Reflexionen über den KSV
Wie die Masse der linken Organisationen in Westdeutschland und Berlin ist der Kommunistische Studentenverband in Frankfurt eine Nachfolgeorganisation des SDS, bestehen seine Mitglieder aus Studenten, betreibt er eine Politik, welche die Fehler und Schwächen der antiautoritären Revolte vermeint überwunden zu haben.
Als 1969 der SDS in Berlin zerfiel, wurden in vielen Fachbereichen sogenannte Rote Zellen gegründet. Ansatzweise geschah dies auch in Frankfurt. Als geschlossenste Gruppe blieb dabei die Rote Zelle Pädagogik übrig. Sie war der Schoß dessen, was sich heute so kühn und stolz KSV nennt. Trotz dieses Namens, den sich schon der Studentenverband der KPD AO gegeben hatte, schloß sich der KSV nicht dieser Partei an; erst einmal wohl in richtiger Einschätzung von deren Selbstüberschätzung. Nichtsdestotrotz sind Ähnlichkeiten mit lebenden Personen nicht rein zufällig; sie entspringen einer unter den gegebenen historischen Bedingungen naheliegenden Lösung. Diese Lösung besteht in dem konsequenten Rückgriff auf echte oder vermeintliche Traditionen der Arbeiterbewegung und vor allem aber des orthodoxen Marxismus. Orthodoxer Marxismus nicht im Sinne des frühen Lukäcs, sondern in dem buchstäblichen Fürwahrhalten dessen, was die Klassiker (Marx, Engels, Lenin pipapo) schrieben. Um nicht von vorneherein uns dem reflexartig erfolgenden Vorwurf des linksradikalen Antikommunismus auszusetzen, sei gesagt, auch wir halten das Studium der Klassiker für unumgänglich, um eine revolutionäre Perspektive zu finden. Wir halten aber die Methode der Applikation für gerade von einem genuin marxistischen Standpunkt aus für unwissenschaftlich und unzulässig. Diese aber wird vom KSV und anderswo angewendet. Die Marxsche Dialektik entspringt der Dialektik der Klassenkämpfe, der Geschichte; die Dialektik der orthodoxen Marxisten ist eine aufgeklatschte: Wo finde ich bei Marx die Analogie? Fataler noch ist der Rückgriff auf die Tradition der Arbeiterbewegung. Faktisch ist diese durch den Faschismus zerschlagen worden; nur euphemistisch kann von einer beginnenden Rekonstruktion seit den Septemberstreiks von 1970, nur apologetisch von einer Kontinuität durch die illegalisierte KPD gesprochen werden. Das Proletariat als Klasse für sich existiert heute nicht; die Klassenkämpfe der zwanziger Jahre endeten mit der schwersten Niederlage, die nur denkbar ist. Heute sich auf eine vermeintlich ruhmreiche Tradition deutscher kommunistischer Politik zu berufen, heißt über die Niederlage hinwegzutäuschen und die Gegenwart zu ignorieren. Inwieweit diese Symptome, die Merkmal von orthodoxem Sektierertum sind und die bei Fraktionen wie der KPD/ AO bereits den Charakter eines geschlossenen Wahnsystems erreicht haben, beim Frankfurter KSV zu finden sind, soll im folgenden an Hand der im vergangenen Jahr abgelaufenen Strategiedebatte zwischen dem KSV auf der einen, den „spontaneistischen" Gruppen (Revolutionärer Kampf, Rote Hilfe, Rote Zelle Jura, Marxistische Aufbauorganisation u. a.) entfaltet werden.
Der KSV nimmt für sich in Anspruch, eine kommunistische Organisation zu sein. Sinnvoll aber sind kommunistische Organisationen nur dann, wenn sie ihre Arbeit in ein Verhältnis zur revolutionären Klasse, damit zur revolutionären Partei vermitteln können. Es ist das große Manko der gegenwärtigen Lage, daß es ein Dutzend kommunistischer Parteien gibt, nicht aber eine, die diesen Namen anders als antizipierend trägt - selbst gemessen an der westdeutschen Nachkriegs-KPD sind diese studentischen Ersatzparteien bloße Zirkel, die nicht durch Absichtserklärungen und Vereinheitlichungsproklamationen zu der sichtbar gewordenen Gestalt des proletarischen Klassenbewußtseins emporiustilisieren sind. Tatsache ist, daß auch durch Vereinheitlichung der Zirkel ein paar Renommierarbeiter nicht zum bewußtesten und fortgeschrittensten Teil der Arbeiterklasse werden; eine proletarische Arbeiterbewegung, zu der sich kommunistische Gruppen anderer sozialer Bereiche hin vermitteln könnten, existiert nicht. Die aus Jugendkultur und Revolte erwachsenen Gruppierungen der Linken sind nicht proletarisch, sondern proklamieren lediglich ihren kommunistischen Anspruch. Dieser Anspruch leitet sich bei einer streng orthodoxen Vereinigung wie dem KSV aus dem Leninschen Konzept einer Partei neuen Typs und der in ihr enthaltenen Massenfeindlichkeit ab. „Lenin funktioniert... die spätbürgerliche gegenaufklärerische Ideologie von Elite und Masse revolutionär um ... Zu seinem Begriff der Agitation gehört, daß die Massen aus eigener Erfahrung autonom nachvollziehen, was die Avantgardestrategen ihnen vermitteln: die konkrete Erfahrung abstrakter Herrschaft" (Krahl, S. 161).
Da nach Lenin die Massen der Arbeiter nur zu einem tradeunionistischen Bewußtsein fähig sind, das durch den Berufsrevolutionär bzw. die kommunistische Partei revolutionär angefüllt werden muß, ist es gleichgültig, welchen sozialen Charakter diese Avantgarde hat; sie handelt substitionalistisch für das Proletariat. Unter den Bedingungen frühkapitalistischer Akkumulation im zaristischen Rußland ist diese Konzeption nicht nur legitim, sondern in der Oktoberrevolution erfolgreich gewesen. Ein anderes ist die Übertragung auf heutige Verhältnisse.
Die revolutionäre Theorie ist durch die Erfahrungen der chinesischen, der koreanischen und der vietnamesischen Revolution entscheidend bereichert worden. Durch sie ist der Begriff des „Volkskrieges" und vor allem der „Massen" neu belebt worden. In diesem Zusammenhang darf vielleicht auf das berühmte Mao-Wort hingewiesen werden: „Die wahren Helden sind die Massen, wir selbst aber sind oft naiv bis zur Lächerlichkeit; wer das nicht begriffen hat, wird nicht einmal die minimalsten Kenntnisse erwerben können." Der Massenbegriff der chinesischen Revolution ist verschieden rezipiert worden; an der wörtlichen Übertragung des Verhältnisses von Kommunistischer Partei und revolutionärer Masse in China hat sich der KSV in Frankfurt von niemanden übertreffen lassen, wohl aber an realistischer Einschätzung faktisch vorhandener Massen. Die Gruppe Revolutionärer Kampf, die durch ihre konsequente Betriebsarbeit das meiste Ansehen unter den Frankfurter Gruppen genießt, hat in ihrer Kritik an den Genossen von der Roten Armee Fraktion ihren Massenbegriff verdeutlich, der uns weit mehr als derjenige des KSV die Realität des politischen Kampfes hier zeigt: „Nicht die Bomben (der RAF) bringen das kapitalistische System in Gefahr, es ist erst dann in Gefahr, wenn die Massen es nicht mehr wollen und eine praktische Alternative sehen, wie sie ihr Leben verändern können. Bomben ändern nichts am Elend des Kapitalismus, an der Isolation in den modernen Wohnsilos, an der Spaltung am Arbeitsplatz, weil sich keine Lernprozesse vollziehen können an Aktionen, die eine Gruppe isoliert, plant, durchführt und interpretiert...' (Neues vom Sozialstaat, S. 33).
Diejenigen, die sich heute hier in Westdeutschland mit einer revolutionären und antiimperialistischen Politik identifizieren, sind Studenten, Angehörige der Jugendkultur und schichtenspezifisch kaum faßbare Teile der Bevölkerung. Die Klassenfrage was immer die verschiedenen Fraktionen der Parteiaufbauer darunter verstehen wird von diesen dazu benutzt, die effektiven Aktionen spontaneistischer Gruppen grundsätzlich als „kleinbürgerlich" und „anarchistisch" zu diffamieren. Beispielhaft dafür ist der Artikel „Kampf dem kleinbürgerlichen Revoluzzertum" in der Kommunistischen Hochschulpresse Nr. 4/72. Was „kleinbürgerlich" heißt, wird in diesem Artikel allerdings und bezeichnenderweise nicht ausgeführt. Der KSV wäre nämlich dann in die Verlegenheit gekommen, Leuten, die dem Großbürgertum entstammen und für die durchaus eine großbürgerliche Karriere bereit stand, nachzuweisen, daß diese sich kleinbürgerlich verhalten. Schade, daß es nicht zu diesem interessanten Versuch gekommen ist.
Am Anfang dieses Artikels konstatiert der Verfasser eine „großangelegte publizistische (!) Offensive einiger abgewrackter (gemeint soll wohl sein: abgefuckter) Studentenführer und Literaten (Kursbuch)". Schon diese Feststellung, hinter dem Erfolg disparater Problematisierungsbemühungen voneinander unabhängiger Individuen oder Organisationen eine Art von
Verschwörung zu sehen, kennzeichnet den paranoiden Charakter der Auseinandersetzung, so wie sie vom KSV her geführt wird. Zu den Spontaneisten heißt es innerhalb der Einleitung des Artikels: „Eine Grundhaltung, die wir deshalb spontaneistisch nennen, weil sie nicht auf der Grundlage von Strategie und Taktik eine klassenmäßig bestimmte Politik entfaltet, die nicht abzielt auf die langfristige politische und organisatorische Stabilisierung von Klassenkämpfen, sondern die vielmehr zu einer Politik führt, die wesentlich dadurch charakterisiert ist, daß sie punktuelle Konflikte, spontane, mit „den Augen wahrzunehmende" Bewegungen, unbefriedigte Bedürfnisse aufgreift und immanent zu radikalisieren versucht - recht unbekümmert um deren klassenmäßige Grundlage und historische Kontinuität..
Was eine klassenmäßig bestimmte Politik ist, wird in diesem Artikel leider nicht nachgewiesen — nehmen wir also an, daß es sich um eine Politik handelt, die vor allem den Interessen des Proletariats sich verpflichtet weiß. Eine solche Politik versuchte z. B. die Gruppe Revolutionärer Kampf zu initiieren, indem sie erst einmal zu untersuchen begann, was hier unter aktuellen Bedingungen Lohnarbeit bedeutet, indem sie in den Betrieb gegangen ist.
Wer solches schon aus der Lektüre der Klassiker weiß, kann freilich auf „mit den Augen wahrzunehmende" Problematisierungen verzichten. Wo ist denn die „historische Kontinuität" einer kommunistischen Arbeiterbewegung? Wo ist denn die „klassenmäßige" Grundlage der Politik des KSV? Ist sie ideell, kleinbürgerlich oder empirisch? Man wird doch noch fragen dürfen.
Im weiteren kritisiert der KSV die vielfältigen Aktionen der nicht-dogmatischen linken Gruppen, die im Gegensatz zum KSV es nicht für sich in Anspruch nehmen, die „richtige Linie" schon gefunden zu haben. Ihnen gegenüber wird - abstrakt die Realpolitik ausgespielt. Zitat: „Das Problem der Gewalt so zu stellen, heißt aber, es als Frage nach den aufklärerischen und pädagogischen Effekten zu stellen. Die Frage revolutionärer Gewalt wird nicht mehr nach der historisch konkreten Notwendigkeit gewaltsamer Aktionen zur Durchsetzung politischer Ziele, sondern als prinzipieller Kern ... formuliert." Natürlich kann und darf Militanz kein Selbstzweck sein. Aber militante Aktionen, selbst Bombenattentate, stehen nicht im keimfreien gesellschaftlichen Raum und warten darauf, daß der erste hergelaufene Kommunist sich an ihnen interpretatorisch abmüht. Der Sinn der Militanz ergibt sich aus dem politischen Kontext, indem sie steht. Es ist sicherlich nicht maßlos effektiv, aus einer berechtigten spontanen Erregung heraus Scheiben von imperialistischen Institutionen einzuwerfen, da dieses optimal zu einem sog. „Glasnotstand" führt. Das Ziel solcher Aktionen z. B. ist, wie der Gutwille es leicht einsehen wird, es nicht, die Glasindustrie zu stärken (wiewohl das ein Nebeneffekt seih kann. Das muß auf einer klassenmäßigen Grundlage untersucht werden). In der Tat kommt es in diesem Zusammenhang auf die „aufklärerischen und pädagogischen Effekte" an. Diese sind ein erster Versuch dahin, „Aktionen zur durchsetzung politischer Ziele" überhaupt möglich zu machen - was im antiimperialistischen Kampf ungeheuer schwierig ist. Sich dagegen auf das „friedlich-machtvoll-disziplinierte" Demonstrieren, so wie es der KSV gern möchte, zu beschränken, heißt ein komplett falsches Modell antiimperialistischen Kampfes zu liefern. Wie soll denn der antiimperialistische Kampf geführt werden? Durch das Verteilen von Flugblättern in einer stereotypen, abgefuckten Sprache, die die Bevölkerung nicht erreicht? Etwa durch Märsche, die von vorne bis hinten von Polizeikolonnen eingekreist sind? Mit Reden, die niemanden agitieren außer denen, die schon agitiert sind?
Durch Bombenattentate - die immerhin Schäden anrichten?
Als die Genossen der Roten Hilfe noch während der Serie der Bombenattentate, die der RAF zugeschrieben wurden, eine differenzierte Einschätzung zu liefern versuchten (die Waffen der Kritik und die Kritik der Waffen), war die Konsequenz des KSV, die Genossen der RH nur noch mit Anführungsstrichen als solche zu bezeichnen und Spendenaufrufe nicht mehr abzudrucken ...
Die Kritik des KSV an den linken Gruppierungen ist standpunktlos und entbehrt jeder Perspektive. Eine kommunistische Linie, die über den defensiven Kampf an der Universität hinausgeht, ist nicht in Sicht. Wer heute die Parole vom „Kampf dem Abbau demokratischer Rechte" ausgibt, ist nicht nur vom marxistischen Geist verlassen, sondern steht allein auf weiter Flur. Der Glaube, die Studentenbewegung könne die von der Arbeiterklasse der Bourgeoisie abgerungenen und justiziell fixierten Forderungen (z. B. Streikrecht) unter den gegenwärtigen Umständen substitutionalistisch aufnehmen und konservieren, ist die reine Illusion. Hinter solchen Parolen steht kein objektives Interesse irgendeiner Klasse mehr und sie den Studenten zu präsentieren, heißt nichts anderes, als inhaltlich hinter die Revolte zurückzufallen.
Ununterbrochen versucht der Kommunistische Studentenverband in Frankfurt sich mit einer Aura revolutionärer Politik zu umgeben, die sich mit anfallenden Schwierigkeiten bewußt auseinanderzusetzen weiß. Ein Führungsanspruch aber, der sich weder in Kämpfen noch in der Erstellung revolutionärer Theorie praktisch und richtig durchzusetzen weiß, eine Organisation, die nur in der Masse der Karteileichen brilliert und bei der Diskussion relevanter politischer Fragen lediglich überlegt, wie sie andere Gruppen ohne allzugroße eigene Anstrengungen tricky in die Ecke drängt, die hats wohl nötig so zu verfahren und braucht sich deswegen auch nicht in der Weise aufzuplustern, wie es immer wieder zu beobachten ist.
Ralf W. Scott Daniel Georg