Die Welle von Verhaftungen, Abschiebungen und Auslieferungen von Arabern und Palästinensern, das Verbot von GUPS (Generalunion Palästinensischer Studenten) und GUPA (Generalunion Palästinensischer Arbeiter) hat wie kaum eine der Maßnahmen während des vergangenen halben Jahres zur Verschärfung der allgemeinen Repression die Verknüpfung imperialistischer Interessen in der sog. Dritten Welt mit den Bedingungen ungestörter Reproduktion des Kapitals im Innern des hochentwickelten Kapitalismus sichtbar gemacht. Ganz offensichtlich hat sich die Bundesregierung mit diesen Maßnahmen zum Handlanger israelischer Geheimdienste und zum Erfüllungsgehilfen des zionistischen Staates Israel gemacht. Dazu die FAZ (29. 9. 72): „Daß Israel auf die Bonner Koalition heftigen Druck auszuüben versucht, geht... aus Berichten israelischer Journalisten hervor", und „Was man über belastendes Material gegen Araber erfuhr, ließ jedenfalls vermuten, daß die Verdächtigungen hauptsächlich aus israelischen Quellen herrühren". Der Schlag gegen die Palästinenser in der Bundesrepublik, durchgeführt in einer national koordinierten Aktion von Polizei und Verfassungsschutz, fand auch hier die aktive Mithilfe israelischer Geheimdienste. Nach Aussagen von abgeschobenen Palästinensern führten deutsche Polizei und der israelische Geheimdienst die Verhöre gemeinsam durch. Diese Tatsache wurde inzwischen von den Ausländerbehörden inoffiziell bestätigt (vgl. Dokumentation Frankfurter Anwälte zur Ausweisung von Palästinensern). Der großen „Araber-Razzia", in deren Verlauf 255 Ausweisungsverfügungen, und fast 100 Abschiebungen erfolgten (FR 13. 10. 72) - allein zwischen dem 8. und 24. 9. wurde 1500 Palästinensern und Arabern die Einreise in die BRD verweigert. (VdS-Rundbrief vom 30. 9. 72) -, war international wie in der BRD eine umfangreiche denunziatorische Kampagne vorausgegangen (Quick, 40, 72: „Erst lächeln und dann morden sie"). Unter dem Vorwand des Anschlages in München, von dem sich die Mitglieder der GUPS sowie Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ausdrücklich distanziert hatten (vgl. Mitteilung der arabischen Botschafter vom 7. 9.72, Presseerklärung der GUPS vom 14. 9. 72), leitete die Bundesregierung eine Verfolgungswelle ein, welche in der jüngsten deutschen Geschichte nur in der Verfolgung von Juden und Kommunisten während des Hitler-Faschismus seine Parallele hat.

„Araber und Palästinenser wurden um 5 Uhr morgens von Zivilbeamten mit gezogener Waffe überfallen und sofort per Flugzeug abgeschoben, ohne daß ihnen die Möglichkeit gegeben wird, ihren Rechtsanwalt, ihre Angehörigen oder Freunde zu benachrichtigen" (Presseerklärung der GUPS). Die offizielle Begründung Genschers: „Die von Bund und Ländern ergriffenen Maßnahmen haben das Ziel, Personen den Aufenthalt in der BRD unmöglich zu machen, bei denen die Gefahr einer Unterstützung terroristischer Organisationen besteht, sowie die Tätigkeit von radikalen Organisationen zu unterbinden, die mit terroristischen Bestrebungen sympathisieren oder ihnen Vorschub leisten" (FAZ 6. 10. 71). Diese Rechtfertigung von Nacht- und Nebelaktionen gegen Araber wird von allen im Bundestag vertretenen Parteien, von Presse, Rundfunk und Fernsehen lautstark bekräftigt. Der Zeitpunkt der Ausweisungskampagne ist gut gewählt. Die Linke ist in sich zerstritten, Gewerkschaften und Jusos führen den Wahlkampf der SPD, allenfalls rügen sie die „entwürdigenden Begleitumstände" oder die „offen rechtswidrige Begründung" (beispielsweise die des Einwohnerzentralamtes Hamburg gegen llena Abu Haddid, die die Abschiebung nicht überlebte: „... ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung dringend geboten, um auszuschließen, daß Sie durch Einlegung von Rechtsmitteln ... Ihre sofortige Entfernung vereiteln"). Die Ausweisungen selbst stellen sie nicht in Frage. Groß war aber die „Genugtuung in Jerusalem". Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums nach Bekanntwerden des GUPS- und GUPA-Verbotes: „Das war gut so, und wir hoffen, es wird noch mehr getan" (FAZ 6. 10. 72).

Aber noch bevor die Ausweisungswelle in der BRD ihren Höhepunkt erreichte, hatten die Israelis ihrerseits die allgemeine Stimmung genutzt. Zwei Tage nach dem Münchener Anschlag bombardierten sie Flüchtlingslager im Libanon und in Syrien. Israelische Truppen marschierten in Dörfer und Städte in Südlibanon ein, sprengten Häuser, vertrieben die Bevölkerung und setzten erstmals Giftgas ein. Allein 200 Tote gab es in den palästinensischen Flüchtlingslagern in Syrien. In Nordjordanien wurden 13 Bauern Opfer eines Napalmangriffes. Selbst die bürgerliche Presse mußte zugeben, daß Opfer der israelischen Angriffe auf die angeblichen Stützpunkte der Fedayin wehrlose Zivilisten waren. Vor der Weltöffentlichkeit wurde dieser Terror als „Rache für München" legitimiert. Israels Außenminister Abba Ebani „... der arabische Terror ist nicht mehr zu verurteilen, sondern auszumerzen" (FR 21. 9. 72).

Denjenigen, die in der BRD die „Gestapo”-Methoden der Polizei kritisieren, wird ausgerechnet in der israelischen Presse der Vorwurf des Antisemitismus gemacht. Die israelische Zeitung Maariv schreibt: „Wenn es recht natürlich erscheinen mag, daß junge Linke in Deutschland die ,prächtige' Tradition Hitlers und seiner Raudis fortsetzen, so ist es nicht so natürlich, daß ein Blatt wie die frankfurter Allgemeine Zeitung' seine Stimme in Gemeinschaft mit allen Judenhassern erhebt und zur Verteidigung der,armen Araber' einspringt" (zit. nach FAZ 9. 10. 72). Solche Äußerungen zeigen, wie sehr die Zionisten immer noch versuchen, aus dem kollektiven Schuldbewußtsein der Deutschen Kapital zu schlagen, obwohl in erster Linie sie, Golda Meir und Dayan, es waren, die die israelischen Sportler opferten wie Bauern beim Schach, um einen noch besseren Vorwand für ihre fortgesetzte Eroberungspolitik im Nahen Osten zu haben. Wenn die Kritik an den Polizeimethoden gegen Minderheiten in der BRD in Israel heute „als Beweis dafür" gewertet wird, „daß der Antisemitismus heute in Deutschland noch viel tiefere Wurzeln geschlagen hat als angenommen werden konnte" (ebd.), dann wird vergessen, daß die Palästinenser, die wir heute gegen die Verfolgung westdeutscher Behörden und israelischer Geheimdienste in Schutz nehmen, ebenso Semiten sind, wie die Israelis, und daß diejenigen, die heute die verfolgten Araber verteidigen und die heute über die imperialistische Poiltik des Zionismus und dessen Nazimethoden (die inzwischen selbst von der UN-Kommission für Menschenrechte als „Kriegsverbrechen" und „Affront gegen die Menschlichkeit" [FR 24. 3. 72] verurteilt wurden) aufklären, die politischen Richtungen vertreten, wie die, die vor mehr als zwanzig Jahren die Juden gegen die Greueltaten des HitlerFaschismus verteidigten. Damals waren es Juden und Marxisten, die in den Konzentrationslagern Hitlers umkamen. Und wenn sich heute Sozialisten und Kommunisten in der BRD gegen den Zionismus, wohlgemerkt nicht gegen Juden, nicht gegen das Volk Israels, wenden, dann deshalb, weil der Staat Israel, dessen Entstehung das Resultat der blutigen Vertreibung der Palästinenser aus ihrem Land ist und dessen Existenz den permanenten Kriegszustand im Nahen Osten bedingt hat und weiterhin bedingt, weil dieser Staat mit seinem imperialistischen Expansionsdrang und der extremen Repression gegen Araber und Israelis im Innern immer offener faschistoide Züge trägt.

Dieser Staat, der die offene Unterstützung derer hat, die seit Jahren die blutige Aggression in Vietnam führen und billigen, dieser Staat ist der Brückenkopf des Imperialismus im Nahen Osten. „Im Nahen Osten sind" laut US-News and World Report, „das Erdöl und die Luftstützpunkte für uns von Interesse. Der Nahe Osten stellt die Ausgangsposition für die großen strategischen Pläne des Westens dar." Die Politik der Bundesregierung im Nahen Osten schließt beinahe bruchlos an die der USA an, d. h. massive Unterstützung Israels bei gleichzeitigen Teilzugeständnissen an die arabischen Staaten, wenn dort Ölinteressen in Gefahr geraten. Die Vergangenheit hat eine Fülle von Beispielen für diplomatische Avancen gegenüber den arabischen Ländern (Grund: „die schicksalhafte Verkettung mit dem arabischen Öl”, NZZ 29. 3. 70) nach jeder Finanzspritze für Israel dessen militärische Stärke der beste Garant für die Erhaltung des Status quo in dieser Region ist, falls die Befreiungsbewegungen unter Kontrolle gehalten werden können.

Die Unterstützung Israels im Kampf gegen die Palästinensische Befreiungsbewegung, die militärisch und politisch für ihr Selbstbestimmungsrecht, für einen demokratischen Staat in Palästina in dem Araber, Juden und Christen ohne jegliche Diskriminierung Zusammenleben, kämpft, hat die Bundesregierung mit der Verfolgung von Arabern und Palästinensern und mit dem Verbot von GUPS und GUPA beabsichtigt. Gleichwohl scheint dieses Verbot von Organisationen der palästinensischen Studenten und Arbeiter erst der Auftakt zu sein für weitere Verbote und für eine umfassendere Verfolgung von Ausländern, die das politische und ökonomische System in ihren Herkunftsländern ablehnen, in denen die BRD wirtschaftlich und politisch interessiert ist und die, indem sie hier die Aufklärung über die faschistischen oder extrem reaktionären Regime beispielsweise in den europäischen Peripherieländern Spanien, Griechenland, Türkei, aber auch in Persien, fortsetzen, „auswärtige Belange der Bundesrepublik" gefährden.

Die strenge Anwendung des Ausländergesetzes, dessen geplante Verschärfung durch das sog. Querschnittsgesetz und die Verabschiedung eines Gesetzesbündels zur „inneren Sicherheit" haben ihre ökonomische Basis in den im Innern der BRD wie außerhalb sich tendenziell verschlechternden Reproduktionsbedingungen des Kapitals. Diese institutionelle Absicherung staatlicher Repression ist zusammen mit dem neuen Werksschutzgesetz die konsequente Fortsetzung einer Entwicklung, die über das Inkrafttreten des Ausländergesetzes 1965 (ein Gesetz, das die aus dem Dritten Reich stammende Ausländerpolizeiverordnung ablöste und verschärfte) und die Notstandsgesetze 1968 verläuft. Die Verschärfung des Ausländerrechts bedeutet Ausnahmezustand für drei Millionen Menschen in der BRD. Aber schon jetzt sind der staatlichen Willkür kaum Grenzen gesetzt, denn-. Ausländer genießen alle Grundrechte mit Ausnahme der Grundrechte der Versammlungsfreiheit, der Vereinsfreiheit, der Freizügigkeit, der Wahl von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätten, sowie des Schutzes vor Auslieferung an das Ausland. Und aus dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung kann kein Recht auf uneingeschränkte politische Betätigung hergeleitet werden.

Als 1965 das Ausländergesetz verabschiedet wurde, gewann die für die expandierende Wirtschaft notwendige Ausländerbeschäftigung zunehmend an Bedeutung. Die Rezession der Notstandsgesetze folgten der von 1966/67, nachdem mit Hilfe der Sanierungsstrategie des Kapitals die ökonomische Krise zwar vorläufig überwunden werden konnte, deren Maßnahmen zur Erhaltung der Kapitalherrschaft aber zugleich den Gewaltcharakter des Systems einsichtiger werden ließen und damit auch die Bedingungen einer immer stärkeren Mobilisierung schufen. Die gegenwärtige Repressionswelle soll den erneuten Angriff auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der lohnabhängigen Bevölkerung absichern, einen Angriff, den das bundesrepublikanische Kapital um internationaler Konkurrenzvorteile willen führt.

Anna Nadia