über dem Land. Ein neues Wir-Gefühl regiert die Republik. Irgendwie gehöre ich scheinbar nicht dazu. Ich juble nicht. Ich spring nicht auf. Ich frage nur meinen Sitznachbarn, wieso er jubelt, wenn Menschen sterben. So ist das mit dem Wir-Gefühl. Wer nicht dazu gehört, verliert sein Leben, wenn er Pech hat. Ich benutze das Wort Wir gerne, um über Gefühle und Erfahrungen zu reden, wenn ich glaube, sie mit einem anderen Menschen zu teilen. Eine gute
Freundin sagt dann immer zu mir: Stopp! Nimm mich nicht mit in’s Boot! Ich bin nicht Du! Wir sind nicht Wir! Ich bin dann immer leicht enttäuscht. Ich glaube, ich wäre so gerne Wir mit ihr gewesen.
Die Metapher sagt aber schon sehr viel aus. Das Boot als Symbol für eine Zwangsgemeinschaft. Es lässt sich nicht vermeiden. Wir sind Zeitgenossen. Jetzt. Hier. Jeder Muskel. Jede Sekunde. Es lebe der Zentralfriedhof! Vorsicht: Falle, wenn Gruppen unter Stress geraten. Dann ist es geraten, sich möglichst dünn zu machen und so tun, als würde man gar nicht existieren, sonst besteht die Gefahr, zum Blitzableiter für die Gruppenspannung zu werden. Was für ein Schlachtfest, wenn wieder die kollektive Sau durchs Dorf gejagt wird und das Blut in alle Richtungen spritzt! Wenn die Messer stumpf sind, bedarf es einer besonders großen Kraftanstrengung, um die Kehlen aufzuschlitzen. Ich hab kein Messer in der Kehle. Ich hab auch kein Messer im Genick oder in der Tasche, das bei jeder Gelegenheit gleich aufspringt. Um größere Gruppenansammlungen mach ich tunlichst einen weiten Bogen. Denn dann besteht die Gefahr der Massenpanik. Auch auf Demonstrationen gehe ich seit Jahren nicht mehr. Was will ich da? Was soll ich da? Ich gehöre nicht mal mehr zur Gesellschaft der Aussenseiter. Auch so ein Wir. Auf Schwarzseher und Hellseher kann ich gleichfalls verzichten. Nein Danke! Die Gruppe – die Gesellschaft – das Wir – existiert auch als gemeinsame Lüge. Im IvI (R.I.P. – heiliges Institut für vergleichende Irrelevanz – selig sei Deine Asche) ist mir aufgefallen, dass die Nutzer den Laden immer so bezeichnet haben, als handelte es sich nicht um einen Ort, sondern um eine Person. Ich hab mich immer gefragt: Wer oder was soll das sein? Das IvI? Ist das so eine Art Gummipuppe für alle zum Zeitvertreib? Igitt! Igitt! Iiiiihhhhh! Wie eklig ist das denn? Um den Artikel abzukürzen und um von diversen Schleimspeisen abzulenken komme ich wieder retour auf den Satzanfang: den letzten Satz gewinnt immer das Wir! Es grüßt:
z-kaos-man.