In der aufgeregten Debatte um den Erfolg von PEGIDA und AfD sowie dem virulent werdenden Rassismus in Deutschland wird als Lösungsstrategie immer wieder gefordert, die »verständliche ›Angst vor jeder Veränderung‹« (Fahimi, SPD), zit. n. Tagesspiegel vom 21.12.2014) mitzudenken und die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Politisch verhandelt werden Rassismus und Nationalismus dabei als fehlgeleitetes Resultat prinzipiell berechtigter Ängste unterdrückter Subjekte, die von bösen rechten Demagog_innen missbraucht werden – nicht aber als genuiner ideologischer Ausdruck eines Großteils dieser Subjekte. Diese Ängste, so die vorherrschende Sichtweise, müssten gerade deshalb anerkannt werden, weil es keine andere Möglichkeit gebe, ebendiesen Demagog_innen den Wind aus den Segeln zu nehmen, ohne ihr Fußvolk vor den Kopf zu stoßen. Es ist daher auch kein Zufall, dass solche Positionen sich besonderer Beliebtheit in bestimmten linkspolitischen Kreisen erfreuen, die in diesem Fußvolk keinen politischen Feind, sondern potentielle Wähler_innen und Mitläufer_innen erblicken. So war es für führende Mitglieder der Linkspartei wie Bodo Ramelow und vor allem Sarah Wagenknecht noch nie ein besonders kontroverser Drahtseilakt, ›die Ängste‹ der Anhänger_innen von PEGIDA, AfD und vergleichbaren reaktionären Kräften ›ernstzunehmen‹, ohne die rassistischen Organisator_innen selbst zu unterstützen. Der hier vertretene partei- und bewegungslinke Tenor lautet entsprechend:

»Wir müssen endlich die Ängste der Menschen ernst nehmen und uns mit ihnen auseinandersetzen, statt sie zu bekämpfen.« (Ramelow 2016, zit. n. Zeit Online vom 09.04.2016)

Eine ›wissenschaftliche‹ Fundierung dieser Haltung findet sich prominent bei Theoretiker_innen wie Ernesto Laclau und Chantal Mouffe und ihrem Projekt eines ›linken Populismus‹, der als Strategie des Widerstandes der De-Privilegierten gesetzt wird und die Ängste der Bevölkerung für linke Projekte fruchtbar machen soll. Mit diesem Projekt einer vermeintlich ›positiven‹ oder ›progressiven‹ Besetzung des Volksbegriffs wird jedoch nicht die Konstruktion eines ›Wir‹, das die Bekämpfung eines wie auch immer konstruierten ›Feindes‹ nötig macht, problematisiert, noch werden die diffusen Ängste der Alltagsempörten hinsichtlich ihrer (Ir-)Rationalität hinterfragt. Stattdessen wird die Gesamtheit der kommunizierten Ängste als ›gesunder Menschenverstand‹ anerkannt, sodass es nur noch darum gehen müsse, diesen in neue, diesmal vermeintlich progressive Bahnen zu lenken. Der Satz ›Die Linke darf den Rechten nicht das Feld überlassen‹, bringt diese Haltung auf den Punkt, wobei die zugrundeliegende Strategie ebenso banal wie gefährlich ist:

»Right-wing populist are very much aware of the importance of using this affective dimension. It is crucial for the Left to acknowledge it and to intervene, to mobilize and to foster affect in order to create collective forms of identification that could deepen democracy.« (Mouffe 2014a)

Wir wollen im Folgenden unter Rückgriff auf sozialpsychologische Perspektiven aufzeigen, dass der Fokus auf die Masse und ein undifferenziertes Aufgreifen von Angstgefühlen in der Bevölkerung einen Widerspruch zu dem emanzipatorischen Selbstbild der Linken darstellt, da sich diese aktuell nur unter Rückgriff auf reaktionäre Muster aktivieren lässt. Das ist nicht nur wenig progressiv, es öffnet auch Tür und Tor für rechte Deutungsmuster, die sich auf einen ›gemeinsamen Kern‹ mit linken Kritiker_innen stützen, ohne von diesen grundlegend infrage gestellt werden zu können. Der qualitative Unterschied zwischen der reaktionären Bestärkung und Mobilisierung und der emanzipatorischen Bekämpfung und Überwindung paranoider Ideologien wird dadurch zum Verschwinden gebracht. Unserer Einschätzung nach ist eine sinnvolle Alternative zu derartigen Deutungsmustern und Strategieansätzen vielmehr eine radikale Kritik und praktische Bekämpfung paranoider Abgrenzungs- und Abwertungsbedürfnisse einschließlich ihrer gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen und politischer Manifestationen. Nachfolgend plädieren wir dafür, die frühe Kritische Theorie von Adorno und Horkheimer hierfür in Anschlag zu bringen. Da dieser Kritikansatz versucht, eben genannte Angstnarrative in ihrer fatalen Scharnierfunktion zwischen gesellschaftlichen Krisenprozessen und subjektiven Verarbeitungsformen zu entschlüsseln, kann auf dieser Grundlage auch kritisch bestimmt werden, was den regressiven und gewaltsamen Charakter spezifischer ›Ängste‹ und ›Unsicherheiten‹ ausmacht und wie diese im Verhältnis zum Problem gesamtgesellschaftlicher Reproduktion und Krisenhaftigkeit zu verorten sind. Darauf aufbauend soll schließlich auf das Problem des Linkspopulismus zurückgekommen werden. Dabei soll nicht ausgesagt werden, dass der Linkspopulismus diese regressiven Ängste in gleicher Weise wie rechte Ideologien aktiviert und mobilisiert. Vielmehr wird kritisiert, dass dieser, wenn überhaupt, eine Überdeckung oder Verschiebung, in keinem Fall aber eine kritische Reflexion der solchen ›Ängsten‹ zugrundeliegenden ideologischen Mechanismen leistet.

 

Kapitalistische Vergesellschaftung und narzisstische Kränkung

Menschenfeindliche Ideologien lassen sich nicht unmittelbar objektiv ableiten, sondern müssen als subjektive und kollektive Verarbeitungsformen krisenhafter Gesellschaftsprozesse begriffen und kritisiert werden, da sie nicht unabhängig von den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen zu entschlüsseln sind. Konkret gesprochen: Die Verhältnisse, in denen die Menschen leben, bestimmen die Leidenserfahrungen denen diese ausgesetzt sind. Subjektive Ängste sind damit Ausdruck der konkreten Lebensbedingungen der Individuen und der gesellschaftlichen Verhältnisse. Auch Adorno und Horkheimer war bewusst, dass die Kritik regressiver Ideologien zahnlos bleibt, wenn ihr nicht eine Anatomie des modernen Individuums einschließlich seiner objektiven Zurichtung und Beschädigung durch das gesellschaftliche Ganze zugrunde gelegt wird. Dem modernen Subjekt lägen eine Reihe an Denkformen und Handlungsimperativen zugrunde, die es objektiv an seine gesellschaftliche Rolle im kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsprozess binden. Doch diese Verbindung ist kein bewusster Prozess, die Ängste der Individuen sind gerade nicht das unmittelbare Resultat einer rationalen Reflexion dieser gesellschaftlichen Verhältnisse, die, wie etwa der Linkspopulismus glaubhaft machen will, den Ausgangspunkt einer emanzipatorischen Bewegung bilden könnten. Vielmehr verlängert sich die Verdinglichungsstruktur des gesellschaftlichen Zusammenhangs in das Subjekt hinein: Für das bürgerliche Alltagsbewusstsein bleiben die sich hinter dem Rücken abspielenden Gesellschaftsprozesse in ihrem abstrakten Charakter und ihrer gesellschaftlichen Genese folglich undurchschaubar und werden bewusstseinsmäßig erst dadurch wieder »greifbar«, dass sie, wie Marx näher analysiert hat, »die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen« (MEW 23: 86) annehmen. Innerhalb eines derart verselbständigten Verhältnisses von Dingen kommen dem Alltagsbewusstsein tendenziell nur diejenigen sozialen Formen in Betracht, die im Geschäfts- und Arbeitsalltag unmittelbar ersichtlich, weil handlungsrelevant sind. Kapitalistische Produktions- und Reproduktionsverhältnisse erscheinen dann nicht als Herrschaftsverhältnisse, sondern in erster Linie als äquivalente Tauschverhältnisse, als bloßer Umschlagplatz von Waren, Geldeinheiten und Rechtstiteln. Als objektive Zwangsprinzipien können diese Denkformen, Handlungsimperative und Selbstbilder den bürgerlichen Individuen nicht äußerlich bleiben, sondern müssen internalisiert werden.

Um diesen Prozess zu beschreiben, greifen Adorno und Horkheimer insbesondere auf den psychoanalytischen Begriff des Narzissmus zurück. Entscheidend ist hierbei, dass das narzisstische Ichideal der bürgerlichen Moderne – das zweckrationale, selbsterhaltende und anpassungsfähige Subjekt (vgl. Adorno 1963b: 150) – faktisch in den gegebenen Verhältnissen nicht realisierbar ist, geschweige denn befriedigende Effekte erzielt. Dieser daraus entstehende Konflikt mit sich selbst spiegelt dabei auch die Grundstruktur der kapitalistischen Gesellschaft wieder. Marx beschreibt diese Struktur in seinen Frühschriften als eine Spaltung der Gesellschaft in zwei Sphären menschlicher Praxis: Einerseits die Spaltung innerhalb des Menschen in eine egoistisch handelnde Privatperson und in ein gemeinschaftlich handelndes Gattungswesen, und andererseits die Spaltung des Menschen von den Produktionsmitteln, bzw. die Entfremdung in Arbeitsprozessen als zentrales Motiv moderner Wirtschafts- und Gesellschaftsorganisation (Marx 1972 [1844]: 514ff.), die sich aus der kapitalistischen Arbeitsteilung ergibt. Menschen begegnen sich folglich auf dem Arbeitsmarkt als freie und gleiche Vertragspartner_innen, als gleiche und universelle abstrakte Rechtssubjekte – und als ungleiche konkrete Individuen. Die modernen Individuen werden so in einen permanenten Konflikt mit sich selbst gedrängt – der sich in der Form von Kränkungen ausdrückt bzw. manifestiert.

Unterscheiden kann man dabei zwischen einer (I) ›Kränkung des Narzissmus‹, die darauf beruht, dass das narzisstische Individuum etwas anstrebt, das aufgrund der Erfahrung von permanentem Scheitern, Misserfolg, Ohnmacht und Abhängigkeit nicht nachhaltig realisierbar ist (Adorno 1971a: 48), und (II) einer ›Kränkung durch den Narzissmus‹ selbst, insofern dieser praktisch darauf hinausläuft, sich ins Stahlbad von harter Arbeit und Konkurrenzkampf zu schmeißen und dabei in gesteigerter Triebunterdrückung sowie Selbstverleugnung üben zu müssen (DA: 40). In beiden Fällen sind die Menschen mit konkreten Unlust- und Leiderfahrungen konfrontiert, die sich unbewusst in Form von Aggressionen aufstauen. Insofern dieses Aggressionspotential unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen nicht einfach beseitigt werden kann, kommt es darauf an, wie mit ihm umgegangen wird. Adorno und Horkheimer machen immer wieder deutlich, dass sie ihre Hoffnung auf widerständige Subjektbildungsprozesselegen, in denen die spontane Wut über das klägliche Alltagsleben in progressive Kritik und praktische Verweigerung umgewandelt wird. Rechte politische Ideologien, wie aktuell von AfD oder auch PEGIDA vertreten, erreichen ihre Mobilisierungserfolge nun aber dadurch, dass dieses diffuse Aggressionspotential praktisch auf die Stabilisierung von Herrschaft sowie die Abwertung und Gewaltanwendung gegen andere Menschen gelenkt wird. Der kollektive »Ausfall der Reflexion darin« (DA: 199) macht dabei ihren regressiven Charakter aus.

Um besser zu verstehen, welche sozialpsychologischen Mechanismen durch dieses Aggressionspotential wirken, mit welchen ideologischen Weltbildern diese rationalisiert und organisiert werden sowie welche Probleme der praktischen Bekämpfung sich hieraus ergeben, sollen nachfolgend drei Dimensionen regressiver Kollektivität unterschieden werden.

 

Diktatur der Angepassten: Kollektive Herrschaft

Wird die Angst vor potentiellem oder die Unzufriedenheit mit eingetretenem Scheitern – (I) ›Kränkung des Narzissmus‹ – nicht auf dessen gesellschaftliche Ursachen bezogen, so bietet sich den Subjekten als oberflächlicher Ausweg die schiere Leugnung dieses Konflikts in Form einer panischen Überidentifikation mit dem herrschenden Ganzen an. Das moderne Subjekt versteift sich zum ›konformistischen Sozialcharakter‹, der sich in fetischistischer Weise an die sein Alltagsleben strukturierenden Institutionen und Normvorstellungen klammert und dabei einen unbändigen Hass auf alles entwickelt, was als störend oder abweichend wahrgenommen wird.

Es ist kein Zufall, dass die konformistische Subjektivität mit einem gesellschaftlichen Herrschaftstypus einhergeht, den man mit Adorno und Horkheimer als ›kollektive Herrschaft‹ charakterisieren kann. Damit ist gemeint, dass die für die kapitalistische Epoche charakteristischen Herrschaftsverhältnisse von den angepassten Einzelsubjekten nicht nur ertragen, sondern in einer sich eigenständig entwickelnden Dynamik von gesellschaftlicher Kontrolle und Überwachung verinnerlicht und totalisiert werden.

»Was allen durch die Wenigen geschieht, vollzieht sich stets als Überwältigung Einzelner durch Viele: stets trägt die Unterdrückung der Gesellschaft zugleich Züge der Unterdrückung durch ein Kollektiv. Es ist diese Einheit von Kollektivität und Herrschaft und nicht die unmittelbare gesellschaftliche Allgemeinheit, Solidarität, die in den Denkformen sich niederschlägt.« (DA: 28)

In seiner Form als gesellschaftlicher Herrschaftstypus offenbart sich der konformistische Hass nicht bloß als wahnhafter Kontrollverlust einiger Weniger, sondern als irrationales Strukturprinzip gegenwärtiger Sozialbeziehungen. Praktisch ist er daher auch vorrangig auf dieser Ebene zu bekämpfen: durch ein »organisiertes Nein« (Agnoli 2004: 74) gegen den realen Konformitätsdruck und all diejenigen politischen Kräfte, die diesen lieben gelernt haben.

Selbstermächtigung der Autoritären: Kollektiver Narzissmus

Die beiden weiteren Dimensionen regressiver Kollektivität setzen vorrangig bei der (II) ›Kränkung durch den Narzissmus‹ selbst an. Wird das narzisstische Ideal selbst unbehaglich, so kann als Kurzschlussreaktion dazu übergegangen werden, das individuelle Selbst gänzlich aufzugeben und an dessen Stelle eine äußere Autorität treten zu lassen. Die Identifikationslogik dieser ›autoritären Charakterstruktur‹ ist durch das Bedürfnis bestimmt, einen unmittelbaren Ersatz für die individuelle Misere zu finden, ohne die realen Herrschaftsverhältnisse antasten zu müssen. Einen Ausweg verspricht die Identifikation mit einer imaginierten Gemeinschaft, welche Sicherheit, Harmonie und Größe symbolisiert – also genau das, was der frustrierende Alltag nicht zu bieten hat. Sozialpsychologisch kann man sagen, dass der individuelle durch einen ›kollektiven Narzissmus‹ ersetzt wird:

»Die auf den Kastrationskomplex zurückweisende Ich-Schwäche […] sucht Kompensation in einem allgegenwärtigen, aufgeblähten und dabei doch dem eigenen schwachen Ich tief ähnlichen Kollektivgebilde.« (Adorno 1971b: 90; vgl. Adorno 1963a: 135ff.)

Für autoritäre Charaktere ist die Identifikation mit dem imaginierten Kollektiv nicht bloß Mittel zum Zweck der individuellen Selbstbehauptung, sondern umgekehrt: Die individuelle Lebensführung geht ganz in dem Dienst für das Kollektiv auf. Das autoritäre Gebrüll von kollektiver Selbstermächtigung gesellt sich dann zu der konformistischen Pflichtübung, den Gürtel für das sogenannte Gemeinwohl noch ein bisschen enger zu schnallen. Die Widersprüchlichkeiten der Verhältnisse, die sich in der Zerrissenheit des Subjekts ausdrücken, werden mittels dieses Kollektivs, das sich über die Klassenspaltung der Gesellschaft legt, harmonisiert.

Nationalistische und völkische Ideologien nehmen als Mittel der kollektiven Widerspruchsbearbeitung eine bevorzugte Stellung ein. Viele andere gegenwärtige Gemeinschaftsideologien – wie etwa kleinbürgerlich-familiärer Eskapismus oder eine neoliberal geprägte corporate identity – sind zwar zentrale Stützpfeiler der gesellschaftlichen Integration, aber von sich aus nicht in der Lage, ein vergleichbares Ersatzangebot für den widersprüchlichen gesellschaftlichen Zusammenhang bereitzustellen. Nationalismen und völkische Ideologien hingegen treten mit genau diesem Anspruch an: »Wo ein bestimmter Begriff der bürgerlichen Gesellschaft fehlt, leistet der Begriff Nation Ersatz.« (Claussen 1987: 74f.) Dass dieser ›Vorzug‹ den Nationalist_innen unbewusst bleiben muss und damit Volk und Nation eben nicht als gewitzte Problemlösungsstrategien eingesetzt werden, verweist auf die Irrationalität dieses Mechanismus, dem somit auch nicht durch bessere Argumente beizukommen ist.

 

Kriegserklärung der Paranoiden: Pathische Projektion

Der kollektive Narzissmus begnügt sich aber nicht einfach damit, von den autoritären Charakteren Angleichung, Unterwerfung und Opferbereitschaft zu fordern, sondern macht ihnen auch das Angebot, die aufgestauten Aggressionen ohne moralische Skrupel auf andere Menschengruppen zu richten. Da nationale Kollektive, die sich historisch im Zusammenhang mit bürgerlichen Territorial- und Traditionskonzepten herausbildeten, auf der »negativ integrierende[n] Kraft« (Adorno 1971a: 54) der kollektiven Abgrenzung vom Rest der Weltbevölkerung aufbauen, eignen sie sich optimal dafür, bestimmte Menschengruppen als inneren oder äußeren Feind zu imaginieren und zu verfolgen.

Auch hier ist entscheidend, dass die spezifischen Formen dieser Feindbildkonstruktion nicht zufällig sind, sondern wiederum durch das bestimmt werden, was in diesem Prozess verdrängt wird. Die allgemeinste Formel für diesen Mechanismus, den Adorno und Horkheimer ›pathische Projektion‹ nennen, lautet: »Regungen, die vom Subjekt als dessen eigene nicht durchgelassen werden und ihm doch eigen sind, werden dem Objekt zugeschrieben: dem prospektiven Opfer« (DA: 196). Dann ist nicht mehr das leidvolle Selbst, sondern »[d]ie bloße Existenz des anderen […] das Ärgernis« (ebd.: 192). Regressive Kollektivität nimmt dann die Form des kollektiven Verfolgungswahns an, regressive Ideologie übernimmt die Funktion seiner diskursiven Rationalisierung. Welche Formen des kollektiven Narzissmus und der pathischen Projektion sich in der bürgerlichen Moderne jeweils zu welchen ideologischen Formationen verdichten, kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Stattdessen wollen wir uns auf einige knappe Anmerkungen zur sozialpsychologischen Rassismus-, Antisemitismus- und Antiziganismuskritik beschränken, um zu verdeutlichen, wie die Mechanismen regressiver Kollektivität sich zu spezifischen Ausgrenzungs- und Abwertungsformen verdichten, die auch gewaltvoll gegen die Betroffenen gerichtet werden können.

So lässt sich – verkürzt – sagen, dass Antisemit_innen die Personifikation der abstrakten Seite kapitalistischer Zwangs- und Herrschaftsverhältnisse betreiben, indem sie die fetischistische Isolierung der Zirkulationssphäre vom Gesamtkreislauf des Kapitals zum regressiven Hass auf das zinstragende Kapital als vermeintliche Ursache für die Übel der Welt weitertreiben und – um letzteres identifizier- und angreifbar zu machen – auf ›die Juden‹ bzw. ›das Jüdische‹ projizieren. Damit rekurrieren sie mehr oder weniger explizit auf die im Nationalsozialismus popularisierten und radikalisierten Wahnvorstellungen von ›raffendem Kapital‹, ›jüdischer Zinsknechtschaft‹ und ›jüdischer Weltverschwörung‹. Rassist_innen betreiben wiederum die Biologisierung und Ethnisierung globaler Ausbeutungs- und Klassenverhältnisse, indem sie zur konformistischen Verteidigung ihrer gleichsam privilegierten und prekarisierten Lebensweise auf die (völkisch-)nationalistische Dichotomie von ›Volk‹ und ›Volksfremden‹ sowie die kolonialistische Dichotomie von ›Zivilisation‹ und ›Primitivem‹ zurückgreifen und ihren blinden Hass primär gegen postkoloniale Migrant_innen, People of Color, Geflüchtete und Illegalisierte richten. Antiziganist_innen arbeiten an der Personifizierung der Folgen des Nicht-Teilnehmens an den kapitalistischen Zwangs- und Herrschaftsverhältnissen: Durch die Verknüpfung von sozialen und ethnischen Merkmalen wird eine imaginierte, homogene Gruppe der ›Zigeuner‹ geschaffen, deren angeblich fehlende Sesshaftigkeit, Faulheit und zwangsläufige Gesetzlosigkeit den gesellschaftlichen Ausschluss, die Armut und die Bestrafung der als ›Zigeuner‹ wahrgenommenen Personen legitimiert und sie den braven Bürger_innen als mahnendes Beispiel für die Folgen eines Ausbrechens aus dem kollektiven Zwangsverband präsentiert.

 

Kritik des Linkspopulismus

Abschließend wollen wir eine Schlussfolgerung festhalten, die auf das eingangs skizzierte Problem vorherrschender linker Gegenstrategien zurückkommt. Aus der Kritik regressiver Kollektivität kann nicht zuletzt geschlossen werden kann, dass jeder Versuch, progressive gesellschaftliche Alternativangebote zu entwickeln, sich selbst ad absurdum führt, sofern hierzu auf gesellschaftlich vorherrschende Formen kollektiver Identität und Praxis zurückgegriffen wird, da diese gerade auf der Bestätigung fetischistischer Bewusstseins- und konformistischer Subjektivitätsformen beruhen. Problematisch ist dabei nicht, dass versucht wird, eine gesellschaftliche Mehrheit zu erreichen und ebendiese zu adressieren, problematisch ist vielmehr das instrumentelle Verhältnis zu den adressierten Individuen, die nicht als reflektierte, bewusste Subjekte an einer Bewegung teilnehmen, sondern vielmehr über die Adressierung ihrer unreflektierten Ängste mobilisiert werden sollen.

Um auf das eingangs genannte Beispiel zurückzukommen: Wenn Laclau und Mouffe einen neuen linken Populismus fordern, geht es ihnen darum, »einen progressiven Gemeinwillen herzustellen mit dem Ziel, ein ›Volk‹ zu schaffen« (Mouffe 2015), was in konstitutiver Weise von der »diskursive[n] Konstruktion eines soziopolitischen Feindes« (Laclau 2015: 7) abhängt. Damit wird an der für den Rechtspopulismus charakteristischen Dichotomie zwischen Oben und Unten, Beherrschten und Herrschern festgehalten, diese jedoch inhaltlich neu bestimmt. Im Gegensatz zur rassistischen Feindbildkonstruktion des Rechtspopulismus werden nun »die politischen und ökonomischen Kräfte des Neoliberalismus.« (ebd.) als genuin linkspolitischer Feind vorgeschlagen, womit, populistisch ausgedrückt, »transnationales Kapital und die Banken« (Mouffe 2014b: o.A.) gemeint sind. Man mag Laclau und Mouffe zwar Recht geben, dass mit einer solchen Strategie der politische Einfluss rechtspopulistischer, rassistischer und nationalistischer Akteure unter Umständen kurzzeitig eingeschränkt werden kann. Der notwendige Preis ist jedoch, dass die zugrundeliegenden regressiven Deutungsmuster akzeptiert, aufgegriffen und verstärkt werden – anstatt sie aufzubrechen und so einen kritischen Reflexionsprozess über die gesellschaftlichen Verhältnisse einzuleiten.

Damit findet die angestrebte politische Verschiebung lediglich an der Oberfläche statt, da der spezifisch moderne Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Widerspruchsmomenten, narzisstischen Krisenerfahrungen und regressiven Verarbeitungsmechanismen eben nicht bewusstgemacht wird, sondern letztere, gleichsam projektiv, auf einen Ersatzfeind umgelenkt werden. Diese rein oberflächliche Zurückweisung rassistischer Populismen, die nicht ihre gesellschaftliche und sozialpsychologische Verankerung kritisiert, geht aber einher mit der fahrlässigen Verharmlosung von rassistischer und völkischer Ideologie als einem unmittelbaren und daher nachvollziehbaren Resultat von ›Verunsicherung‹ und ›Unzufriedenheit‹.

»Es ist naiv zu glauben, die rassistischen und fremdenfeindlichen Diskurse der Rechten seien durch und durch reaktionär – auch in ihnen gibt es Anrufungen von realen Bedürfnissen und Ansprüchen der Subalternen, die eben mit reaktionären Elementen verknüpft sind.« (Laclau 2015: 11)

Dass aber politisch gesprochen mit jedem »realen Bedürfnis«, das sich von »reaktionären Elementen« widerspruchslos anrufen lässt, grundsätzlich etwas nicht stimmen kann, wird von Laclau und Mouffe übergangen. Tatsächlich nicht erfüllte, vernünftige Bedürfnisse nach einem (halbwegs) guten Leben für alle werden aus dieser Perspektive dabei mit irrationalen Ängsten in einen Topf geworfen und nicht differenziert aufgegriffen. Eine solche begriffliche Urteilskraft sollte aber auch nicht erwartet werden, wenn eine progressive linke Alternative ausgerechnet im klassenübergreifenden Zusammenschweißen gegen »transnationales Kapital und Banken« ausgemacht wird. Als Ausweg aus den rassistischen Feindbestimmungen des rechten Populismus wird dann eben die konformistische Alternative des regressiven Antikapitalismus vorgeschlagen, anstatt die nicht erfüllten, legitimen Bedürfnisse als Ausgangspunkt für eine linke Politik zu nehmen, die versucht, die realen Abwertungs- und Leiderfahren wieder mit ihren gesellschaftlichen Ursachen zusammenzudenken. Doch als selbst ernannte linke Strateg_innen wissen Laclau und Mouffe, dass das Ressentiment gegen Großunternehmen und Finanzkapital klassen-, milieu- und spektrenübergreifend so weit verbreitet ist, dass es sich optimal als »leerer Signifikant« bzw. ideologisches Fundament »popularer« Mobilisierung eignet. Dass mit dieser Frontstellung auch rechte Populist_innen einiges anfangen können, führt nochmals vor Augen, auf welch dünnen Eis sich die linkspopulistische Ablehnung »reaktionärer Elemente« bewegt.

Da die politischen Vertreter_innen des Linkspopulismus ihr Versprechen einer ›menschenfreundlichen‹ konformistischen Revolte im Rahmen der gegebenen Verhältnisse nicht einlösen können, kann davon ausgegangen werden, dass die Verschnaufpause, die marginalisierten Gruppen durch den Erfolg linkspopulistischer Projekte verschafft wird, nur von kurzer Dauer ist. Spätestens wenn die Uneinlösbarkeit der linkspopulistischen Revolte deutlicher wird, muss damit gerechnet werden, dass sich die enttäuschten Subjekte wieder denjenigen rechten Vertreter_innen zuwenden, die den Volksbegriff am überzeugendsten übersetzen können und bereit sind, die ersehnte Homogenität des Volkes gewaltsam nach außen und innen abzugrenzen.

Einen Ausweg aus einem solchen identitätslogischen Nullsummenspiel kann die konsequente Analyse und Kritik des gesellschaftlichen Bedürfnisses nach kollektivistischer Ideologie liefern, wie wir sie mit Bezug auf Adorno und Horkheimer angedeutet haben. So besteht die Pointe gerade nicht darin, der regressiven eine progressive Vorstellung von Kollektivität entgegenzusetzen, sondern an die Notwendigkeit einer historischen Alternative zum Kollektivitätsprinzip selbst zu erinnern. Diese Alternative ist – mit Adorno und Horkheimer gesprochen – »die unmittelbare gesellschaftliche Allgemeinheit, Solidarität« (DA: 28).

H. Petersen und H. Hecker

 

*lit

Adorno, Theodor W. (1963a): Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt am Main: 125-146.

ders. (1963b): Meinung, Wahn, Gesellschaft (1963b), in: Ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt am Main. 147-172.

ders. (1971a): Die Freudsche Theorie und die Struktur der faschistischen Propaganda, in: Ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Frankfurt am Main: 34-66.

ders. (1971b): Bemerkungen über Politik und Neurose, in: Ders.: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft. Frankfurt am Main: 87-93.

Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max (2009/1947): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main.

Agnoli, Johannes (2004/1967): Die Transformation der Demokratie, in: ders.: Die Transformation der Demokratie und verwandte Schriften. Hamburg: 13-94.

Claussen, Detlev (1987): Grenzen der Aufklärung. Zur gesellschaftlichen Geschichte des modernen Antisemitismus. Frankfurt am Main.

Laclau, Ernesto (2014): Warum Populismus?, in: Luxemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, 1/2014: 6-13.

Mouffe, Chantal (2014a): Populism is a necessity. Julia Korbik with Chantal Mouffe, in: The European 02.05.2014 http://www.theeuropean-magazine.com/chantal-mouffe--4/8420-why-the-eu-needs-populism.

dies. (2014b): Linkspopulismus ist die Alternative, in: taz 01.02.2014, http://www.taz.de/!5049599/.

dies. (2015): Für einen linken Populismus, in: ipg-journal 30.03.2015, http://www.ipg-journal.de/rubriken/soziale-demokratie/artikel/fuer-einen-linken-populismus-857/.