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diskus Was ist Deine Verbindung zur Universität? Und speziell zum alten Uni-Campus in Bockenheim – hast Du da studiert?

Holger Wüst Ja, nach meinem Studium an der Städelschule habe ich von 2003 bis 2006 an der Goethe-Universität studiert – sowohl am Westend- Campus als auch in Bockenheim. Dann wurden für 2007 kurzzeitig allgemeine Studiengebühren in Hessen eingeführt, die ich mir damals nicht leisten konnte und wollte. Nachdem diese im darauffolgenden Jahr wieder abgeschafft wurden, erklärte man jedoch das Studium an der Städelschule zum Erststudium, was das weitere Einschreiben an der Goethe-Universität für mich noch teurer gemacht hätte. Somit war mein Sachzwang wieder Kunst zu machen, obwohl ich das eigentlich gar nicht mehr vorhatte.

Dann, 2013, plante ich zusammen mit Flo Maak eine Abschieds-Gruppenausstellung im AfE-Turm, in dem wir auch studiert hatten. Trotz großzügiger Förderungen kam diese leider nie zustande, da der nachfolgende Besitzer, die ABG Holding, uns unerfüllbare Auflagen stellte, die exakt den uns zugesicherten Betrag aufgefressen hätten.

diskus Was fällt Dir ein zum Thema »Linke an der Uni«? Auch in Bezug auf den alten Campus in Bockenheim: Findet im Austausch darüber eher eine nostalgische Verklärung des Gewesenen statt oder hat das doch einen wirklich utopischen Gehalt?

Holger Wüst Naja, ich habe da mittlerweile eher einen desillusionierten Blick drauf. Im Prinzip ist eine selbst nur negativ bestimmbare Utopie schon zu Zeiten einer vielleicht noch hoffnungsvollen »Neuen Linken« gestorben – trotz der immer impliziten Enttäuschbarkeit bei gleichzeitiger Machbarkeit eines Utopiegedankens. Man denke nur an die Ereignisse von 1969 im Hörsaal VI gegen den israelischen Botschafter Asher Ben-Natan. Mit dem grassierenden Antisemitismus unter den damaligen Linken war schon zu jener Zeit die Hoffnung mehr als unsicher, dass für die kategorischen Imperative von Marx und Adorno eine Möglichkeit bestünde, sich jemals auch nur annähernd zu erfüllen.

Selbst bei einem nostalgischen Blick lassen sich die Risse und Abgründe der damaligen Studentenproteste kaum verklären – sollte man eigentlich denken. Aber seit dem 7. Oktober, seit revolutions-larpende Bürgerkinder an den (außer für Juden) Safe-Space-Elite-Unis auf der ganzen Welt Hamas und Hisbollah glorifizieren, weiß man, dass es immer noch schlimmer und absurder kommen kann.

Angeregt durch ihre hochdotierten und vielverlegten Professoren der postmodernen und postkolonialen Fächer bauen sie ihre von NGOs geförderten Campus-Protestcamps. Und wenn sie nicht für die palästinensische Sache gerade ausdruckstanzen, dann posten sie für ihre »Internet-Intifada« Insta-Info-Slides oder TikTok-Kurzvideos – mit gar keinem oder verfälschtem historischem Hintergrund. Alles gerne in verklausuliertem Diversitäts- und Menschenrechtsjargon. Sekundiert werden sie dabei – für ein bisschen mehr Street- Credibility – von ihren »etwas direkter« agierenden Muslimbrüder-Freunden von der Straße zur Unterstützung des gemeinsamen palästinensischen Blut-und-Boden-Volkstumskampfes.

Und das wird dann die zukünftige Professional-Managerial-Class-Elite an den Schalthebeln der staatlichen oder vorstaatlichen Institutionen. Der Jargon hat sich vielleicht verändert, der antisemitische Gehalt bleibt derselbe.

Die Aussichten sind nicht gut.

diskus Ist die Universität überhaupt der Ort, an dem eine Kritik am Ganzen formuliert werden kann? Oder fabriziert sie vor allem Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen und Distinktionsbedürfnissen – früher wie am Fließband und heute durch individuelles Schlüsselkompetenztraining?

Holger Wüst Wo, wenn nicht da, kann und sollte man auch über das ganz Andere nachdenken? Aber ohne mich aktuell besonders gut auszukennen, scheinen mir die Räume dafür seit dem Bologna- Prozess immer enger zu werden.

Gleichzeitig würde ich aber auch anmerken, dass man sich dabei nicht komplett von den Alltagssorgen der Menschen außerhalb der Uni abkoppeln sollte – also auch immer die materielle Sichtweise mit einbezieht.

Mir kommt es manchmal so vor, dass man sich vor allem in den Sozial- und Geisteswissenschaften oft mit selbst konstruierten Problemen befasst, die außerhalb der Uni eher für Kopfschütteln sorgen. Das mag das Resultat sein, dass man in seiner steuermittelfinanzierten und mit Zielvorgaben ausgestatteten Forschung die Konkurrenz an den Universitäten mit immer weitreichenderen Ideen im Kampf um Aufmerksamkeit übertrumpfen muss. Dies steht natürlich oft im Widerspruch zu den Interessen einer arbeitenden und steuerbelasteten Bevölkerung, deren Blick eher auf den Geldbeutel gerichtet ist als auf die Erfüllung neuester »sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse«.

Da man sein Auskommen ebenfalls sichern muss, aber keine wirklich benötigten Gebrauchsgegenstände produziert, versucht man, die unzureichende ökonomische Macht durch sein kulturelles Kapital auszugleichen. Und drängt dann in die Einflussbereiche von Kultur und Medien, um seine moralischen Vorgaben auch in Gesellschaft und Wirtschaft zu verankern. Das wird dort häufig – mangels Innovationskraft – gerne in Form von bewussterem Konsumieren und Produzieren aufgenommen, um sich besser und kritischer gegenüber seinen Mitmenschen oder seiner Konkurrenz zu gerieren.

Weltweit mag das mittlerweile wieder auf dem Rückzug sein – für Europa und Deutschland habe ich da aber meine Zweifel.

Ob ich die Frage jetzt wirklich beantwortet habe, weiß ich gar nicht.

diskus Wie kamst Du zu Deinen Motiven?

Holger Wüst Formal praktisch kombiniere ich selbst aufgenommene Fotos mit Bildern, die ich aus dem Internet klaue. In meinen letzten Arbeiten habe ich den Ort – einmal ein Hörsaal und zuletzt das Siemens-Areal in Offenbach – komplett selbst fotografiert und alles, was sonst im Bild ist, aus dem Netz zusammengesucht. Aber eigentlich habe ich da keine Vorgaben – es muss für meine Idee passen.

Inhaltlich geht es mir vor allem darum, gesellschaftliche Konfliktsituationen darzustellen, also wie sich die verschiedenen Vertreter zueinander verhalten oder eben auch nicht verhalten.

Dabei bin ich aber kein aktivistischer Künstler, der augenfällig seine Einstellung vermitteln will – obwohl man sicher einige Punkte erkennen kann –, sondern ich mache Kunst über Aktivismus und politische Positionskämpfe. Wichtig ist mir, Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen mit einzubauen. Also thematisch die Bruchstellen zwischen dem Einfügen in Klischees, den Unstimmigkeiten in der eigenen Selbstbehauptung und den Widersprüchen lieb gewonnener Gewissheiten zu behandeln. Und die Auseinandersetzungen mit sich und seiner Umwelt dabei so in Szene zu setzen, wie sie ja häufig auch sind: mal unterstrichen mit peinlichem Revolutionspathos, mal mit spitzer Kritik und dazwischen hoffentlich auch mit nüchterner Analyse.

Politische Kunst oder Kunst, die ihr Themenfeld im Bereich des Politischen verortet, war und ist mir zu oft nur symbolisch-aktivistisch. Wenn man sich die Biennalen und Großausstellungen der letzten Jahre anschaut, waren da zu viele Arbeiten zu wenig ausgearbeitet und zu häufig rein bekenntnisorientiert.

Ein zunehmend wichtiger Teilaspekt für mich ist, dass sich die jeweiligen Auseinandersetzungen immer stärker ins Netz verlagern. Daher beschäftigt mich die Frage, wie man das Internet als allgegenwärtigen und immer schon mitgedachten Teil unseres Lebens visuell gestalten kann – ohne dabei auf die stereotype Darstellung gelangweilt dasitzender, aufs Smartphone starrender Personen zurückzugreifen, die kaum über die Ästhetik von Stockfotos hinausgeht.

Zu der Arbeit hier im Heft: Es gibt ein Foto von Barbara Klemm an der U-Bahn-Haltestelle Bockenheimer Warte (kennen die Leser hier ja sicherlich), das einen aufgebrachten Stimmungsmoment eines Kongresses in einem Vorlesungssaal zeigt, der in den 1970er-Jahren gebaut wurde. Ich wollte diesen historischen Raum mit aktueller Praxis verknüpfen – ein fiktiver Ort als eine Art Enzyklopädie von Kommunikationsformen, die zunehmend online abgewickelt werden.

Dem Titel der Arbeit ist ein Zitat aus Adornos letztem SPIEGEL-Interview »Keine Angst vor dem Elfenbeinturm« (1969) beigefügt: »Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung...« – Adorno: »Mir nicht.«

Der Screenshot des ersten Satzes des Interviews ist dann zu einer Art Meme geworden – heute schon fast ein Klassiker.

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