Nicht nur politisch engagierte Erstsemester werden die Zeitungsmeldungen verfolgt haben, die über die Auseinandersetzungen am Fachbereich 2 berichteten.

In der Regel verzichtete die bürgerliche Presse auf die Schilderung der Hintergründe und Ursachen, so daß die Forderungen und Maßnahmen der fortschrittlichen Studenten unverständlich und sinnlos erscheinen mußten. Das geschieht nicht nur, um Widersprüche des BRD-Kapitalismus zu verschleiern, sondern auch, um die staatlichen Kampfmaßnahmen gegen eine sich an den Unis entwickelnde sozialistische Bewegung zu rechtfertigen. Deshalb hat dieser Artikel zunächst die Funktion, richtigzustellen; er beschränkt sich dabei auf jene fachbereichsspezifischen Auseinandersetzungen, die noch nicht abgeschlossen sind und/oder deren Folgen jetzt wirksam werden. Am wichtigsten, weil er die Neuzugänge am unmittelbarsten berührt, ist der Klausurenstreik. Auch, weil er ähnliche Konflikte in anderen Fachbereichen vorweggenommen hat (so steht z. B. im FB Gesellschaftswissenschaften eine neue Prüfungsordnung zur Diskussion).

An zweiter Stelle wird der Vorlesungsabbruch von Prof. Gehrig behandelt. Hier geht es um zwei Probleme: Zum einen hat Gehrig faktisch versucht, Kritik — nicht nur an seinen Graphen und Formeln, sondern eben politische — aus seiner Vorlesung zu verdrängen; zum anderen war er (ebenso wie die Mehrheit seiner Kollegen schon seit dem vorletzten Semester) bestrebt, das Tutorenprogramm unter schärfere (noch!) Kontrolle zu stellen.

Schließlich werden wir noch kurz auf den politischen Stellenwert eines von uns seit Jahren geforderten Lehrstuhls „Marxistische Kritik der politisdien Ökonomie“ eingehen.

Vorweg aber sei erwähnt, daß seit Ende des SS 72 am Fachbereich zwei Fachschaftsvertretungen existieren: eine nach der von der Studentenschaft verabschiedeten Satzung vor einem Jahr gewählte und aus SOHOG- und ROTZWIRT-Mitgliedern bestehenden Vertretung; die zweite, nach einer von Uni-Präsident Kantzenbach den Studenten aufoktroyierten Ordnung und nach einer von ihm angesetzten Wahl (gegen den Boykottaufruf sämtlicher linker Gruppen) durch Gerichtsbeschluß eingesetzt (gestellt von ADS und RCDS).

Die Kollegen von rechts genießen jegliche Unterstützung (Schützenhilfe) der Uni-Bürokratie. Auf Anweisung des Präsidenten werden selbst namentlich addressierte Briefe au die legitime Fachschaft nicht herausgegeben, sondern zurückgeschickt. Der Fachschaftsraum wurde handstreidiartig genommen. Wann immer die ADS-eigene Trickkiste nicht ausreichte, rannte man zu Kantzenbach oder dessen Rechtsabteilung (so geschehen auf der FBK-Sitzung vom 18. 10.).

Kampf der repressiven ZPO

Der Polizeieinsatz gegen den „Klausurenstreik“ ist der bisher strahlendste Stern in der glänzenden Karriere des Präsidenten, Dr. Kantzenbach. Eine Woche lang schützten 600 Polizisten das studentische „Recht“ auf Prüfung. Obwohl sie den auf mehreren Fachschaftsvollversammlungen beschlossenen Forderungen „überwiegend positiv gegenüberstanden“, hatten Kantzenbach und die Dekane die Polizei gerufen.

Erstmalig waren angehende Ökonomen einer — auch heute noch gültigen — Prüfungsordnung unterworfen, die jeden zwang, bis zum Ende des 5. Semesters die Hürde Zwischenprüfung zu nehmen. Und genau diese Zwischenprüfungsordnung führte zum Streik.

Ohne auf die Einzelheiten der ZPO einzugehen (dazu siehe diskus 2/72), soM nur betont werden, daß die Studenten den verschärften Leistungsdrude abzubauen versuchten (z. B. 23 Klausuren in 2 Jahren, wenn man den Fortschritt „Vornote“ ausnützen wollte), daß aber die Mehrheit gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge verdrängte, was sich auf das Kampfziel und die Kampfmittel auswirkte. So wurde dieser Streik nicht politisch geführt; und so bestanden die Kampf schritte nicht aus Selbstorganisation der Studenten, die Voraussetzung für den notwendig langfristigen Kampf ist. Das Ziel des Streiks war vielen Kommilitonen eher folgendes: Ersetzung der bestehenden Prüfungsordnung durch eine „fortschrittlichere“, d. h. studienbegleitende. Sie waren der Meinung, Prüfungsdruck lasse sich in diesem System eher auffangen, und vernachlässigten darüber die Tatsadie, daß Prüfung an sich Herrsdtaftsinstrument ist (z. B. als Mittel, das Schüler, Studenten zum Erlernen eben der Prüfungsinha*te zwingt), daß also Kampf gegen ein bestimmtes Prüfungssystem illusorisch ist, solange er auf sich selbst beschränkt geführt wird.

Wir haben oben erwähnt, daß die Polizei von der Uni-Bürokratie geholt wurde, obwohl die inhaltliche Differenz zwischen Studenten und Professoren nur geringfügig war. Dazu das Selbstverständnis des Präsidenten, wie er es in der Wirtschaftswoche Nr. 12/72 formuliert hat: „Durch eine aktive Reformpolitik innerhalb der Entscheidungsgremien bei gleichzeitiger Entschlossenheit, sich äußeren Pressionen unter keinen Umständen zu beugen, muß den Studenten klargemacht werden, daß sie durch ihre Mitarbeit — aber nur auf diesem Wege — aussichtsreiche Möglichkeiten haben, die Studien- und Prüfungsbedingungen zu verbessern.“ Die „aktive Reformpolitik“ hat also die Funktion, die Studenten auf Gremien zu fixieren. Wo das, wie im Klausurenstreik, nicht klappt (auf nahezu jeder Vollversammlung war einer der Dekane oder der Präsident anwesend, um die Studenten auf den legalen Pfad zu führen) wird zum Polizeiprügel gegriffen. Die noch andauernden Auseinandersetzungen im Entscheidungsgremium Fachbereichskonferenz sind eine Lektion in Sachen „Mitbestimmung“. Wie eng der Spielraum dieser „ En tsdieidungsgremien“ eigentlich ist, beweist der Briefwechsel zwischen Kultusministerium und Universität: Die Fachbereichskonferenz darf eigentlich nur das beschließen, was durch die Kultusministerkonferenz — Richtlinien zur Diplomprüfung — bereits vorgeschrieben ist. So hat das Kultusministerium in mehreren Briefen genau das herausgesucht, was ihm zur Reglementierung der Studenten und zur effizienteren Ausnutzung der Hochschulkapazitäten passend und förderlich erschien und das verworfen, was für eine inhaltliche Neubestimmung der Studiengänge hätte Ansatzpunkte liefern können.

Ein weiterer Brief aus Wiesbaden wird für die nächste Zukunft erwartet.

Für einen Lehrstuhl:Kritik der politischen Ökonomie Vor knapp einem halben Jahr hat endlich die Fadibereichskonferenz einer Forderung entsprochen, die noch in die großen Tage der Studentenbewegung zurückreicht : die Ausschreibung eines Lehrstuhls „Marxistische Wirtschaf tstheorie“. Diese Forderung, und das ist zu betonen, knüpft sich nicht mehr an die Hoffnung einer demokratischen Universität hier und heute. Das war nur dort möglich, wo Wissenschaft und Ausbildung nicht in ihrem Verhältnis zum Reproduktionsprozeß des Kapitals begriffen wurden, sondern als etwas Neutrales, gegenüber dem Kapitalverhältnis Invariantes erschienen Heute, da die Hochschulreform selbst den Schein völliger Autonomie aufzulösen im Begriff ist, dient eine Forderung wie „Marx an die Uni“ nur der Aufrechterhaltung dieses Scheins. Darum soll dieser Lehrstuhl nicht als Ansatz(punkt) eines Gegenstudiums, z. B. eines „Sozialistischen Studiums“, mißverstanden werden, soll auch nicht zum Tummelplatz von Seminarmarxisten verkommen, sondern hat die Aufgabe, sich an den in Frankfurt gelehrten Wirtschaftswissenschaften abzuarbeiten, Kritik der herrschenden Vulgärökonomie zu leisten Die Professorenschaft dieses Fachbereichs dagegen ist an einem „kritischen“ Marxisten interessiert, mit dem sie einerseits der Forderung der Studenten genügen, andererseits aber den Lehrbetrieb durch den von ihr ernannten kritischen Kritiker vor gefährlicher Kritik absdtirmen will.

Um zu verhindern, daß auch uns ein faules Ei ä la Baier ins Nest gelegt wird, werden wir in Zusammenarbeit mit den anderen linken Gruppen des Fachbereichs ein Teadi-in veranstalten, auf dem die Kandidaten über ihr Wissenschaftsverständnis Auskunft geben werden, was heißt, daß wir von ihnen erfahren möchten, welche Funktion sie einer Professur „Marxistische Wirtschaftstheorie“ zusprechen

Studentische AG zur Kritik derPolitischen Ökonomie

Seit der Einrichtung des Tutorenprogramms werden in den großen Einführungsveranstaltungen zur VWL und BWL eine Reihe von grundlegenden Fragen und Problemen, insbesondere von gesellsdiaftlidien und politischen Dimensionen der Ökonomie zumindest aufgeworfen. Die darauf angeblich aufbauenden Veranstaltungen des Grundstudiums gehen dann aber sehr sdinell zur Tagesordnung bürgerlicher Detailökonomie über, ohne daß auch nur versucht würde, die vielen offenen Fragen einer Klärung näherzubringen.

Gerade hier, in der Frage nach den gesellschaftlichen Wirkungszusammenhängen ökonomischer Theorie, nach dem Ideologiecharakter ökonomischer Modelle (d. h. der theoretischen Abbildung gesellschaftlicher Realitäten und der interessenspezifischen Auswahl und Formulierung von Fragestellungen) liegen aber die gravierenden Probleme, mit denen sich auseinandersetzen muß, wer verantwortlich Wissenschaft betreiben will.

Um hier die Lücke zu schließen und vor allem um eine repressionsfreie Arbeitsmöglichkeit auf diesem Gebiet bereitzustellen, die sich keinen Verwertungszwängen unterzuordnen hat, veranstaltet die SOHOG in diesem Semester eine AG zur Kritik der Politischen Ökonomie.

Behandelt werden sollen vor allem zwei Themenkomplexe: 1) Lektüre und Diskussion ausgewählter grundlegender Textstellen der bürgerlkhen Ökonomie (VWL und BWL) 2) Einführung in Fragestellung und Grundkategorien der marxistischen Kritik der Politischen Ökonomie.

Ebenso wie der universitäre Bildungsbetrieb ist diese Veranstaltung nicht Selbstzweck, nicht einem Bildungsbürgertum verpflichtet. Das bedeutet konkret, daß die in dieser AG zu behandelnden Themenkomplexe nicht abstrahieren können von den aktuellen gesellschaftlichen Konflikten, daß den Studenten die Einsicht vermittelt wird, daß Konflikte im Ausbildungsbereich immer nur begriffen werden können als allgemeingesellschaftliche.

Die AG wendet sich an alle Studenten des Grundstudiums (auch Anfänger) und setzt außer Interesse und Bereitschaft zur Mitarbeit nichts weiter voraus.

SOHOG (Sozialistische Hochschulgruppe Fb-Wiwi)

SOHOG

Giselher Rüdiger 6 Frankfurt 1 Jügelstraße 1 (Studentenhaus), Zi 236, Tel: 7 98 30 63

SHB/SF (Sozialistischer Hochschulbund) Mitgliederversammlung Club Voltaire, montags 20 Uhr

Spartakus Walter Luley 6 Frankfurt Jügelstraße 1, Zi 330