Die Arbeit in linken Zusammenhängen, Politgruppen, Lesekreisen, Demobündnissen oder auch Hausprojekten verläuft nicht immer ganz reibungsfrei, ist oft mühsam, von Konflikten erschüttert und wird trotz aller Widrigkeiten als etwas Notwendiges erfahren und aufrechterhalten – hat man sich doch dem Selbstverständnis nach dem gemeinsamen Ziel emanzipatorischer Theorie und Praxis verschrieben. Wenn das gemeinsame Unterfangen nicht nur im täglichen Zeitvertreib besteht, sondern auch politisch verstanden wird, fällt nicht selten das Wort »Kollektiv« – und damit wären wir auch schon beim Thema der aktuellen Diskusausgabe - ob wir als Redaktion ein Kollektiv sind und überhaupt eins sein wollen, wissen wir trotzdem noch nicht.

 

Doch first things first …

Für die aktuelle Ausgabe hatte sich die Redaktion vorgenommen, sich weniger an potentiell unterrepräsentierten linken Randthemen abzuarbeiten. Ausgangspunkt der Überlegungen bildete die These, dass wir uns in einer gesellschaftlichen Epoche befinden, die ideologisch ihre eigene Geschichtslosigkeit produziert. Wir hatten uns folgendes Spannungsfeld vorgestellt: Einerseits herrscht das Narrativ der zu sich selbst gekommenen Geschichte vor, das die Stabilität der kapitalistischen Gesellschaften propagiert. Dem widersprechen vielfältige soziale Bewegungen wie die Gezipark Proteste, der Arabische Frühling etc., die versuchen gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse aufbegehren und ihren Widerstand trotzig der end of history Erzählung entgegensetzen. Es scheint, als ob man diesen Ereignissen und diesen (enttäuschten) Hoffnungen lediglich reaktiv, fast schon abwartend, aber mit wenig analytischem Werkzeug gegenübersteht. So zeichnete sich in einer ersten Runde das Meta-Thema »Historischer Moment« ab. Wir wollten mit diesem Thema eine Art Prisma entwickeln, das durch den Blick auf die Verhältnisse eine Zeitdiagnose erlaubt. 

In langen, hitzigen Diskussionen kamen wir aber zu dem Schluss, dass wir immer wieder von der herangetragenen Abstraktionsebene abschweiften und, somit gar nicht mehr über die Bestimmung des »Historischen Moments« diskutierten. Stattdessen drehte sich unser Erkenntnisinteresse vielmehr um Fragen kollektiver Organisierung sowie emanzipatorischer oder regressiver Kollektivität. Diese Verschiebung der Diskussion bestimmte dann auch den Fokus dieses Heftes, der auf »Kollektivität« liegt. Obwohl es auf den ersten Blick intuitiv verständlich war, was mit Kollektivität gemeint sei, wehrte sich aber auch dieser Begriff gegen eine genaue Einordnung.

Es fiel uns schwer, eine Ausgangsthese aufzustellen, an denen sich die Artikel abarbeiten, weil es keine allgemeingültige Definition gibt, auf die wir uns einigen konnten. Mal wird Kollektivität positiv bestimmt in Abgrenzung zum sinnentleerten Mob, mal Kollektivität negativ als Volkskörper gegenüber dem Klassenbewusstsein definiert. Eine finale Bewertung findet sich daher bei uns im Heft nicht. Das Wort schwebt gewissermaßen als noch zu füllender Signifikant gleichermaßen über den vorgestellten theoretischen Ansätzen wie über linken Bewegungen – ohne als Begriff explizit ausgearbeitet zu sein. So kommt es dann auch, dass Kollektivität als Begriff zwar nicht immer im Zentrum der im folgenden vorgestellten Artikel steht, aber trotzdem den Rahmen feststeckt, in dem sie sich bewegen.

 

Und last things last…

Das emanzipatorische Kollektiv?

Ein erster thematischer Schwerpunkt unseres Heftes liegt auf der Diskussion, inwiefern und wie sich eine emanzipatorische Kollektivitätsvorstellung denken lässt und welche Fallstricke dabei zu beachten sind.

Ob das Kollektiv-Subjekt der Emanzipation weiterhin die Arbeiterklasse sein kann, fragt der Artikel Die Revolution endet im Kopf der Philosoph_innen? mit Bezug auf den Proletariatsbegriff bei Adorno und Marx – und weist dabei Adorno vorgeworfene Praxisfeindlichkeit ebenso zurück, wie den Schluss theoretische Kontemplation sei das einzige, was getan werden könne.

Einen Übergang zum nächsten inhaltlichen Feld stellt der Artikel Kritik regressiver Kollektivität dar. Die linkspopulistische Strategie gegenwärtigen Erfolgen rechtspopulistischer Akteure zu begegnen, indem die Ängste der Bürger_innen unhinterfragt aufgegriffen werden, wird als ein problematischer Versuch der Formulierung eines linken Kollektivsubjektes eingestuft. Statt im gleichen Vorstellungsraum wie reaktionäre Kräfte verhaftet zu bleiben, verweist der Artikel auf eine sozialpsychologisch fundierte Kritik regressiver Kollektivität.

In dem fiktiven Interview I‘m Downright Amazed at What I Can Destroy with Just a Hammer wurde versucht, die Schwierigkeiten linker Kollektivbildung zwischen notwendiger Allianzbildung und bestimmtem Subjekt der Veränderung aufzuzeigen.

Regressive Kollektivität?

Die beiden folgenden Artikel stellen die aktuellen Erfolge rechter Akteure ins Zentrum und fragen nach den Gründen und Ausgestaltung regressiver Formen von Kollektivität.

Der erste Beitrag nimmt in den Blick, wie sich die regressiven Vorstellungen von AFD und Pegida in der Verschmelzung von Sexismus und Antisemitismus Bahn brechen und inwieweit diese Verknüpfung psychoanalytisch zu verstehen ist.

In dem Artikel Europa, Postnazismus, regressive Kollektivität wird erklärt, warum eine Europäisierung gerade nicht mit dem Abbau nationalistischer Ressentiments einherging, sondern die postnazistische Konstellation lediglich auf die europäische Ebene gehoben wurde.

Das weibliche Kollektiv?

Ein dritter inhaltlicher Diskussionsstrang ist die Auseinandersetzung mit dem Kollektivsubjekt »Frau« als Bezugspunkt feministischer Bewegungen.

Kollektivität als Ausgangspunkt von Politisierung verhandelt der Artikel Die Krisis der Frauen. Im Zentrum steht hier die Spannung zwischen Inklusionsforderung und Schließung, die durch die Notwendigkeit eines weiblichen Kollektivsubjektes für konkrete feministische Kämpfe in der feministischen Theorie- und Bewegungsgeschichte immer wieder zu Kontroversen und Verwerfungen führt(e).

Ein ähnliches Spannungsverhältnis feministischer Theorie arbeitet der Artikel Postmoderner Identitätszwang auf, der das Butlersche Postulat der Instabilität von Begehrensstruktur und Geschlechteridentität gegen eine Lesart verteidigt, die daraus die performative Pluralisierung von Identität ableitet.

Die Geschichte des linken Kollektivsubjekts

Ein besonderer Aspekt ist für uns nochmal die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, als Ausgangspunkt für die Reflexion der Möglichkeiten der Formulierung eines linken Kollektivsubjektes – auch wenn hier thematisch an den ersten inhaltlichen Block angeschlossen wird.

Zum einen drucken wir einen Auszug aus Peter Weiss‘ Ästhetik des Widerstandes, der uns freundlicherweise von Suhrkamp zur Verfügung gestellt wurde. Dieses Buch war zum Zeitpunkt seines Erscheinens bereits der Versuch einer Art praktischen Erinnerns, das um die Verwerfungen der Arbeiterbewegung weiß, aber bemüht ist, ihren Impuls der Befreiung zu retten.

Als Versuch einer kollektiven Trauerarbeit dient die Ästhetik des Widerstandes auch für Bini Adamczaks Buch Gestern Morgen als Bezugspunkt. Mit ihr diskutieren wir über das historische Bewusstsein heutiger linker Bewegungen zwischen Geschichtsvergessenheit, Resignation und Zukunftsoptimismus.

Garip Dünya

Im Garip Dünya ist in dieser Ausgabe aus allen Artikel das Thema »Kollektivität« herauszulesen, was vielleicht für die Beliebigkeit des Themas, vielleicht für die Relevanz des Themas, vielleicht auch für die inhaltliche Linie des Heftes spricht. Ob es sich um die Einführung in die Arbeit der neu gegründeten Frankfurter Hochschulgewerkschaft unter_bau, die Rezension zu Axel Honneths Buch Die Idee des Sozialismus, eine Auseinandersetzung mit dem Buch Wie eine Träne im Ozean von Manés Sperber oder die Auseinandersetzung mit Filmen, die das Wohl der Erde im Weltraum suchen, handelt – überall lässt sich eine Auseinandersetzung mit Kollektivität aufspüren.

Wir hoffen Euch gefällt unser Cover genau so gut wie uns.

 

Eure diskus-Redaktion.