Zionismus. Zynismus.
In der zionistischen Propaganda erscheint der Zionismus als die nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes und als einzige Alternative zu dessen Verfolgung und Vernichtung. Antizionismus wird entsprechend mit Antisemitismus gleichgesetzt. Die folgende kurze Analyse soll zeigen, daß der Zionismus entgegen seiner propagandistischen Selbstdarstellung in keiner Phase seiner Existenz mit den Befreiungsinteressen der verfolgten Juden identisch war, sondern diesen im Gegenteil direkt zuwider läuft. Die Kritik am Zionismus ist dabei die Kritik am Staat Israel, der der staatliche Ausdruck der zionistischen Bewegung ist. In der Existenz Israels manifestiert sich dieselbe Gewalt gegen Araber und Juden (von letzteren noch größtenteils undurchschaut), wie sie für den „historischen" Zionismus als politischer Bewegung zur Gründung des Staates kennzeichnend ist. Hiermit grenzen wir uns entschieden ab von all jenen „Kritikern" der Epiphänomene, die Israel naiverweise lediglich anempfehlen, seine imperialistischen und expansionistischen „Züge" abzulegen und deren Forderungen letztlich auf die bekannte „Dezionisierung" des zionistischen Staates hinauslaufen. Diesen Ansichten gegenüber ist zu betonen, daß sich Zionismus heute nicht als politische Überbauerscheinung Israels fassen läßt, sondern daß Israels zionistischer Charakter in seiner Existenz als jüdischer Staat begründet ist. Diese Existenz allein ist ein rassistisches, zionistisches Faktum. Deshalb ist ein Ende der zionistischen Politik Israels mit all ihren imperialistischen, rassistischen, aggressiven Erscheinungsformen nicht durch einen zukünftigen Regierungswechsel in Jerusalem, sondern erst mit der Überwindung der Existenz dieses Staates und der Errichtung einer neuen Gesellschaft, in der Juden und Araber gleichberechtigt und ohne trennende Grenzen und Rassenschranken leben können, zu erwarten. Israels zionistischer Charakter ist nicht kontingent, sondern existenziell. Die Lösung des „Nahost-Problems" führt demgemäß nicht über den Wahlsieg einer „einsichtigen", „linken" israelischen Partei, die dann mit den antiquierten zionistischen „Restbeständen" aufräumen und ein „Israel ohne Zionisten" (Uri Avneri) schaffen würde, sondern nur über die Entwicklung der palästinensischen Befreiungsbewegung und ihre Verbindung mit dem Kampf arrtizionistischer (im ganzen radikalen Sinne dieses Wortes) jüdischer Gruppen innerhalb Israels. Zionismus-Kritik ist heute somit nicht von lediglich historischem Interesse, sondern ein aktueller Bestandteil des Kampfes des palästinensischen Volkes, um einen antiimperialistischen, von Rassismus freien Nahen Osten. Die Haltung der genannten „Kritiker" ist allzu verwandt mit jener zionistischen Pragmatik, die den Staat Israel als nun einmal bestehendes Faktum begreift und von seiner Vorgeschichte aus leicht verständlichen Gründen abstrahieren möchte. Diese Pragmatik ist nichts als ein Reflex der aktuellen israelischen Politik, die, wie Bertrand Russell es ausdrückte, „jede neue Expansion zur neuen Basis von aus Überlegenheit vorgeschlagenen Verhandlungen macht und dabei das Unrecht der vorausgegangenen Aggression ignoriert"(l)
Der Ursprung des Zionismus.
In seinem Ursprung ist der Zionismus nicht die Bewegung der verfolgten Juden, als die er sich selbst darstellt, sondern einer bestimmten Schicht der Juden, die das Schicksal ihrer verfolgten Glaubensgenossen zur Realisierung eigener Machtinteressen ausnutzte. Er ist das Produkt eines Teils der kleinbürgerlichen jüdischen Intelligenzschichten, deren Beeinflussung durch die Ideen der bürgerlichen Revolutionen und den europäischen Nationalismus der imperialistischen Epoche mit dem sie gesellschaftlich diskriminierenden kleinbürgerlichen Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts in einem unauflösbaren Widerspruch stand. Der Eindruck der nationalen Ideologien und die Erfahrung der gesellschaftlichen Desintegration verdichteten sich bei ihnen zur Idee eines eigenen Staates, in dem sie, die bislang Ausgestoßenen, selbst die gesellschaftliche Oberschicht bilden würden. Das Bestreben nach einem jüdischen Staat in Palästina ist so Ausdruck klassenspezifischer Machtinteressen und nicht des Emanzipationsverlangens der Juden schlechthin. Ein großer Teil der jüdischen Massen war, vor allem in Osteuropa, in der sozialistischen Bewegung organisiert und bekämpfte im Angriff auf Feudalismus und Kapitalismus die Basis des Antisemitismus und des allgemeinen Elends. Der Zionismus dagegen hatte es mit seiner antiklassenkämpferischen Tendenz - der Klassenkampf beschleunigte ja die Assimilation der Juden, die dem Zionismus die angestrebte Massenbasis von vornherein entzog - nicht schwer, die Sympathie und Unterstützung von Feudalisten und Kapitalisten zu gewinnen, die in ihm einen Schutzwall gegen den internationalen Sozialismus erkannten. Dazu war er bei seinem Bemühen, die Juden aus Europa herauszuschaffen, um sie bei der Kolonisation Palästinas einzusetzen, gerade auf die tätige Mithilfe der Antisemiten angewiesen. Das Fortleben des Antisemitismus in Europa war die Bedingung, ohne die die Auswanderung der Juden ein bloßer Wunschtraum bleiben würde.
Da eine Bekämpfung des Antisemitismus den zionistischen Interessen direkt entgegengesetzt war, versagten die jüdischen Massen ihren selbsternannten Erlösern die Unterstützung. Sie standen dem Zionismus teils ironisch, teils absolut feindlich gegenüber. Der jüdische Sozialist David Balakan z. B. schrieb von einer „Spät- und Spottgeburt der modernen nationalen Idee" (2), Karl Kraus, daß die Zionisten allenfalls „zur Bereicherung des Operettengenres" beitragen würden (3), und S. Häcker berichtete aus Galizien, wie in zahlreichen Städten jüdische Arbeiter Zionisten in von denen einberufenen Versammlungen „einfach durchprügelten und hinauswarfen" (4). Der 1. Zionistische Weltkongreß, auf dem der Zionismus organisatorische Gestalt annahm (Gründung der Zionistischen Organisation), mußte 1897 aufgrund der scharfen Proteste der jüdischen Gemeinden kurzfristig von München nach Basel verlegt werden. Bis in die Mitte der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein schien der Zionismus ein für Juden und Araber tragisches, aber zum sicheren Scheitern verurteiltes Kuriosum der Geschichte zu bleiben. Was ihm zum Überleben und zu einem vorläufigen Erfolg verhalf, waren dos Interesse des Imperialismus an einem Wachhund für seine Investitionen im vorderen Orient, die Judenhetze in Europa, besonders die der Anfangsjahre des deutschen Faschismus, und, in Zusammenhang mit diesen Faktoren, last not least die zionistische Theorie und Praxis selbst, Fortsetzung auf Seite 21
die sich bemühten, die fehlende Verbindung zu den jüdischen Massen, auf deren Arbeits- und Wehrkraft der Zionismus zur Verwirklichung des Staatsgründungsprojektes in Palästina angewiesen war, auf künstlichem Wege zu schaffen.
Die zionistischeTheorie alsmaterielle Gewalt.
Die zionistische Theorie betrachtet dem Charakter des Zionismus als einer Bewegung zur Realisierung klassenspezifischer Machtinteressen entsprechend, die Juden nicht unter dem Aspekt ihrer Rettung vor Verfolgung und Antisemitismus, sondern unter dem Aspekt ihrer Gewinnung für das Palästinaprojekt. Sie reflektiert deshalb nicht auf die wirklichen Ursachen des Antisemitismus, sondern ist auf der Suche nach agitatorisch wirksamen Inhalten, die ein Fortleben der Juden in der „Diaspora" (dem jüdischen „Exil") als prinzipiell unmöglich und den Zionismus als einzigen Ausweg erscheinen lassen. Der Bedeutungsgehalt aller zentralen Begriffe der zionistischen Theorie, die man von hierher als Legitimations- oder Agitationstheorie bezeichnen muß, spiegelt nicht die wirkliche Situation der Juden wider, sondern richtet sich nach den Erfordernissen der Propaganda für das nationale zionistische Programm. Es war nicht eine Analyse der sozialen Situation des Judentums, die die Zionisten auf die nationale Lösung in Palästina gebracht hätte, sondern es waren umgekehrt die nationalen Ambitionen, von denen ausgehend eine bestimmte, fatalistische Theorie der Situation der Juden entwickelt wurde.
Die zionistische Antisimetismusinterpretation, der praktisch wirksamste ideologische Bestandteil der zionistischen Theorie, erklärt deshalb den Antisemitismus zum ewigen Schicksal des Juden in der „Diaspora", dem nur durch die nationale Lösung in Palästina abgeholfen werden könne. Der Antisemitismus, der ein historisches Produkt der feudalen und kapitalistischen Gesellschaftsformationen ist, wird ahistorisch zu einer psychologischen Grunddisposition der mit den Juden zusammenlebenden Völker erklärt. Nach Leo Pinsker, dessen 1882 erschienene Broschüre „Autoemanzipation" neben Herzls „Judenstaat" (1896) zu den bedeutsamsten zionistischen Dokumenten zu zählen ist, hinterläßt die „geisterhafte Erscheinung" des Judentums als die eines Volkes, das seit zwei Jahrtausenden tot ist und gleichwohl noch unter den Lebenden umhergeht, im „Seelenleben der Völker" einen fremdartigen Eindruck und ruft die „Judophobie" hervor, die als Psychose angeboren, vererblich und unheilbar sei. Die Pogrome in Rußland seien so „einzig und allein die Folge jener allgemeinen, in der Natur der menschlichen Dinge begründeten Ursachen" (5). Eine Bekämpfung des Antisemitismus sei deshalb nutzloser Kräfteverschleiß. Der einzige Ausweg sei, den Juden wieder eine materielle, territoriale, nicht bloß abstrakte und spirituelle Nationalität zu verschaffen und sie so aus ihrer allseitigen Isolierung herauszuführen. Diese Theorie Pinskers, die im Kern auch schon bei Moses Hess zu finden ist, bildet die Basis aller anderen zionistischen Argumentationen.
Die Theorie des „sozialistischen" Zionismus, der nicht der sozialistischen Bewegung, sondern dem bürgerlichen Zionismus entstammt und dessen Aufkommen mit der Proletarisierung des jüdischen Kleinbürgertums verbunden ist, erklärt analog zu dieser bürgerlich-zionistischen Mystik die „nationale Konkurrenz" zu einer Art Dauererscheinung der Geschichte. Er erklärt internationale Klassensolidarität theoretisch zur Unmöglichkeit, um sie als praktisch unmöglich erscheinen zu lassen und die Hoffnungen in sie von vornherein zu zerstören. Der Borochow, der Chefideologe der Poale-Zion (Arbeiter-Zionisten) und heute noch mit einigen Einschränkungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, Säulenheiliger der zionistischen Linken, schrieb: „Um den Kampf gegen das Kapital zu.führen, muß der Arbeiter erst einen Arbeitsplatz haben" (6). Andernfalls könne er kein Klassenbewußtsein entwickeln. Die Voraussetzung des gesicherten Arbeitsplatzes wiederum sei das eigene nationale Territorium. Auf „fremdem" Territorium mache den Juden die nationale Konkurrenz ihrer „Wirtsvölker" die Arbeitsplätze streitig und verdränge sie aus mehr und mehr Sektoren der Produktion. In seiner Verabsolutierung der nationalen Konkurrenz als eines Gewaltverhältnisses bereitet Borochow der späteren antiarabischen Gewalt bereits ideologisch den Boden. In seiner Theorie wird nach klassischer sozialchauvinistischer Manier der soziale Konflikt dem nationalen untergeordnet. Proletarischer Internationalismus wird theoretisch und praktisch - in der Kollaboration mit dem bürgerlichen Zionismus gegen die sozialistische Bewegung in Europa und im Verrat an den arabischen Klassengenossen in Palästina - auf dem Altar nationalistischer Interessen geopfert. Das jüdische Proletariat soll vom Klassenkampf weg zum „befreienden" nationalen Einsatz in Palästina abgelenkt werden. Dies ist der Kern jeder zionistischen Theorie, sei sie bürgerlich oder „sozialistisch": Die Diaspora, wo die befreiende Revolution als objektive Möglichkeit auf der Tagesordnung stand, wurde als permanente Hölle gekennzeichnet, Palästina, wo sich mit jedem neuen Einwanderer die Unausweichlichkeit eines blutigen Konfliktes mit der arabischen Bevölkerung deutlicher abzeichnete, wurde propagandistisch zur Oase des Friedens stilisiert, um die Juden blind dafür zu machen, daß die zionistischen Patrioten dabei waren, sie nicht in den Frieden, sondern in einen sinnlosen Krieg zu führen.
Wie das „Märchen . . . von der Ewigkeit des Antisemitismus in der Diaspora", wie Lenin es nannte (7), dienen auch die hypnotisierenden Agitationsphrasen von der „uralten Sehnsucht nach Zion" und von Nation und Rasse dazu, die Juden von der sie umgebenden Bevölkerung allseitig abzuspalten bzw. eine weitere Annäherung unmöglich zu machen, ihr Vertrauen in die progressiven politischen Bewegungen ihrer Heimatländer zu erschüttern und ihnen die Hoffnung auf eine revolutionäre Änderung ihrer Lage zu rauben. So erklärten die zionistischen Rassentheoretiker, deren Theorien, wie der zionistische Historiker Böhm schrieb, „sehr viel Anklang fanden" (8), die Sünde wider das Blut und die Rasse zur Erbsünde der Welt. Der jüdischen Rasse, so heißt es, sei ein „ungeheuerer Fonds von Instinkten" (9) angeboren, der sich von der Urzeit bis heute aufgrund der „Einheitlichkeit der jüdischen Rasse sowie der Rassenidendität der heutigen Juden mit denen des Altertums" (10) rein erhalten hätte. Jedoch: „Mit jeder hochgezüchteten Eigenschaft geht es reißend bergab, wenn ihr Träger sich nicht mit gleich beanlagten Individuen paart" (11). Zur Abwehr der „verheerenden Wirkungen des Rassenchaos" (12) und zur Erhaltung der „veredelnden Wirkungen der Rassereinheit" (12) sei es also nötig, die Juden in einem abgeschlossenen Territorium zu vereinen. Wer nicht mitziehen will, wer weiterhin zu jenem „halbassimilierten jüdischen Ignorantentum" (13) aus dem Bodensatz unseres Blutes" (14) zählen will, wird „nach den allgemeinen Gesetzen der Rassenbiologie .. auf dem Wege der individuellen Entartung ausgeschieden" und als „Fremdkörper" „erbarmungslos eliminiert" (15). Dr. Alexander Schueler faßt zusammen: „Für die Judenfrage ist die Rassenlehre der sichere Schlüssel." (16) Mit diesen Rassentheorien unterschrieben die Zionisten die grundlegenden Thesen der Antisemiten, deren Logik und Vokabular sie sich zu eigen machten. Die zionistische Rassentheorie richtet sich nicht gegen den Antisemitismus, sondern gegen die den Zionismus gefährdenden progressiven Strömungen innerhalb der Juden und bereits gegen die Araber Palästinas. Deshalb ist es unmöglich, sie mit Frantz Fanons Theorie des antikolonialistischen Rassismus zu verteidigen, wie es „linke" ZionismusApologeten neuerdings versuchen. Der Rassismus des Kolonisierten ist progressiv, weil er ein Mittel im antikolonialistischen Kampf darstellen kann. Der Zionist aber fand seine Identität nicht im Antikolonialismus, sondern in der Kolonisation. Ein ebenso zum Scheitern verurteiltes Unterfangen ist es, Lenins Theorie des Nationalismus der unterdrückten Nationen herbeizuzitieren.
Erstens stellten die Juden nur in der zionistischen Phantasie eine Nation dar, in Wirklichkeit aber eine im Verschwinden begriffene, weil sich sozial auflösende Religionsgemeinschaft; zweitens erfüllt der zionistische Nationalismus nicht die Bedingung einer antifeudalen oder antiimperialistischen Zielsetzung, die ihm erst das Prädikat der Progressivität verleihen könnte. Im Gegenteil verbündete er sich mit dem Imperialismus und ist selbst imperialistisch (s. u.).
Die zionistischePraxis gegenüberden Juden.
ln Übereinstimmung mit der zionistischen Theorie stehend und im Ursprung des Zionismus begründet ist eine zionistische Praxis gegenüber den Juden, die sich permanent in der unheimlichen Nachbarschaft des Antisemitismus bewegt. Sie scheute selbst nicht vor der Anwendung antisemitischer Methoden zurück. So explodierten 1951 im Irak in der jüdischen Gemeinde Bomben, die zionistische Organisationen gelegt hatten, um die irakischen Juden zu einer panischen Flucht nach Israel zu treiben. Nachdem die Ewigkeit des Antisemitismus für sie ein für allemal feststand, fiel es den Zionisten leicht, sich der Hilfe dieses „notwendigen Übels" nach Kräften zu bedienen. Der Zionismus betrachtet den Antisemitismus in der Regel nach Herzl als seinen „verläßlichsten Verbündeten" (17), der ihn bei der Vertreibung der Juden aus Europa von Herzen unterstützen würde. Das bedeutete z. B. im zaristischen Rußland Kollaboration mit der russischen Antisemiten-Regierung. Herzl konferierte 1903 mit dem zaristischen Innenminister Plehve, der erst kurz zuvor für das berüchtigte Pogrom von Kisheneff verantwortlich gezeichnet hatte, um sich der Unterstützung des Zionismus durch die russische Reaktion zu versichern (18).
Während des deutschen Faschismus traten die zionistischen Organisationen Versuchen entgegen, den aus Europa fliehenden Juden auch außerhalb Palästinas rettende Asyle zu verschaffen. Sie sahen ihre Hauptaufgabe darin, den Strom der Emigranten nach Palästina zu lenken ( 19 ). Der britische Historiker Christopher Sykes stellt in seinem Buch „Kreuzwege nach Israel" fest, daß die zionistischen Führer, um ihr Ziel, die Schaffung einer jüdischen Majorität in Palästina zu erreichen, „von den ersten Anfängen des Nazi-Unheils an entschlossen waren, aus der Tragödie politischen Vorteil zu ziehen" ( 20 ). Die Zionisten schlossen 1933 mit den Nazis das' sögenannte Ha’avara-Abko.mmen, daß die Auswanderung von Juden nach Palästina regeln sollte. Infolge dieses Abkommens wurde der palästinensische Markt ausgerechnet mit deutschen Waren überschwemmt, während sich antifaschistische Organisationen in aller Welt, darunter auch jüdische, vergeblich um einen internationalen Boykott des deutschen Handels bemühten. Von großer Bedeutung waren für die zionistische Jewish Agency Abgesandte nach Deutschland, die mit der SS oder der Gestapo um Unterstützung der Auswanderung von jüdischen Arbeitskräften nach Palästina verhandelten ( 21 ). Die zionistischen Brüder Kimche schrieben, daß diese Unterhändler nicht kamen, um Juden zu retten - „das war nicht ihre Aufgabe". Sie wollten „brauchbares Material" für den Aufbau der Kibbutzim in Palästina auswählen ( 22 ).
Der deutsche Kontaktmann dieser Leute hieß Adolf Eichmann. Er wurde von zionistischen Funktionären nach Palästina eingeladen. England verweigerte ihm jedoch die Einreise ins palästinensische Mandatsgebiet und so traf er sich in Kario mit seinem „Freund von der Haganah" (23). Die Haganah war die offizielle zionistische Militärorganisation in Palästina, aus der später die israelische Armee wurde. Das dunkelste Kapitel in der Geschichte der zionistischen Kollaboration mit den deutschen Faschisten dürfte ein bis heute nicht vollständig aufgeklärtes Geschäft mit den ungarischen Nazibehörden 1944 gewesen sein. Damals kaufte die Zionistische Organisation eine Handvoll prominenter Zionisten und angesehener Mitglieder der Jüdischen Gemeinde los und versprach nach der Behauptung von Eichmann als Gegenleistung, für die Wahrung von Ruhe und Ordnung in den Gettos zu sorgen, womit die widerstandslose Vergasung Hunderttausender von Nazis zum Tod bestimmter und für den Zionismus wertlos gewordener Juden ermöglicht worden wäre (23a).
Die antizionistische Israelische Sozialistische Organisation MATZPEN kommentierte diese Praxis mit den Worten: „Wenn sich dem Zionismus die Alternative zwischen dem jüdischen Volk und dem jüdischen Staat stellte, wählte er ohne zu zögern den letzteren" (24) Die „Wiedergutmachungspolitik" der BRD ist praktisch nur die Fortsetzung einer schon unter dem Faschismus florierenden ökonomischen und darüber hinausgehenden Zusammenarbeit zwischen Zionisten und Nationalsozialisten, die nicht den verfolgten Juden, sondern ihren zionistischen Unterdrückern dient. Mit ihrem Philosemitismus, der heute allen Aktionen Israels kritiklos applaudiert und den palästinensischen Widerstand ebenso pauschal zu diskreditieren weiß, versuchte die BRD erfolgreich, ihr Nazierbe zu verschleiern und sich internationale Rehabilitierung zu erkaufen. Die ökonomische Basis jedoch, die Antisemitismus und Faschismus hervorbrachte, existiert nach wie vor. Der Antisemitismus ist eine Ersatzrealdion des in der kapitalistischen Konkurrenz zerriebenen oder in der kapitalistischen Produktion zerstörten christlichen Kleinbürgers.
Die Funktion, die früher die Juden als Ventil für die im kapitalistischen System erzeugten Aggressionen hatten, sind heute, da der Antisemitismus seine Hoffähigkeit verloren hat, von Ausländern, Arbeitsemigranten, allgemein von den Völkern der Dritten Welt übernommen worden. Im gleichen Moment, wo deutlich wird, daß Israel in derselben Front mit den imperialistischen Ländern gegen diese Dritte Welt steht, kann so der alte Antisemitismus in jene Israelbegeisterung Umschlägen, wie sie heute z. B. für die deutsche etablierte politische Szenerie kennzeichnend ist
Das Verhältnis des Zionismus zur arabischen Bevölkerung Palästinas.
Die zur angestrebten Gründung eines jüdischen Staates in Palästina notwendige Unterdrückung und Vertreibung der palästinensischen Araber bedeutete von Anfang an, daß Palästina nicht das versprochene Land des Friedens, sondern ein Schlachtfeld sein würde, wie Trotzki sagte, „eine blutige Falle für Hunderttausende von Juden" (25). Die Gewalt, die den Arabern im Prozeß der zionistischen Kolonisation entgegenschlug, findet sich anfangs schon in ihrer theoretischen Ignorierung. Die Zionisten weigerten sich beharrlich, ihre Existenz zur Kenntnis zu nehmen, letztlich, um den Juden die realen Perspektiven der Kolonisation zu verschleiern. Wenn von den Arabern überhaupt die Rede war, dann nur in der rassistischen, geringschätzigen Sprache, die europäische Conquistadores seit jeher für ihre „Eingeborenen" bereit hielten. Es entsprach altbekanntem Kolonialistendünkel, wenn die Zionisten sich berufen fühlten, im Nahen Osten „ein Stück des Walles gegen Asien (zu) bilden, den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei (zu) besorgen" (26). Die Zionistische Organisation publizierte 1921 eine Broschüre, in der die Kolonisation Palästinas unter offener Berufung auf das Vorgehen der Weißen gegen die Indianer Amerikas und die Schwarzen Afrikas verteidigt würde (27).
Die Verbindung von Zionismus und Imperialismus war keine bloß geistige. Von Anfang an mußten sich die Zionisten der' Abhängigkeit von imperialistischen Mächten verschreiben, und sie waren sich dieser Notwendigkeit sehr bewußt. Max Nordau z. B., einer der ersten Führer der zionistischen Bewegung, machte dem türkischen Sultan 1905 unter dem ungeteilten Beifall der Delegierten des 7. Zionistenkongresses
folgendes unmißverständliche Angebot: „Bei dieser Sachlage könnte es dann der türkischen Regierung einleuchten, daß es für sie von außerordentlichem Wert wäre, in Palästina und Syrien ein zahlreiches, kräftiges und wohlorganisiertes Bevölkerungselement zu besitzen, das ... keine Angriffe auf die Autorität des Sultans dulden, sie vielmehr mit dem Aufgebot aller Kräfte verteidigen würden" (28). Ein „Bevölkerungselement" im Sinne Nordaus zu besitzen, wurde später das Interesse des britischen Imperialismus. Nach dessen Niedergang benutzen heute die USA Israel, auch in seinem eigenen Interesse, als Brückenkopf und Wachhund zur Wahrung ihrer Ölinteressen und zur Niederhaltung der Befreiungsbewegungen im arabischen Raum sowie - unter dem Etikett eines unverdächtigen „Entwicklungslandes“ - zur Unterwanderung des afrikanischen Kontinents und anderer Länder der Dritten Welt.
Der praktische Fortgang der zionistischen Kolonisation in Palästina zeigte, wie von Beginn an auf die spätere Vertreibung der palästinensischen Araber hingearbeitet wurde. Hierzu verstanden es die Zionisten, die Juden von der arabischen Bevölkerung allseitig zu isolieren. Sie bauten eine jüdische Wirtschaft auf, die auf den Prinzipien jüdische Arbeit und jüdischer Boden beruhte und in der kein Platz für die Araber, nicht einmal für ihre Ausbeutung, eingeplant war. Sie gründeten Schulen, in denen kein Wort Arabisch gelehrt wurde und organisierten militärische Verbände noch ehe es zu Auseinandersetzungen mit den Arabern gekommen war. Sie bestritten anmaßend die Rechte der Araber auf Palästina und versuchten wiederholt, die britische Regierung zur Deportation aller „Nichtjuden" aus Palästina zu bewegen. Sie verbündeten sich nicht mit den Bewohnern des Landes, sondern mit ihren jeweiligen imperialistischen Unterdrückern und nutzten schließlich 1948 einen günstigen Augenblick zu ihrer massenhaften Vertreibung, wobei sie nicht vor blutigen Massakern zurückschreckten. Jenseits der Grenzen des neugegründeten Staates Israel sammelten sich Hunderttausende von Vertriebenen, denen das Recht auf Rückkehr verweigert wird; die innerhalb des israelischen Staatsgebietes zurückgebliebenen Palästinenser leben seitdem unter fast ununterbrochenem Ausnahmezustand in Verhältnissen, die nur in der südafrikanischen Apartheid eine Parallele finden. Diese Vertreibung der Araber, die die Zionisten und ihre Presseschreiberlinge bis heute mit Propagandalügen in Abrede zu stellen versuchen, ist kein bedauerlicher Unglücksfall, sondern liegt in der unumgänglichen Konsequenz des zionistischen Programms und entspricht der rassistischen Logik des zionistischen Nationalismus.
Weil sich die Existenz Israels auf diese Gewalt und diesen Terror gründet und beide perpetuiert, kann es den Juden nicht die Weite der Freiheit bieten, die der Zionismus versprach, sondern nur die Enge eines neuen Gettos. Israels Friede ist der Scheinfriede eines Brückenkopfes des Imperialismus, der sich mehr und mehr vom antiimperialistischen Kampf der zu den Waffen greifenden unterdrückten Völker Arabiens eingekreist sieht. Israel bedeutet für alle Völker des Nahen Ostens Fortdauer der neokolonialistischen Ausbeutung und bedeutet für die Juden den permanenten Kriegszustand und täglich Bedrohung. Die zionistische Ideologie kann heute noch aufgrund ihrer materiellen Gewalt die antizionistische Erhebung der israelischen Massen noch verhindern. Jedoch wird die Entwicklung der Befreiungskämpfe im Nahen Osten dazu beitragen, daß immer mehr Juden sich vom Zionismus lösen. Die Gleichsetzung von Juden und Zionisten (und damit die von Antisemitismus und Antizionismus) ist selbst zionistische Ideologie und von der palästinensischen Revolution mit ihrer theoretischen und praktischen Differenzierung von Jude und Zionist längst als solche entlarvt worden. Der Zionismus ist nicht die Befreiungsbewegung des Judentums, als die er noch heute proklamiert wird. Marx, Engels und Lenin haben darauf hingewiesen: Ein Volk, das ein anderes unterdrückt, kann nicht selbst frei sein. Die Verwirklichung des Zionismus jedoch beruht auf der Unterdrückung und Vertreibung des palästinensischen Volkes. Deshalb führt der Weg zur Befreiung der Juden über die Liquidation des Zionismus, d. h. die Überwindung des rassistischen Staates Israel.
Erwin Erpel (1) The Times, 14. 2. 70.
(2) David Balakan, Die Sozialdemokratie und das jüdische Proletariat, Czernowitz 1905, S. 32.
(3) Karl Kraus, Eine Krone für Zion, Wien 1898, S. 26.
(4) S. Häcker, Ober den Zionismus, Neue Zeit XIII, 2, 1894/95, 2. Bd., S. 760.
(5) Leo Pinsker, Autoemanzipation, Berlin 1917, S. 25.
(6) Ber Borochow, Was wollen die Poale-Zion? (1906). In: Klasse und Nation, Berlin 1932, S. 48.
(7) Werke Bd. 6, S. 328.
(8) Adolf Böhm, Die Zionistische Bewegung, Bd. 2, 1918-25, Berlin 1937, S. 85.
(9) Alexander Schueler, Der Rassenadel der Juden, Berlin 1912, S. 39.
(10) Ebenda, S. 22.
(11) Arthur Ruppin, Die Juden der Gegenwort, 1. Auflage, Berlin 1904, S. 273.
(12) Ignaz Zolfschan, Das Rassen prob lern, Wien und Leipzig 1912, S. 262.
(13) Richard Lichtheim, Das Programm des Zionismus, Berlin-Charlottenburg 1911, S. 24.
(14) Max Nordau auf dem 2. Zionistenkongreß 1898 in Basel, sinngemäß zitiert bei Erich Fried, Tribüne Nr. 34, S. 3647.
(15) Zionistisches A-B-C-Buch, Berlin-Charlottenburg 1908, S. 232.
(16) Schueler, a.a.O., S. 55.
(17) Zitiert bei Hannah Ahrendt, Zionism Reconsidered, The Menorah Journal, Autumn 1945, S. 180, (18) Vgl. z. B. Theodor Herzls Tagebücher, Berlin 1923, Bd. III, S. 468.
(19) Vgl. zu diesem Komplex z. B. Alan Taylor, Pre lüde fo Israel, New York 1959, S. 80 ff. sowie Chrisfopher Sykes, Kreuzwege nach Israel, Mönchen 1967, S. 205 ff.
(20) Sykes, a.a.O., S. 151.
(21) Vgl. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. München 1964, S. 91.
(22) J. und D. Kimche, Des Zornes und des Herzens wegen, vgl. auch Arendt, EFchmann in Jerusalem, S. 91.
(23) Arendt, S. 92.
(23a) Vgl. Alex Weißberg, Die Geschichte des Joel Brand, Köln'Berlin 1956 sowie Ahrendt, S. 154 ff. und S. 241.
(24) Israelische Sozialistische Organisation, The Other Israel, S. 9.
(25) LeoTrotzki, On the Jewish Problem, Fourth International, December 1945, S. 379.
(26) Theodor Herzf, Der Judenstaat (1896), Berlin 1933, S. 33.
(27) Zionism A Reply to Latest Criticism, London 1921, S. 8-9.
(28) Protokoll der Verhandlungen des 7. Zionistenkongresses in Basel 1905, Berlin 1905, S. 25.