Zu den Austritten aus dem KSV.

Innerhalb des Schwerpunkts „Kritik des Neo-Leninismus drucken wir den Beitrag eines ehemaligen KSV-Sympathisanten, der zusammen mit 90 anderen Genossen die Reihen des KSV-Frankfurt verlassen hat. Dieser Artikel scheint interessant, weil er die Probleme derer aufgreift, die sich dem KSV anschließen wollten. Er ist interessant als Situationsbericht, auch wenn er in breiten Passagen sehr idealistisch auf Begriffe wie „Spontanität“ und „neue Bedürfnisse“ fixiert ist. Aber vielleicht spiegelt gerade das die Frustrationen bei der Einschulung auf eine von selbsternannten Arbeiterführern definierte „kommunistische Linie“ wieder. Red.

Wir werden „die Massen“ schon richtig „anleiten“, ihre „illisionären Vorstellungen“ kurzerhand „zerstören“, ihnen ihre „Ansprüche ins Gedächtnis rufen“, sie „im Kampf vorantreiben“, den Sympathisanten „Aufgaben zuweisen“ und sie dürfen dann „Massenkritik“ üben. Aber vor allem werden wir die Parole: papperlapapp so lange „propagieren, bis die „Massen“ sie sich „zu eigen gemacht“ haben.

So und in ähnlicher Weise legt der KSV Rechenschaft über sein Handeln und Wirken innerhalb der Frankfurter Studentenschaft vor Sympathisanten und Förderern ab.

Wen wundert es, daß dieser Verband bis heute über seine gescheiterte Sympathisantenarbeit schweigt.

Wer ist überrascht, daß die „Neobolschewiki“ den Austritt von 90 „Sympis“ (KSV-jargon) Ende des WS 70/71 bis heute verschweigen. Und es versetzt keinen in Staunen, wenn er die Gründe über den Austritt erfährt. Die „Sympis“ hatten gewagt, Forderungen nach Veröffentlichung der sogenannten „internen Papiere“ und Beteiligung an der politischen Diskussion innerhalb des KSV, nach sofortiger praktischer Mitarbeit in den Sektionen und Abschaffung der „individuellen Kooptation“ aufzustellen. Der KSV erfüllte die Forderungen nicht. Er erkannte aber gleichzeitig, daß sich Studenten nicht ohne weiteres „anleiten“ ließen. Und innerhalb der wichtigen Entscheidungsgremien entschloß man sich, dem „Sozialistischen Studium“ den Rücken zu kehren und sich auf Stadtteil- und Betriebsarbeit zu konzentrieren. Hier bestand noch die Möglichkeit, „Massen“ sinn voll „anzuleiten“. Hier war es fast ausgeschlossen, daß man auf fordernde Sympis stoßen würde.

ln den Sympathisantenkollektiven wurden die Interessen der einzelnen größtenteils übergangen. Brennende Fragen, individuelle Motive, Bedürfnisse nach praktischer Mitarbeit an der Hochschulpolitik wurden ignoriert, weil die Schulung nicht unter dem Aspekt individueller Artikulation gedacht war. Stattdessen gab es verordnete Schulungstexte, im persönlichen Umgang mit den Genossen trampelige Schulungsleiter, gefühlskalte Atmosphäre, bürokratisches Hochdienen selbst qualifizierter Genossen, geheimbündlerisch abgesichert durch den Ausschluß von jeglichem Einblich der Sympathisanten in die Informations- und Entscheidungshierarchie innerhalb des KSV.

Lediglich die Endprodukte politischer Auseinandersetzungen können die Sympathisanten konsumieren. Die Papiere, die der maßgebenden Diskussion im ZKN des KSV zugrundelag, ebenso wie die Diskussionen selber waren für die Sym-

pathisanten geheim. Die Schulungsprogramme für die Kollekte der Sympathisanten wurden von einem Ausschuß ausgearbeitet, in dem kein einziger Sympathisant saß.

Den „Sympis“ blieben die Vorgänge im KSV unbekannte, sie bestimmende Faktoren, die sie deshalb nicht inhaltlich kritisieren konnten. So wird der demokratische Zentralismus angewandt als zentralistischer Selbstschutzmedianismus vor korrigierenden Einflüssen von unten. Politik wird objektivistisch, formalisiert, inhaltsleer, weil sie nicht mehr vermittelt ist zu den einzelnen.

Um überhaupt die KSV-Leistungen auf politischem Sektor zu verstehen, muß man wissen, daß die KSV-Genossen Revolutionäre aus Berufung sind. Und Revolutionäre aus Berufung fragen sich nicht, was sie selbst für Motive haben, sich der politischen Arbeit zu widmen, und bedenken diese, wenn sie die Inhalte ihrer Agitation entwickeln, sondern sie gehen umgekehrt davon aus, daß sie Sozialisten sind, bestimmen durch eine objektive Ableitung das, was ein Sozialist zu tun hat. Setzen das per moralischem Druck und politischem Anspruch gegen sich selbst durch. Mit einem Wort: Die KSVler sind als Sozialisten vom Himmel gefallen und haben sich dann von sich selbst abgeleitet.

Der KSV formalisiert politische Arbeit zu einer verselbständigten Beschäftigung. Die Sektionsmitglieder führen geschäftig und borniert die vom ZK festgelegte „Haupt“-Strategie durch, Politik und Privatleben sind zwei ganz verschiedene Dinge. Wenn auf diese Weise Politik zum großangelegten Verdrängungsmechanismus wird, dann sind rigide Kader, eiserne Disziplin, Propaganda und harte Schulung nicht weit.

So wird aus politischen Lernprozessen der beängstigende moralische Anspruchsterror, der Über-ich-Sozialismus, in dem der wirkliche Prozeß — ein Wechselverhältnis von Individuum und Politik — nur einseitig angewandt wird. Mit der Reflexion darauf, warum sie eigentlich Sozialisten sind, schneiden sie gleichzeitig die Möglichkeit ab, politische Arbeit inhaltlich von Bedürfnissen und Interessen her zu bestimmen.

Die KSV-Sympathisantenschulungen sind der Ausdruck solcher Politisierung.

Es steckt im Untersudiungsbegriff des KSV, den Massen vor jeder Erfahrung mit ihnen, mit dem fertigen Bild ihrer Bedürfnisse gegenüberzutreten. Untersuchung beinhaltet für den KSV kein empirisches Moment, nicht Artikulation der Bedürfnisse durch die, die sie haben — sie ist beschränkt auf objektiv Abgeleitetes.

Die Spontaneität in derAnalyse des KSV

Der KSV macht sich vor, er könne die politisch wirksamen Bedürfnisse und Interessen der studentischen Massen in rigider Trennung von ihrer Artikulation durch die Massen selbst vorwegkonstruieren. So kann er der leninistischen VorStellung aufsitzen, danach umstandslos in die Massen hineintragen zu müssen, was er vorher fernab von ihr herausgeholt zu haben glaubt. Indem die Masse an der Konstruktion ihrer eigenen Bedürfnisse nicht teilnimmt, wird die Dialektik von Spontaneität und Bewußtsein in der Untersuchung des KSV zerstört. Sie bleibt zerstört in seiner Vorstellung von Politisierung und Agitation, wo er die Massen zum Objekt seiner Eigenkonstruktion der Bedürfnisse, die politisch richtig sind, „funktionalisiert“. Sie ist zerstört in seinem demokratisch-zentralistischen Organisationsmodell von Kadern und Massen.

Am eigenen Leibe erfahren das die Sympathisanten, wenn sich der Schulungsleiter der Diskussion derart überwältigend voranstellt, daß ihr Schwung bald hin ist — und dann werden sie angeleitet.

Im Untersuchungsbegriff des KSV ist angelegt, daß seine Konsequenzen: die Form der Strategie, der Propaganda, der Organisation und der Agitation sich nicht mehr vermitteln lassen zu ihren inhaltlichen Bestimmungen, ihrem spontanen Moment von Bedürfnissen und Interessen, weil diese bereits im Untersuchungsbegriff verlorengingen. Daher ist der KSV nicht in der Lage, das Verhältnis von Emanzipation und Organisation, die Vorwegnahme sozialistischer Verkehrsformen zu entdecken und in seinen politischen Kämpfen den Zusammenhang von Spontaneität und Bewußtsein vermitteln zu können.

Spontaneität bezieht sich auf konkrete Verbesserungen zugunsten der Betroffenen. Spontaneität bestimmt in Forderungen von Arbeitern in Bürgerinitiativen zur Stadtteilplanung und zum Umweltschutz, in Ärztestreiks, Protest von Technikern, Frauenemanzipationsgruppen usw. und nicht zuletzt in der Bewegung von Studenten, Schülern und Jungarbeitern selbst.

Läßt sich darin eine neue Qualität von Emanzipation wie Spontaneität nachweisen, dann würde das den Untersuchungsbegriff und die Praxis einer Organisation nach leninistisdiem Muster wie die des KSV nicht nur einer Effizienzkritik unterziehen, sondern als historisch überholt in Frage stellen. Gleichzeitig damit wäre die Frage beantwortet, warum sich die politischen Kampfformen, die aus dem verkürzten Untersudiungsbegriff folgen, verselbständigen müssen zu einer vom Prinzip her Selbstzweck gewordenen politischen Betriebsamkeit, sozusagen einem Kaderlurch.

Fleute können wir weder von anwachsender Spontaneität ausgehen, noch ließe sich ein Interesse am Sozialismus finden, das allein mit der Befriedigung solcher Grundbedürfnisse zusammenhinge. Nur neu auftretende Wünsche nach einem besseren Leben können eine spontane Bewegung zum Sozialismus auslösen. Diese im Keim zu entdecken und zu entfalten wäre unsere Aufgabe. Die Entwicklung der Produktivkräfte ist in den Bereich einer freien Planbarkeit vorgedrungen. Ist die Befriedigung von Grundbedürfnissen relativ gesichert, so wird darüber hinaus ein Bereich erschlossen, in dem die Mensdien in der Lage sein könnten, frei über verschiedene Richtungen der Produktivkräfteentfaltung zu entscheiden, Kriterien wie Arbeitsbelastung und Lustgewinn anzuwenden. Diese neue Qualität von Bedürfnissen, entfaltbar auf dem erreichten Niveau von Überfluß, bedeutet ein neues Verhältnis zur Spontaneität, weil in sie heute eine Konkretion von Sozialismus eingeht. Es wird möglich, gegenüber eingeschlagenen Wegen der Produktion auf menschlichere genaue Hinweise zu geben.

Heute hat die neue Qualität des Niveaus der Produktivkräfte über den Bannkreis der materiellen Grundbedürfnisbefriedigung hinaus die Konkretisierbarkeit sozialistischer Perspektiven in der Bedürftigkeit der Subjekte dieses Prozesses selbst ermöglicht. Dadurch verbinden sich Spontaneität und Emanzipation organisch, so daß die sozialistische Bewegung uns heute interessiert über die Konkretisierung in Bedürfnissen und damit die Vorwegnahme sozialistischer Bedürfnisstrukturen als zentrales Moment. ML und KSV leugnen das und halten fest am morschen Modell der Anleitung.

Der Neoleninismusund seine realitätsblinde„Anwendung“des Marxismus

Für Marx waren konkretere Hinweise auf spezifisch sozialistische Momente, eine konkrete „positiv ausgemalte“ Vorstellung vom besseren Leben unmöglich, denn der dazu benötigte Reichtum war noch nicht produziert. Erst bei von der Produktivkraft her möglidier Abschaffung allen Mangels wird der Umschlag von Unterdrückung in Rebellion anders denkbar als auf der ein noch naives Verhältnis zum Kommunismus anzeigenden Basis einer Krise, die die Proletarier zwingt, im revolutionären Umsturz die nackte Haut zu retten, ohne Genaues über die Alternative zum Kapitalismus zu wissen.

Wenn sich heute im Anblick des abstrakten Reichtums „Genaues“ über diese Alternative „ausmalen“ läßt, Politisierung über „die Kritik vorfindbarer Verhältnisse wie Arbeitsorganisation, Warenproduktion, Struktur der Städte usw. einfach der Lebensverhältnisse selbst laufen kann, Subjektivität neue Potenz gewinnt, wieso halten dann sämtliche ML-Gruppen an formaler Anleitung der Massen fest, bleiben sie bei einer altmodischen Vorstellung von Krise, in der die bereits vorher konspirativ organisierten Kader der Partei die Führung zur Eroberung der Staatsmacht übernehmen sollen? Wie soll die Übernahme der Staatsspitze durch die Partei als revolutionäre Anweisungsstruktur den Erfordernissen einer hochindustrialisierten Gesellschaft mit einem äußerst komplexen System der Produktion, die vieler differenzierter Teilfunktionen zur Steuerung bedarf, noch gerecht werden?

Mit den Prinzipien des Marxismus-Leninismus läßt es sich zweifelsohne nicht auf-

rechterhalten. Einer komplexen Gesellschaftsstruktur entspricht nur eine ebenso komplexe, differenzierte revolutionäre Organisation.

Der KSV stellt an den Beginn der Strategiefindung die „Klassentheorie“, die bei den Klassikern nachgelesen werden kann. Er geht von Kategorien aus, die den Kapitalismus in aller Allgemeinheit beschreiben, unter Abstraktion von seiner spezifischen Daseinsweise in einzelnen Phasen. Fortan drohen diese Ansätze, die sich lediglich auf die Kategorien der Klassiker beziehen, die Wirklichkeit nach dem zu durchsuchen, was noch zu den Kategorien paßt. Historisch entscheidende Veränderungen können nicht mehr erfaßt werden, weil sie an den „Prinzipien“ rühren würden Im hochentwickelten Kapitalismus nicht hinter das historisch gegebene Niveau von Befreiungschancen zurückzufallen, setzt im Gegensatz zur Ableitung voraus, aus der Erscheinung jene neuen Begriffsbestimmungen aufzunehmen, mit der sie erfaßt werden kann. Ist aber in einem einseitigen Verhältnis vom Wesen hin zur Erscheinung, wie es in der Ableitung erstarrt, die Wechselwirkung von Theorie und Empirie zerstört, dann entstehen die einschlägigen Bücher, die 180 Seiten Kategorien referieren und danach auf 20 Seiten soviel brauchbare Aussagen zum eigentlichen Thema machen, als man auch ohne die Kategorien dazu hätte sagen können Spontaneität, Subjektivität läßt sich nicht in den Kategorien der politischen Ökonomie artikulieren, denn diese Kategorien sind ja gerade Kategorien der Abstraktion von Gebrauchswerten und Bedürfnissen. Subjektive Dispositionen zur sozialistischen Perspektive von Kämpfen lassen sich nicht aus politischer Ökonomie herausdestillieren, allenfalls läßt sich mit ihrer Hilfe die Bestimmung ihrer materiellen Voraussetzungen leisten.

Nachruf auf dieSympathisanten-bewegung

Was der theoretische Objektivismus an praktischen Folgen nach sich zieht, läßt sich an der Sympathisantenbewegung im KSV aufzeigen. Im WS 70/71 brachte der KSV seine Studienreader heraus und eröffente mit dem „Sozialistischen Studium“ und der KKU (Kampf, Kritik, Umgestaltung) seine Hochschulpolitik. Daraufhin kamen etwa 120 Sympathisanten, die im KSV praktisch mitarbeiten wollten. Ein Ausschuß-„Komitee“ des KSV leitete die Sympathisantenschulungen an. Die einzelnen Schulungskollektive hatten zwei Termine. Auf einem „politischen Termin“ wurden vom Schulungsleiter die neuesten Parolen „verallgemeinert“ und ansonsten vor allem Spartakus kritisiert. Die Selbstdarstellung des KSV kam dabei zu kurz, weil er sich seiner politischen Strategien selber zutiefst im unklaren war. Auf dem anderen Schulungstermin wurde sofort begonnen „Lohnarbeit und Kapital“ zu lesen. Die verschiedensten Kaderallüren der Schulungsleiter führten bald zu heftiger Kritik seitens der „Sympies“. Arrogante Umgangstöne, wie die Bemerkung eines Schulungsleiters „Öffentlichkeit im KSV? Das wäre ja noch schöner!“ waren nicht selten. So begannen heftige Diskussionen um die Organisationsform des KSV. Der Rigiditätsvorwurf war in aller Munde. Den Schulungsleitern war es zum Teil peinlich, auf Fragen, ob denn der KSV einen ersten Vorsitzenden hätte oder ein ZK, zu antworten. Sie drückten sich immer um solche Auskünfte herum. Ausweichendes Herumgerede als Abwehr konkreter Fragen nach den politischen Diskussionen, der praktischen Arbeit und dem organisatorischen Aufbau des KSV waren überhaupt gang und gäbe, so daß der Eindruck eines Geheimbundes aufkam.

Als dann die Schulung nicht klappte, wegen der vielen Auseinandersetzungen, setzten sich die Schulungsleiter an einem Wochenende in ihrem Ausschuß zusammen und wollten darüber beraten, was sie jetzt mit den Sympathisanten weiterhin machen sollten. Daß sie trotz Aufforderung von seiten der „Sympies“ keinen einzigen Sympathisant an diesen Besprechungen teilnehmen lassen wollten mit dem Hinweis, sie seien „noch nicht aufgenommen“, brachte den Eimer zum Überlaufen. In der inzwischen abgerissenen Jügelstraße 13 lagen die Schulungsräume noch einer beim andern. Einige Sympies gingen von Raum zu Raum, forderten dazu auf, sich aufgrund dieses Vorfalls, ohne die Schulungsleiter vom KSV in einem Hörsaal zu treffen, um die Lage gemeinsam zu besprechen.

Über 100 kamen. Man diskutierte wild durcheinander, im Vordergrund immer wieder Vorwürfe gegen die Rigidität der Schulungen, gegen das Geheimbundsyndrom. Einige zogen bei der Kritik nicht so recht mit, sie waren meist schon Kandidaten (Kandidaten erhoben sich über den Sympathisantenstatus dadurch, daß sie aufgrund eines individuellen Aufnahmegesprächs, „Kooptation“, ihre Linientreue bewiesen hatten und schon in den Sektionen praktisch mitarbeiten durften). Am Ende dieses Plenums wurden 4 gemeinsame Fragen an den KSV formuliert: a) Wie stellt sich der KSV das Verhältnis von Kader und Massen oder Sponaneität und Organisation vor?

b) Aus welchen theoretischen Überlegungen folgt für ihn die eingeschlagene Praxis?

c) Was heißt „Massenlinie“ in der Sympathisantenschulung?

d) Wird das Verhalten der .Schulungsleiter, die in den Kollektiven die politisdie Entfaltung der Gruppen verhindern, im Ausschuß überhaupt problematisiert?

Dieses Sympathisantenplenum, eine notwendige Selbstorganisation der „Sympies“, um sich frei von „Anleitung“ überhaupt einmal artikulieren zu dürfen, sollte

nach Verlangen aller fortgesetzt werden. Es hatte jene Atmosphäre geschaffen, in der sich Kritik entfalten konnte. Und so kam es auch.

„Wegen der gemeinsamen Vorbereitung im Ausschuß und des Zusammenhalts der einzelnen Kollektive wurde unserer Gruppe ein Text aufgezwungen, der gerade bei uns die Initiierung von Fragestellungen abbrach, wenn nicht sogar verhinderte. Grundsätzlidi, auch für die anderen Gruppen wäre zu fragen, ob mit „Lohnarbeit und Kapital“ Fragestellungen zum gegenwärtigen diffusen Diskussionsstand der Kollektive initiiert werden können. Es scheint hier die Gefahr abstrakter Kollektivschulung zu bestehen, da eine Vermittlung von daseienden Fragestellungen bzw. Bedürfnissen und sozialistischer Arbeit bisher nicht geleistet wurde.“ „Die Misere der bisherigen Schulung (Starrheit und offiziöses Getue der Schulungsleiter, falsche Texte, undurdisiditige Rekrutierungen usw.) kann nicht nur erklärt werden aus persönlicher Unzulänglichkeit der Sdiulungsleiter; sondern sie muß vor dem Hintergrund der objektiven Schwierigkeiten interpretiert werden, einen politisdien Lernprozeß anders zu verstehen denn als Aneignung theoretischer Versatzstücke und Einübung ihrer Anwendung zum Schattenboxen um die ,richtige“ Strategie. Daß diese objektiven Schwierigkeiten eines Zugangs zur politischen Praxis (nicht als Flugblattabziehen mißzuverstehen) nicht verdrängt und hinter Initiationsriten versteckt werden dürfen, sondern daß eine politische Didaktik nur in Untersudiungsarbeit und im Kampf mit diesen Schwierigkeiten entwickelt und nicht im Kopf eines Komitees einfach entworfen werden kann, ist die widitige Erfahrung der bisherigen Schulung.“ „Die Konzeption der Schulung ist nicht mit den .Sympathisanten“, sondern für diese erarbeitet worden (ebenso wie die Selbstkritik des Komitees). Der politische Stellenwert der Kollektive wurde im vorhinein eingeschätzt, und das nicht auf der Grundlage politischer Untersuchung, sondern allein im Kopf. So wird die Schulung zum bloßen Vollzug an ihren Objekten.

„Dahinter steht eine Einschätzung der Didaktik politischer Lernprozesse, die sich nicht wesentlich von universitärem Lernbüffeln unterscheidet. Das heißt: Das Verhältnis von linker Theorieproduktion und praktischer Politik wird nicht als dialektisches, sondern als äußerlich-mechanisches verstanden. Die Aneignung eines Begriffsinstrumentariums (d. Krit. d. pol. ökon.) und die Theorie der Möglichkeiten ihres Gebrauchs (Strategie) soll in Seminarform geschehen; politischer Lernprozeß wird als Wissenserwerb mißverstanden, was bedeutet, daß der Inhalt dieses Lernens bis zu seiner endlichen Umsetzung in praktische Politik ein philologisches Problem bleibt, unvermittelt zu eigenen Bedürfnissen wie zur Realität des sozialistischen Kampfes. Zugleich impliziert das ein Verständnis von Praxis, das diese reduziert auf den Vollzug von theoretisch antizipierten Praxismöglichkeiten, statt diese erst mit dem politischen Instrument der Untersuchung zu erschließen. Dem entspricht der organisatorische Status der Kollektive, nämlich außerhalb des KSV, d. h. sowohl ausgeschlossen von internen Diskussionen als auch von (zu untersuchender) Praxis.“ „Was wir in der Unterdrückung zum Objekt der vom KSV verordneten Sympathisantenschulung am eigenen Leibe erfahren, ist die trotz mangelnder Selbstreflexion des KSV eingeleitete Massenpolitik, wobei sich bei näherem Hinsehen der demokratische Zentralismus als notwendige Organisationsform zur Vertusdiung der politischen Ratlosigkeit und Unterdrückung einer grundlegenden Auseinandersetzung darüber und die Schlagwortpropaganda als einzige Möglidikeit dementsprechender Massenpolitik erweist.“ (Zitate aus drei verschiedenen Papieren von Sympathisanten, die in der Zeit nadi diesem Plenum entstanden sind.) Die rege, emotional angeheizte Diskussion auf dem ersten Sympathisantenplenum flachte beim zweiten Plenum ab. Der KSV hatte schon auf das erste spontane Treffen einen Mann vom ZK geschickt, der sich audi als solcher vorstellte. Nadi einer kurzen Auseinandersetzung über ihn einigten Sidi die Sympies darauf, ihn nicht rauszuwerfen. Er sollte ruhig zuhören („Wir müssen es ja nicht unbedingt mit dem KSV machen, wie er es mit uns macht!“), aber er dürfe nicht in die Diskussion eingreifen. Beim zweiten Plenum ersdiien nun gleich eine ganze Abordnung des KSV und legte ein Papier vor, über das sie eine Debatte vorsdilug. Mit keinem Wort ging das Papier auf die bereits geäußerten Vorwürfe der Rigidität, auf Bedürfnisse nach praktischer Mitarbeit und mehr Information ein. Nach der vielen „subjektivistischen“ und „psychologistischen“ Kritik wies der KSV daran darauf hin, welche Bedürfnisse nach seiner Meinung (im Gegensatz zu den von den Sympies selbst vorgebrachten!) wirklich übergangen worden seien.

„Unter dem Gesichtspunkt, daß das Hauptinteresse der Mehrheit der Sympathisanten (und nicht nur der Sympathisanten) die Frage ist, wie der Kampf gegen das Kapital an der HS und vor allem ini späteren Beruf richtig geführt werden kann, unter diesem Gesichtspunkt muß unseres Erachtens gesagt werden, daß die bisherige Arbeit in den Sympathisantenkollektiven an den Interessen der Sympathisanten vorbeiging.“ Nur wenige „Sympies“ ergriffen auf diesem Plenum das Wort. Nach endlosem, müden Hin und Her kam heraus, daß man die Diskussion des KSV-Papiers ablehnte (mit hödistens 10 Gegenstimmen). Ein Antrag auf Abbruch der Debatte, um ohne den KSV in den einzelnen Kollektiven den eigenen Standpunkt zu klären, wurde unterstützt.

Trotz der Tendenz dazu wurde das Plenum kein eigenständiges „Gegenplenum“, denn die Polarisierung in Kandidaten und Sympathisanten nahm zu. Die Angst, den organisatorischen und ideologischen Halt am KSV aufgeben zu müssen, lähmte die Eigeninitiative und die radikale Kritik. Sichtbar wurde, wie doch selbst zu einer Organisation, die autoritär (Schulungsleiter), konkurrenzorientiert und bürokratisdi (Kandidaten), moralisdi („Als Genosse mußt du ...“) und rigide („Wir fordern vom einzelnen die völlige Unterordnung seiner selbst unter das Primat der Politik!“), die verunsicherten, Stabilität suchenden Studenten insbesondere der Anfangssemester eine gewisse Affinität haben. Tritt man auf als radikaler Kritiker solcher Organisationen, zerstört man in ihnen eine Identifikation, die ihnen eine rigide Geborgenheit bedeutet. Daran sind wohl auch die Radikalsten unter den Sympies gescheitert.

Nadi diesem zweiten Sympathisantenplenum, in dem die KSV-Abordnung ihr Bestes tat, schüchterne Versuche der Selbstartikulation unter den Sympies an die Wand zu reden, wurde zwar nodi ein Deligiertengremium der Sympies gebildet, daß eine Resolution mit drei Forderungen verfaßte: 1) Umgestaltung der Kollektive nach Berufsperspektiven, Fachbereichen, um mit den KSV-Sektionen der einzelnen Fachbereiche baldigst praktisch Zusammenarbeiten zu können 2) Informationsaustausch zwischen Sympathisanten und KSV 3) weil dazu das Sympathisantenplenum dienen soll, die Institutionalisierung des Plenums als Interessenvertretung der Sympies.

Doch dann kamen die Semesterferien. Nur wenige, etwa 30, kamen nach den Ferien zum KSV zurück und blieben bei ihm. Dieser Auszug aus der Arbeit des KSV mit den Massen ist selbstredend.

Die Praxis deckt die Karten auf. Die vorhandenen Interessen der Studenten werden als „psychologistisch“, „bürgerlich“, „an Privilegien fixiert“ abgeblockt, die „wirklichen“ als „Hauptinteressen“ dagegen gestellt. Nicht aus den vorhandenen Bedürfnissen der Studenten differenziertere, reflektiertere entwickeln, sondern wider sie das „Abgeleitete“ mit penetrantem Starrsinn solange „propagieren“, bis es sitzt — diese Maßregelung der Masse, eine undynamische Konfrontation vorhandener Interessen mit als „richtig“ abgeleiteten, wird immer dort sein, wo auch sdion in die Theorie Subjektivität bloß als nachgeschleiftes Übel eingeht.

Erich Klein