Aufruf
In diesem Herbst beginnen die Prozesse gegen die Rote Armee Fraktion (RAF) und das Heidelberger Patientenkollektiv (SPK). Viele von uns verschließen vor diesen Prozessen die Augen und tun so, als ginge sie das alles nichts an. Ein solches Verhalten -zeugt von einer absoluten Verkennung der objektiv politischen Funktion dieser Prozesse. Wir müssen uns fragen, was sie für unsere Praxis und unsere Perspektiven bedeuten. Wir müssen analysieren, welchen Stellenwert sie für die Politik der Linken haben, welche Interessen dahinterstehen und welche Folgen sich aus ihnen ergeben.
Die bisherigen Erfahrungen — insbesondere der Hoppe-Prozeß in Hamburg, bei dem unter Ignorierung der Fakten ein rein politisches Urteil gefällt wurde — zeigen deutlich, daß es bei den bevorstehenden Prozessen nicht um die juristische Verhandlung von Tatbeständen geht. Sie stehen vielmehr in Zusammenhang mit einer neuen Welle der Unterdrückung seitens der herrschenden Klasse, die nach der Studentenrevolte und ihren Folgen einerseits, der wachsenden Unruhe in den Betrieben andererseits, ihre Madttposition verteidigt und sich anschickt, jeden Widerstand gegen das kapitalistische System zu brechen.
Einen Widerstand, der sich in den vergangenen Jahren in verschiedenen, auch militanten Aktionen ausgedrückt hat: Kampf im Betrieb, Kampf um Wohnungen, Kampf an Schulen und Universitäten.
Sdton jetzt hat die unmittelbare Unterdrückung dieser revolutionären Ansätze viele Gesichter: sie reicht vom Versuch der Disziplinierung linker Lehrer über das tendenzielle Berufsverbot für sozialistische Rechtsanwälte, neue Spitzelgesetze und Verbotsdrohungen gegen exponierte Organisationen, Ausweisung von unliebsamen Ausländern bis hin zum Mord. So wie sich die Staatsgewalt heute durch die Bevölkerung hindurchgeschossen hat, um eine Handvoll „Terroristen“ zur Strecke zu bringen, so wird sie morgen blindlings auf „verdächtige“ Arbeiter schießen, um einen Streik zu zerschlagen.
Von der „demokratischen Öffentlichkeit“ und ihren Medien ist kein Gegengewicht zu erwarten: am Ende übernimmt sie doch die Polizeiversion wie im Fall der Ermordung Georg von Rauchs oder des Schotten Macleod. Wie sehr die Massenmedien mit den Interessen der herrschenden Kräfte gleidtgesdialtet sind, haben sie durch ihren gigantischen Propagandaeinsatz in künstlidt geschaffenen Ausnahmezuständen unverhohlen an den Tag gelegt.
Die verschärfte Unterdrückung der Linken zeigt eindeutig, daß die herrschenden Kräfte das Fürchten lernen und Angst haben, daß die Massen ihnen die Gefolgschaft aufkündigen. Und dies soll verhindert werden. Doch um die dafür notwendigen Maßnahmen zu treffen, fehlt es dem Staat nodt an einer Legitimation. Denn die Mittel, die er einsetzt, erscheinen so lange als unverhältnismäßig, als nicht den Massen bewiesen wird, wo der Feind steht: daß er links steht und im Begriff ist, „Wohlstand“ und „Sicherheit“ zu z.erstören. Die RAF-Prozesse haben vor allem die Funktion, ein Feindbild zu konstruieren, das auf alle projiziert werden kann, die das bestehende System ernsthaft in Frage zu stellen wagen, — ein Feindbild, das dazu dient, jede politische Auseinandersetzung abzuwürgen. Das ist die objektiv politische Funktion der bevorstehenden Prozesse.
Eine Distanzierung der linken Gruppen von den angeklagten RAF- und SPKGenossen wird den Ablauf der Prozesse und die ihnen von der Bourgeoisie zugedachtc Funktion nicht im geringsten verändern. Zur Verhandlung steht nicht linke Politik, auch nidit die taktischen und strategischen Differenzen zwischen der RAF und den anderen linken Gruppierungen, sdton gar nidit die Notwendigkeit revolutionärer sozialistischer Aktionen. Die Genossen der RAF und des SPK stehen als „Kriminelle“ vor biirgerlidien Gerichte«. Aber diesen Gerichten geht es nicht um Indizien, Tathergänge und Schuldnachweisec die Urteile liegen schon fertig in der Schublade. Denn abgeurteilt werden die revolutionären Ideen, die zur Praxis drängen. Zerbrochen werden soll die Entschlossenheit zum Kampf gegen Unterdrükkung, Ausbeutung und Manipulation. Die Prozesse zielen auf die Kriminalisierung der gesamten Linken.
Als derart Kriminalisierte kann der Staat sie schließlidi „guten Gewissens“ ins Zuchthaus oder ins Irrenhaus stecken. Zu welchem Zweck eigentlich? Jeder weiß, daß diese Anstalten nicht einmal die Funktionen erfüllen, die ihnen die bürgerliche Gesellschaft zuspricht: Abschreckung und „Besserung“ (Resozialisierung usw.). Denn beides findet nachweislich nicht statt. Was stattfindet, ist die psychische Vernichtung der Feinde der Bourgeoisie.
Freiheit füralle politischenGefangenen!
Dieser Staat, dessen Recht auf Gewalt beruht, hat. keine Legitimation, irgendeinen Menschen zu verurteilen. Diejenigen, die dieses System stützen, das tagtäglich Millionen dazu zwingt, ihre Arbeitskraft zu verkaufen; das Tausende, die an diesem System kaputtgehen, in Gefängnisse, Irrenhäuser, Erziehungsanstalten sperrt; das Unzählige dazu verdammt, in Elendsquartieren zu leben; das die ausländischen Arbeiter, ohne die das Kapital längst nicht mehr lebensfähig wäre, wie Parasiten behandelt — sie haben kein Recht, uns der Gewalttätigkeit zu bezichtigen. Die herrsdtende Klasse, das deutsche Bürgertum, das zwei imperialistische Weltkriege vom Zaun gebrochen hat, das Millionen von Juden und politischen Oppositionellen in Konzentrationslagern abschlachtete, besitzt kein Recht, revolutionäres Handeln als verbredterisch abzustempeln und zu verfolgen.
Genossen, es reicht nicht aus, immer nur davon zu reden, daß alle gegen die RAF gerichteten Maßnahmen auf die gesamte Linke zielen. Es reicht nicht, zu wissen, daß dieser Staat keine Legitimation hat. Uns hilft weder das romantische Liebäugeln mit der Illegalität noch das naive Vertrauen auf die Legalität. Notwendig ist vielmehr, die bestehenden Machtverhältnisse richtig einz.uschät/en und gleichwohl die Kampfansage der Herrschenden aufzunehmen, d. h. den gemeinsamen Widerstand zu organisieren — unabhängig von den Aktionen einer militanten Selbstorganisation, die durch die herrschenden Verhältnisse in die Illegalität gedrängt wurde. Betroffen sind alle, die, auf welcher Ebene und mit welchen Mitteln auch immer, zur Veränderung der Gesellschaft entschlossen sind. Betroffen sind alle, die den Sozialismus wollen. Deshalb müssen alle, die den Sozialismus wollen, aktive Solidarität beweisen. Wenn wir angesichts der RAFProzesse auf „Tauchstation“ gehen und uns in unsere Gruppen zurückziehen, nehmen wir dem Feind die Arbeit ab, begehen wir politischen Selbstmord. Es kommt darauf an, die Frage der revolutionären Veränderung gemeinsam zu beantworten, um die Versuche zur Einschüchterung zu unterlaufen und jede Form der Unterdrückung zu bekämpfen.
rote| hilfe
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