Der Springer-Konzern und seine Auftragsdruckerei wollen späte Rache nehmen. Sie haben ein rechtskräftiges Zivilurteil gegen Günter Amendt erwirkt, das ihn als einzelnen aus der Masse einer Demonstration herausgreift und für ihn zur Folge hat, daß er DM 72 000,- bezahlen soll. Das soll ihn in seiner bürgerlichen Existenz vernichten (indirektes Berufsverbot). In Wirklichkeit waren die Aktionen Ostern 1968 gegen die Auslieferung der Springerzeitungen eine kollektive und spontane Antwort auf die monatelange Hetze in den Springerblättern gegen die außerparlamentarische Opposition, der das Attentat auf Rudi Dutschke folgte. Die Absicht des Springerkonzerns, sein Vergeltungsbedürfnis an einem einzelnen zu befriedigen, ist bezeichnend. Wir vereiteln die Verwirklichung dieser Absicht, indem wir die eingeklagten DM 72 000,- durch eine Sammelaktion aufbringen.

Diese Sammelaktion „Solidarität mit Günter Amendt" unterstützen als Erstunterzeichner mit einer erheblichen Spende: Wolfgang Abendroth, Klaus Behnke, Frank Benseler, Ernst Bloch, Gerhard Bott, Andreas Büro, Günter Busch, Rudi Dutschke, Hans Magnus Enzensberger, Erich Fried, Helmut Gollwitzer, Heiner Halberstadt, Dieter Hooge, Klaus Horn, Gerd Kadelbach, Klaus Kamberger, Alexander Kluge, Jakob Moneta, H. D. Müller, Oskar Negt, Robert Neumann, Lothar Pinkall, Reimut Reiche, Konrad Reinhold, Erika Runge, Jürgen Seifert, Renate Scheunemann, Klaus Vack, Karsten D. Voigt, Dorothee und Klaus Vorbeck, Klaus Wagenbach, Günter Wallraff, Martin Walser, Bernhard Wiebel, Rudolf Wiethölter, Gerhard Zwerenz.

Spenden sind zu überweisen an das Solidaritäts-Sonderkonto Günter Amendt, Girokonto 17439961-11 bei Bank für Gemeinwirtschaft Niederlassung Offenbach; das Postscheckkonto der Bank: Postscheckamt Frankfurt 172480.

Strauß

Nach der Veröffentlichung eines Strauß-Interviews in der neofaschistischen italienischen Parteizeitung „II Borghese" (FR vom 21. Oktober), dessen Echtheit von Strauß-Referent Herbert Ettengruber bestritten worden war, konterte die Redaktion des Blattes nach einer FR-Anfrage: „Wir haben wirklich mit Strauß gesprochen." Der Interviewer, Nevin E. Gun, nannte den 12. Oktober als Zeitpunkt und die Landeszentrale der CSU in der Münchener Lazarettstraße als Ort des Interviews, dem auch Ettengruber beigewohnt habe. Auch darüber, daß das Gespräch in der Zeitung der Neofaschisten veröffentlicht werden sollte, bestand laut Gun kein Zweifel, weil er mit der CSU auf „Borghese"-Papier korrespondiert habe

Räumung desGeorg-von-Rauch-Hauses?

Seit einem Jahr arbeiten und leben auf dem Gelände des ehemaligen Bethanienkrankenhauses in Berlin ca. 50 vormals ausgeflippte Lehrlinge, Trebegänger und Jungarbeiter in dem von ihnen so getauften Georgvon-Rauch-Haus. Das Gebäude war im vergangenen Jahr, wenige Tage nach der polizeilichen Erschießung dieses Genossen besetzt worden. Die gemeinsame Praxis der Bewohner führte zu einer Politisierung, die besser als jede „Resozialisierung" frühere Beschädigungen überwand. Dem Berliner Senat von Anfang an ein Dorn im Auge wurde das Haus mehrmals von Polizeihundertschaften überfallen, um die Bewohnerschaft als „Terroristen" und „Baader-Meinhof-Freunde* zu entlarven.

In einer Sitzung am 6. Oktober beschloß das Berliner Abgeordnetenhaus das Haus räumen zu lassen, wenn die Bewohner weiterhin sich weigerten, sich von „Pädagogen" kontrollieren zu lassen. Die Räumungsfrist beginnt voraussichtlich am 26. Oktober und läuft nach einem Monat ab. Spätestens zum 26. November müssen die Bewohner mit einer zwangsweisen Räumung durch die ihrer Brutalität wegen sattsam bekannte Berliner Polizei rechnen Das Beispiel des Georgvon-Rauch-Hauses hat gezeigt, daß die militante Selbstorganisation von Randgruppen sinnvoll und möglich ist. Die selbsternannten Avantgardeparteien in Berlin, allen voran die KPD-Achso stehen solcher proletarischen Selbstätigkeit begreiflicherweise skeptisch gegenüber: ist sie doch nicht den Köpfen des ZKs entsprungen.

Zur weiteren Information: Georg-von-Rauch-Haus, Dokumentation: Kämpfen, Lernen, Leben - erhältlich über: Jugendzentrum Kreuzberg e. V.

1 Berlin 36, Mariannenplatz 13 oder in linken Buchläden Geldspenden (zahlreich erbeten) auf Postsch.-Kto.

K. Friedrichs, Nr. 2834 74 Berlin (West), oder Jugendzentrum Kreuzberg e. V. Berlin, Berliner Bank Kto.-Nr. 07/26253100

Berufsverbotfür DKP-Mitglied

Die Siebente Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt/ Weinstraße in Mainz hat am 18. Oktober den Antrag der 23 Jahre alten Lehramtskandidatin Anne Lenhart aus Mainz abgelehnt, auf dem Weg der einstweiligen Anordnung die Einstellung in den rheinlandpfälzischen Schuldienst zu erreichen Das Kultusministerium in Mainz hatte eine Einstellung mit der Begründung abgelehnt, Anne Lenhart biete als aktive und engagiertes Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) nicht die im Beamtengesefz geforderte Gewähr dafür, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik einzutreten Anne Lenhart soll seit dem 1. August dieses Jahres in dem Wiesbadener Vorort Kostheim als angestellte nebenberufliche Lehrerin an einer Hauptschule mit Förderstufe (GebrüderGrimm-Schule) tätig sein

Berufsverbotfür Sonntag

Das baden-württembergische Kultusministerium lehnte — nach Rückfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz - eine Verlängerung der Gastprofessur von Heinz Rudolf Sonntag ab, obwohl der Fachbereich Geschichte an der Universität Konstanz zuvor einstimmig die Verlängerung seines Vertrages beschlossen hatte. Bei der Berufung Sonntags war eine zweijährige Lehrtätigkeit vereinbart worden. Die Verlängerung der üblicherweise auf ein Jahr begrenzten Verträge sind dann normalerweise eine „reine Formsache". Der Vorwand des Kultusministeruims, es sei Sonntag nicht gelungen, nachzuweisen, daß er Professor einer Universität sei, deshalb könne er laut § 34 des Hochschulgesetzes auch nicht Gastprofessor sein, ist dann auch mehr als peinlich. Laut § 34 HG muß ein Gastprofessor zum Zeitpunkt seiner Berufung Mitglied einer anderen Universität sein. Sonntag, der im Juni 1971 durch den Rektor der Universität Konstanz als Gastprofessor für Lateinamerikanische Geschichte berufen worden war, sollte jetzt plötzlich seinen ProfessorenStatus beweisen. Er brachte eine Bescheinigung der Zentral-Universität in Caracas, Venezuela, über seine dortige Tätigkeit als Professor in der Zeit von 1968 bis 31. August 1971.

Prozeß gegenHorst Mahler

Hinter vermauerten Fenstern und Absperrungen begann am 9. Oktober im Landgericht Moabit der Prozeß gegen Horst Mahler, der beschuldigt wird, die sog. Baader-Meinhof-Bande sprich Rote Armee Fraktion, gegründet und nebenbei einige Banken ausgenommen zu haben Auf welch schwachen Füßen die Anklage steht, war von vornherein zu ersehen. Hauptbelastungszeuge ist Karl Heinz „Kalle") Ruhland, der auf Grund eines etwas zu umfangreichen Geständnisses zu viereinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde und der mit einer vorzeitigen Entlassung wegen guter

Führung rechnet - wenn er Mahler und andere beschuldigt. Ulrich Scholtz, der ebenfalls gegen Mahler aussagen soll, wurde schon kurze Zeit nach der Verhaftung auf freien Fuß gesetzt. (Marianne Herzog z. B sitzt seit mehr als einem Jahr unter der Beschuldigung, Autos an „die Bande" verliehen zu haben). Andere Zeugen: Beate Sturm - die längst wieder bei ihrer Mutter lebt und Peter Homann, Journalist bei „Konkret". Unter der Bedrohung, selbst eingesperrt zu werden, versuchen sie ihre eigene Haut zu retten und belasten andere Schon die ersten Tage des Prozesses verwandelten das Schwurgericht zu einer Groteske. Mahler gab seine politischen Äußerungen zum Besten (abgedruckt in der DeutschlandAusgabe der Frankfurter Rundschau vom 16. 10. Die Stadtleser bekamen Lokales) und feierte das Massaker von München („Leider haben die Araber Genscher nicht genommen"). Schon der Ausschluß der Öffentlichkeit, die diese Äußerung begeistert begrüßte, verlief nicht justizförmig. Der „Kronzeuge" Ruhland, von Mahler ins Verhör genommen und auf eklatante Widersprüche in seinen Aussagen hingewiesen, kapitulierte und verlangte nach seinem Verteidiger (den man als Zeuge nicht hat). Obwohl der Vorsitzende Jericke permanent Partei für den verwirrten Ruhland ergreift (antworten Sie nur, wenn ich ein Handzeichen gebe) gibt sich dieser erst einmal geschlagen. Nach drei Tagen war das Fiasko perfekt: die Vernehmung Ruhlands wurde vom 13. 10. auf den 1.11. vertagt - damit er sich mit seinem Pflichtverteidiger besprechen kann. Wenn es noch ein Amen in der Kirche gibt, dann geht dieser Prozeß in Revision. Die Vermutung, daß an einem Großteil der Hetze gegen die RAF nichts dran ist, bekommt neuen Auftrieb

Innere Sicherheit:Killen wieJames Bond

Der Bundesgrenzschutz soll von gegenwärtig 19 233 um 5000 Mann verstärkt werden. Nachdem der Haushaltsausschuß die ersten neuen Planstellen bewilligt hatte, verfügte Genscher im September die Aufstellung von BGS-Spezialeinheiten (FAZ 29. 9. 72). Schon im Juni hatte das Bundeskabinett eine Verbesserung der Ausstattung des Bundeskriminalamtes beschlossen. Die Zahl der Stellen beim BKA wird daraufhin gegenwärtig auf 2062 (1969: 933) erhöht. Die Ausgaben des BKA steigen damit auf 122 Millionen DM (1969: 22,4 Millionen DM) (FAZ 15. 9. 72).

Zu den BGS-Speziaieinheiten, denen Spezialisten des Bundeskriminalamtes zugeordnet werden, gehören Präzisionsschützen, Waffen- und Sprengstoffexperten, Chemo- und Elektrotechniker und andere Fachleute des technischen Bereichs (FAZ 29. 9. 72). Sie werden ausgerüstet mit Hubschraubern und leistungsstarken Kraftfahrzeugen. (ebd.) Die Männer der „AntiTerror-Truppe" (Genscher) müssen „allzeit bereit" sein, „sofort so schnell zu killen wie James Bond" (Spiegel 40, 72). Das „Tötensollen, -dürfen und -müssen" ist neu. Bisher war der gezielte, absichtliche Todesschuß untersagt (FR 19. 9. 72). Außer den einzelnen Großstädten (Frankfurt) beispielsweise benötigt allein für den Kauf modernster Waffen und Geräte für die zwanzigköpfige Polizeitruppe eine Million Mark: FAZ 5. 10. 72), machten bereits die Spezialeinheiten der Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen Schlagzeilen. Das „HessenFBI" hat schon seit einigen Monaten vier Fahndungs- und Observationsgruppen des Landeskriminalamtes, Männer „mit schnellen Wagen, Revolvern, Tränengas und Nachtsichtsgeräten" (FR 14. 9. 72). Sie sollen bald auch mit Nachtzielfernrohrgeräten ausgerüstet werden.

Seit Wochen sind diese. „Astronautentypen" im Training.

„Drei Monate,Bild-Zeitung 6 ersetzt einSemesteran derMarburgerUniversität . 66

Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel (CDU) auf einer Wahlveranstaltung am 1. November in Kirchenhain.

Polizist schoßsich in den Arsch

Der Chef der Staatsschutzabteilung bei der Hamburger Kriminalpolizei, Otto Werner Müller, hat sich aus Versehen in das eigene Hinterteil geschossen. Wie die Polizei am Freitag bestätigte, wollte Hamburgs höchster Staatsschützer bei einem Schnellfeuerschießen ganz besonders glänzen und wie ein Cowboy mit dem Revolver aus der Hüfte feuern. Dabei verhedderte sich der Schütze in seiner Lederjacke, und der Schuß ging „in die Hose". Der Chefstuhl der hanseatischen Staatsschutzabteilung bleibt deshalb in den nächsten Tagen leer

AusweisungvietnamesischerStudenten

Für eine Ausländergruppe hat sich die Fülle der organisierten Linken merkwürdigerweise bislang nicht sonderlich interessiert, die vietnamesischen Studenten in der BRD. Seit Mai dieses Jahres ist eine Gruppe von 38 südvietnamesischen Studenten in Aachen von der Ausweisung bedroht, weil sie es gewagt hat, durch eine friedliche und angemeldete Demonstration sowie durch einen offenen Brief gegen die verschärfte Kriegsführung der amerikanischen Kriegsverbrecher zu protestieren Den Studenten wurden die Überweisungen ihrer Eltern und ihre Stipendien gesperrt. Die Botschaft der „Republik Vietnam" verweigerte Bestätigungen über die wirtschaftliche Lage einzelner Studenten zu geben - was die baldige Ausweisung zur Folge haben kann, denn ohne Bestätigung kein Stipendium und ausländische Studenten erhalten regulär keine Arbeitserlaubnis.

Der Lebensunterhalt der 38 Vietnamesen ist bislang durch Spenden bestritten worden. Kontonummer: 160 20 000 Aachener Stadtsparkasse. Die örtliche Presse hetzt und bezeichnet die Vietnamesen als von Kommunisten gekaufte Elemente. „Dafür haben Achener Bürger kein Verständnis" und „Dies ist eine Angelegenheit, die die Vietnamesen unter sich ausmachen müssen. Dies ist kein Grund, auf die Straße zu gehen und Aachener Bürger in ihrer Bewegungsfreiheit zu beeinträchtigen", heißt es in der Aachener Volkszeitung vom 3. 7. 72. Kommentar erübrigt sich

Studentin Lissabongetötet

Bei einem Zusammenstoß zwischen Studenten und der Polizei ist, wie am Wochenende vom portugiesischen Innenministerium bestätigt wurde, am Donnerstag, dem 12. 10. 72, auf dem Gelände der Universität von Lissabon ein Student getötet worden. Ein weiterer wurde veretzt

Vier Deutschein Athenverurteilt

Ein Athener Militärgericht hat am 18. Oktober vier deutsche Studenten zu Freiheitsstrafen zwischen 18 und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht befand die Angeklagten für schuldig, die Flucht eines Mitgliedes der griechischen Widerstandsbewegung „20. Oktober", Edith Oikonomou, geplant zu haben.

Der Student Ernst Zorer (32) erhielt 18 Monate Gefängnis, sein Kommilitone Werner Robbers (26) 14 Monate, Jürgen Obermayer (27) zwölf Monate und Susanne Bausinger (19) sechs Monate Gefängnis. Alle wurden als schuldig im Sinne der Anklage bezeichnet.

Mit dem Urteil blieb das Gericht nur geringfügig unter den Strafanträgen des Kronanwalts. Eine Aussetzung der Strafen zur Bewährung wurde abgelehnt.

Die vier Tübinger Studenten waren am 8. Juli in Athen festgenommen worden, nachdem sie einen Tag zuvor mit einem Auto über die jugoslawisch-griechische Grenze eingereist waren. Aus dem Prozeßverlauf ergab sich, daß die griechische Militärpolizei über die bevorstehende Ankunft einer Ausländergruppe bereits unterrichtet war. Deshalb traf Ernst Zorer, als er nach Ankunft in Athen zu einem verabredeten Treff mit einem vermeintlichen Mittelsmann zu Frau Oikonomou ging, tatsächlich bereits auf Offiziere der Militärpolizei, mit denen er mehrere

Stunden lang in dem Glauben blieb, es seien Mitglieder des griechischen Widerstands. Erst danach wurde er verhaftet Um die Fluchthilfe für Frau Oikonomou war Zorer, wie er aussagte, in Stuttgart'von zwei griechischen Bekannten gebeten worden, die sich als Mitglieder der ,>Bewegung des 20. Oktober" bezeichneten. Obermayer und Susanne Bausinger waren nach ihren eigenen Aussagen über diese Organisation nicht unterrichtet

Generalstreikin Spanien

Am 9. September entläßt die Unternehmensleitung von CITROEN-HISPANIA fünf Delegierte der Belegschaft und bricht damit die Verhandlungen über die Forderung der Arbeiter nach Verkürzung der Arbeitszeit von 48 auf 44 Wochenstunden ab. Daraufhin legen 5000 Kollegen die Arbeit nieder. In verschiedenen anderen Fabriken Vigos treten ungefähr 4000 weitere Arbeiter aus Solidarität mit den Entlassenen in den Ausstand. Die Regierung verstärkt die bewaffnete Polizei. Am 13. September streiken in Vigo und Umgebung schon schätzungsweise 10 000. Bei Sympathiekundgebungen der Bevölkerung und Arbeiterdemonstrationen kommt es zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei Die Arbeiter errichten Barrikaden und fordern auf Spruchbändern, das Militärgericht (Consejo de Guerra) in El Ferrol zu stürmen. Nachdem der „Vorschlag" der CITROEN-Leitung, ohne die Entlassenen zur Arbeit zurückzukehren, abgelehnt ist, dehnt sich die Streikbewegung weiter aus, es erfaßt außer mehreren Werften und Betrieben der Metallindustrie auch das kleine Industriezentrum des 15 km von Vigo entfernt liegenden Porrino. Am 15. September befolgen nach Angaben der Arbeiter etwa 50 000 den Aufruf der Comisiones Obreras zum Generalstreik. Die 23 wichtigsten Betriebe von Vigo und Umgebung schließen ihre Tore Am 16. folgen weitere Demonstrationen gegen Entlassungen und Verhaftungen, die Arbeiter fordern den Abzug der bewaffneten Polizei: „Polizeimörder, raus aus Vigo, Solidarität mit El Ferrol", „Liberdad, liberdad, iberdad". „Wir wollen Brot." Die Polizei befürchtet, daß die Kleinhändler und Wirte wie in El Ferrol aus Solidarität mit den Streikenden ihre Geschäfte und Restaurants schließen könnten. Am 19. September führt der Generalstreik zum totalen Stillstand der Metall-, Keramik- und Schiffsbauindustrie. Der Provinzgouverneur meldet 66 Verhaftete. Vor den Toren von CITROEN gibt es bei heftigen Kämpfen zwischen Arbeitern und der bewaffneten Polizei Verwundete auf beiden Seiten, die Zahl der Verhafteten ist unbekannt. Noch setzen 20 000 Arbeiter den Streik fort. Das Generalstreikkomitee ruft zum Durchhalten auf. Der Direktor von Citroen wird nach Madrid gerufen, wo weitere Entlassungen und Verhaftungen beschlossen werden. In Freire, Alvarez und Santo Domingo werden Fabriken besetzt. Am 23. September demonstrieren Arbeiter und Intellektuelle in El Ferrol „El Ferrol mit Vigo". Ein französischer Fotograf, der prügelnde Bullen fotografiert, wird sofort aus Spanien ausgewiesen. Die bewaffnete Polizei verhindert weitere Arbeiterversammlungen. Als der Streik nach dem 25. September langsam zusammenbricht - die fünf entlassenen Arbeitervertreter werden nicht wieder eingestellt - kehren die Arbeiter, nachdem allen Streikbeteiligten völlige Straffreiheit zugesichert worden ist (FAZ 26. 9. 72), an ihre Arbeitsplätze zurück. An den darauffolgenden Tagen beginnen die Razzien der politischen Geheimpolizei (brigadia social). Die Zahl der Verhafteten steigt auf 200, die Zahl der Entlassungen auf 122, die Zahl der Verfahren in Vorbereitung auf 125.

In Spanien wird in diesen Tagen eine Anzahl von Verfahren gegen Arbeiter, Studenten und Intellektuelle, gegen Sozialisten, Kommunisten und Demokraten vor Militärgerichten oder dem Sondergericht für öffentliche Ordnung eröffnet oder vorbereitet.

In El Ferrol, Spaniens wichtigstem Marinestützpunkt, kommen die ersten acht Arbeiter der staatlichen Werft Bazän vors Militärgericht. Im Mörz hatte ein Lohnstreik der Bazän-Werftarbeiter, nachdem bewaffnete Polizei während einer Protestdemonstration gegen die Entlassung von sechs streikenden Arbeitern zwei Arbeiter erschoß und zwanzig weitere schwer verletzte, eine Welle von Solidaritätsstreiks in ganz Spanien ausgelöst, in deren Verlauf nicht nur die Bazän-Werft sondern auch deren Zweigbetriebe in Cartagena und Cadiz in Südspanien der Militärkontrolle unterstellt worden waren. Damit konnten die Streikenden wie Deserteure behandelt werden. Für die angeklagten Arbeiter fordert der Staatsanwalt vier Jahre Gefängnis und für jeden eine Geldstrafe von umgerechnet 25 000 DM (500 000 Peseten). In ganz Galizien, im Baskenland, Katalonien, in Madrid solidarisierten sich Arbeiter und Studenten.

In Barcelona forderte der Staatsanwalt des Militärgerichts für zwei angebliche Mitglieder der F.A.C. (Frende de Liberacion Catalan) Kerkerstrafen von 205 und 187 Jahren und 33, 28 und 25 Jahre für drei Studenten, die im Februar 1971 bei einer Studentendemonstration MolotowCocktails gegen Polizeiautos geworfen haben sollen.

Vor dem Sondergericht für öffentliche Ordnung in Madrid wurde ein Verfahren gegen neun Mitglieder der illegalen Comisiones Obreras eröffnet.

Die Verhafteten sind Arbeiter aus Andalusien, dem Baskenland, Kastilien, Aragonien, der erst im März dieses Jahres nach fünfjähriger Haft entlassene Arbeiterführer Marcelino Camacho und ein Madrider Rechtsanwalt. Sie wurden teilweise schon zwei Tage, nachdem sie während einer angeblichen Sitzung der Provinzdelegierten der Arbeiterkommissionen verhaftet worden waren, zu Geldbußen von umgerechnet 12 000 bzw. 5000 DM (ersatzweise Haft) verurteilt worden.

Vom Antisemitismuszum Anti-Arabismus

Aus dem Brief des ermordeten Italien-Repräsentanten, des Jordaniers Abdel Zuaiter, der AI Fatah an „L'Espresso".

„Es lohnt sich, daran zu erinnern, daß die PalästinaTragödie bedeutende Wurzeln im Westen hat. Eine dieser Wurzeln ist der Antisemitismus, einer der Gründe, aus dem Europa, von einem Schuldkomplex gedrängt, die Schaffung des Staates Israel gefördert hat. Das bedeutete praktisch einen Übergang vom Antisemitismus zum Anti-Arabismus. Die Araber sind nie Antisemiten gewesen, sie sind selber Semiten ...

Im Westen ist jetzt eine große anti-arabische Kampagne entfesselt worden, getarnt als Abscheu gegen den palästinensischen Terrorismus; ein großer Lärm hat sich erhoben, die Stimmen erschallen laut und hart als ein einziges VerdammungsUrteil. Doch der Lärm ist nur so groß, weil jeder die Stimme des eigenen Gewissens übertönen will. Würde das Geschrei nachlassen, so könnte man bemerken, daß der Terrorismus nicht auf seiten der Palästinenser zu suchen ist. Das Übel ist ein anderes, das gleiche, das die Menschheit schon ungeheure Opfer gekostet hat, wie den Völkermord an den Indianern in Amerika, an den Ureinwohnern Australiens oder den brasilianischen Indios. Es ist die gleiche Logik, nach der gestern die Juden und heute die Palästinenser vernichtet werden sollen.

In all dem steckt eine anachronistische Tendenz. Die wahre Stimme ist es nicht, die zu Aggressionen und Blutvergießen ermutigt. Die Juden leben im Nahen Osten, und es ist unmenschlich, sie zu militaristischem und kriegerischem Handeln zu ermutigen gegen Völker, mit denen sie früher oder später Zusammenleben müssen. Die Welt ist eine Einheit, niemand kommt aus dem Universum; und weil das palästinensische Volk von dieser Welt ist, fordert es die Juden in Palästina auf, mit ihm in einem demokratischen Staat zusammenzuleben. Das würde viel Blutvergießen vermeiden, das würde Gerechtigkeit bedeuten."

Valpreda

Seit fast drei Jahren wird der Prozeß gegen den italienischen Anarchisten Piedro Valpreda und zweier seiner Genossen von den Justizbehörden verzögert. Valpreda wird für einen Sprengstoffanschlag auf die Nationale Landwirtschaftsbank in Mailand verantwortlich gemacht, bei dem am 12. Dezember 1969 12 Menschen den Tod fanden und 80 schwerveretzt wurden. Obwohl schon im März der Untersuchungsrichter „bei den Voruntersuchungen gegen die Rechtsextremisten Pino Rauti, Giovanni Ventura und Franco Freda wegen eines Bombenanschlags auf die Mailänder Messe... zu der Überzeugung gekommen ist, daß die Verdächtigen auch für die Dynamitattentate am 12. Dezember 1969 in Mailand verantwortlich sind" (FR 23 3. 72), bleibt Valpreda weiterhin in Haft. Inzwischen ist nachgewiesen, daß die beim Attentat verwendeten Zeit-

zünder und Taschen von den Faschisten Freda und Ventura gekauft wurden (NZZ 21. 10. 72), daß Beamte des Innenministeriums und der Polizei durch Unterdrückung der Beweismittel gegen die Faschisten das Untersuchungsverfahren zu Lasten Valpredas beeinflußt haben (FR 3. 10. 72).

Seit geraumer Zeit besteht schon weit über die linksliberale Öffentlichkeit hinaus kein Zweifel mehr an Unschuld und der Verantwortlichkeit neofachistischer Gruppen. Polizei und Staatsanwaltschaft ließen jedoch während der seit langem intensivsten Mobilisierungsphase italienischer Arbeiter nichts unversucht, der Öffentlichkeit einen Schuldigen aus den Reihen der außerparlamentarischen Linken zu präsentieren.

Sie stützten sich dabei auf die widersprüchlichen Aussagen eines einzigen Zeugen, des Taxifahrers Rolandi, der Valpreda bei der ersten Gegenüberstellung angeblich sofort wiedererkannt hat (inzwischen wurde bekannt, daß man ihn aufgefordert hatte, ein Foto Valpredas zu identifizieren) und zum Tatort gefahren haben will. Der Kronzeuge ist inzwischen verstorben, nachdem er kurz vor seinem Tode seine Aussagen dem Untersuchungsrichter ernSut zu Protokoll gab, wobei entgegen den gesetzlichen Bestimmungen weder der Staatsanwalt noch die Verteidigung hinzugezogen wurden (FAZ 22. 4. 72). Ferner verstorben oder verschwanden auf ungeklärte Weise eine Anzahl möglicher Zeugen der Verteidigung. Ein junger Deutscher, dessen Aussagen Valpreda entlasteten, verschwand in einem Irrenhaus und war seitdem nicht mehr auffindbar (vgl. „links", 32, 72).

Nach dem Blutbad von Mailand hatte die Polizei als ersten den Eisenbahner Pinelli verhaftet. Pinelli stürzte nach dreitägigem Verhör aus dem 4. Stock des Polizeipräsidiums, genauer aus dem Fenster des Büros des späteren Polizeichefs Calabresi (FR 19. 5. 72). Angeblich beging er Selbstmord, aber alle Indizien sprechen dagegen. Die außerparlamentarische Linke machte Calabresi für Pinellis Tod verantwortlich.

(Und als Calabresi vor einem halben Jahr auf offener Straße erschossen wurde, hatte man gleich das Motiv bereit: die Rache der außerparlamentarischen Linken. Die Faschisten lieferten die Indizien für die Spur nach Deutschland, genauer zur RAF). Inzwischen ist auch Valpreda schwer erkrankt. Als im Februar endlich der Prozeß begann, schien ein Freispruch unumgänglich, nicht nur wegen der Beweislast gegen Valpreda, sondern auch weil inzwischen aufgrund umfangreicher angestellte kriminalistische Nachforschungen die Anklage sogar widerlegt werden konnte. Selbst der Untersuchungsrichter äußerte, „nicht Valpreda, sondern Rauti sei für den Massenmord verantwortlich" (FR 23. 3. 72). Das Römische Gericht jedoch erklärte sich für territorial nicht zuständig, sodaß der Prozeß kurz vor den Wahlen verschoben wurde. Inzwischen wurde das nach Mailand verwiesene Verfahren „aus Sicherheitsgründen" erneut verlegt.

Der Schlächtervon Indonesienauf Europa-Tournee

Zuverlässigen Informationen zufolge wird General Suharto im November dieses Jahres abermals eine Europareise unternehmen. Geplant ist der Besuch Frankreichs (wie noch erinnerlich, wurde er dort vor 2 Jahren ausgeladen, da man zu starke Unruhen befürchtete; mittlerweile scheint man sich im Elysee seiner Sache sehr sicher zu sein), Italiens, Belgiens, Österreichs und der Schweiz. Diese Reise muß in unmittelbarem Zusammenhang mit der im Dezember stattfindenden IGGI-Konferenz gesehen werden. Der IGGI (Intergovernmental Group for Indonesia) gehören die USA, Japan, die BRD, Italien, Frankreich, England', Australien, die Niederlande und Neuseeland an.

Sie gab Indonesien im laufenden Jahr eine Finanzspritze von 670 Mill. US-Dollar, wodurch die Schuldenlast, die das indonesische Volk zu tragen hat, nach sechsjähriger faschistischer Herrschaft 1 Milliarde Dollar mehr beträgt als nach 20jähriger Sukarno-Herrschaft, nämlich 3 Mrd. Dollar gegenüber 1,9 Mrd. Dollar. Aber selbst diese ungeheure Summe hat sich zur Aufrechterhaltung und Intensivierung der Terrorherrschaft Suhartos als unzureichend erwiesen (It. FAZ v. 5. 5. 70 brauchte die Armee 60 % des Budgets), so daß das vornehmste Ziel der Reise darin liegen dürfte, um noch größere Summen zu feilschen. An zweiter Stelle dürften erneute Appelle an die europäische Industrie stehen, intensivere Investitionen in Indonesien zu tätigen. Es ist denkbar, ja sogar wahrscheinlich, daß auf höchster EWG-Ebene (in Brüssel) konkrete Verhandlungen über verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit geführt werden, wodurch das Risiko, das beispielsweise die deutsche Industrie bisher nicht eingehen wollte, dann kollektiv getragen würde.

Der Anlaß der Reise widerlegt jedenfalls auf schlagendste Weise all das Gerede von der „wirtschaftlichen Stabilisierung" und dem „ökonomischen Fortschritt". In Wirklichkeit bedeuten Stabilisierung und Fortschritt, daß der Monopolimperialismus nicht nur von dem extraktiven Sektor der Wirtschaft Besitz ergriffen hat, sondern ebenso wie in den meisten lateinamerikanischen Staaten von dem Konsum-, Distributions- und Kommunikationssektor. So ist die indonesische Zivilluftfahrt wieder in holländische Hände übergegangen, ebenso wie das interinsulare Verkehrsnetz. Beim Ausbau der Radio- und TeleKommunikation leistet die BRD „große Einsätze". Im Konsumsektor haben die Japaner starke Positionen erobert, während die Vereinigten Staaten den extraktiven Sektor und die Kautschukproduktion an sich gerissen haben. 50 °/o der indonesischen Leichtindustrie sind durch das friedliche Mittel der Konkurrenz vernichtet worden, 30 °/o sind dem Ruin nahe.

Die außerordentlich ergiebigen Erdölfelder werden in rasendem Takt erschlossen (zunehmend off-shore-Bohrungen) und abgebaut. Die Tagesproduktion hat Ende 1970 1 Mill. Fäßer erreicht, wovon allein 730 000 auf die Caltex und 50 000 auf die Stanvac entfallen. Wenn das Kupferprojekt der Freeport Sulphur Ertsberg in Westirian mit 120 Mill. Dollar amerikanischem Kapital fertiggestellt sein wird (die Ereignisse in Chile werden es sicherlich beschleunigen), wird Indonesien zu den bedeutendsten Kupferproduzenten der Welt gehören (s. „Indonesia, Malaya, Singapore", London 72 und FR v. 29. 8. 72). Neben dem Ausverkauf der indonesischen Naturreichtümer hat die faschistische SuhartoClique als einzige Erfolge aufzuweisen: Eindämmung der Inflation und relative Stabilisierung der Wechselkurse, was im dringenden Interesse der Monopole für ihre Investitionspolitik und Planung lag. Dies wurde erreicht, indem die chronisch defizitären Budgets Djakartas durch Kredite der Industrienationen ausgeglichen wurden, also auch dies nicht ein Verdienst Suhartos.

Die wirtschaftliche und Ernährungslage der Bevölkerung verschlechtert sich laufend. Trotz des 1969 unter großem Propagandagetöse angelaufenen 5Jahres-Plans (Repelita), der vor allem die Hebung der landwirtschaftlichen Produktion zum Ziel hatte, bleibt die Reisproduktion konstant (bei 5% Bevölkerungszunahme!). Die Folge sind zunehmende Reisimporte und weitverbreitete Hungersnot (FR v. 22. 1. 72).

Während Suharto in Europa natürlich wieder als Demokrat posieren wird, werden sich in Indonesien noch immer 70 000 politische Häftlinge (nach vorsichtigen Schätzungen) ohne rechtskräftiges Urteil hinter Gittern befinden und wird eine neue Verhaftungswelle vielleicht gerade abgeschlossen sein (FR v. 13. 9. 72). Wie stets wird sich die Deutsch-Indonesische Gesellschaft (DIG) mit ihrem stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Weber (SPD) maßgeblich an dieser Imagebildung des Faschisten Suharto beteiligen. Für alle progressiven Freunde Indonesiens (die ich in diesem Zusammenhang auf die in Köln erscheinende „Südostasienkorrespondenz" verweisen möchte) sollte sich daher die Frage stellen, ob nicht durch eine Freundschaftsgesellschaft, als erstem Schritt, der verlogenen bürgerlichen Propaganda ein wahrheitsgetreues Indonesienbild entgegengesetzt werden könnte und sollte.