CIA-Putsch in Marokko
Als am 16. August der Putschversuch marokkanischer Militärs gegen König Hassan II, der zweite innerhalb von 13 Monaten, scheiterte, setzte sich nach der ersten Welle von Spekulationen über Urheber und Hintergründe dieses Komplotts in der Weltöffentlichkeit rasch eine Interpretation durch, die auf den ersten, oberflächlichen Blick einzuleuchten schien: ein Machtkampf rivalisierender Gruppen der marokkanischen Streitkräfte, wie gehabt, ein Konflikt also ohne weiterreichende internationale Bedeutung? Als die dreistrahlige Boeing 727, mit der Hassan von einem Frankreichvier Jagdbombern des Typs Northrop F-5A vier Jagdbombern des Typs Nothorp F-5A der marokkanischen Luftwaffe, die sich beim Einfliegen der königlichen Maschine in den marokkanischen Luftraum in die Eskorte eingereiht hatten, angegriffen und mit Maschinengewehren und Bordraketen beschossen wird, scheint zunächst nicht einmal Oufkir Ziel und Urheber dieses Putsches zu kennen. Hassan überlebt, angeblich weil er geistesgegenwärtig die „Rebellen" überlistet hat.
Die anschließenden offiziellen marokkanischen Stellungnahmen zum Ablauf des Putschversuchs bleiben lückenhaft, die Interpretationsversuche widersprüchlich. Die Putschisten vermutet man zunächst in den Reihen progressiver Militärs. Diese Version wird fragwürdig, als Oufkirs Tod bekannt wird, wobei es für die Interpretation des Putschs keine Rolle spielt, ob Oufkir Selbstmord beging oder liquidiert wurde. Die „Enthüllungen des Königs" über Kontakte reaktionärer Luftwaffenoffiziere mit der links-demokratischen Opposition, die zur gemeinsamen Verschwörung geführt hätten, werden trotz heftiger Dementis von Oppositionspolitikern im Exil von der Weltpresse mit dem Hinweis auf eine Entfremdung zwischen Oufkir und Hassan und Oufkirs Einflußnahme auf „milde" Urteile für die Verschwörer des Vorjahres (die Massenexekutionen werden nicht mehr erwähnt) unterstützt. Immerhin gab es eine Reihe von Anzeichen und Reaktionen, die dieser Version Glaubwürdigkeit verliehen.
Die USA registrierten das Mißlingen des Putsches „mit Erleichterung". Französische Regierungssprecher und der jordanische Kön giHussein überschütteten Hassan mit Glückwünschen zum überstandenen Attentat und verurteilten das Komplott als „kriminelles Unterfangen", Radio Tripolis dagegen lobte „den mutigen revolutionären Versuch der Offiziere, ein reaktionäres Regime zu Fall zu bringen", und forderte die marokkanische Bevölkerung auf, sich gegen Tyrannei, Ignoranz und Sklaverei zu erheben. Und die libysche Regierung wertete die Auslieferung von zwei nach Gibraltar geflohenen Putschoffizieren durch die britische Regierung als weiteren „Verrat am arabischen Volk".
Ein Putsch vonseiten progressiver Militärs schien also niemanden sonderlich zu überraschen, nicht einmal die marokkanische Opposition. In der offiziellen Stellungnahme der Unfp (Union nationale des forces populaires), die allerdings so allgemein formuliert war, daß sie die Möglichkeit eines Gegenputsches nicht ausschloß, hieß es: „Die absolute Macht, die sich auf einen Apparat zur Repression und zur Verfälschung des Volkswillens stützt, ist einzig und allein für die gegenwärtige Lage verantwortlich, sowie alle blutigen Erschütterungen, die sie mit sich gebracht hat." In der bürgerlichen Presse Westeuropas dominiert die Version vom machfhungrigen Oufkir, der — hoch ausgezeichnet in der französischen Kolonialarmee in Indochina, Vertrauensmann der Franzosen vor der marokkanischen Unabhängigkeit 1956-, in der neuen marokkanischen Armee nach der Unabhängigkeit, in welche zunächst vorwiegend Offiziere und Soldaten aufgenomme# wurden, die in der Kolonialarmee sowie in Francos faschistischen Truppen gedient hatten, den Anschein eines „unpolitischen" Militärs mit absoluter Loyalität seinem jeweiligen Herren gegenüber erweckt, nachdem er mehrere Volksaufstände blutig niedergeschlagen hatte, zum obersten Polizeichef, später Verteidigungsminister und Armeechef avancierte. Dieser Oufkir, der „starke Mann" Marokkos, plante „alle Macht an sich zu reißen" (Zeit 25. 8. 72)? Etwa weil Hassan nach dem Putsch von Shkirat im Juli 1971, als er Oufkir zum Verteidigungsminister und neuen Armeechef machte, die Befehlsgewalt über die Polizei, die Oufkir behalten wollte, einem Zivilisten übertrug (Spiegel, 35, 72)? Und dies, indem er progressive Militärs für seine Ziele einspannte? Die bürgerliche Presse brauchte jetzt nur noch deren Motive zu erläutern - daß nämlich die stagnierende bzw. seit Jahren sogar rückläufige Entwicklung Marokkos jenen arabischen Offizieren unerträglich wurde, denen die „Frage des Fortschritts... näher zu liegen (pflegt) als jene der zivilen Freiheiten" (NZZ 15. 9. 72), daß sie „in Hassan und seinem Regierungsstil das Haupthindernis für ein besseres Vorankommen des Landes gesehen haben" (ebd.) - und das Bild von der Verschwörung von Links- und Rechtsradikalen scheint zu stimmen. Der Hinweis auf den „Gesamtrahmen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage" eines Landes mag als Erklärung eines Putsches einleuchten, die Frage nach den Urhebern erklärt er jedoch nicht.
In Marokko selbst dagegen mochte man die Version vom rein innenpolitisch motivierten Putsch nicht so recht glauben. L’Opinion, die Zeitung der nationalistischen Istiqulal-Partei, berichtete über die Anwesenheit von amerikanischen Zerstörern im Hafen von Casablanca während beider Putschversuche; die Zeitung wurde beschlagnahmt, als sie weitere Einzelheiten über die Hintergründe des Anschlags veröffentlichte.
Kaum jemand in Marokko konnte auch glauben, daß die amerikanische Militärmission auf dem Luftwaffenstützpunkt Kenitra, wo die Flugzeuge der Putschisten gestartet waren, die ungewöhnlich umfangreiche Ausrüstung der Jagdflugzeuge mit Zusatztanks und Raketen nicht bemerkt haben. (In Kenitra befindet sich der letzte US-Stützpunkt am Nordrand Afrikas. Die Zahl der hier stationierten amerikanischen Militärberater wird mit zwischen 430 und 900 angegeben.) Die europäische Presse jedoch weist Vermutungen über eine amerikanische Putsch-Beteiligung zurück: „Warum sollte Amerika am Sturz eines Regimes interessiert sein, das es in den letzten fünfzehn Jahren mit über zwei Milliarden Mark unterstützt hat?" (Zeit 25. 8. 72) Und Frankreichs Investitionen in der ehemaligen Kolonie sind drei Milliarden Dollar wert (Spiegel, 35 72). Laut US -News and WorldReport haben „die USA und andere westliche Mächte ... ein vitales Interesse daran, daß der Monarch seine feste Herrschaft über das Land behält." Die marokkanische Krise Hatte Hassan die Herrschaft über Marokko jedoch noch fest in der Hand? In der Antwort auf diese Frage liegt der Schlüssel für die Erklärung des Putsches, dessen Vorbereitungen schon unmittelbar nach dem mißlungenen Staatsstreich des Vorjahres begannen, dessen Plan aber weit älter war. Es gibt auch zahlreiche Hinweise dafür, daß die amerikanische Beteiligung weit über eine stillschweigende Billigung hinausging, daß die USA seit Ende 1970, genauer seit der Ernennung des jetzigen US-Botschafters in Marokko, Rockwell, den Umsturzplan sogar aktiv unterstützt haben. Rockwells Vorgänger dagegen hatte jahrelang ein Marokkobild gefördert, das mit der Realität herzlich wenig zu tun hatte.
Die Mehrzahl seiner Berichte nach Washington priesen die „ungeheure Beliebtheit des Königs", den „unbestreitbaren Erfolg seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik" und vor allem dessen „unerschütterliche Loyalität gegenüber den Idealen der freien Welt". Dieser Botschafter, Intimfreund der königlichen Familie, hatte sich durch Einschaltung der Familie seiner Frau durch Schiebung und Schmuggel derartig bereichern können, daß eine Veränderung in Marokko und die Entmachtung des Königs seinem persönlichen Interesse widersprach. Rockwell dagegen erfaßte schnell die wirklichen Zustände. Ergebnis: Die Lage war alarmierend. Das Ansehen des Königshauses hatte sein niedrigstes Niveau erreicht, die Korruption war derart verbreitet, daß sie selbst die Mitglieder der Königsfamilie erfaßt hatte. Es gab eine Million Arbeitslose, 80 Prozent Analphabeten und keinerlei Ausbildungsmöglichkeiten für 3 Millionen schulpflichtige Kinder. Die Perspektiven des Landes aber waren noch alarmierender als seine gegenwärtige Situation.
Die Arbeiter und Arbeitslosen in den Städten, die Studenten und Schüler, die Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere, die Tausenden aus Europa heimkehrenden Arbeitsemigranten, die einstigen Kämpfer für die Unabhängigkeit, hatten längst das herkömmliche Bewußtsein, nach dem man dem „Sultan" die Treue hält, das höchstens noch rudimentäre Bedeutung in bäuerlichen Gebieten hat, überwunden. Mehrere Volksaufstände waren in der Vergangenheit von der Armee niedergeschlagen worden, die Opposition war durch Säuberungsaktionen, Massenprozesse und die Ermordung und Verhaftung ihrer wichtigsten Führer geschwächt worden. Die Arbeitslosigkeit nimmt in den Städten rapide zu und wird nach einer Schätzung des Nouvel Observateur bis 1985 die Zwei-MillionenGrenze überschritten haben. Die Verelendung der Massen in den Städten nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Dabei verbrauchen die 3,5 Millionen Stadtbewohner 25 Prozent des Nationalprodukts. Aber auf dem Lande ist die Situation weit schlimmer: 11 Millionen Bauern müssen 20 Prozent des Nationaleinkommens unter sich teilen. Dagegen entfallen 50 Prozent auf die wenigen dem Regime nahestehenden Familien, die Unternehmer sowie die im Lande lebenden Ausländer. Das bedeutet, daß bei einem theoretischen Pro-KopfEinkommen von 9000 frz. Franken einige hunderttausend Personen durchschnittlich im Jahr 70 000 Franken, die 11 Millionen Bauern (unter Einrechnung des Eigenverbrauchs) höchstens 4000 Franken verdienen, und dies bei permanent steigenden Preisen und seit 1962 nahezu konstant gebliebenen Löhnen. Die Auswirkungen sind bereits in Statistiken ablesbar. Laut Nouvel Observateur hat trotz des Bevölkerungswachstums von jährlich 3 Prozent der Verbrauch an Grundnahrungsmitteln und Textilien regelmäßig abgenommen, während der Verbrauch von Benzin, importierten Luxusartikeln und Automobilen vergleichsweise hohe Steigerungsraten aufweist (zit. nach NZZ 19. 5. 1972).
Unter dem Blickwinkel ihrer strategischen Interessen mußte die marokkanische Situation den USA „bedrohlich" erscheinen, zumal die Armee in verschiedene Fraktionen gespalten war und die Rivalitäten jeden Moment als offene Auseinandersetzungen auszubrechen drohten. Für die USA bestand nun das Problem darin, zu verhindern, daß die Macht in Marokko eines Tages in die Hände nasseristisch orientierter Militärs fällt, die sie vom letzten Stützpunkt in Nordafrika nach dem Beispiel Libyens verjagen könnten.
Die in Paris erscheinende Zeitschrift „afriquasie" (Nr. 13/72) hat in einer Untersuchung über Hintergründe und Vorbereitungen des Putsches umfangreiche bisher nicht bekannte Informationen veröffentlicht, von denen hier einige erwähnt werden sollen. Gegenüber einem Korrespondenten dieser Zeitung erklärte ein hoher PentagonOffizier: „Es ist lebenswichtig für die strategischen Interessen der USA im westlichen Mittelmeer zu verhindern, daß die politische Macht in die Hände einer pseudo-liberalen Regierung fällt, was in Marokko die Position ultra-nationalistischer Gruppen stärken würde. Was wir brauchen, ist eine starke Regierung. Nach dem letzten Komplott hat der König diese Funktion verloren. Er hat abgewirtschaftet, gleichgültig wie weit er die polizeilichen Repressionen auch treiben mag." (Die Furcht der USA vor einer „pseudo-liberalen Regierung* gründet sich offenbar auf dem Verdacht, daß Hassan den Vorschlägen der Opposition, eine Regierung zu bilden, in der alle politischen Tendenzen entsprechend ihrer Stärke repräsentiert sind [Vgl. L’expres, 3, 9, 72], entgegenkommen könnte.) ;,afriquasie" berichtet weiter, daß Washington zwecks Verhinderung einer Machtübernahme durch progressive Militärs seit geraumer Zeit reges Interesse an der Kontaktaufnahme mit Offizieren höherer Ränge an den Tag gelegt habe, Offizieren vom Schlage Oufkirs, Medbough, Ababou, Chelouati, Hamon usw., die schon in der Vergangenheit den Beweis ihrer Verbundenheit mit dem Imperialismus erbracht hätten und von denen sich viele ihrer Massenvernichtungsfeldzüge im französiechn Kolonialkrieg in Indochina rühmten.
Nach der Untersuchung von „afriquasie" wurden vor den Komplott die Kontakte zwischen den Amerikanern einerseits mit Oufkir und anderen marokkanischen Militärs andererseits rasch intensiviert. Hier einige Beispiele, die etwas mehr Licht in die Rolle der USA bringen sollen: - Ein hoher Offizier, gleichzeitig Mitglied des CIA und des NSA (National Security Agency), Spezialist in nordafrikanischen Fragen, der sich vor dem Putsch unter verschiedenen Namen in mehreren arabischen Hauptstädten aufhielt, stand als Unterhändler des Pentagon - unter dem Namen Oberst Johnson - ständig mit Oufkir in Kontakt. Johnsons engster Mitarbeiter, ursprünglich Angehöriger der US-Botschaft in Marokko, ist Mitglied der amerikanischen Botschaft in Paris.
— Einige Tage vor dem Augustkomplott traf ein hoher marokkanischer Luftwaffenoffizier im geheimen Aufträge Oufkirs auf der US-Air-Force-Basis Rota in Spanien u. a. mit Konteradmiral Watson zusammen. Unbestritten ist, daß mit den Amerikanern in Rota ein Abkommen über eine Arbeitsunterbrechung der US-Berater in Kenitra für den 16. August ab 14 Uhr geschlossen wurde.
Hierzu muß man wissen, daß im Gegensatz zur Darstellung der marokkanischen Regierung der Stützpunkt Kenitra vollständig von amerikanischen Streitkräften kontrolliert wird. Obwohl Kenitra nominell marokkanisches Hoheitsgebiet ist, untersteht dieser Stützpunkt, der als Telekommunikationszentrum dient, direkt dem „Strategie Air Command" im spanischen Rota. Und obwohl in Kenitra marokkanische Geschwader von amerikanischen Ausbildern Spezialtraining erhalten, befindet sich die Leitung der Basis einzig und allein in amerikanischen Händen. „Kein Flugzeug kann starten, keine Bewegung ist möglich, ohne daß die USA davon nicht Kenntnis hätten, und kein marokkanischer Pilot darf ohne amerikanischen Kopiloten starten" (Afriquasie, Ne. 13, 1972, S. 11).
- In den drei Monaten, die dem Komplott vorangingen, traf Oufkir seine amerikanischen Partner nacheinander zehnmal, in Rabat, Tetuan, Tanger, Madrid und Paris (obwohl er in Frankreich wegen der Entführung und Ermordnung des im Pariser Exil lebenden marokkanischen Revolutionärs Ben Barka zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden war). Oufkir traf den Chef des CIA, Richard Helms, während dessen letzter Europarundreise in der Villa des französischen CIA-Chefagenten. Drei Wochen später, während Hassans Aufenthalt in Frankreich, verhandelte Oufkir mit dem stellvertretenden Direktor des CIA in Straßburg. Ziele und Ergebnisse dieser Unterredung wurden nicht bekannt. Bekannt ist dagegen, daß der CIA die Zahl seiner Agenten in Marokko vor Jahresende zu verdreifachen plante.
- Am frühen Morgen des 17. August, nachdem der nach Gibraltar geflohene Oberst Amakrane ausgesagt hatte und nachdem Oufkirs Tod bekannt geworden war, nachdem die in Kenitra gelandeten Putschoffiziere verhaftet worden waren, verließen in aller Eile fünf amerikanische Flugzeuge den Stützpunkt, an Bord sieben US-Offiziere, unter ihnen Oufkirs langjähriger Intimfreund und Kommandant von Kenitra, sowie acht israelische Offiziere. Daß israelische Offiziere in amerikanischer Uniform in Kenitra ausgebildet wurden, ist seit Jahren ein offenes Geheimnis.
Die Rolle der US-Aliierten Wenn also die USA mit Sicherheit direkt das Komplott unterstützt haben, so bedeutet das nicht, daß nicht auch andere Staaten ein vitales Interesse an Hassans Sturz durch die proimperialistisch orientierte Fraktion der Militärs hatten. Für Israel ist Marokko ein Verbündeter, solange es sich dem Widerstand der arabischen Staaten gegen die zionistische Expansionspolitik fernhielt. Vieles deutet sogar auf eine enge Kollaboration mit den Militärs um Oufkir hin. Oufkir soll sich nicht selten seiner ausgezeichneten Beziehungen zum israelischen Geheimdienst gebrüstet haben, den er nicht zu Unrecht für einen der bestorganisiertesten der Welt hält, und der ihn „als einzigen Araber seit dem Vorabend der israelischen Aggression vom Juni 1967 über sämtliche Pläne und Vorhaben informiere" (afriquaisie, S. 12). Hassan, der diese Kontakte kannte, hat, obwohl er wissen mußte, daß Oufkir seinerseits Informationen an Israel lieferte, auch nicht das geringste dagegen unternommen. Vieles spricht dafür, daß diese Geheimkontakte es bisher verhindert haben, daß in Marokko die Opposition die Macht übernehmen konnte. Die Opposition war immerhin so stark, daß bei den Wahlen von 1963 die königstreue Front de Defense des Institutions Constitutionnelles trotz Wahlmanipulationen nur 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte (Vgl. Ben Barka, Revol. Alternative, S. 15). Außer Israel sind alle westeuropäischen Staaten um die Aufrechterhaltung der Kontrolle im Mittelmeer und an der Verteidigung ihrer Interessen gegen nationalistische Tendenzen in den arabischen Mittelmeerländern interessiert, von denen zumindest einige wegen ihres Ölreichtums lebenswichtig für das Funktionieren der Wirtschaft und die Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft Europas sind. Die entscheidende Bedeutung, die dabei den Stützpunkten - den Luftlande-, Marine-, Raketen- und Spionagebasen - als direktem militärischem Druchmittel für die Verteidigung politischer und ökonomischer Interessen zukommt, läßt sich ermessen, wenn man bedenkt, zu welchen Mitteln des politischen, ökonomischen und diplomatischen Drucks bis hin zur Drohung direkter militärischer Interventionen die Großmächte immer dann gegriffen haben, wenn strategische Interessen in Gefahr gerieten, wobei sie neuerdings den präventiven Maßnahmen den Vorrang zu geben scheinen (z .B. die Machtergreifung faschistischer Diktaturen durch Intervention des CIA, die massive finanzielle Unterstützung, die die USA, deren Verbündete, wie auch die scheinbar unpolitischen supranationalen Institutionen wie die Weltbank nach Griechenland und der Türkei pumpten, das diplomatische Gerangel um Malta usw.).
Für die USA und die NATO sind politisch „stabile" Verhältnisse in Marokko die Bedingung für die Aufrechterhaltung ihrer Positionen im westlichen Mittelmeer. Frankreich geht es auch um die Sicherung seiner umfangreichen Investitionen in der ehemaligen Kolonie, vor allem auch seit französisches Kapital in Algerien nach und nach seinen dominierenden Einfluß an die USA und andere europäische Staaten verliert. Und seit nach dem gescheiterten Militärputsch von Shkirat die Säulen der marokkanischen Monarchie immer brüchiger werden, seit es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann das Militär die Macht übernimmt, und seit die USA - kaum übersehbar zu den besten Verbündeten der reaktionären Offiziere wurden, fürchtet Frankreich, nun auch aus der letzten Bastion seines ehemaligen Kolonialreichs verdrängt zu werden. Deshalb hatten führende Militärund Wirtschaftskreise mit Oufkir längst ihren Frieden gemacht.
Auch auf Spaniens Unterstützung konnte Oufkir rechnen, da Spanien an einem Arrangement wegen der Spanischen Sahara, einer der letzten Besitzungen aus der Kolonialzeit, interessiert ist. Wegen der umfangreichen Phosphatvorkommen haben in der Vergangenheit sowohl Marokko als auch Mauretanien Ansprüche auf das Land geltend gemacht. „Afriquasie" berichtet, daß Oufkir dem spanischen Innenminister ein Entgegenkommen Marokkos und die Neutralisierung Mauretaniens für den Fall seiner alleinigen Entscheidungsbefugnis versprochen habe.
Auch die portugiesische Regierung unterhielt permanent enge Kontakte zu Oufkir, versorgte ihn - aufgrund der NATOZugehörigkeit Portugals - mit den wertvollsten Informationen über die internationale Entwicklung und hat wohl auch als Zuträger von Wünschen der NATO fungiert. Während die Wahl Hassans zum Präsidenten der OAU die Gegner der portugiesischen Beziehungen verbitterte, wurde die Zusammenarbeit Oufkir - P.I.D.E. intensiviert. Vor diesem Hintergrund erscheint der Oufkir-Putsch als ein abgekarteter Handel dieser Länder mit Washington, zumindest wurde er moralisch unterstützt und gewünscht. Was zählt, ist die Erhaltung des Schutzes der strategischen und wirtschaftlichen Interessen, zu dem das abgewirtschaftete Regime Hassans mit seinem florentinischen Hof, das bis ins Tiefste korrumpiert und total isoliert ist, nicht mehr taugt. Dies erklärt den Wunsch der imperialistischen Mächte nach einem stabilen und starken Regime, das in der Lage sei, das Volk zu bändigen und seinen Willen nach Veränderung unter der demagogischen Forderung nach Ordnung zu ersticken.
Brigitte Heinrich
Er sagt, um dieses Theorem zu beweisen, muß man versuchen, die These zu negieren, oder ad absurdum zu führen, was die Negation der Hypothese sein könnte oder die Negation von etwas.,. was... Aha.