Wir dürfen unsere Fehler nicht verteidigen. Wir müssen uns korrigieren können.

(Lenin)

 

Es gehört zu den Umgangsformen der studentischen Linken in Frankfurt; kommt das Gespräch auf Axel Honneth, lächelt man überlegen – ein Idealist, ein Sozialdemokrat bestenfalls. Ein paar Anekdoten und Häme, man zuckt die Schultern und wechselt das Thema. Die Souveränität des Urteils verdankt sich dabei nicht individueller Einsicht, sondern eben Konvention. Es ist symptomatisch für die gegenwärtige Situation der Sozial- und Geisteswissenschaften in Frankfurt. Offenkundig existiert eine Entfremdung der studentischen Linken von den heutigen akademischen Repräsentant_innen kritischer Theorie. Zugleich aber wird kaum ein sachlicher Streit ausgetragen. Während Axel Honneth, Rainer Forst und Co. unter linken Studierenden schlicht als Abtrünnige und Verräter_innen am Projekt der kritischen Theorie gelten, mit denen man sich deshalb gar nicht erst auseinanderzusetzen braucht, lassen sich die Frankfurter Professor_innen von der studentischen Skepsis nicht irritieren und üben sich auch umgekehrt in Ignoranz. So verhärtet der Gegensatz in Form eines dogmatischen Adornismus einerseits und eines selbstsicheren Linksliberalismus andererseits.

Aus dieser Situation heraus ist das neuste Buch von Honneth eine Überraschung. Schon der Titel Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung irritiert das studentische Vorurteil. Nicht zuletzt geht es Honneth in seinem Buch darum, auf den Vorwurf zu antworten, seine Theorie sei gegenüber der bestehenden Gesellschaft unkritisch, letztlich konservativ. Indem Honneth sein sozialphilosophisches Programm mit dem Konzept des Sozialismus verbindet, versucht er klar und deutlich zu machen, dass seine Theorie nichts mit einer Apologie des Status quo zu tun hat, sondern Partei ergreift für eine »institutionell gänzlich anders verfaßte […] Gesellschaftsordnung« (12). Der Traditionszusammenhang des Sozialismus verweist dabei auf ein politisches Projekt. Dass Honneth seine eigene Theorie in diesen Kontext stellt, bekundet so die Absicht, kritische Theorie nicht allein im Sinne eines akademischen Schulzusammenhangs fortsetzen zu wollen, sondern im Sinne einer historisch reflektierten Erneuerung ihrer praktischen Motive.

Kurz: Honneths Buch ist mindestens seinem Anliegen nach äußerst sympathisch und vielversprechend. Es hat das Potenzial eine sachliche Auseinandersetzung zu eröffnen, weil Honneth etwas tut, das man lange vermisste; er fasst sein sozialphilosophisches Programm unter einer Fragestellung zusammen, die auch die politische Linke etwas angeht: Wie lässt sich die sozialistische Idee historisch reflektiert und zeitgemäß erneuern?

Grob geht Honneth dabei in zwei Schritten vor. In einem ersten Schritt setzt er sich kritisch mit der sozialistischen Ideengeschichte auseinander, mit dem Ziel, ihren Glutkern nochmals zum Leuchten zu bringen. In einem zweiten Schritt macht Honneth dann Vorschläge dafür, wie diese Idee heute zu aktualisieren wäre.

Zum ersten Schritt: Honneths Verfahren ist das einer rettenden Kritik. Er versucht aufzuzeigen, dass dem sozialistischen Projekt des 20. Jahrhunderts wesentliche Motive verlorengingen und darum die sozialistische Idee auch im Scheitern des Staatssozialismus nicht aufging. Honneth geht dies an, indem er sich zunächst mit der Ideengeschichte des Sozialismus, namentlich den Frühsozialisten und Marx, auseinandersetzt.

Zum einen legt er hierbei das für ihn zentrale, immer noch uneingelöste Motiv des Sozialismus frei: Soziale Freiheit. Seinen Impuls hat dieses Motiv in der für Honneth weiterhin aktuellen Diagnose, dass es den Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft nicht gelingt, die Versprechen der französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Solidarität voll zu verwirklichen. Das Motiv der sozialen Freiheit wendet sich vor allem kritisch gegen den in der bestehenden Gesellschaft institutionalisierten Widerspruch von individueller Freiheit und Solidarität. Es zielt auf dessen Überwindung in einer Gesellschaft, in der »individuelle Freiheit nicht auf Kosten, sondern mit Hilfe von Solidarität gedeiht« und »jedes Gesellschaftsmitglied sein mit jedem anderen geteiltes Bedürfnis nach körperlicher und emotionaler Intimität, nach ökonomischer Unabhängigkeit und nach politischer Selbstbestimmung derart befriedigen kann, daß es sich dabei auf die Anteilnahme und Mithilfe seiner Interaktionspartner zu verlassen vermag« (166).

Zum anderen versucht Honneth kritisch zu rekonstruieren, welche Momente schon der Marxschen Theorie diesem Motiv entgegenstehen und die Fehlentwicklungen des sozialistischen Projekts im 20. Jahrhundert mitverantworten. Honneth rechnet diese Momente dabei nicht individuellen Denkfehlern zu, sondern der Bezogenheit der Marxschen Theorie auf die Charakteristika des Früh-Kapitalismus. Honneth benennt drei einem anachronistisch gewordenen Industrialismus verhaftete Komplexe der Marxschen Theorie, die in problematischer Weise in das politische Projekt des Sozialismus hineingewirkt hätten und die deshalb im Sinne einer historisch-reflektierten Erneuerung des Motivs der sozialen Freiheit zu überwinden wären: Ökonomismus, Geschichtsdeterminismus und die Fixierung aufs Proletariat als revolutionäres Subjekt. Der Versuch, sich von diesen Komplexen abzusetzen und gleichzeitig dem Motiv der sozialen Freiheit die Treue zu halten, orientiert Honneths zweiten Schritt: Dem Ökonomismus hält Honneth einen Sozialismus auf der Höhe funktionaler Differenzierung entgegen. Vom Geschichtsdeterminismus versucht sich Honneth durch das Konzept eines sozialen Experimentalismus zu lösen. Statt am Klasseninteresse des Proletariats soll Honneths aktualisierter Sozialismus sich an institutionellen Errungenschaften orientieren.

Honneths Anspruch dabei:

»[Es] ist allerdings insofern Vorsicht geboten, als die drei zuvor genannten Prämissen nicht einfach ersatzlos gestrichen werden dürfen; weil sie vielmehr notwendige Elemente einer praktisch-motivierend auf die Zukunft gerichteten Lehre bilden, muß für sie jeweils ein theoretischer Ersatz […] gefunden werden.« (83)

Sprich: Honneths Abkehr vom Marxismus soll nicht eine Abkehr auch von der Perspektive einer sozialistischen Überschreitung der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung sein. Honneths Revisionen der sozialistischen Idee sollen ein ›theoretischer Ersatz‹ für die marxistischen Theoreme insofern sein, als die argumentative Lücke, die die Verabschiedung jener Theoreme hinterlässt, durch sie geschlossen werden soll. Honneth verbindet mit ihnen daher weiterhin den Anspruch, eine radikale Gesellschaftskritik zugleich immanent zu fundieren. Das heißt, Honneths revidierter Sozialismus soll gleichermaßen mehr sein als ein nur abstraktes Sollen einerseits und ein bloß systeminterner Reformismus andererseits. Die Frage, um die sich ein sachlicher Streit drehen müsste, ist also: Löst Honneths revidierter Sozialismus diesen Anspruch ein oder unterläuft ihm mit seiner Abkehr vom Marxismus genau das, was er vermeiden möchte, die Perspektive einer Gesellschaft aufzugeben, in der Freiheit und Solidarität kein Gegensatz mehr wären?

Bezogen auf diese Frage dürfte der Knackpunkt von Honneths Argumentation seine dritte Revision des Marxismus sein. Die Abkehr vom Proletariat als dem Subjekt der sozialistischen Revolution. Sie ist eine Konsequenz auch der beiden anderen Revisionen des Marxismus, die Honneth vorschlägt, mit ihr fasst er deren praktische Implikationen zusammen. Honneth selbst schreibt:

»Auf jeden Fall ändert sich für den Sozialismus, werden nicht mehr soziale Kollektive, sondern institutionelle Errungenschaften als Verkörperungen seiner Ansprüche in der Wirklichkeit begriffen, nahezu alles.« (118)

Es meldet sich an dieser Stelle nochmals der Eingangsverdacht. Ist Honneth nicht doch ein Konservativer? Wenn es bereits etablierte institutionelle Errungenschaften sind, die der sozialistischen Transformation die Richtung weisen sollen, wozu braucht es dann noch eine grundlegende Veränderung der bestehenden Institutionen? Und: Ist Honneth nicht doch ein Idealist? Was unterscheidet seinen Appell an institutionell etablierte Normen von einer hilflos abstrakten Gerechtigkeitstheorie? Woher soll die Idee sozialer Freiheit in Zeiten der neoliberalen Reaktion ihre geschichtliche Durchsetzungskraft beziehen?

Konkreter. Seiner argumentativen Funktion nach trägt der Verweis auf institutionelle Errungenschaften zwei Begründungslasten. Einerseits soll er die Abwendung vom marxistischen Klassenbegriff rechtfertigen. Andererseits soll er ein Potenzial offenlegen, das die gegenwärtige Gesellschaftsordnung in Richtung des Sozialismus überschreitet.

Zum Bruch mit der marxistischen Klassentheorie. Es ist nicht zu bestreiten, dass ein unmittelbarer Anschluss an die Marxsche Klassentheorie dogmatischen Charakter hätte. Er würde bedeuten historische Entwicklungen, wie etwa die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, Demokratisierung des Schul- und Hochschulzugangs, die Institutionalisierung von betrieblichen Mitbestimmungsrechten, Mindestlohn- und Arbeitsschutzregelungen, die veränderte Sozialstruktur der gegenwärtigen Gesellschaft schlicht zu ignorieren. Honneths Beispiele von betrieblicher Mitbestimmung und Mindestlohnregelungen verweisen überzeugend darauf, dass die Interessen der Lohnabhängigen in den Institutionen des gegenwärtigen Sozialstaats eine gewisse Repräsentation haben und eine revolutionäre Opposition der Lohnarbeiter_innen gegenüber dem sozialstaatlichen Kapitalismus, auch jenseits aller nur ideologischen Einbindung, deshalb wenig Anlass und Sinn hat. Und es bedürfte schon der Weltabgewandheit des Ultra-Orthodoxen, um die Verteidigung sozialstaatlicher Errungenschaften gegen den Neoliberalismus für überflüssig zu erklären. Ein Argument ist dies allerdings nur gegen einen dogmatischen Marxismus, mitnichten ist damit Honneths viel weiter reichende Absage an den Marxismus begründet. Wenn Honneth behauptet, dass »der Sozialismus heute, soll er eine Zukunft haben, nur in einer postmarxistischen Form wiederbelebt werden [kann]« (87), so bleibt diese Behauptung ungedeckt, weil er zwar selbst einräumt, dass seine Marx(ismus)-Kritik sich dem westlichen Marxismus verdankt, zugleich aber verschweigt, dass diese Kritik jenen westlichen Marxismus keineswegs dazu veranlasste, gänzlich mit der Marxschen Theorie zu brechen. All jene Versuche den Marxismus im 20. Jahrhundert auf undogmatische Weise und durch eine Kritik des Staatssozialismus hindurch zu aktualisieren, erklärt Honneth damit schlichtweg und ohne ein Wort der Begründung für nichtig.

Zur Fundierung der sozialistischen Perspektive. Man könnte Honneths Plädoyer für eine Abwendung von den Interessen sozialer Kollektive und eine Hinwendung zu »institutionellen Errungenschaften« hier so verstehen, dass Gesellschaftskritik in einem sozialstaatlich integrierten Kapitalismus an Konflikten zwischen den institutionalisierten Normen anzusetzen hat. Nimmt man Honneths Beispiel von betrieblichen Mitbestimmungsrechten, so ließe sich an ihnen konkret machen, wie eine sozialistische Überschreitung der bestehenden Gesellschaftsordnung im Namen bereits etablierter Normen zu denken ist. Die mit den Mitbestimmungsrechten etablierte Norm weist in Richtung der Verwirklichung sozialer Freiheit, insofern sie den Anspruch ausdrückt, dass die Produktion durch demokratische Kooperation gestaltet werden soll. Zugleich aber ist dieser Anspruch im bestehenden Institutionengefüge höchst unzureichend verwirklicht. Immer wieder ist die Mitbestimmung der Lohnabhängigen im Rahmen profitorientierter Privatunternehmen nur eine Farce. Lässt dieser Rahmen die Mitbestimmung der Lohnabhängigen doch allzu oft zu einer bloß formalen und faktisch zu schierer Erpressung werden. Die Belegschaft kann so mit ihrem Mitbestimmungsrecht oft nichts anderes anfangen, als die Entscheidungen der Unternehmensleitung abzunicken, deren Rechtfertigung durchs Unternehmenswohl unter forcierten Konkurrenzbedingungen sich jeglicher Verhandelbarkeit auf betrieblicher Ebene entzieht. Den mit den betrieblichen Mitbestimmungsrechten institutionalisierten Anspruch zum Ausgangspunkt einer sozialistischen Gesellschaftskritik zu machen, hieße also, ihn gegen den Privatbesitz an Produktionsmitteln zu wenden, der seine Verwirklichung verhindert, oder in Honneths Worten, ihn in Richtung einer »Vergesellschaftung des Arbeitsmarktes« (117) weiterzutreiben.

Unbeantwortet ist damit allerdings noch die Frage, woher eine so verstandene sozialistische Transformation ihre geschichtliche Durchsetzungskraft beziehen soll. Honneths Abkehr von den Interessen sozialer Kollektive und seine Hinwendung zu institutionellen Errungenschaften geht über den bisher nachgezeichneten Schritt, im Sozialstaat institutionelle Mittel einer sozialistischen Transformation zu sehen, noch hinaus. Honneth schreibt hierzu:

»Nach […] einer Bewußtwerdung des Neuen schon im Alten […] darf ein zeitgenössischer Sozialismus überhaupt nicht mehr auf der konkreten Ebene individueller oder kollektiver Subjektivitäten suchen wollen, weil das dem Flüchtigen und Kontingenten inmitten der sich immer rascher vollziehenden Wandlungen ein viel zu starkes Gewicht verleihen würde. Statt dessen wäre es viel naheliegender, den realen Vorschein des Zukünftigen dort zu lokalisieren, wo sich Spurenelemente eines zu erwartenden Fortschritts in der Erweiterung sozialer Freiheiten bereits in institutionellen Errungenschaften, in veränderten Rechtsetzungen und kaum mehr rückgängig zu machenden Mentalitätsverschiebungen niedergeschlagen haben.« (116)

Wohlgemerkt, Honneths Argument ist hier rein formaler Art. Schon jenseits aller Inhalte meint er die Institutionen gegenüber ›individuellen und kollektiven Subjektivitäten‹ zu den Trägern des sozialen Fortschritts qualifizieren zu können. Durch dieses Argument hindurch schimmert dann doch ein fahrlässig unkritisches Verständnis der bestehenden Gesellschaftsform. Denn soll Honneths Priorisierung der institutionellen Errungenschaften schon jenseits inhaltlicher Kriterien greifen, kann sie sich nur auf das formale Verfahren beziehen, das der institutionellen Veränderung und Gestaltung von Gesellschaft zugrunde liegt. Wenn Honneth institutionelle Errungenschaften als »öffentlich gutgeheißene […] Durchbrüche in der Emanzipation von bislang akzeptierten Abhängigkeiten« (116) versteht, setzt er mithin eine Intaktheit demokratischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse voraus, deren Diagnose bei wacher Zeitgenossenschaft mit dem Zustand der gegenwärtigen Gesellschaft schwer zu vereinbaren ist. Nicht nur aber erscheint diese Voraussetzung kontrafaktisch, auch stellt sie die sozialistische Position, die Honneth zu vertreten beansprucht, in Frage. Wird die Verwirklichung der Demokratie schon in der gegenwärtigen Gesellschaft vorausgesetzt, ist überhaupt nicht mehr klar, wozu es jene ›institutionell gänzlich anders verfasste Gesellschaftsordnung‹, für die Honneth eingangs Partei ergreift, überhaupt noch braucht.

Genauer. Irritierend ist zunächst Honneths Emphase für die Unumkehrbarkeit des in bestehenden institutionellen Errungenschaften repräsentierten sozialen Fortschritts. Kaum würde die von Honneth abstrakt-theoretisch ausgerufene Behauptung dieser Unumkehrbarkeit einer materialen Analyse standhalten. Schon die jüngst-vergangenen, im Namen des Neoliberalismus vollzogenen gesellschaftlichen Reformen stehen dieser Behauptung entgegen. Ungleich gravierender ist es, dass Honneth die Linie des sozialen Fortschritts, deren Fluchtpunkt der Sozialismus sein soll, bis zur »Sozialgesetzgebung des beginnenden 20. Jahrhunderts« (117) zurückzieht, ohne den Faschismus auch nur zu erwähnen. An solchen Stellen zeigt sich Honneths Begriff des sozialen Fortschritts in Sachen Wirklichkeitsabdichtung dem DiaMat fast schon gewachsen. Eine materiale Analyse der Sozialgesetzgebung seit dem beginnenden 20. Jahrhundert würde jedenfalls zu einem mindestens sehr viel ambivalenteren Begriff sozialen Fortschritts nötigen.

Kaum verständlich sind auch Honneths Überlegungen zur demokratischen Öffentlichkeit, der in seiner Sozialismus-Konzeption eine entscheidende Doppel-Rolle zukommt. Im Dunkeln bleibt hier vor allem, in welchem Verhältnis beide Rollen zueinander stehen. Einerseits nämlich soll die demokratische Öffentlichkeit bereits das Medium sein, das der sozialistischen Idee zur Durchsetzung verhilft. Andererseits aber soll jene Öffentlichkeit als steuerndes Zentrum gesellschaftlicher Prozesse überhaupt erst durch den Sozialismus konstituiert werden. Versucht man Honneths Konzeptualisierung der demokratischen Öffentlichkeit konkret zu machen, dann geraten beide Rollen in Widerspruch zueinander. Die Frage, die sich hier stellt und die von Honneth unbeantwortet bleibt, ist diese: Wenn die demokratische Öffentlichkeit bereits als Medium einer sozialistischen Transformation fungieren kann, weil sie es schon im Hier und Jetzt vermag, die Gestaltung der Gesellschaft im Modus eines demokratischen Streits ums bessere Argument zu organisieren, wozu braucht es dann überhaupt noch eine qualitativ andere Gesellschaft?

Dass Honneth die Perspektive einer geschichtlichen Durchsetzungskraft der sozialistischen Idee letztlich nur mit der Gewaltlösung eines dogmatischen Fortschrittsbegriffs einlösen kann und diffus bleibt, worin die qualitative Differenz zwischen dem revidierten Sozialismus und der bestehenden Gesellschaftsordnung liegt, verweist auf den Hauptmangel des Honnethschen Sozialismus; er ist unzureichend vermittelt mit einer kritischen Analyse der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur. Mit den Konstitutionsbedingungen der Gegenkräfte von sozialer Freiheit bleiben so auch die Hebelpunkte gesellschaftlicher Veränderung im Dunkeln.

Letztlich verweisen die Mängel von Honneths revidiertem Sozialismus aber nicht allein auf eine Schwäche seiner Theorie, sondern auch auf die reale Schwäche der Linken. Vor diesem Hintergrund erscheint der gegenüber dem Gang der Geschichte abstrakt-affirmative Zug von Honneths Theorie nur als Komplement der nicht weniger abstrakten Negativität des studentischen Linksradikalismus. Beide Positionen konvergieren in einer Hybris der Theorie. So wie die vom studentischen Adornismus kultivierte pauschale und rein-theoretische Kritik alles Bestehenden in ihrer praktischen Folgenlosigkeit in Wahrheit Zynismus ist, entspringt Honneths eindimensionaler Fortschrittsbegriff dem Versuch eine praktische Perspektive allein theoretisch zurückzugewinnen. Beide Positionen kranken daran, dass sie, weil sie sich auf die Organisationsfrage nicht einlassen wollen, gegenüber der Praxis zu abgehoben sind.

 

Tony Pohl und Johannes Lütkepohl

 

*.lit

Werner, Harald (2016): Sozialismus ohne Gegenstand und Subjekt. Zur Kritik Axel Honneths. In: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung Nr. 105, 158–167.

 

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